Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
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Raritäten,
Qualitäten Von
Bernhard Drobig Stift Melk
Vivaldi
und Frescobaldi waren zwei eigene Konzerte gewidmet, in deren ersterem
das
ebenfalls jüngere, inzwischen auch international gefragte Ensemble
Sirocco es
wagte, gleich sieben Concerti des Venezianers vorzustellen, und ohne zu
langweilen reüssierte, da man Bläser nicht nur wie im
«Gardellino» den
Solopart, sondern auch Stimmen des Streichersatzes übernehmen
ließ, was den
sich scheinbar ähnelnden Werken eine zauberhaft neue Klagmagie
verlieh und
Kompositions- wie Interpretenbrillanz umso deutlicher hervortreten
ließ,
besonders bei der Flötistin Nathalie Houtmann und der Fagottistin
Katrin Lazar. Mit Sensibilität und Virtuosität widmete sich Francesco Cera in seinem Cembalo-Recital dem zu Beginn des 17. Jahrhunderts so sehr bewunderten «Tastentiger« Girolamo Frescobaldi. Was er in den Toccaten an Affektvielfalt freisetzte, was an Kontrapunktik in den Ricercari und nicht zuletzt an Figuren und Manieren in den Variationsformen der Corrente, Canzone und Partite, das schlug von den ersten Takten an so in den Bann, dass man selbst nach durchgehenden eineinhalb Stunden gern noch lange dieser sich neu erschließenden Welt gelauscht hätte oder wenigstens noch einmal den genialen Cento partite sopra Passacaglia, die unter Ceras Hand zu einem spannenden Erlebnis und echtem Triumph barocker Cembalokunst wurden.
Einen
ähnlich beglückenden Höhepunkt bildeten die über
Nacht organisierten
Soloaufritte des Cellisten Albert Brüggen und des Cembalisten
Wolfgang Glüxam,
die den unfallbedingten Verzicht auf die vorgesehene Darbietung von
Bachs Kunst
der Fuge wettmachten. Beide Künstler blieben bei Bach, beide
bewiesen die
meisterliche Beherrschung ihrer Instrumente, beide ihr
mustergültiges Verständnis
für die ausgewählten Werke. Albert Brüggen trug die
erste und fünfte Suite für
Violoncello solo vor, jene mit ihrer vielfach versteckten und echten
Mehrstimmigkeit, letztere gar mit ihrer so einzigartigen Klangfarbe
wegen der
um einen Ganzton herabgestimmten A-Saite und mit ihrer wunderbar
radikal
einstimmigen Sarabande. Fürwahr, Brüggen ließ staunen,
nicht nur über das, was
Bach dem Instrument an Spielmöglichkeiten zugedacht hatte, sondern
mehr noch,
wie er selbst Melodisches, dramatisch Wirkendes und tänzerisch
Leichtes in fein
austarierter Differenzierung sowohl als solches wie als Teil einer
ausgewogenen
Gesamtstruktur zum Klingen brachte: höchste Kunst in perfekter
Nachschöpfung. Wolfgang Glüxam am Cembalo stand dem nicht im Geringsten nach. Ob er die Dreistimmigkeit eines Ricercare aus dem Musikalischen Opfer in ihrer kontrapunktischen Verflechtung auffaltete, eine schlicht anmutende Aria aus dem Clavier-Büchlein für Anna Magdalena trotz schier unerschöpflicher Auszierungen in berührender Kantabilität zu einem Hymnus in sich ruhender Innerlichkeit machte, oder die chromatische Phantasie und Fuge in ihrer leidenschaftlichen, den Sturm und Drang vorwegnehmenden Toccatenfreiheit, ihren chromatischen und enharmonischen Raffinessen oder in ihrer auf Konzertwirkung angelegten Fuge erschloss, immer wieder verstand es Glüxam, das Cembalo gefällig singen zu lassen.
