Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum



Internationale Barocktage Stift Melk

31. Pfingstkonzerte

Homepage

Internationale Barocktage
im Stift Melk

Raritäten, Qualitäten

Von Bernhard Drobig

Vergrößerung in neuem Fenster

Stift Melk
(Foto: ©P.Martin)


Attrraktiv wie das Gesamtambiente des hoch über der Donau gelegenen Stifts Melk sind auch die in ihm jeweils zu Pfingsten veranstalteten Internationalen Barocktage. Ihre wesentlichen Merkmale: ein Kompaktangebot von zehn Konzerten an vier Tagen, ihre zentrale Ansiedelung in repräsentativen Räumlichkeiten des Weltkulturerbes wie Stiftsbasilika, schmuckvollen Sälen des 18. Jahrhunderts nebst Sommerrefektorium und Gartenpavillon im Rokokostil, ferner die ausgewogene Mischung renommierter Künstler – heuer angeführt von Altmeister René Clemencic als virtuosem Flötisten in pastoraler französischer Kammermusik – mit leistungsstarken heimischen wie internationalen Hoffnungsträgern der Szene, und nicht zuletzt die grundsätzlich exklusiv für dieses Festival zusammengestellten Programme. Im diesmal 19. Parcours galt es mehrerer Jubiläen zu gedenken: der vor 400 Jahren erfolgten Drucklegung von Monteverdis Marienvesper sowie einiger «runder» Geburtstage, des 350. von Johann Joseph Fux und Alessandro Scarlatti, des 325. von Johann Sebastian Bach, des 300. von Giovanni Battista Pergolesi. Gleichwohl blieb genügend Raum, auch anderen Großmeistern in neuen Interpretationen zu begegnen, beispielsweise Telemann und Bach-Söhnen in der Sicht eines jungen Ensembles namens Boutique Baroque, dessen Programm schon dadurch faszinierte, dass jedem seiner sechs Mitglieder ein Solokonzert überlassen war, ehe man sich gemeinsam des anspruchsvollen Variationsreichtums von Corellis Follia annahm.

 

Vivaldi und Frescobaldi waren zwei eigene Konzerte gewidmet, in deren ersterem das ebenfalls jüngere, inzwischen auch international gefragte Ensemble Sirocco es wagte, gleich sieben Concerti des Venezianers vorzustellen, und ohne zu langweilen reüssierte, da man Bläser nicht nur wie im «Gardellino» den Solopart, sondern auch Stimmen des Streichersatzes übernehmen ließ, was den sich scheinbar ähnelnden Werken eine zauberhaft neue Klagmagie verlieh und Kompositions- wie Interpretenbrillanz umso deutlicher hervortreten ließ, besonders bei der Flötistin Nathalie Houtmann und der Fagottistin Katrin Lazar.

 

Mit Sensibilität und Virtuosität widmete sich Francesco Cera in seinem Cembalo-Recital dem zu Beginn des 17. Jahrhunderts so sehr bewunderten «Tastentiger« Girolamo Frescobaldi. Was er in den Toccaten an Affektvielfalt freisetzte, was an Kontrapunktik in den Ricercari und nicht zuletzt an Figuren und  Manieren in den Variationsformen der Corrente, Canzone und Partite, das schlug von den ersten Takten an so in den Bann, dass man selbst nach durchgehenden eineinhalb Stunden gern noch lange dieser sich neu erschließenden Welt gelauscht hätte oder wenigstens noch einmal den genialen Cento partite sopra Passacaglia, die unter Ceras Hand zu einem spannenden Erlebnis und echtem Triumph barocker Cembalokunst wurden.

Vergrößerung in neuem FensterPublikum im Kolomanisaal
(Foto: © Franz Gleiss)

 

Einen ähnlich beglückenden Höhepunkt bildeten die über Nacht organisierten Soloaufritte des Cellisten Albert Brüggen und des Cembalisten Wolfgang Glüxam, die den unfallbedingten Verzicht auf die vorgesehene Darbietung von Bachs Kunst der Fuge wettmachten. Beide Künstler blieben bei Bach, beide bewiesen die meisterliche Beherrschung ihrer Instrumente, beide ihr mustergültiges Verständnis für die ausgewählten Werke. Albert Brüggen trug die erste und fünfte Suite für Violoncello solo vor, jene mit ihrer vielfach versteckten und echten Mehrstimmigkeit, letztere gar mit ihrer so einzigartigen Klangfarbe wegen der um einen Ganzton herabgestimmten A-Saite und mit ihrer wunderbar radikal einstimmigen Sarabande. Fürwahr, Brüggen ließ staunen, nicht nur über das, was Bach dem Instrument an Spielmöglichkeiten zugedacht hatte, sondern mehr noch, wie er selbst Melodisches, dramatisch Wirkendes und tänzerisch Leichtes in fein austarierter Differenzierung sowohl als solches wie als Teil einer ausgewogenen Gesamtstruktur zum Klingen brachte: höchste Kunst in perfekter Nachschöpfung.

