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Bayreuther Festspiele 2010

Lohengrin

Lohengrin

Romantische Oper in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner

Premiere im Festspielhaus Bayreuth am 25.7.2010
(Rezensierte Aufführung: 3. August 2010)

Aufführungsdauer: ca. 5 h Stunden 45' (zwei Pausen)



Von Mäusen, Menschen und Tenören

Von Stefan Schmöe


„Ein Wunder ist gekommen, ein unerhörtes, nie gesehnes Wunder!“: Einen kurzen Moment lang verneigt sich Regisseur Hans Neuenfels, je nach Sichtweise enfant terrible des Opernbetriebs oder Säulenheiliger des Regietheaters, in seiner Neuinszenierung des Lohengrin vor Richard Wagners hehrem Festspielhaus. Wenn nämlich der Chor oben genanntes Wunder besingt, dann gilt dies zunächst nicht dem Schwanenritter, sondern, dem Publikum zugewandt (derweil kurz die Saalbeleuchtung aufflammt), der Aufführung selbst, dem in dieser Geste eingefangene Moment. Das eigentliche Wunder ist die Kunst. Wo bei Neuenfels der Ernst aufhört und die Ironie anfängt, das bleibt hier wie auch an manchen anderen Stellen in der Schwebe. Jedenfalls ist der Schwanenritter dann auch ganz passend eine Lichtgestalt aus dem heutigen Opernleben: Mit weißem Hemd und tenoralem Schal darf Lohengrin-Darsteller Jonas Kaufmann, umjubelter Sonnyboy des Boulevards, erst einmal sich selbst spielen – oder vielleicht doch mehr das Bild, das Marketingstrategen von ihm verbreiten? Immerhin geht es in dieser Oper um wahre Identität und das Verbot, danach zu fragen.

Diese Assoziationskette gehört zu den interessantesten Momenten in dieser Neuinszenierung, die weniger eine geschlossene Deutung als vielmehr eine Fülle von Kommentaren zur Oper selbst und zur Rezeptionsgeschichte bietet. Dabei hängt natürlich vieles an Jonas Kaufmann, sicher einer der spektakulärsten Debütanten am „Grünen Hügel“ in jüngerer Zeit, der die erforderliche Publicity für diesen Gedankengang mitbringt. Musikalisch gelingt ihm nicht alles, aber vieles. Offenbar ist er sehr bemüht, seine bewegliche und für Wagner natürlich relativ leichte (aber immer tragfähige) Stimme baritonal einzudunkeln – was im Piano wiederholt zu einem allzu gedeckten, unangenehm kehligen Klang führt und auch die Ausdrucksfähigkeit einschränkt. Auf der anderen Seite hört man die „heldischen“ Passagen selten so klangschön, dabei durchaus kraftvoll und mit tenoralem Glanz gesungen. Die sehr kantable Ausgestaltung kommt dem Regieansatz entgegen, der Lohengrin im zweiten Aufzug zunächst in die Rolle des „funktionierenden“ Helden zu drängen scheint, ihn im Finale – in dem Kaufmann zu großer Form aufläuft - aber als verletzlichen (und verletzten) Menschen zeigt.

Elsa bleibt weitgehend eine Projektionsfläche für übergeordnete Symbole. Im ersten Aufzug trägt sie ein Kleid, das von etlichen Pfeilen durchbohrt ist, eine Anspielung wohl auf den heiligen Sebastian, was Elsa die Aura einer Märtyrerin verleiht; im zweiten Aufzug erscheint sie als stilisierter Schwan in weiß (Ortrud trägt als Gegenpart das entsprechende Kleid in schwarz). Erst im dritten Aufzug erhält sie stärker menschliche Züge; die Kittel, die sie und auch Lohengrin tragen, lassen dabei auch Klinikatmosphäre assoziieren. Annette Dasch singt die Partie mit berückend schönem, ganz leicht eingedunkeltem Timbre. Was ihr noch fehlt, sind Kraftreserven für die (wenigen, aber nicht unwichtigen) dramatischen Passagen, da stößt die an sich volle, lyrische Stimme mitunter an Grenzen. Szenisch fällt auf, dass sie doch oft einfach nur herumsteht – Evelyn Herlitzius als Ortrud (mit klar fokussierter, schlank und punktgenau geführter Stimme und wohl dosierten dramatischen Ausbrüchen) ist ihr an Bühnenpräsenz klar überlegen. Szenisch recht konventionell, dabei durchaus differenziert ist der Telramund gezeichnet (Hans-Joachim Ketelsen behauptet sich stimmlich jederzeit souverän und singt unprätentiös und klar akzentuiert), ein Bösewicht mit Selbstzweifeln, der sich vergleichsweise nah am Libretto bewegt. Heinrich ist ein König ohne Macht, die Pappkrone nur noch Zitat (Georg Zeppenfeld singt mit durchsetzungsfähiger, schlanker Stimme); eher schon beherrscht der Heerrufer (sehr solide: Samuel Youn mit großem, aber nicht „dröhnendem“ Tonfall) die Chormassen.

