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Ein szenisches GesamtkunstwerkVon Christoph Wurzel / Foto von Andrea Kremper
Dass Inszenierungen von Herbert Wernicke ein Wiedersehen lohnen, wurde in Baden-Baden bereits im vergangenen Jahr bewiesen, als sein für Salzburg im Jahre 1995 geschaffener "Rosenkavalier" neu inszeniert wurde. Mittlerweile ist diese Fassung auch auf DVD erschienen. In Stuttgart war in den letzten Spielzeiten die ursprünglich in Basel herausgekommene Bühnenadaption von Bach-Kantaten ("Actus tragicus") zu sehen. Ebenfalls für Baden-Baden wurde nun in diesem Jahr die Münchner "Elektra" - Produktion von 1997 neu einstudiert und bildete den Kern der Winterfestspiele 2010. Diese Wiederaufnahmen belegen auf beeindruckende Weise die überragende Qualität des 2002 verstorbenen Regisseurs. Wernickes Arbeiten wirken auch Jahre nach ihrer Entstehung noch mit unmittelbarer Kraft. Sie sind szenische Gesamtkunstwerke, Regie, Bühnenbild und Kostüme nicht nur aus einer Hand, sondern in der Aussage auch auf einen Punkt gebracht, integriert zu einem Ganzen von großer Suggestivität. In besonderem Maße gilt dies auch für Strauss/Hofmannsthals "Elektra", für deren eminent komplexe Musik Wernicke ein faszinierend einfaches Bühnenbild geschaffen hat, das die Bühne in zwei Räume teilt. Auf der Vorderbühne gibt es als hauptsächlichen Bewegungsraum für Elektra nur ein kleines abgeschrägtes Podest, ein sehr enger Aktionsradius für die Ausgeschlossene. Eine diagonal drehbare schwarze Fläche trennt Elektras Außenwelt vom Inneren des königlichen Palastes. Wenn diese Wand langsam nach oben schwebt, wird hinten eine breite Treppe sichtbar, blutrot ausgeleuchtet, Symbol für die Allgegenwart mörderischer Schuld am Hof von Mykene. Diese bewegliche Wand trennt nicht allein die Handlungsräume, sondern gibt der Dramaturgie dieses monolithischen Einakters auch sinnfällig Klarheit und Struktur.
Lässt sich herab in Elektras Sphäre:
Ganz aus dem Verständnis als einem mythischen Geschehen heraus erzählt Wernicke in diesem abstrakt reduzierten Bühnenraum die Handlung der Oper als archaisch urgewaltiges Beziehungsdrama zwischen Elektra und ihrer mörderischen Familie. Die Figuren, losgelöst von beinahe allen Requisiten, sind allein durch intensive psychologische Charakterzeichnung präsent. Am packendsten gelingt dies Jane Henschel als Klytämnestra, wie sie sich zuerst der Tochter als selbstherrliche Königin zeigt, dann zu Elektra herabsteigt, sich in ihr Vertrauen einzuschleichen versucht, vor dem Hass der Tochter zu Boden geht und dann nach der Nachricht vom vermeintlichen Tod Orests wieder spottend die Oberhand gewinnt - dies ist minutiös inszeniert und von Jane Henschel nicht nur bravourös gespielt, sondern auch in analytischer Klarheit durch meisterliche Stimmbeherrschung exzellent gesungen. Henschels Klytämnestra ist hier keine wahnsinnige Furie, sondern eine sich selbst bespiegelnde, kalt rationalisierende Psychopathin. Ihre Rollengestaltung dürfte zum Besten gehören, was in dieser Oper möglich ist. Von Albträumen verfolgt: Klytämnestra (Jane Henschel)
Die Figur der Elektra hat Wernicke in den engen Focus der vorderen Plattform gebannt, im grellen Schein des weißen Scheinwerferlichts bleibt sie gefangen in ihrem Rachewahn, mit dem allgegenwärtigen Beil als symbolischem Attribut. In ihrem Rollendebut erreicht Linda Watson, kurzfristig eingesprungen, allerdings nicht die szenische Präsenz, die nach der Anlage der Inszenierung möglich wäre. Stimmlich hält sie die enorm fordernde Rolle bis zum Schluss gut durch und auch manche Passage, vor allem zu Anfang die gebetsartige Anrufung Agamemnons, gelingt sängerisch