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Musikfestspiele
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Telemaco, ossia L’isola di Circe

Dramma per musica in zwei Akten


Musik von Christoph Willibald Gluck
Text von Marco Coltellini

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln


Dauer: 2 ¾  Stunden – eine Pause


Premiere am 21. Mai 2011 im Rokokotheater Schwetzingen
Besuchte (3.) Aufführung am 24. Mai 2011

Logo: Theater Freiburg

Schwetzinger  SWR Festspiele

 

Der wilde Dschungel hinter dem biederen Heim


Von Christoph Wurzel / Fotos von Monika Rittershaus
 

Wie heißt es so schön: „Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben und drinnen waltet die züchtige Hausfrau.“ Der Mann heißt Odysseus, der nach zehn Jahren Krieg um Troja nun nochmal rund zehn Jahre durch’s Mittelmeer irrt und nicht ganz freiwillig auf der Insel der Männer verschleißenden Kirke gelandet ist, während seine züchtige Gemahlin Penelope sich die ganze Zeit  zuhause mit zahllosen Freiern herumplagen muss. Bevor alles beginnt, zeigt uns schon der Vorhang die große Weltkarte mit zahlreich verschlungenen Reiserouten. Sobald dieser sich hebt, wird uns Einblick in das traute Heim mit der strickenden Gattin samt ihren Gefährtinnen gewährt. Am Boden kauert auch Sohn Telemach, der sich schon spielerisch an ferne Ziele gewöhnt. Im Zeitraffer der Ouvertüre erwachsen geworden, wird er gleich aufbrechen, seinen so lange säumenden Vater zu suchen. Die ganze Szenerie im Kostüm und Ambiente der vierziger Jahre erinnert mit zahlreichen optischen Anleihen aus Herz-, Schmerz- und Sehnsuchts-Filmen an die Traumfabrik Hollywood.


VergrößerungWarten auf die Krieger: Agneta Eichenholz als Penelope (alias Circe) mit Gefährtinnen (Chor)

Auf eine sehr ironische Formel hat Tobias Kratzer in seiner Inszenierung die Motive des Wartens Penelopes und der Heimkehr des Odysseus gebracht, mit der er die mythologische Handlung dieser  Gluck-Oper als Rahmen einfasst. Indem sich die biedere Penelope aus ihrer stummen  Rolle zudem später flugs in die leidenschaftliche, koloraturbegabte Kirke verwandelt, setzt die Regie (Freud lässt grüßen) noch eins drauf: Welcher Frauen-Typ soll es sein, Odysseus? Aber der kann sich ja gar nicht frei entscheiden. Kirke will er nicht lieben, aber zu Penelope findet er nicht zurück, gefangen, wie er auf dieser unseligen Insel ist. Hierzu bedarf es erst der Expedition seines Sohnes, der ihn und die verzauberten Gefährten schließlich mit anderer weiblicher Hilfe befreit. Telemach muss als Titelträger der Oper natürlich auch seine einigen Prüfungen bestehen, vor allem die qualvollen Erinnerungen an die verlassene Mutter durchleben und sich gegen den Übervater Odysseus behaupten, was mehr schlecht als recht schließlich gelingt. Am Ende aber muss Kirke die Fremden ziehen lassen, Telemaco hat seine Frau für’s Leben (Asteria) gefunden und diese wiederum ihre verlorene Schwester (im Original ein Bruder: Merione). Die hintere Bühne hat sich zum Schluss zur Startbahn gewandelt. Zurück in die Heimat geht es, zurück nach Ithaka und zur treuen Ehefrau und Mutter – allerdings mit ungewissem Ende. Die böse Zauberin Kirke löst sich wütend in Luft auf. Ihr Zauberreich ist zerstört, der Zauberwald abgeholzt, der zuvor die Hinterbühne bewucherte. Der größte Clou der Aufführung ist nämlich mit Hilfe der viel sagenden Bühnenausstattung gelungen: die Zweiteilung der Bühne in das bürgerliche Milieu des Heims in Ithaka und den insularen Dschungel von Kirkes Welt, der sich hinter dem Fenster des vorderen Raumes in die Tiefe der Bühne erstreckt. Kirke und Penelope, die Zauberinsel und das biedere Heim fließen in eins,  die Trennung ist aufgehoben. Und in der Schwebe bleibt, ob nicht doch alles nur Vorstellung und Traum war.