Emma Kirkby und das Ensemble
Florilegium
(Foto: © Franz Gleiss) Begonnen
hatte das Festival mit dem Auftritt zweier weltbekannter Künstler,
deren Namen
seit langem für höchste Gesangskultur bürgen: Emma
Kirkby und Robin Blaze. Wie
oft mögen beide schon das Hauptwerk des Abends, Pergolesis Stabat
Mater,
vorgetragen haben, und doch präsentierten sie es nun, umsichtig
begleitet vom
Ensemble Florilegium, wie aus dem Augenblick der Erstbegegnung mit den
vielen
Facetten von Mariens Leid unter dem Kreuz und der verinnerlichten
Erschütterung
ernsthaft mitfühlender Betrachter entwickelt. Ein Faszinosum
besonderer Art war
zudem die vorhergehende Gegenüberstellung von Salve
Regina-Vertonungen aus der
Feder Vivaldis und Pergolesis, wobei die Sopranistin den vorwiegend
lieblichen
venezianischen Grundton mit zarten Spuren flehentlichen Bittens
verband,
während der Altus die neapolitanische Fassung mit ihrer
verblüffenden
Gefühlstiefe zu einer ergreifenden Vorwegnahme der ähnlich
gearteten Sequenz
machte. Das
Abschlusskonzert mit Andrea Lauren Brown machte mit gleich vier der 600
als
echt erkannten Kantaten Alessandro Scarlattis bekannt. Und hörte,
ja erlebte
man, wie abwechslungsreich und inhaltsgerecht die teilweise um obligate
Trompeten-, Flöten- und Oboenstimmen erweiterte
Orchesterbegleitung des
Neapolitaners, wie ausdrucksvoll die Gesangslinien sowohl in
Rezitativen und
Arien sind, konnte man sich bei den so eindringlichen Spiegelungen von
Liebesträumen, –leiden und –enttäuschungen nur wundern, was
da an ungeborgenen
Schätzen in den Archiven schlummert und wie Scarlattis
überreiches
Opernschaffen selbst im Jubiläumsjahr kaum Beachtung findet. Frau
Brown
jedenfalls stellte die rezitativischen Selbstgespräche und
affektreichen Arien
mit bewundernswert breiter Nuancierungspalette wie selbst erlebt vor
und gab
allen berührten Frauenschicksalen wie dem der Arianna individuelle
Züge: Oper
pur im Taschenbuchformat, was von Christoph Hammer und dem Orchester
Barucco
mit Verve und Aplomb mitgetragen wurde. In
eine völlig andere Welt führte Michael Alexander Willens mit
dem Oratorium IL
TRIONFO DE LA FEDE von Johann Joseph Fux, jenem Alessandro Scarlatti
gleichaltrigen heimischen Barockkomponisten, der nicht nur runde vier
Jahrzehnte
als Hofkomponist und –kapellmeister im Dienste dreier Kaiser stand,
sondern
auch mit seinem fundamentalen Lehrwerk über den Kontrapunkt bis
weit in das 20.
Jahrhundert hinein richtungweisend blieb. Selbstverständlich gab
Fux auch in
dieser 1716 zur Fastenzeit in der Hofburgkapelle aufgeführten
Kirchenoper
beeindruckende Beispiele seiner sogar für vertiefende Textaussagen
und
dramatische Aussagen genutzten kontrapunktischen Meisterschaft, moderat
angereichert um die in Neapel neu geformte musikalische Rhetorik. Ja,
man
gewann gar den Eindruck, als hätte nur dieser Stil dem Inhalt des
Werkes voll
Rechnung tragen können. Handelt es sich doch um einen
philosophisch-theologischen Diskurs von fünf Allegorien, der
Jetztzeit, der
irdischen und himmlischen Liebe, sowie der Unschuld und dem Glauben, -
in der
Sprache unserer Zeit besser verständlich als Philosoph,
Genussmensch, Religion,
Gewissen und Glaube. Zentrales Anliegen
des Disputs ist der Nachweis, dass ein Leben ohne Gott die falsche
Zweckbestimmung des Menschen ist, und die vom
letztendlich siegenden Glauben bekräftigte Hoffnung, dass reuige
Verirrte
Gottes Erbarmen finden. Mit den Sopranistinnen Gabriele Hierdeis und
