Ein Vierteljahrhundert im Zeichen der Alten Musik
Die Tage Alter Musik Regensburg feierten
ihr 25-jähriges Bestehen
Von Ingo
Negwer
Zum 25. Mal fanden am Pfingstwochenende in
Regensburg die Tage Alter Musik statt. Wieder gab es von Freitag bis
Pfingstmontag vierzehn Konzerte mit Musik vom Mittelalter bis zur
Klassik. Die Faszination dieses Festivals ist auch nach einem
Vierteljahrhundert ungebrochen: An die 10.000 Besucher kamen zu den
fast immer ausverkauften historischen Spielstätten.
Die
Altstadt von
Regensburg.
Seit 25 Jahren eine prächtige Kulisse
für die Tage Alter
Musik.
(Foto: Ingo Negwer)
Ein Highlight zu Beginn: Mozarts große Messe c-Moll
Das Eröffnungskonzert mit den
Regensburger Domspatzen und dem L'Orfeo
Barockorchester war selbst für die Tage Alter Musik ein herausragendes
Ereignis. Über sechzig Techniker des Bayerischen Rundfunks haben die in
barocker Pracht erstrahlende Alte Kapelle eine Woche lang für eine
Fernsehaufzeichnung hergerichtet. Das Konzert wurde zudem live
im Radio ausgestrahlt.
Das österreichische
Barockorchester L'Orfeo spielte zum
Auftakt Mozarts "Linzer" Sinfonie C-Dur. Unter der Leitung seiner
Konzertmeisterin Michi Gaigg gelang eine äußerst frische Interpretation
des wohlbekannten Werks, die bei aller kammermusikalischen Transparenz
von kontrastreicher Dynamik und in den Ecksätzen von stürmischen Tempi
lebte. Das Hauptwerk des Eröffnungskonzerts war jedoch Mozarts große
Messe c-Moll KV 427. Die Regensburger Domspatzen, oft und mit
Begeisterung bei den Tagen Alter Musik gehört, übertrafen sich in
diesem Jahr noch einmal selbst. Unter der Leitung von Roland Büchner
entwickelten sie eine für einen Knabenchor schier unglaubliche
Klangpracht. Der Chor konnte zudem mit dramatisch düsteren Klangfarben
überzeugen. In dieser bestechenden Form sind die Domspatzen kaum zu
übertreffen. Gleiches gilt für die Solisten, allen voran Dorothee
Mields, die mit glockenklarem lyrischem Sopran (etwa im "Et incarnatus
est") Maßstäbe setzte. Siri Karoline Thornhill beeindruckte im
"Laudamus te" mit brillanten Kolloraturen und einem auch in der Tiefe
ausgewogenen Sopran. Die solistischen Männerstimmen sind in Mozarts
Messe c-Moll leider nur mit einer Nebenrolle bedacht. Dennoch erwiesen
sich Robert Buckland (Tenor) und Manfred Bittner (Bass) als ebenbürtige
Partner innerhalb der Solistenriege.
Der Sendetermin der
TV-Aufzeichnung stand während des
Festivals noch nicht fest. Wer das Konzert verpasst hat oder noch
einmal erleben möchte, sollte unbedingt auf der Website der Domspatzen (www.domspatzen.de)
nachschauen!
Händels Feuerwerk
Nach dem von Publikum und
Kritik gefeierten Auftritt von B'Rock vor
zwei Jahren stellte sich bei den Tagen Alter Musik 2009 mit Les Muffati
ein weiteres junges Barockorchester aus Belgien vor. Unter der Leitung
von Peter Van Heyghen ließen Les Muffati Orchestermusik aus England von
Matthew Locke bis Thomas Augustin Arne Revue passieren. Zunächst
standen mit der Suite aus "The Tempest" von Matthew Locke und Robert
Smith sowie Henry Purcells Suite aus "The Prophetess or The History of
Dioclesian" zwei Werke der englischen Restaurationszeit auf dem
Programm. Mit weichem Streicherklang, präziser Artikulation und
tänzerischem Swing trafen Les Muffati sehr schön den am französischen
Klangideal orientierten Stil dieser Musik. Brillanter, in hellen
"italienischen" Farben kam nach der Pause John Stanleys Concerto h-Moll
daher. In dieser 1742 entstandenen Komposition forderte die Virtuosität
als ein weiteres neues Element ihr Recht, das ihr durch die souveränen
Solisten Tuomo Suni, Marcin Lasia (Violinen) und Marian Minnen
(Violoncello) gewährt wurde. Eine Rarität war das erfrischende Concerto
d-Moll von Charles Avison nach Cembalosonaten von Domenico Scarlatti.
