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Weihnachten an der FrontVon Thomas Molke / Fotos von Clive Barda
Spontaner Waffenstillstand am Heiligen Abend zwischen deutschen, französischen und schottischen Soldaten (Ensemble). Die Oper folgt ziemlich genau dem Film Joyeux Noël von Christian Caron, der in einer hochkarätigen Besetzung 2005 in den Kinos lief und von einem historischen Ereignis inspiriert ist, das am Weihnachtsabend 1914 in den Schützengräben an der französischen Front stattgefunden haben soll. Der Kammersänger Walter Kirchhoff, der als Ordonnanzoffizier im Oberkommando der V. Armee diente, soll mit dem Gesang eines Weihnachtsliedes einen spontanen Waffenstillstand zwischen deutschen, französischen und schottischen Soldaten ausgelöst haben, der sogar in einer Art Verbrüderung bei einem gemeinsamen Weihnachtsfest mündete. Im Film und in der Oper heißt der Tenor allerdings Nikolaus Sprink und wird bei seinem Auftritt vor den Soldaten seiner Kompanie von seiner Geliebten, der dänischen Sopranistin Anna Sørensen, begleitet, die beim Kronprinz durchgesetzt hat, dass es am Weihnachtsabend für die oberen Offiziere nahe der Schützengräben, wo Sprink stationiert ist, einen Liederabend geben soll. Da Sprink sich seinen Kameraden gegenüber verpflichtet fühlt, kehrt Anna mit ihm in den Schützengraben zurück und führt die drei Nationen bei einer gemeinsamen Messe mit einem eindringlichen "Ave Maria" zusammen. Ehemalige Feinde kommen sich an diesem Weihnachtsabend näher und lernen sich trotz der Sprachbarrieren als Menschen kennen, indem sie sich gegenseitig die Fotos ihrer Familien zeigen, ihre Ration miteinander teilen oder beim gemeinsamen Fußballspiel erkennen, dass sie gar nicht so unterschiedlich sind. Die drei Kommandeure vereinbaren den Waffenstillstand so lange auszudehnen, bis die Leichen auf dem Schlachtfeld beerdigt worden sind. Doch es wird ihnen immer bewusster, dass sie auch anschließend die Schlacht nicht wie vorher gegeneinander aufnehmen können. Dieses Verhalten ist für die übergeordneten Stellen natürlich absolut indiskutabel, und die einzelnen Einheiten werden allesamt an einen anderen Einsatzort versetzt. Audebert (Matthew Worth, rechts) trauert um seinen Diener und Freund Ponchel (Quirijn de Lang, links). Unter die Haut gehen bei diesem Stück vor allem die Einzelschicksale der Figuren. So stehen auf der schottischen Seite die beiden Brüder Jonathan und William Dale und der Pater ihrer kleinen Gemeinde, Father Palmer, im Mittelpunkt der Betrachtung. Während William voller Begeisterung und mit hehren Absichten in diesen Krieg zieht und seinen Bruder Jonathan dazu drängt, ihn zu begleiten, ist es Jonathan, der als einziger auf schottischer Seite dem Waffenstillstand kritisch gegenüber steht, weil er den frühen Tod seines Bruders in der Schlacht nicht verarbeiten kann. So bringt er es auch nicht über sich, in seinen Briefen an die Mutter von Williams Tod zu berichten. Father Palmer, der den plötzlichen Waffenstillstand am Heiligen Abend als ein Geschenk Gottes betrachtet, und deswegen alle zur Messe einlädt, fühlt sich am Ende, wenn ihm sogar von der Kirche Vorwürfe gemacht werden, um seinen Glauben betrogen und wirft das Kreuz von sich. Auf französischer Seite bewegen das Schicksal des Lieutenant Audebert und seines Dieners Ponchel. Audebert hat das Kommando eigentlich nur übernommen, um den Anforderungen seines Vaters, des Generals, gerecht zu werden, aber leidet darunter, nichts von seiner Frau Madeleine zu hören und nicht zu wissen, ob sie die Geburt des gemeinsamen Kindes gut überstanden hat. Als Ponchel sich in einer deutschen Uniform heimlich aus dem Graben gestohlen hat, um mit seiner Mutter noch einmal Kaffee zu trinken, wird er bei der Rückkehr von Jonathan erschossen, kann dem Lieutenant aber noch sterbend mitteilen, dass er einen gesunden Sohn namens Henri habe. Der General lässt daraufhin seinen Sohn nach Verdun versetzen. Ob er dort die kriegerischen Auseinandersetzungen überleben wird, scheint mehr