eindrucksvoll. Der schwesterliche Konterpart der Chrysothemis (ganz in unschuldiges Weiß gekleidet) ist mit Manuela Uhl besetzt, die für die Rolle etwas wenig lyrisches Stimmpotential aufbietet. Der rächende Bruder Orest wird von Albert Dohmen gesungen, der der Rolle aber wenig Eigenprofil gibt. Für seinen Auftritt ist eigens vom Zuschauerbalkon aus eine Treppe auf die Bühne gebaut, über die er in das Geschehen hineintritt. Aber gerade die Wiedererkennungsszene mit Elektra bleibt ausdruckslos und vermag nicht zu ergreifen. Das Schlussbild hat Wernicke als eine Art Krönungszeremonie gestaltet, bei der Orest nach vollendeter Rachetat mit erhobenem Arm die Macht im Palast übernimmt, den Königsmantel (übrigens ironischerweise im Dekor des Vorhangs im Münchner Nationaltheater) als Symbol der Macht imperial umgelegt, ihm zur Seite in untertäniger Haltung Chrysothemis. Und Elektra gerät am Ende in keinen triumphalen Todestaumel, sondern stößt sich das Beil in den Leib. Eine der sparsamen kritischen Andeutungen in Wernickes Inszenierungen, die hier auf die Fatalität patriarchalischer Herrschaft hindeutet.
Der Bruder schickt sich an, die Rache zu vollstrecken:
Als Aegisth ist in Baden-Baden René Kollo zu erleben, der die kleine Rolle perfekt als Lebemann im weißen Smoking ausfüllt. Auch stimmlich hat er noch die nötige Durchschlagskraft aufzubieten. Überhaupt muss keiner der Sängerinnen und Sänger in dieser Aufführung schreien, auch ist sogar der Text über weite Strecken gut zu verstehen - keine Selbstverständlichkeit in den meisten "Elektra"- Aufführungen. Am Pult formt Christian Thielemann die Musik nämlich zu einem filigranen Gewebe von schönster Klanglichkeit, nimmt ihr jede exzentrische Schroffheit und gibt ihr wo nötig Aggressivität im Ausdruck, nicht in der Lautstärke. Dass die "Elektra"-Partitur voll schöner Lyrismen und auch klanglicher Weichheit ist, muss man hier nicht nur ahnen, sondern kann es wirklich hören. Dabei formt Thielemann mit den exzellent aufspielenden Münchner Philharmonikern die Strukturen der Partitur deutlich aus und rückt die Faktur der Musik an Strauss' verehrtes Vorbild Wagner heran, so wie er an anderen Stellen deren impressionistische Klangsinnlichkeit zum Leuchten bringt. In den rein orchestralen Zwischenspielen blüht der Orchesterklang opulent und prächtig auf. So werden Dirigent und Orchester zum eigentlichen Star dieses an Höhepunkten reichen Opernabends. Spätes Debut: René Kollo als Aegisth
FAZIT Aus der Not hat man in Baden-Baden eine Tugend gemacht. Eigene Produktionen sind für das Festspielhaus technisch wie finanziell kaum zu stemmen. Also kauft man gern ein, wo sich Lohnendes anbietet und was sich zudem noch als DVD - Aufzeichnung konservieren lässt, wie diese Produktion auch. Dass dabei dem Publikum von heute sehenswerte Inszenierungen auch schon etwas älteren Datums wieder neu erschlossen werden können, ist zu begrüßen, solange sie zeitlos gültig sind, wie diese "Elektra". Man plant ja für 2013 in Baden-Baden einen "Ring". Der Dirigent steht schon fest: Christian Thielemann. Herbert Wernicke hat Wagners Tetralogie auch inszeniert, 1991 in Brüssel, wovon in Fachkreisen nur bewundernd geraunt wird. Vielleicht könnte man sich diese Produktion auch für Baden-Baden vorstellen? Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
ProduktionsteamMusikalische LeitungChristian Thielemann
Inszenierung, Bühnenbild,
Leitung der Neueinstudierung
SolistenElektraLinda Watson
Klytämnestra
Chrysothemis
Aegisth
Orest
Pfleger des Orest
Die Vertraute
Die Schleppträgerin
Ein junger Diener
Ein alter Diener
Die Aufseherin
Mägde
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- Fine -