 

Wolfgang Glüxam am Cembalo stand dem nicht im Geringsten nach. Ob er die Dreistimmigkeit eines Ricercare aus dem Musikalischen Opfer in ihrer kontrapunktischen Verflechtung auffaltete, eine schlicht anmutende Aria aus dem Clavier-Büchlein für Anna Magdalena trotz schier unerschöpflicher Auszierungen in berührender Kantabilität zu einem Hymnus in sich ruhender Innerlichkeit machte, oder die chromatische Phantasie und Fuge in ihrer leidenschaftlichen, den Sturm und Drang vorwegnehmenden Toccatenfreiheit, ihren chromatischen und enharmonischen Raffinessen oder in ihrer auf Konzertwirkung angelegten Fuge erschloss, immer wieder verstand es Glüxam, das Cembalo gefällig singen zu lassen.


Vergrößerung in neuem Fenster

Emma Kirkby und das Ensemble Florilegium
(Foto: © Franz Gleiss)

 

Begonnen hatte das Festival mit dem Auftritt zweier weltbekannter Künstler, deren Namen seit langem für höchste Gesangskultur bürgen: Emma Kirkby und Robin Blaze. Wie oft mögen beide schon das Hauptwerk des Abends, Pergolesis Stabat Mater, vorgetragen haben, und doch präsentierten sie es nun, umsichtig begleitet vom Ensemble Florilegium, wie aus dem Augenblick der Erstbegegnung mit den vielen Facetten von Mariens Leid unter dem Kreuz und der verinnerlichten Erschütterung ernsthaft mitfühlender Betrachter entwickelt. Ein Faszinosum besonderer Art war zudem die vorhergehende Gegenüberstellung von Salve Regina-Vertonungen aus der Feder Vivaldis und Pergolesis, wobei die Sopranistin den vorwiegend lieblichen venezianischen Grundton mit zarten Spuren flehentlichen Bittens verband, während der Altus die neapolitanische Fassung mit ihrer verblüffenden Gefühlstiefe zu einer ergreifenden Vorwegnahme der ähnlich gearteten Sequenz machte. 

 

Das Abschlusskonzert mit Andrea Lauren Brown machte mit gleich vier der 600 als echt erkannten Kantaten Alessandro Scarlattis bekannt. Und hörte, ja erlebte man, wie abwechslungsreich und inhaltsgerecht die teilweise um obligate Trompeten-, Flöten- und Oboenstimmen erweiterte Orchesterbegleitung des Neapolitaners, wie ausdrucksvoll die Gesangslinien sowohl in Rezitativen und Arien sind, konnte man sich bei den so eindringlichen Spiegelungen von Liebesträumen, –leiden und –enttäuschungen nur wundern, was da an ungeborgenen Schätzen in den Archiven schlummert und wie Scarlattis überreiches Opernschaffen selbst im Jubiläumsjahr kaum Beachtung findet. Frau Brown jedenfalls stellte die rezitativischen Selbstgespräche und affektreichen Arien mit bewundernswert breiter Nuancierungspalette wie selbst erlebt vor und gab allen berührten Frauenschicksalen wie dem der Arianna individuelle Züge: Oper pur im Taschenbuchformat, was von Christoph Hammer und dem Orchester Barucco mit Verve und Aplomb mitgetragen wurde.

 

In eine völlig andere Welt führte Michael Alexander Willens mit dem Oratorium IL TRIONFO DE LA FEDE von Johann Joseph Fux, jenem Alessandro Scarlatti gleichaltrigen heimischen Barockkomponisten, der nicht nur runde vier Jahrzehnte als Hofkomponist und –kapellmeister im Dienste dreier Kaiser stand, sondern auch mit seinem fundamentalen Lehrwerk über den Kontrapunkt bis weit in das 20. Jahrhundert hinein richtungweisend blieb. Selbstverständlich gab Fux auch in dieser 1716 zur Fastenzeit in der Hofburgkapelle aufgeführten Kirchenoper beeindruckende Beispiele seiner sogar für vertiefende Textaussagen und dramatische Aussagen genutzten kontrapunktischen Meisterschaft, moderat angereichert um die in Neapel neu geformte musikalische Rhetorik. Ja, man gewann gar den Eindruck, als hätte nur dieser Stil dem Inhalt des Werkes voll Rechnung tragen können. Handelt es sich doch um einen philosophisch-theologischen Diskurs von fünf Allegorien, der Jetztzeit, der irdischen und himmlischen Liebe, sowie der Unschuld und dem Glauben, - in der Sprache unserer Zeit besser verständlich als Philosoph, Genussmensch, Religion, Gewissen und Glaube.  Zentrales Anliegen des Disputs ist der Nachweis, dass ein Leben ohne Gott die falsche Zweckbestimmung des Menschen ist, und die

vom letztendlich siegenden Glauben bekräftigte Hoffnung, dass reuige Verirrte Gottes Erbarmen finden. Mit den Sopranistinnen Gabriele Hierdeis und Nicki Kennedy, der Altistin Ursula Eittinger sowie Johannes Weiss (T) und Stephan MacLeod (B) hatte Willens Stimmen aufgeboten, die den Geist der Arien durchaus angemessen einfingen, freilich die in den Rezitativen angelegte Brisanz des Streitgesprächs nicht in eine entsprechend temperamentvolle Deklamation umsetzten, um damit dem hochinteressanten Werk die größtmögliche Wirkung zu sichern.