als fraglich. Dass auf der deutschen Seite der durchaus strenge Lieutenant Horstmayer ein Jude ist, der stets seine Treue zum Vaterland betont, ist für den heutigen Betrachter eine weitere Ironie des Schicksals, auch wenn die in der Oper eingebaute Beschimpfung, dass er kein richtiger Deutscher sei, für das Verständnis eigentlich überflüssig ist. Der Film verzichtet folglich auch auf diese Äußerung. Wie im Film behält auch das Libretto von Mark Campbell die jeweilige Muttersprache für die einzelnen Nationen bei. Dass dies im Französischen und Deutschen nicht bei allen Interpreten so authentisch wie im Film klingt, mag daran liegen, dass die einzelnen Rollen anders als im Film natürlich nicht unbedingt mit Muttersprachlern besetzt werden können. Wenn Anna und Nikolaus im Prolog des Stückes in der Oper in Berlin auftreten, singen sie eine italienische Arie, die im Stil an die große romantische Oper des 19. Jahrhunderts erinnert. Im Gegensatz zum Film, in dem Anna mit einem "Ave Maria" beginnt, wird dieses Stück aber bereits inhaltlich zu Annas und Nikolaus' späterem Schicksal in Bezug gesetzt. In barocken Kostümen besingen sie die gemeinsame Nacht, die den beiden Liebenden bleibt, bis der Geliebte erneut in den Krieg ziehen muss. Dass man ihnen diese Trauer in diesem Moment nicht abnehmen kann, ist beabsichtigt, da die Musik dafür von Puts absolut künstlich gehalten wird. Umso ernüchternder erfolgt dann der Bruch, wenn die Arie unterbrochen und der Ausbruch des Ersten Weltkriegs verkündet wird. Auch wenn die Melodie später noch einmal aufgenommen wird, weil Anna und Nikolaus sie am Weihnachtsabend im Hauptquartier der Offiziere anstimmen, wird in Nikolaus' Interpretation deutlich, wie sehr ihn die Auswirkungen des Krieges verändert haben. Ein weiterer musikalischer Höhepunkt stellt der Chor der Soldaten dar, der sich zur Nacht mit einem Lied in den Schlaf zu singen versucht. Hier werden die tiefen Sehnsüchte der gegnerischen Seiten deutlich, und auch wenn sie sich an dieser Stelle noch isoliert in ihren Schützengräben befinden, entsteht gesanglich eine Harmonie zwischen den drei Nationen, die den später folgenden Waffenstillstand bereits vorwegnimmt. Absolut eindringlich gelingt auch Annas "Ave Maria", das sie bei der Messe a cappella intoniert. Der Einsatz jeglichen Instrumentes hätte an dieser Stelle die Glaubwürdigkeit der Szene unterbunden. Dem Regie-Team um Tomer Zvulun gelingt eine eindringliche Umsetzung der Geschichte. Erhard Rom gestaltet dabei die Bühne vertikal in drei Ebenen. Auf der obersten Ebene befindet sich der Schützengraben der Schotten, in der Mitte der Graben der Franzosen und unten bewegen sich die Deutschen, wobei der untere Bereich zahlreiche aufgehäufte Steinplatten enthält, die an umgestürzte Grabsteine erinnern. Diese Aufteilung ermöglicht mit einer großartigen Lichteinstellung von D M Wood nicht nur einen schnellen Szenenwechsel, sondern gibt gleichzeitig die Chance, während der einzelnen Szenen, auch die anderen Nationen noch im Auge zu behalten. Vor diesen drei Ebenen befindet sich das Niemandsland, vor dem zunächst alle drei Nationen zurückschrecken und in dem dann später die gemeinsame Weihnachtsmesse abgehalten wird. Der Prolog findet vor diesem Bühnenbild statt. Dazu wird ein Prospekt herabgelassen, der in der Mitte eine große Tafel enthält, mit der an die Opfer des Ersten Weltkriegs erinnert wird. Zu Beginn sieht man als Projektion auch zahlreiche Namen gefallener Soldaten. Im Prolog werden dann über diese Tafel Bilder im Postkartenformat projiziert, die andeuten, ob man sich gerade in Berlin in der Oper, in Paris oder in der kleinen schottischen Gemeinde befindet. Natürlich sind auch die Kostüme von Victoria Tzykun historisch gehalten, um die einzelnen Nationen im Kampf voneinander unterscheiden und zuordnen zu können. Neben dieser unter die Haut gehenden Inszenierung und der eindringlichen Interpretation von Puts' stets der jeweiligen Situation hervorragend angepassten Musik durch das Orchester des Wexford