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Brückenschläge im JubiläumsjahrVon Thomas Molke Bei den diesjährigen Festtagen werden neben dem 200. Geburtstag von Richard Wagner auch noch andere Jubiläen gefeiert. Natürlich darf in diesem Zusammenhang nicht das zweite Geburtstagskind fehlen, Giuseppe Verdi, dessen Werke das Opernleben ab der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht nur revolutionierten, sondern auch heute noch auf der Beliebtheitsskala ganz oben rangieren. Bei Igor Strawinsky hingegen ist es nicht der Komponist sondern das ausgewählte Werk Le Sacre du Printemps, das vor 100 Jahren in Paris seine Uraufführung erlebte. Die ausgewählten Stücke werden in der Konzerteinführung von Detlef Giese als "Brückenschläge" bezeichnet, die jeweils einen Übergang in eine neue Zeit markieren. Den Anfang macht Giuseppe Verdis Ouvertüre zu I vespri siciliani. Verdi stand bereits in Italien auf dem Höhepunkt seiner Karriere und hatte gerade Il trovatore mit einem riesigen Erfolg zur Uraufführung gebracht, als 1852 eine Anfrage aus Paris kam, eine Grand Opéra zu komponieren. Das Angebot war finanziell zu verlockend, als das Verdi es hätte abschlagen können, obwohl er sich im weiteren Verlauf mit den strikten Regularien, die die Gattung zu erfüllen hatte, sichtlich schwer tat, so dass das Werk erst 1855 unter dem Titel Les vêpres siciliennes zwar eine gefeierte Uraufführung erlebte, die allerdings an die durchschlagenden Erfolge eines Giacomo Meyerbeer nicht anknüpfen konnte. Bis heute ist diese Oper nie wirklich aus dem Schatten anderer populärer Werke getreten, auch wenn die Ouvertüre zu den glänzendsten Instrumentalsätzen Verdis zählt und gerne im Rahmen von Sinfoniekonzerten präsentiert wird. Dennoch schlug Verdi mit dieser ersten Grand Opéra, die er für Paris komponierte, bereits eine Brücke zu seinen "reifen" Werken, von denen zweifellos später Don Carlos den größten Erfolg markierte. Die Ouvertüre beginnt mit einer sehr langsamen Introduktion, aus der plötzlich in schnellem Tempo eine Dramatik hervorbricht, die zum einen mehrere musikalische Themen anklingen lässt, die im weiteren Verlauf der Oper vor allem bei den beiden männlichen Protagonisten Henri und Montfort immer wieder aufgenommen werden, zum anderen bereits einen Ausblick auf das schreckliche Ende der Oper gibt. Daniel Barenboim arbeitet mit der Staatskapelle Berlin die düster-drohende Stimmung in großer Eindringlichkeit heraus und reißt mit den klanglichen Ausbrüchen, die die zarten Kantilenen unterbrechen, das Publikum regelrecht aus den Sitzen. Nach dieser gut zehnminütigen Introduktion dürfte bei einem Großteil der Zuhörer der Wunsch entstanden sein, mehr von diesem Werk zu hören. Dass Verdi neben seinen zahlreichen Opern auch 26 Romanzen für Singstimme und Klavier komponiert hat, dürfte vielen eher unbekannt sein. Für Luciano Berio, der sich neben eigenen recht progressiven Kompositionen auch stets mit Transkriptionen von bedeutenden Werken der Musikgeschichte beschäftigt hat, waren diese Lieder aus zwei Gründen sehr interessant. Zum einen war er bei seinen Bearbeitungen stets bestrebt, dem Werk eine umfangreichere Instrumentierung zu geben. Zum anderen verehrte er Verdi als Komponist von frühester Jugend an und betrachtete es daher als ein ganz besonderes Anliegen, sich mit seinem "Lieblingskomponisten" zu beschäftigen. Aus den 26 Romanzen hat Berio acht ausgewählt und unter dem Titel Otto Romanze di Giuseppe Verdi zusammengefasst. 