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Salzburger Festspiele 2009

25. Juli - 30. August 2009


Von Dr. Joachim Lange

Skandalös normal

Die Salzburger Festspiele auf der Suche nach sich selbst – ein Kommentar zur Begleitmusik des aktuellen Jahrgangs

In den Jahren, in denen Gerard Mortier die Salzburger Festspiele leitete, da zündete er meistens selbst seine rhetorischen Knallkörper. Das brachte mit schöner Regelmäßigkeit ein Rauschen im Blätterwald, war aber auch ein Indiz für die unumkehrbare Modernisierung in der Nach-Karajan Ära. Während Mortiers unmittelbarem Nachfolger Peter Ruzicka solche Art von Nebengeräuschen spürbar suspekt war, steigt Jürgen Flimm auch schon 'mal in den Ring, wenn er meint, dass es sein muss. So fragte der Intendant die österreichische Autorin Marlene Streeruwitz heuer ziemlich öffentlich, ob sie nicht alle Tassen im Schrank habe. Die hatte nämlich in einem Interview mit DeutschlandRadio Kultur die Salzburger Festspiele als reaktionär, gar als faschistoid bezeichnet. Wobei dieser öffentlich zelebrierte Selbsthass seit Thomas Bernhard in Österreich irgendwie dazugehört und in der Person von Elfriede Jelinek immerhin zu Nobelpreisehren gekommen ist.

In diesem Jahr feuerten aber auch intime Kenner der Branche, wie der Ex-Burgtheaterdirektor und jetzige Münchner Opernintendant Klaus Bachler und Regisseur Martin Kusej, regelrechte Breitseiten auf die Festspiele ab. Der eine sprach von einer Sackgasse und stellte fest, dass sie keine künstlerische Relevanz mehr hätten. Der andere bescheinigte ihnen Langeweile und ein ästhetisches Nichts. Dabei wäre Bachler selbst gerne Festspiel-Intendant geworden (und hätte alle Voraussetzungen dafür gehabt), und Kusej war als Schauspielchef und auch als Regisseur einige Jahre für das Niveau in Salzburg selbst mitverantwortlich. Man könnte das alles als typisch österreichisches Geplänkel zur Seite legen, wenn nicht die personellen Weichenstellungen an der Festspielspitze programmatischen Charakter hätten, der künstlerische Ertrag des aktuellen Festspieljahrgang nur partiell zu überzeugen vermochte und die Eröffnungsrede von Daniel Kehlmann, dieser Suche der Festspiele nach sich selbst, nicht eine Art theoretisches Überbau-Sahnehäubchen verpasst hätten.


Vergrößerung in neuem Fenster Geht: Jürgen Flimm (Foto © Luigi Caputo)

Es war vor allem das Personalgerangel in der Chefetage, das das Nobelfestival in diesem Jahr von Anfang an unter einen gewissen Krisenverdacht stellte. Dass Jürgen Flimm keine zweite Amtszeit als Intendant antreten würde, war dabei im Grunde schon lange klar. Dass er jedoch seinen Wechsel an die Berliner Lindenoper (und an die Seite von deren eigentlicher „Nummer Eins“, Daniel Barenboim) ein Jahr vor Ablauf seines Salzburg-Vertrages verabredete und das Jahr 2011, das bis zum Amtsantritt seines Nachfolgers Alexander Pereira verbleibt, quasi irgendwie nebenbei mit bewältigen wollte, das nahm man in Salzburg nicht so locker wie Flimm selbst. So gehörte es denn zu den zahlreichen Nebenkriegsschauplätzen der aktuellen Festspiele, sich auch auf eine personelle Lösung für die Interimsspielzeit von 2011 zu einigen. Da wird nun der allseits hochgelobte, ambitionierte derzeitige Konzertchef, Markus Hinterhäuser, die Leitung des Ganzen übernehmen. Obwohl er es selbst bei der Intendanten-Kür zur Flimm-Nachfolge zur allgemeinen Verblüffung nicht einmal in den Dreiervorschlag (Pierre Audi, Stephane Lissner, Alexander Pereira) geschafft hatte, seine Arbeit unter Pereira auch nicht fortsetzen will, und obendrein kaum eigene Gestaltungsmöglichkeiten hat, wird er nun diese Aufgabe übernehmen. Das spricht genauso für diesen ernsthaften Künstler und Kulturermöglicher von Rang wie der durchschlagende Erfolg, den er in diesem Jahr mit seinem auf den Komponisten Edgar Varese fokussierten Konzertprogramm hatte.