Schließlich ging das Konzert von Les Muffati mit der Ouvertüre Nr. 3
G-Dur und der Sinfonie Nr. 1 C-Dur von Thomas Augustin Arne zu Ende -
zwei Werke, die bereits den Weg zur Klassik vorzeichneten.
Das französische Ensemble Le
Poème Harmonique und sein Leiter
Vincent Dumestre (Laute) haben mit ihrem Engagement für die
französische Musik der Renaissance und des Frühbarock bereits große
Verdienste erworben. In ihrem Regensburger Konzert nahmen sie sich
eines vergessenen Komponisten von Airs de Cour an: Charles Tessier. Der
gebürtige Bretone war Kammermusiker König Heinrichs IV. von Frankreich,
hielt sich aber für längere Zeit im Ausland auf, u.a. in England, und
stand zeitweise auch in Diensten des Landgrafen Moritz von
Hessen-Kassel. Entsprechend bunt und vielsprachig ist sein Oeuvre. Le
Poème Harmonique folgte in der St.-Oswald-Kirche den Spuren Charles
Tessiers auf seiner Reise durch Europa. Neben französischen Airs de
Cour erklangen italienische Villanelle, ein Air espagnol und Chansons
aus der Schweiz und sogar auf Türkisch. Kompositionen von Moritz von
Hessen, Hans Leo Hassler und John Dowland ergänzten das unterhaltsame
Programm, das von den hervorragenden Musikern kompetent und stilsicher
dargeboten wurde.
Das Zefiro
Baroque
Orchestra
mit Alfredo Bernardi (ganz rechts)
(Foto: Ingo Negwer)
Georg Friedrich Händels Tod jährt
sich 2009 bekanntlich zum
250. Male. Das Händel-Jahr wurde selbstverständlich auch in Regensburg
gebührend gefeiert. Das Zefiro Baroque Orchestra reiste aus Italien an
und hatte Händels berühmte Spätwerke im Gepäck: die Concerti a due Cori
F-Dur (HWV 333) und B-Dur (HWV 332), das Concerto grosso "Alexander's
Feast" und "The Musick for the Royal Fireworks". Diese Musik scheint
wie gemacht für die Akustik der großen Minoritenkirche mit ihren zwei
bis drei Sekunden Nachhall. Sie entwickelte eine überwältigend
majestätische Klangpracht und blieb durch das präzise, disziplinierte
Spiel des Zefiro Baroque Orchestra unter der Leitung von Alfredo
Bernardi dennoch transparent und schlank. Mit ansteckender Spielfreude
und mit vorwärts drängender Frische nahmen sich die Italiener Händels
Musik an. Die Feuerwerksmusik, von Zefiro in der Minoritenkirche nach
der Pause entzündet, war ein schier atemberaubendes musikalisches
Erlebnis und wird mir als eine der besten Aufführungen barocker
Orchestermusik, die ich live miterleben durfte, in Erinnerung
bleiben. Bravissimo!
Händel in Italien
Lucy Fitz
Gibbon (Ex
Umbris)
(Foto: Ingo Negwer)
Eine Kerze in der Hand, einsam,
ängstlich um sich schauend
betrat am Sonntagmorgen Lucy Fitz Gibbon die Bühne des Leeren Beutel
und stimmte die Broadside Ballad "Bar'ra Faustus' Dream" an. Die
Melancholie in der Musik des elisabethanischen Zeitalters bildete den
roten Faden des Konzerts von Ex Umbris. Das US-amerikanische Ensemble
war zum wiederholten Male in Regensburg zu Gast, und konnte auch in
diesem Jahr wieder mit einem kurzweiligen Programm, bei dem der Humor
nicht zu kurz kam, überzeugen.
Ex Umbris
in Aktion
(v.l.n.r.):
Lucy Fitz Gibbons, Paul Shipper,
Grant Herreid
(Foto: Ingo Negwer)
Mit großer Kompetenz, aber
keineswegs akademisch trocken
widmete sich La Chapelle Rhénane am Nachmittag in der St.-Oswald-Kirche
dem Werk von Heinrich Schütz. Aurore Bucher, Tanya Aspelmeier (Sopran),
Rolf Ehlers (Altus), Benoît Haller und Henning Kaiser (Tenor) sowie
Benoît Arnould (Bass) bildeten ein ausgezeichnetes Vokalensemble, das
von den Instrumentalisten mit einem ausgewogenen Klangbild unterstützt
wurde. So gelang dem französischen Ensemble ein vitales musikalisches
Plädoyer für den Altmeister der evangelischen Kirchenmusik.