Vergrößerung in neuem Fenster Francesco Cera in der Stiftskirche (Marienvesper) 
(Foto: © Franz Gleiss)

 

Absoluter Höhepunkt des Festivals war die Wiedergabe von Monteverdis Marienvesper in der Stiftskirche mit dem um Blechbläser des Ensembles Oltremontano erweiterten Bologneser Vokal- und Instrumentalensemble Arte Musica unter der Leitung seines Gründers Francesco Cera.

So zwingend wie Cera das bereits erwähnte Frescobaldi-Recital zu einem Triumph hoher Sensibilität machte, so sehr überzeugte er auch hier in der partiturgerechten Ausgestaltung der Vielfalt von Monteverdis genialem Muster eines Idealgottesdienstes: durch sein großes Einfühlungsvermögen für die Details und Steigerungsmöglichkeiten der Komposition, die ausgewogene Balance der vielfach variierten Klangfarben, und durch die Transparenz wahrende  Anpassung an den Hall des Kirchenraums. Doch nicht nur dies machte die Aufführung zu einem besonderen Erlebnis, sondern auch die konsequent solistische Besetzung aller Stimmen, das Aufgebot exklusiv italienischer Vokalsolisten, das Orgelpositiv norditalienischer Bauart mit offenem Achtfuß, die darauf vor den Psalmen erklingenden Intonationes Andrea Gabrielis und die um 1600 in Venedig übliche mitteltönige Temperatur mit reinen Terzen und Quinten sowie dem hohen Chorton. Alles in allem, hier standen Werktreue, Textauslotung und Prachtentfaltung im Dienst glaubensfreudiger Spiritualität.

 

Fazit:

Wieder einmal blieb das an Raritäten und Qualitäten reiche Kompakt-Festival dem solidem Bekenntnis zur historischen Aufführungspraxis treu und bezeugte Kennerblick im Aufgebot gestandener wie emporstrebender Leistungsträger.        




Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

21. Mai, Kolomanisaal

 

Florilegium

Emma Kirkby (S)

Robin Blaze (A)

Ashley Solomon (Leitung)

 

Vivaldi, «Salve Regina», RV 618

Pergolesi, «Salve Regina»

Pergolesi, «Stabat Mater»

Instrumentalmusik von Vivaldi
und Pergolesi

 

*

 

22. Mai, Kolomanisaal

 

Ensemble Sirocco

 

Vivaldi, Concerti da camera

(RV 86, 94, 99, 103, 105, 106, 428)

 

*

 

22. Mai, Sommerrefektorium

 

Ensemble Boutique Baroque

 

Instrumentalmusik von
Johann Sebastian,

Carl Philipp Emanuel sowie
Wilhelm Friedemann Bach,

Corelli (La Follia), Vivaldi
und Telemann.

 

 

*

 

22. Mai, Stiftskirche

 

Arte Musica

Oltremontano

Francesco Cera (Leitung)

 

Monteverdi

VESPRO DELLA BEATA VERGINE

 

*

 

23. Mai, Kolomanisaal

 

Die Kölner Akademie

Gabriele Hierdeis (S)

Nicki Kennedy (S)

Ursula Eittinger (A)

Johannes Weiss (T)

Stephan MacLeod (B)

Michael Alexander Willens (Leitung)

 

Johann Joseph Fux

IL TRIONFO DELLA FEDE

 

*

 

23. Mai, Gartenpavillon

 

Clemencic Consort

 

Pastoralmusik von Boismortier

Chedeville, Gletle, Marchand, Naudot

 

*

 

24. Mai, Kolomanisaal

 

Albert Brüggen (Violoncello)

Wofgang Glüxam (Cembalo)

 

Werke von Johann Sebastian Bach

 

*

 

24. Mai, Dietmayrsaal

 

Francesco Cera (Cembalo)

 

Werke von Girolamo Frescobaldi

 

*

 

24. Mai, Kolomanisaal

 

Barucco

Andrea Lauren Brown (Sopran)

Christoph Hammer (Leitung)

 

Alessandro Scarlatti

Sinfonie, Concerti und
die Sopran-Kantaten

«Su le sponde del Tebro»

«L’Arianna»

«Andate, o  miei sospiri»

«Bella madre de’ fiori»

 

*

 

Nicht besucht:

 

21. Mai, Gartenpavillon

 

Festlicher Auftakt
mit Michael Köhlmeier

 

*

 

23. Mai, Stadtpfarrkirche

 

Accentus Austria

Thomas Wimmer (Leitung)

 

Instrumentalmusik von Bertali,
Biber, Selma y Salaverde,
Schmelzer, Vijvanovsky

 

& 

 

Ensemble 15.21

 

Johannes Kerschner

«Veni, Sancte Spiritus»

«Ave Maria» (UA, Auftragswerk)


Weitere Informationen:
Internationale Barocktage
im Stift Melk

(Homepage)




Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum

© 2010 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de

- Fine -