Mit kleinen Retouchen am Original, zahlreichen ironischen Anspielungen und durch geschickte Personenführung ist mit dieser Inszenierung so ein pointenreicher Opernabend gelungen, der vergessen macht, dass die Handlung dieses Werks dramaturgisch nicht unbedingt überzeugt. Ein Grund, der auch dafür verantwortlich sein mag, dass Glucks Telemaco in der Versenkung verschwand, nachdem die Oper schon bei der Uraufführung anlässlich der zweiten Eheschließung Josephs II. von Österreich 1765 durchgefallen war. Eine Oper, in der in Liebesdingen alle an einander vorbeireden bzw -singen und in der am Schluss erst einmal alles zusammenbricht, eignete sich wohl nicht so recht als kaiserliche Hochzeitsoper. Bei den Schwetzinger SWR-Festspielen ist das Revival nun immerhin szenisch gelungen.

 Suche nach dem verlorenen Vater: Telemaco (David DQ Lee)Szenenfoto
 

Musikalisch konnte die Aufführung dagegen nicht vollständig beglücken. Zwar war mit dem Freiburger Barockorchester ein Spezialensemble für historische Aufführungspraxis engagiert, Anu Tali lockte als Dirigentin jedoch zu wenig Farbe und  Plastizität aus dem Klang des bei anderen Gelegenheiten meist brillant spielenden Orchesters heraus, ließ stattdessen ziemlich unter Druck und Kraftanstrengung spielen. Gerade die empfindsamen Facetten, die die Telemaco-Musik schon in Reichweite des späten, klassizistischen Gluck rücken, blieben blass und wirkungsschwach mit wenig musikalischer Atmosphäre. Dem Chor des Theater Basel gelang dies am besten in der großen Ombra-Szene des 1. Aktes, in der die in Bäume verzauberten Gefährten des Odysseus ihre Not klagen; hier waren sie als schwer hospitalisierte Gestalten gezeigt, gefangen in ihren seelischen Traumata.


Unter den Sängern überzeugte mit wandelbarer, warmer Stimme uneingeschränkt Maya Boog als hingebungsvoll liebende Asteria. In der Rolle der Circe, die musikalisch noch tief in der traditionellen opera seria steckt, zeigte Agneta Eichenholz mit funkelnden Koloraturen große sängerische Virtuosität, blieb leider nur etwas scharf in den Spitzentönen. Der kanadisch-koreanische Counter David DQ Lee legte die Titelrolle nicht unpassend zwiespältig an, mit strahlender, bisweilen überbordender Stimme und schwankend zwischen Weinerlichkeit und Entschlossenheit. Ziemlich hemdsärmelig gab sich Tomasz Zagorski als Ulisse, auch stimmlich recht eindimensional. Als Merione, dem aus seltsamen Gründen auf die Insel verschlagenen Abkömmling Idomeneos, wirkte darstellerisch enorm präsent und gesanglich schön die junge Solenn’ Lavanant-Linke mit, von der Regie in die Rolle einer modernen Amazone gesteckt. 


FAZIT

Auch in diesem Jahr hielt sich das Schwetzinger Festival mit einer Opernuraufführung (Bluthaus von Georg Friedrich Haas) und dieser Ausgrabung der vergessenen Gluck-Oper an sein bewährtes Konzept, Neues mit Altem zu verbinden. Trotz der kurzweiligen Inszenierung kann man zwar die Wiederentdeckung dieser 34. Oper von Gluck begrüßen, aber noch nicht von einer großen Überraschung sprechen. Diese Produktion geht noch nach Basel (ab 9. Juni) und Nürnberg (24. Juli). In der kommenden Spielzeit wird es mit einer neuen Produktion am Theater an der Wien einen zweiten Anlauf geben, mit Torsten Fischer am Regie- und René Jacobs am Dirigentenpult. Dann wird Weiteres zu berichten sein.



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Produktionsteam

 

 

Musikalische Leitung

Anu Tali

 

Inszenierung

Tobias Kratzer

 

Bühnenbild und Kostüme

Rainer Sellmaier

 

Licht

Guido Hölzer

 

Dramaturgie

Ute Vollmar

 

Solisten

 

Circe / Penelope

Agneta Eichenholz

 

Ulisse

Tomasz Zagorski

 

Telemaco

David DQ Lee

 

Asteria

Maya Boog

 

Merione

Solenn’ Lavanant-Linke

 

Oracolo

Christopher Bolduc

 



Chor des Theater Basel

 

Freiburger Barockorchester


Weitere Informationen
erhalten Sie vom

Schwetzinger  SWR Festspiele

(Homepage)


Die Aufführung wird am
23. Juli 2011 bei 3sat zu sehen sein.


Da capo al Fine

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