Aus der schönen alten Welt
Von Roberto Becker
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Foto (wenn nicht anders angegeben) von Salzburger Festspiele / © Ruth Walz
Einar Schleef hat einmal auf Alexander Kluges Frage, was denn ein Drama sei, spontan geantwortet: Na, wenn sich zwei kloppen. Und auf die, was eine Tragödie sei, Na, wenn einer davon auf der Strecke bleibt. Im letzten Motto, das sich der als Intendant fürs Ganze und fürs Musiktheater zuständige Jürgen Flimm, der fürs Schauspiel verantwortliche Thomas Oberender und der über die nicht unwesentlichen Konzerte gebietende Markus Hinterhäuser für die 90. Festspiele ausgedacht haben, fällt die Tragödienerklärung etwas vornehmer aus: Wo Gott und Mensch zusammenstoßen, entsteht Tragödie heißt es und überschirmt das gesamte Programm. Irgendwie jedenfalls.
Wolfgang Rihm
© Universal Edition / Eric Marinitsch
In Salzburg haben nun die 90. Salzburger Festspiele auf der Perner Insel mit Ödipus auf Kolonos und im Haus für Mozart mit der Uraufführung von Wolfgang Rihms Dionysos begonnen. Intendant Flimm wird im nächsten Jahr nicht mehr hier, sondern in Berlin dabei sein, der erfolgreiche Hinterhäuser die undankbare Aufgabe übernehmen und das eine Jahr, bis der zukünftige Intendant Alexander Pereira aus Zürich kommt, als künstlerischer Leiter überbrücken und Thomas Oberender mit der ihm eigenen sensiblen Hartnäckigkeit bis zu seinem Vertragsende auf der Weltläufigkeit des Schauspiels bestehen. Gleichwohl wirkte der Auftakt im Schauspiel mit Peter Steins Inszenierung von Ödipus auf Kolonos auf der Perner Insel, die der Schaubühnenstar von einst als Schauspielchef unter Gerard Mortier in den Neunzigern selbst den Festspielen hinzugewonnen hatte, wie ein Verweis auf den allenthalben herbeigeredeten ästhetischen Kurswechsel in Salzburg. Oberenders designierter Nachfolger etwa, der als Burgschauspieler exzellente und als Regisseur vor allem selbstbewusste Sven-Eric Bechtolf wird nämlich nicht müde, das Ende der vermeintlichen Regieexzesse anzukündigen.
Bühnenbildner Jonathan Meese mit dem Modell für Dionysos(Photography Jan Bauer/Courtesy JonathanMeese.Com)
Bei Peter Stein gehts schon lange am kurzen Gängelband der Worte entlang, passt kein Windhauch gegenwärtiger Verstörung zwischen den Autor und seinen Regisseur. Claus Peymann wird sich einen Jux daraus machen, derlei Exerzitien schon im August am Schiffbauerdamm all' den Castorfs und Ostermeiers unter die Nase zu halten. Einen Trumpf wird er dabei haben und der heißt, wider Erwarten, Klaus-Maria Brandauer. Dem hat Stein diesmal jedes Schlagen mit dem Pfauenrad der Eitelkeit in der Lumpenmontur des blinden, totgeweihten und tragischsten der Helden versagt. Und das hat gesessen.
N auf dem See, beim Rudern
Wer nun aber dachte, dass es in der Oper bei der avisierten Uraufführung verstörender, irritierender zugehen würde, und mit künstlerischer Souveränität der opulente Schein der Festspiele von einem unnachsichtig auf dem Hinterfragungs- und Infragestellungsprivileg der Kunst bestehendem neuen Werk verschattet würde, auch der wurde enttäuscht. Freilich ist der Kreis derer, die so etwas wirklich erwarten, ziemlich überschaubar. Und Wolfgang Rihm dafür ohnehin der Falsche. Der nämlich liefert mit seiner Opernphantasie Dionysos einen wahren Klangrausch, setzt auf das große Orchester, umschmeichelt die Stimmen und lässt sie virtuos erblühen. So lustvoll, wie der sympathisch barock wirkende Rihm über seine Musik und den jahrelangen Prozess der Beschäftigung mit der Vorlage, Friedrich Nietzsches Dionysos Dithyramben, zu erzählen vermag, so lustvoll entfaltet er seine Klangverführung bis hin zum puren Rausch. Er lässt dabei verfremdete Walzerklänge aufschunkeln oder mit einem Lied vom Wandern frühromantische Liedvorlieben aufblitzen. Die Musik hat ohne Zweifel einen theatralischen, einen in die Szene drängenden Gestus, auch wenn sie klassische, auf Anhieb nachvollziehbare Sinnzusammenhänge im Text verweigert. Jedes Wort sei von Nietzsche, versichert Rihm, der Text aber sei von ihm. Und der regnet dann in einem poetischen Anspielungs- und Wortfeuerwerk hernieder, lässt aber doch erkennen, dass es vor allem um jenen N geht, der für Nietzsche stehen kann, aber auch ganz allgemeine für einen sich plagenden, leidenden, liebenden und nach Freiheit in der Kreativität strebenden Menschen.
Im Bordell
Die Freiräume zwischen den Worten füllt aber nicht nur die Musik, sondern auch eine szenische Gestalt, die überraschenderweise mehr von Jonathan Meeses Bühnenbildbeitrag als von der eher betulichen Regie des Amsterdamer Opernchefs Pierre Audi profitiert. Meese hat nämlich nicht nur irgendetwas dazu gebastelt, gemalt oder gekritzelt, sondern sich tatsächlich auf das Genre eingelassen. Wenn N auf einem See rudert, dann gönnt er ihm einen Wellenberg (dessen Oberfläche an seine Skulpturen erinnert). Wenn man sich assoziativ auf Bergeshöhen bewegt, dann stehen Pyramiden im Raum und eine Riesenleiter. Die Innenräume, ob nun Atelier oder Bordell, hat er mit stilisierten Insignien markiert. Die beherrschenden geometrischen Figuren zielen so auf's Unbedingte, das Nietzsches umweht, wie mancher dicke Strich an dessen Schnauzer und Augenbrauen denken lassen. Nach der Pause sieht und hört sich das Publikum auch einmal selbst auf dem Zwischenvorhang. Das ist die einzige ganz direkte Verbindung zum Hier und Heute, die diese Produktion behauptet. Wenn der famose Matthias Klink aus der Rolle des Gastes zum Gott Apollon wird und der Hauptfigur N wie einst dem Marsyas die Haut abzieht, die dann auch noch ein Eigenleben entfaltet, demonstriert die Szene eher die eigene Unvollkommenheit anstatt Existenzielles abzubilden.
Das Pferd geschlagen und geküsst
Zu hören war das schon eher. Und nicht alles überraschte oder fremdelte. Wie auch, wo der Mitbegründer der Salzburger Festspiele Richard Strauss immer noch einer Mächtigsten auf den Opernbühnen ist. Gemacht war das alles ganz hervorragend. Kein Wunder, stand doch Ingo Metzmacher am Pult des Deutschen Symphonieorchesters Berlin. Und besser als Mojca Erdmann ihre Ariadne-Höhen und Johannes Martin Kränzle seinen Part als Zentralfigur N lässt sich das kaum machen. Der Jubel für ausnahmslos alle Beteiligten war wohl auch davon beflügelt, dass es einer suggestiv führenden Musik gelang, über alle Untiefen zwischen den Worten hinwegzukommen.
FAZIT
Den Salzburger Festspielen ist mit ihrer Uraufführung ein fulminanter, festspielgemäßer Auftakt gelungen.
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