Mit der Aufführung des Oratoriums
"Il Trionfo del Tempo e del
Disinganno" folgte am Sonntagabend der zweite Beitrag der Tage Alter
Musik zum Händel-Jubiläum. Händels Jugendwerk und erster Beitrag zu
dieser Gattung , 1707 in Rom uraufgeführt, steckt voller frischer
Ideen. Der junge Komponist, soeben in Italien angekommen, maß seine
Kräfte in neuer, anregender Umgebung. In der Regensburger
Minoritenkirche nahm sich das italienische Barockorchester La Risonanza
unter der Leitung von Fabio Bonizzoni des Werks an. Nuria Rial sang die
Rolle der Schönheit (Bellezza) mit klaren Kolloraturen und quasi
makellosen Höhen. Yetzabel Arias Fernandez' Sopran verfügt über ein
dunkles, sinnliches Timbre, das sie überzeugend verführerisch in der
Rolle des Vergnügens (Piacere) einzusetzen wusste. Elena Biscuola gab
mit warmem, eindringlichem Alt eine mahnende Enttäuschung (Disinganno).
Und Krystian Adam gestaltete mit seinem charaktervollen lyrischen Tenor
die Rolle der Zeit (Tempo). Die vitale Interpretation durch La
Risonanza und die hochkarätigen Solisten litt leider unter den
schwierigen akustischen Bedingungen. Anders als noch am Vorabend bei
der "Feuerwerksmusik" ging hier doch manches Detail der filigranen
Textur im Nachhall verloren.
Monteverdis "Poppea": ein - nicht ganz "krönender" Abschluss
Überraschende Neuentdeckungen
gab es fast jedes Jahr bei den Tagen
Alter Musik Regensburg - man erinnere sich nur an Il Giardino Armonico
oder Anonymus 4. Im diesjährigen Jubiläumsfestival zählt für mich La
Rota zu diesen Entdeckungen. Unter dem Motto "Heu, Fortuna"
präsentierte das junge kanadische Ensemble Musik aus der Zeit Philipps
IV. des Schönen (1268-1314), also aus der Blütezeit des französischen
Mittelalters. Sarah Barnes (Sopran), Tobie Miller (Flöte, Drehleier,
Sopran), Esteban LaRotta (Laute, Harfe, Tenor) und Émilie Brûlé (Fidel)
präsentierten die meist anonym überlieferten Kompositionen in sehr
abwechslungsreichen, farbigen Interpretationen. Dabei wechselten ein-
bis dreistimmige Vokalstücke mit virtuosen, teils improvisierten
instrumentalen Einlagen ab. Auch in der strengen Kunst der
isorhythmischen Motette (Philipp de Vitry), dreistimmig gesungen und
instrumental begleitet, fühlen sich die kanadischen Musiker zuhause.
Ein gelungener musikalischer Auftakt zum letzten Festivaltag. Bravo!
Noch einmal stand am Nachmittag
Georg Friedrich Händel auf dem
Programm, dieses Mal zusammen mit dem schwedischen Zeitgenossen Johann
Helmich Roman. Musikantisch im besten Sinne, mit großer Spielfreude und
sattem Orchesterklang zeichnete Concerto Copenhagen unter der Leitung
von Lars Ulrik Mortensen (Cembalo) für diesen Festivalbeitrag
verantwortlich. Neben drei Concerti grossi aus Händels Opus 3 und
Romans Golovin-Suite beeindruckte vor allem das Konzert für Oboe
d'Amore und Orchester D-Dur des schwedischen Barockmeisters, das schon
deutlich frühklassische Züge trug. Frank de Bruine war der souveräne
Solist dieses außergewöhnlichen Konzerts.
Den krönenden Abschluss der 25.
Tage Alter Musik sollte das
italienische Ensemble La Venexiana mit einer szenischen Aufführung der
Oper "L'Incoronazione di Poppea" von Claudio Monteverdi gestalten. Dass
es nicht der ganz große Wurf dieses Festivals wurde, lag nur zum Teil
an den einmal mehr viel Durchhaltevermögen fordernden klimatischen
Bedingungen im subtropischen Klima des Regensburger Velodroms.