Sicher darf man Alexander Pereira durchaus auch Überraschendes vor allem einen dosierten Mut zum Risiko zutrauen (oder von ihm erhoffen). Die Berufung seines Schauspielchefs Sven Eric Bechtholf gibt allerdings eher den Skeptikern recht. So sehr der sich nämlich einen Namen als großartiger Schauspieler gemacht hat, so eindeutig sind seine eher schlicht konservativen Statements.


Vergrößerung in neuem Fenster

Kommt: Alexander Pereira (Foto © Suzanne Schwiertz)

Es war allerdings der intellektuelle und neugierige Thomas Oberender, der den Festredner und Dichter-Gast Daniel Kehlmann nicht nur eingeladen hatte; er trat ihm dann aber auch argumentativ entgegen und lud ihn obendrein ein, im nächsten Jahr selbst als Bühnenautor in Salzburg zu debütieren. In diesem Jahr sorgte der Bestsellerautor jedoch erst einmal durch seine sehr persönliche Eröffnungsrede für einen kleinen Coup, als er die Rolle des Tugendwächters über die Autorentreue der Regisseure einnahm. Die Rede des 34jährigen Autors kam als eine Hommage an seinen Vater, der selbst Regisseur war, daher, wuchs sich dann aber zu einer Attacke gegen das sogenannte Regietheater aus. Die hatte es dann aber auch in sich! Für Kehlmann ist das angeblich diktatorische, die deutschsprachige Theaterlandschaft beherrschende Regietheater „zur letzten verbliebenen Schrumpfform linker Ideologie degeneriert.“ Aus seiner Sicht, soll der Regisseur nur der Diener des Autors sein und habe keinen Anspruch auf eine eigene Autorenschaft als Künstler. Abgesehen davon, dass es keinen Text auf der Bühne gibt, bei dem nicht ein Regisseur zwischen dem gedruckten und gesprochenen Wort vermitteln müsste, ist jene Art der szenischen Hinterfragung des Überlieferten, die Kehlmann wohl meint, auch auf den deutschen Bühnen eher die Ausnahme. Und die kann, wie alles andere auch, gelingen oder scheitern. Allerdings ist auch die Kanonisierung des ästhetisch zunächst Unbotmäßigen zu hinterfragen, da hat Kehlmann durchaus recht. So verkürzt und polemisch-populistisch, wie er es verpackte, bedarf es schon einer so scharfsinnigen Argumentation wie der von Thomas Oberender (im Gespräch mit Peter Michalzik in der Frankfurter Rundschau vom 28.7.09), um in der feuilletonistischen Abwehr nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten, und das ganze doch noch als Chance zur Selbstbefragung und Diskussion zu begreifen.

Das Programm der Festspiele bot freilich eher normale Kost und war kaum geeignet, die Debatte um die Möglichkeiten und Grenzen einer herausfordernden Regie wirklich kontrovers und mit Substanz zu führen. Während der Intendant selbst als Regisseur mit Rossinis Moses und Pharao eher ein uninspiriertes Ärgernis bot und Christoph Loy seine Art szenischen Purismus zelebrierte, dürfte Claus Guths Cosi fan tutte immerhin als Teil einer jetzt vervollständigten Da Ponte-Trilogie im Kontext eine zusätzliche Dimension erhalten. Dass aber ausgerechnet Luigi Nonos Al gran sole carico d'Amore und Markus Hinterhäusers ambitioniertes, um Varese und Liszt gruppiertes Konzertprogramm den größten Erfolg bei Publikum und Kritik verzeichnen konnten, zeigt nicht nur die Probleme, die die Festspiele mit ihren großen Opernproduktionen haben, sondern auch das Potential der angeblich ja so abgehobenen Festspiele. Ob das nun als Ausrutscher oder als gutes Zeichen gelten darf, wird man erst in der Rückschau, in ein paar Jahren, wirklich beurteilen können.

Salzburg / Halle a.d. Saale, im September 2009




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