Eine „richtige“ Geschichte, eine romantische gar, entwickelt sich aus alledem nicht. Es liegt etwas bewusst Klinisches über der Szenerie, die Entromantisierung dieser gemäß Wagner „romantischen“ Oper ist offenbar ein Hauptanliegen der Regie. Bühnenbildner Reinhard von der Thannen hat dazu postmodern nüchterne Wände gebaut, die das Stück in einer unbestimmten Gegenwart oder Zukunft ansiedeln, es aber einem konkreten Rahmen entheben. In diesem Ambiente seziert Neuenfels die Oper, untersucht und deutet einzelne Aspekte. Passend dazu erscheint die Handlung wie in einer Art Großlabor, in dem immer wieder das wissenschaftliche Personal mit Mundschutz die Protagonisten arrangiert. Das Frageverbot als Laborsituation? Klingt schick, ist aber nur begrenzt tragfähig: Ist nicht fast jede Oper eine Art „Laborsituation“, die Gefühle in Extremsituationen untersucht? Zwar wirkt die Regie hier nicht „falsch“, aber auch wenig zwingend. Vor allem aber fehlt eine „Schlusspointe“, die solche frechen Ansätze zu mehr macht als zu einem „Regiegag“.

Das gilt entsprechend auch für den nach außen hin dominierenden Einfall, den Chor über weite Strecken in Rattenkostüme zu stecken. Das sorgt für manchen Lacher, wirkt aber schnell auch ermüdend, sobald der Überraschungseffekt verbraucht ist. Natürlich bricht das dem (mit allerlei Kriegsgetöse nicht unproblematischen) Text ironisch das falsche Nationalpathos, und natürlich schwenkt gerade in dieser Oper der Chor allzu leicht in seiner Sympathie zu dem um, der gerade das Sagen hat, da mag das Bild von Ratten plausibel sein – aber im Finale sind's dann doch uniformierte Gestalten wie aus einem schlechten Science-Fiction-Film (und keine Ratten mehr), als habe Neuenfels den Regiefaden verloren. So verpuffen viele Ideen, die zunächst interessant aussehen, ohne sich zu einem schlüssigen Gesamtkonzept zusammenzufügen.

In vielen Szenen zieht Neuenfels den Chor ganz von der Bühne ab und reduziert das Geschehen wirkungsvoll auf Kammerspielformat. Dann aber macht sich schnell der Hang zu Stilisierung bemerkbar. Die Arrangements wirken dadurch oft zwar konzentriert, aber auch überraschend konventionell. Bei allen Verfremdungen bleibt der Kern der Geschichte erhalten. Eine komplette Umdeutung, wie sie Katharina Wagner in den Meistersingern vorgenommen hat, findet hier nicht statt. Die unerwarteten Bilder sind da letztendlich neuer und überraschender als die Ideen, die dahinter erkennbar werden.

Die Entromantisierung der Szene setzt sich in der musikalischen Interpretation nicht fort. Andris Nelsons feiert ein bemerkenswertes Debüt am Pult des guten, mancher Ungenauigkeit wegen aber auch nicht überragenden Festspielorchesters. Das Vorspiel baut er mit großer Ruhe auf, hat überhaupt ein Gespür für groß dimensionierte Entwicklungen, bei denen sich allmählich Schicht auf Schicht bis hin zum effektvoll aufgetragenen Höhepunkt auftürmt – große Empfindung im Kontrast zur Neuenfels'schen Nüchternheit. Gleichzeitig dirigiert Nelsons Ensembleszenen fließend und beweglich, „italienisch“ insofern, als den Gesangsstimmen die Führungsrolle zukommt. Er macht hörbar, wie sehr der Lohengrin an der Schnittstelle zwischen großer romantischer Oper und modernem Musikdrama steht. Und er leitet diese große Choroper so souverän, dass der Klang auch im überwältigenden Fortissimo nie starr wird. Weder die Solisten noch der gewohnt klangvolle, sehr nuanciert singende großartige Chor werden zum „Schreien“ verleitet. Hier bleibt alles gesanglich, und das Orchester glänzt immer wieder mit einem sehr differenzierten Piano und Pianissimo.

Am Ende einhelliger und intensiver, ungewöhnlich lang anhaltender Jubel für die Musik. Die polarisierende Inszenierung blieb indessen unkommentiert: Das Regieteam trat nach der hier besprochenen (zweiten) Aufführung nicht vor den Vorhang.


FAZIT

Hans Neuenfels entrümpelt den Lohengrin zwar gehörig, bleibt aber einen wirklich zwingenden Regieansatz schuldig - trotz mancher bemerkens- und nachdenkenswerten Idee hinterlässt die Inszenierung (nicht nur produktives) Unbehagen. Die Musik schert sich nicht darum: Andris Nelsons dirigiert großformatig mit bemerkenswerter Klangkultur, und auch ein starkes Ensemble ohne Ausfälle (und mit weiterem Entwicklungspotential) sorgt für festspielreife Momente.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Andris Nelsons

Inszenierung
Hans Neuenfels

Bühnenbild und Kostüme
Reinhard von der Thannen

Licht
Franck Evin

Video
Björn Verloh

Dramaturgie
Henry Arnold

Mitarbeit Konzeption
Susanne Øglænd

Choreinstudierung
Eberhard Friedrich

Statisterie, Chor und Orchester
der Bayreuther Festspiele


Solisten

Lohengrin
Jonas Kaufmann

Heinrich der Vogler
Georg Zeppenfeld

Elsa von Brabant
Annette Dasch

Friedrich von Telramund
Hans-Joachim Ketelsen

Ortrud
Evelyn Herlitzius

Der Heerrufer des Königs
Samuel Youn

1. Edler
Stefan Heibach

2. Edler
Willem Van der Heyden

3. Edler
Rainer Zaun

4. Edler
Christian Tschelebiew


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