Wie so oft im modernen Regietheater war das Konzept der Inszenierung
höchst fragwürdig. Paola Reggiani verlegte die Handlung aus dem antiken
Rom des Kaisers Nero in das Japan der 1960-er Jahre. Dem besseren
Verständnis einer Geschichte, die in längst vergangener Zeit spielt,
diente diese "Aktualisierung" jedenfalls nicht. Vielmehr taten sich
zwischen Text und Szene unüberbrückbare Risse auf, wenn beispielsweise
die von Nero verstoßene Ottavia singt: "A Dio Roma, a Dio patria, amici
a Dio" (Lebe wohl, Rom, lebe wohl, Heimatland, Freunde, lebt wohl). Für
eine römische Kaiserin, die von ihrem Ehemann zum Verlassen der Heimat
gezwungen wird, klingen diese Worte bedrückend und nachvollziehbar. Im
(fiktiven) Japan der Nachkriegszeit ausgesprochen, wirken sie zumindest
irritierend.
v.l.n.r.:
Roberta Mameli
(Nero),
Claudio Cavina (Ottone & Ltg.),
Emanuela Galli (Poppea)
(Foto: Ingo Negwer)
Anspielungen auf berühmte
Hollywood-Filme - Ottone mit
Regenschirm ("Singing in the Rain"), Poppea im kostbaren Kostüm à la
Audrey Hepburn ("Breakfast at Tiffany's") u.v.m. - führten auch nicht
zu neuen Einsichten in Monteverdis Bühnenwerk, regten während der Pause
allenfalls zum mehr oder weniger unterhaltsamen Vergleich mit dem
Film-Glossar im Programmheft an. Das ist leider, abgesehen von einigen
Slapsticks (Arnalta), auch schon alles, was ich Positives über diese
Inszenierung zu berichten weiß. Ansonsten beschränkte sich Paola
Reggianis Regieleistung auf ein schematisches Auf- und Abtreten der
Darsteller; von Personenführung oder gar psychologischer Einfühlung in
das dramatische Geschehen konnte keine Rede sein. So litt die gut
dreieinhalbstündige Aufführung an schwer erträglichen Längen, die durch
die gewohnt hohe musikalische Qualität von La Venexiana unter der
Leitung von Claudio Cavina nicht aufgewogen werden konnte.
Emanuella Galli (Poppea) und Roberta Mameli (Nero) bildeten ein
stimmlich ausgezeichnet aufeinander abgestimmtes Liebespaar, dass
leider auch im quälend langsam vorgetragenen Schlussduett "Pur ti miro"
seine Leidenschaft nicht ausleben durfte. Claudio Cavina schlüpfte
neben seiner "Hauptrolle" als Dirigent ebenfalls in die Rolle des
Ottone. Seinem Countertenor merkte man in den Höhen die Doppelbelastung
durchaus an. Ian Honeyman spielte die komische Rolle der alten Amme
Arnalta mit offensichtlichem komödiantischen Spaß. Die Kaiserin Ottavia
wurde von Xenia Meijer mit dunklem, seriösem Mezzosopran ebenso
überzeugend dargeboten, wie der Philosoph Seneca von Matteo Bellotto,
der sich mit profundem Bass in sein Schicksal fügte. Der Sängerriege
stand ein ausgezeichnet besetztes Orchester mit großer
Generalbass-Gruppe (3 Theorben, 2 Cembali, Harfe) aufmerksam zur Seite.
Konzertpause.
Grant
Herreid und
Lucy Fitz Gibbon (Ex
Umbris)
(Foto: Ingo Negwer)
Am späten Montagabend lagen
schließlich wieder vier Tage, voll
bestückt mit Konzerten Alter Musik, hinter dem Festivalbesuchern (und
dem Rezensenten). Das Angebot war wieder so groß, dass ich leider nicht
alles hören, geschweige denn von allen Konzerten berichten konnte. Der
Eindruck, den die Tage Alter Musik Regensburg hinterlassen, ist dank
der einmaligen Reichsstadt-Kulisse, vor allem aber dank der klugen
Konzertauswahl durch das unermüdliche Pro Musica Antiqua-Team auch in
der 25. Auflage immer noch überwältigend. Ohne "Regensburg" wäre die
Alte-Musik-Szene deutlich ärmer. In diesem Sinne kann man den
Veranstaltern für die Zukunft nur alles Gute wünschen.
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