Klangwelten vor Bilderwänden
Von Roberto Becker
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Foto von Salzburger Festspiele / © Monika Rittershaus
Es ist ein längst etabliertes, aber doch schwieriges Stück Oper diese Lulu. Alban Berg hat sie nicht vollenden können, bevor er starb. Dass Friedrich Cerha das Risiko eingegangen ist, auf der Basis von Skizzen, einfühlendem Instinkt und Könnerschaft, das Fragment zu vollenden, hat sich ausgezahlt. Seit der Uraufführung der ergänzten, dreiaktigen Fassung durch Pierre Boulez 1979 in Paris ist das originale Fragment auf den Bühnen zur Ausnahme geworden. Ursprünglich war es für Salzburg von Jürgen Flimm anders geplant, aber die für den Festspielchef als Regisseurin eingesprungene Vera Nemirova hat jetzt (natürlich) die dreiaktige Fassung inszeniert.
Dr. Schön und Lulu
Die schillernde Frauen-Figur, die Alban Berg aus Wedekinds Erdgeist und Die Büchse der Pandora destilliert und zu seiner Lulu gemacht hat, hat eine geradezu mythische Dimension. Sie wird aber auch als eine Frau in einer sozial konkreten Geschichte lebendig, wenn man ihr Ende in der Londoner Absteige miterlebt. Dort, auf der Nachtseite des Lebens, begegnen der zur Straßenhure abgestiegenen Lulu noch einmal all' die Männer, die an ihr zugrunde gegangen sind. Der verkniffene Spießer erinnert an ihren ersten Ehemann, den alten Medizinalrat, der Neger an den Maler und Jack the Ripper ist kein anderer als der dunkle Wiedergänger von Dr. Schön. Wenn dieser Massenmörder (hier sogar auf offener Bühne) zusticht, ist das die zerstörerische Vollendung einer Obsession, die diese beiden immer wieder zueinander trieb, ihnen aber doch keine Chance ließ, im Rahmen einer normalen bürgerlichen Existenz weiterzuleben.
Lulu und die Geschwitz
Nemirovas Lulu ist dabei aber nicht der rätselhafte Vamp, an dem sich die Männer wie die Motten im Licht verbrennen. Hier bleibt die so attraktive wie koloratursicher singende Petricia Petibon als Lulu auch äußerlich im Grunde immer bei sich und wird dadurch zum Fixpunkt auf den sich das Begehren der Männer und das der Geschwitz richten. Ich habe nie in der Welt etwas anderes scheinen wollen, als wofür man mich genommen hat; heißt es im Lied der Lulu, kurz bevor sie Dr. Schön erschießt.
Vera Nemirova ist zwar auch nicht klüger als zuletzt Peter Stein in Wien mit seiner Textbuchbebilderung. Aber ihr sozusagen weiblicher Blick auf die Welt männlichen Begehrens umgeht die Fragen des Stückes und die Fragwürdigkeiten seines Frauenbildes nicht. Für ihre vom sozialen Kontext abrückende, auf den exemplarischen Kern zielende Sichtweise ist das Problematische der Salzburger Inszenierung sogar von Vorteil.
Das Paris-Bild braucht den Zuschauerraum
In Salzburg hat man in diesem Jahr nämlich ohne inhaltlich zwingenden Grund, aber mit erheblichem Marketingeffekt mit Jonathan Meese (für Dionysos) und Malerstar Daniel Richter für Lulu zwei Zampanos der bildenden Kunst in den Festspielbezirk gelockt und versucht, das als ästhetischen Aufbruch zu verkaufen. Was im Falle von Meese noch überraschend gut funktioniert hat, ist aber bei Daniel Richter eher ein Problem respektive ein Beleg dafür, dass Bühnenbildnerei eben doch eine eigenständige Profession ist und die Oper ein Gesamtkunstwerk. Richters Riesenporträt der liegenden Lulu vor einem Männertorso und die mit 48 Meter Breite noch viel gewaltigeren Hintergrund-Prospektbilder (mit wie gesprayt wirkenden Gesichtern und dann am Ende mit einer Winterlandschaft), weiten die Geschichte zwar in eine übermächtige atmosphärische Alptraumdimension, nehmen ihr aber zugleich einen Teil ihrer Möglichkeiten zur Entfaltung als Theater. Abgesehen davon, dass damit die besonderen Möglichkeiten der Steinarkaden in der Felsenreitschule verschenkt und die Spielfläche auf einen schmalen Streifen an der Rampe beschränkt werden, konzentriert sich Nemirova so auf intensive Personenführung und für das Paris-Bild auf eine turbulente Verlegung der Geschehens in den Zuschauerraum.
Das Ende: Jack the Ripper
In, sagen wir, produktiver Spannung zur dominierenden Malerei haben Vera Nemirova und Marc Albrecht am Pult der eben auch in Sachen Berg höchst versierten Wiener Philharmoniker ein grandioses Protagonisten-Ensemble auf ihrer Seite. Das fängt an bei dem in jeder Hinsicht phänomenalen Michael Volle als Dr. Schön, geht weiter über Franz Grundheber als Schigolch, Pavol Breslik als exzellentem Maler, Tanja Ariana Baumgartner als eleganter Gräfin Geschwitz und Thomas Piffka als Alwa, bis hin zu Heinz Zednik als (Alt-)Prinz und Kammerdiener.
Daniel Richter ist zwar auch nach dieser Lulu noch kein richtiger Bühnenbildner. Aber doch so clever, dass er (fast) ganz Salzburg zur Bühne für seine Malerei gemacht hat. Zumindest das Rupertinum gleich am Festspielbezirk und in der renommierten Galerie Rupac am Mirabellenplatz. Da kosten seine Bilder bis zu über 200.000 Euro. Man kann für die Festspiele nur hoffen, dass es da für seine (sogar signierten!) Riesenbilder einen Größenrabatt gab.
FAZIT
Die neue Lulu in Salzburg hat musikalisch Festspielniveau. Szenisch resultiert ihr Reiz aus einer überzeugenden Personenregie, die über weite Strecken von der Regisseurin auch im Konflikt mit der Bildwelt von Daniel Richter entwickelt wird.
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