1990 wurde diese Bearbeitung mit José Carreras und dem English Chamber Orchestra in Padua uraufgeführt. Der Brückenschlag weist in diesem Fall eher von der Gegenwart zurück ins 19. Jahrhundert. Rolando Villazón hat nun vier Lieder aus dieser Bearbeitung ausgewählt, die er gemeinsam mit der Staatskapelle Berlin unter der Leitung von Daniel Barenboim präsentiert. Musikalisch lässt sich Verdi auch in Berios Orchestrierung nicht leugnen. So wären diese Lieder auch als ganz normale Opernarien vorstellbar. Im ersten Lied "In solitaria stanza" erinnert die Melodieführung stark an "Tacea la notte placida", der Arie der Leonore aus Il trovatore, was Berio auch in seiner Orchestrierung unterstreicht. Bemerkenswert im dritten Lied "Deh, pietoso, oh addolorata", das auf Gretchens Klage "Ach neige, du Schmerzensreiche" in Goethes Faust zurückgeht, ist, dass Verdi hier eine Melodienstruktur vorgelegt hat, die Camille Saint-Saëns später in der berühmten Arie "Mon coeur s'ouvre à ta voix" aus Samson et Dalila verarbeitete, wobei Berio auch hier durch den Einsatz der Harfe diesen Bezug nur deutlicher hervorhebt. Neu hingegen dürfte die Assoziation beim vierten Lied "L'esule" sein, dem Berio ein Vorspiel voranstellt, das mit dem Flirren der Geigen an Wagners Lohengrin erinnert. Während Villazón nahezu schüchtern mit dem ersten Lied beginnt und hierbei große tenorale Ausbrüche vermeidet, wird er von Lied zu Lied lockerer, legt immer mehr tenoralen Schmelz in die Stimme und erhält bei der Goethe-Vertonung neben großem Applaus auch die ersten Bravorufe. Nach "L'esule" ist das Publikum dann so begeistert, dass es noch zwei Zugaben gibt, auch wenn diese wahrscheinlich schon vorher eingeplant waren. Schließlich war vor dem Orchester ein schwarzer Flügel aufgebaut, der bis jetzt nicht zum Einsatz gekommen war. An diesen Flügel setzt sich nämlich jetzt Barenboim und präsentiert mit Villazón zwei weitere Lieder aus der Otto Romanze, dieses Mal aber nicht von Berio orchestriert, sondern in der Originalfassung von Verdi: "Il poveretto" und "Brindisi". Das Publikum ist kaum noch zu Bremsen, und auch Villazón läuft noch einmal zur Höchstform auf. Mit großem Jubel verabschiedet er sich von einer vor Begeisterung tobenden Zuhörerschaft. Nach der Pause gibt es dann die Brücke zur Moderne: Igor Strawinskys Le Sacre du Printemps. Mit einem riesigen Klangapparat präsentiert die Staatskapelle Berlin dieses monumentale zweiteilige Stück, das von zunächst fröhlichen Tänzen und Spielen zu einer Frühlingsfeier in rituelle Handlungen übergeht, an dessen Ende ein Mädchen ausgewählt wird, um dem Frühlingsgott durch einen Todestanz das Opfer zu bringen, das das Wiedererblühen der Natur ermöglicht. Mit welcher Präzision die Musiker der Staatskapelle Berlin dieses anspruchsvolle Werk umsetzen, angefangen vom Fagott mit einer grandiosen Introduktion über die Streicher, die hier als Rhythmusinstrumente den Takt schlagen müssen, verdient großes Lob und wird vom Publikum durch frenetischen und nicht enden wollenden Applaus gebührend gewürdigt.
FAZIT Daniel Barenboim gelingt es, drei recht unterschiedliche Komponisten zu verbinden, und löst mit der Staatskapelle Berlin und einem charismatischen Rolando Villazón beim Publikum Begeisterungsstürme aus.
Weitere Rezensionen zu den Festtagen
2013 |
AusführendeRolando Villazón, TenorStaatskapelle Berlin Daniel Barenboim, Musikalische Leitung
Werke
Giuseppe Verdi
Giuseppe Verdi / Luciano Berio
Igor Strawinsky
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- Fine -