Festival Opera unter der Leitung von Michael Christie können auch die Solisten stimmlich in dieser Produktion begeistern. Sinéad Mulhern begeistert als Anna Sørensen mit strahlenden Höhen und bewegendem Spiel. Ein Höhepunkt ist ihre großartige Interpretation des "Ave Maria" vor der Pause. Wie sie gemeinsam mit ihrem Geliebten Nikolaus Sprink versucht, mit Musik gegen den Irrsinn des Krieges anzukämpfen, wird von Mulhern großartig umgesetzt. Chad Johnson gelingt es glaubwürdig, Sprink als gebrochenen Mann darzustellen. Sein Tenor verfügt über eine enorme Strahlkraft, die er aber in den richtigen Momenten brechen lässt, wenn die schrecklichen Erlebnisse des Krieges es Sprink unmöglich machen, sein früheres Leben wieder aufzunehmen. Wenn er mit dem Tannenbaum ins Niemandsland tritt und die Franzosen und Schotten zur Verbrüderung aufruft, beweist er hingegen auch stimmlich wieder absolute Größe. Philip Horst begeistert als Lieutenant Horstmayer mit einem dunklen Bass, der in Einklang mit seiner teilweise recht starren Haltung steht. Umso amüsanter wirkt dann das Gespräch mit Lieutenant Audebert, mit dem er sich nach dem Krieg auf einen Kaffee im dann von Deutschland besetzten Paris verabredet. Matthew Worth glänzt als Lieutenant Audebert mit kräftigem Bariton und eindringlichem Spiel. Bewegend gelingt die Szene, in der Quirijn de Lang ihm als sein Diener Ponchel die Haare schneidet und dabei seinem Vorgesetzten unverhohlen von seinen Träumen erzählt, heimlich den Schützengraben zu verlassen, um mit seiner Mutter noch einmal gemeinsam Kaffee zu trinken. Welch tiefe Freundschaft die beiden Männer verbindet, wird deutlich, wenn Ponchel dem Lieutenant sterbend berichtet, dass er den Graben auch verlassen habe, um ihm Gewissheit über das Wohlbefinden von Madeleine Audebert und dem gemeinsamen Sohn Henri zu bringen. Scott Wilde glänzt mit schwarzem Bass als Audeberts Vater und macht stimmlich und darstellerisch glaubhaft, dass er keinerlei Verständnis für das Verhalten seines Sohns hat. Dass er selbst bei der Information über die Geburt seines Enkelsohns kaum Gefühle zulässt, wird von Wilde darstellerisch großartig umgesetzt. Auf der schottischen Seite überzeugen Ian Beadle mit jugendlichem Bariton und Alexander Sprague mit beweglichem Tenor als unterschiedliches Brüderpaar William und Jonathan Dale. Gavan Ring stattet den schottischen Lieutenant Gordon mit kräftigem Bariton aus, der wunderbar mit der Autorität dieser Figur korrespondiert, und Quentin Hayes glänzt, nachdem er am gleichen Nachmittag noch als Michele im Whites Hotel auf der Bühne stand, stimmlich und darstellerisch als mit seinem Gott hadernder Father Palmer. Der von Errol Girdlestone homogen einstudierte Herrenchor rundet das Ensemble stimmlich und darstellerisch wunderbar ab. Dass das Publikum von dieser Produktion ergriffen ist, beweist der Moment der Stille, in dem der Saal verharrt, nachdem der letzte absolut zarte Ton aus dem Orchestergraben verklungen ist. Von der Thematik hätte man sich beinahe gewünscht, dass nach dem ersten Akt und am Ende gar nicht geklatscht worden wäre, da man von der Geschichte und deren Umsetzung so eingenommen wird, dass es schwer fällt, anschließend in einen Jubel auszubrechen. Doch da die Sänger, das Orchester, das Regie-Team und natürlich der Komponist und der Librettist dies ja nun gerade mit ihrer Arbeit erreicht haben, ist es nur gerechtfertigt, dass alle Beteiligten mit stehenden Ovationen gefeiert werden.
FAZIT Diese zeitgenössische Oper wird hoffentlich schnell den Weg ins Standardrepertoire in Europa finden. Eine trefflichere Botschaft für den Frieden kann eine von Kriegen erschütterte Welt auf den Opernbühnen kaum präsentieren.
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Wexford Festival Opera 2014 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungMichael Christie Regie Bühne
Kostüme Licht Choreographie Kampfszenen Chorleitung
Chor des
SolistenThe German SideNikolaus Sprink
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