Nicki
Kennedy, der Altistin Ursula Eittinger sowie Johannes Weiss (T) und
Stephan MacLeod
(B) hatte Willens Stimmen aufgeboten, die den Geist der Arien durchaus
angemessen einfingen, freilich die in den Rezitativen angelegte Brisanz
des
Streitgesprächs nicht in eine entsprechend temperamentvolle
Deklamation
umsetzten, um damit dem hochinteressanten Werk die
größtmögliche Wirkung zu
sichern. Francesco Cera in der Stiftskirche (Marienvesper) (Foto: © Franz Gleiss) Absoluter
Höhepunkt
des
Festivals war die Wiedergabe von Monteverdis Marienvesper in der
Stiftskirche mit dem um Blechbläser des Ensembles Oltremontano
erweiterten
Bologneser Vokal- und Instrumentalensemble Arte Musica unter der
Leitung seines
Gründers Francesco Cera. So
zwingend wie Cera das bereits erwähnte Frescobaldi-Recital zu
einem Triumph
hoher Sensibilität machte, so sehr überzeugte er auch hier in
der
partiturgerechten Ausgestaltung der Vielfalt von Monteverdis genialem
Muster
eines Idealgottesdienstes: durch sein großes
Einfühlungsvermögen für die
Details und Steigerungsmöglichkeiten der Komposition, die
ausgewogene Balance
der vielfach variierten Klangfarben, und durch die Transparenz wahrende
Anpassung an den Hall des
Kirchenraums. Doch
nicht nur dies machte die Aufführung zu einem besonderen Erlebnis,
sondern auch
die konsequent solistische Besetzung aller Stimmen, das Aufgebot
exklusiv
italienischer Vokalsolisten, das Orgelpositiv norditalienischer Bauart
mit
offenem Achtfuß, die darauf vor den Psalmen erklingenden
Intonationes Andrea
Gabrielis und die um 1600 in Venedig übliche mitteltönige
Temperatur mit reinen
Terzen und Quinten sowie dem hohen Chorton. Alles in allem, hier
standen Werktreue,
Textauslotung und Prachtentfaltung im Dienst glaubensfreudiger
Spiritualität. Fazit: Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
21. Mai,
Kolomanisaal Florilegium Emma
Kirkby (S) Robin
Blaze (A) Ashley
Solomon (Leitung) Vivaldi,
«Salve Regina», RV 618 Pergolesi,
«Salve Regina» Pergolesi,
«Stabat Mater» Instrumentalmusik
von
Vivaldi * 22. Mai,
Kolomanisaal Ensemble
Sirocco Vivaldi,
Concerti da camera (RV 86,
94, 99, 103, 105, 106, 428) * 22. Mai,
Sommerrefektorium Ensemble
Boutique Baroque Instrumentalmusik
von
Carl
Philipp Emanuel sowie Corelli
(La Follia), Vivaldi * 22. Mai,
Stiftskirche Arte Musica Oltremontano Francesco
Cera (Leitung) Monteverdi VESPRO
DELLA BEATA VERGINE * 23. Mai,
Kolomanisaal Die
Kölner Akademie Gabriele
Hierdeis (S) Nicki
Kennedy (S) Ursula
Eittinger (A) Johannes
Weiss (T) Stephan
MacLeod (B) Michael
Alexander Willens (Leitung) Johann
Joseph Fux IL TRIONFO
DELLA FEDE * 23. Mai,
Gartenpavillon Clemencic
Consort Pastoralmusik
von
Boismortier Chedeville,
Gletle,
Marchand, Naudot * 24. Mai,
Kolomanisaal Albert
Brüggen (Violoncello) Wofgang
Glüxam (Cembalo) Werke von
Johann Sebastian Bach * 24. Mai,
Dietmayrsaal Francesco
Cera (Cembalo) Werke von
Girolamo Frescobaldi * 24. Mai,
Kolomanisaal Barucco Andrea
Lauren Brown (Sopran) Christoph
Hammer (Leitung) Alessandro
Scarlatti Sinfonie,
Concerti und «Su
le sponde del Tebro» «L’Arianna» «Andate,
o miei sospiri» «Bella
madre
de’ fiori» * Nicht
besucht: 21. Mai,
Gartenpavillon Festlicher
Auftakt * 23. Mai,
Stadtpfarrkirche Accentus
Austria Thomas
Wimmer (Leitung) Instrumentalmusik
von
Bertali, & Ensemble
15.21 Johannes
Kerschner «Veni,
Sancte
Spiritus» «Ave
Maria» (UA, Auftragswerk)
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- Fine -