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Absturz eines Stars Von Christoph Wurzel / Fotos: Andrea Kremper Als Großereignis der Pfingstfestspiele wurde sie angekündigt - Rolando Villazóns zweite Baden-Badener Regiearbeit La Traviata. Im medialen Getöse dabei etwas untergegangen war das Orchester dieser Produktion: das Balthasar-Neumann-Ensemble, welches sich gewöhnlich im Metier der Alten Musik tummelt und nun schon zum zweiten Mal in Baden-Baden eine Verdi-Oper präsentierte (vor genau elf Jahren war hier Rigoletto zu erleben). Und daher erwies sich die Produktion gleich in doppelter Hinsicht als spektakulär: nicht allein szenisch, sondern auch musikalisch, vor allem was das Orchester betrifft, aber in weiten Teilen auch sängerisch. Trapezakt: Violetta am Boden (Olga Peretyatko) und in der Luft (Susanne Preissler) und Alfredo (Atalla Ayan) Zuerst also die Musik: statt Oberflächenpolitur herrscht insgesamt klangliche Tiefenschärfe und kristallklare Transparenz. Ohne Vibratogeflirre spannen die Streicher die Melodielinien des Vorspiels zum ersten Akt zu einem selten schönen, hochsensiblen, filigranen Klangbogen aus, in dem gleichermaßen Leichtigkeit wie Melancholie mitschwingen. Dann der Umschlag im brillanten Allegro zur Festlichkeit des ersten Akts. Dieses Orchester beherrscht die Klangrede perfekt, das heißt hier die Vermittlung von Stimmungen, und das ist sein unübertroffener Vorzug in dieser Produktion. Und welche Kraft und Präsenz zeigt es in der Gestaltung der dynamischen Facetten dieser Musik! Pablo Heras-Cassado am Pult reizt diese Möglichkeiten feinsinnig aus und überdeckt die Sänger nie. Sie haben dadurch ihrerseits genügend Raum, eigene Nuancen zu entfalten. Ein Orchesterpiano delikatester Art erklingt aus dem Graben. Faszinierende Farben steuern Soloinstrumente bei, besonders die Holzbläser wie der Trauerton der Oboe als Seelenspiegel in Violettas Lebensabschieds-Arie "Addio, del passato". In dieser dritten Aufführung herrscht besonderer Einklang zwischen Dirigent und Orchester. Schauerlicher Alptraum statt rauschender Ball: Szene im 2. Akt, 2. Teil: Balthasar-Neumann-Chor und (im Focus) Olga Pretyatko) und Atalla Ayan Dieser Funke springt auch über auf die Bühne, wo das Sängerensemble mit Glanzleistungen mitzieht. Junge Stimmen durchweg in den Hauptrollen: die russische Sopranistin Olga Peretyatko als Violetta, der brasilianische Tenor Atalla Ayan (Alfredo) und der Veroneser Simone Piazzola als Vater Germont. Als Shootingstar wird Pretyatko gegenwärtig sogar vom arte-Magazin prominent herausgestellt (der Sender überträgt die Aufführung am 21.Juni). Tatsächlich kann die Sängerin dieser Rolle in Statur und Stimme gleichermaßen überzeugend gerecht werden, ganz leichte Unschärfen beim Ansteuern der Spitzentöne mögen einer gewissen Anspannung geschuldet sein (vielleicht auch wegen der ständigen Vergleiche mit Anna Netrebko). Aber ihre lyrische Ausdrucksstärke berührt tief, die gestochenen Koloraturen funkeln brillant. Auch Atalla Ayan gehört zu den neu aufsteigenden Sternen am Opernhimmel. Er gibt in dieser Inszenierung einen besonders gefühlvollen Alfredo, singt die Partie mit berührendem Schmelz und ohne jeden Druck in der Höhe, mit einem Ausdruck von Glück, der aufs Publikum überspringt: "Io vivo quasi in ciel". Exzellent auch Simone Piazzola, der ebenfalls mit einer fabelhaften (Bariton-) Höhe aufwartet und mit schlankem Ton und elegantem Legato begeistert. Selbst einige Nebenrollen sind hochkarätig besetzt, mit Tom Fox etwa als Douphol oder Konstantin Wolf als d’Obigny. Nicht zu vergessen schließlich der hervorragende Balthasar-Neumann-Chor, der von der Regie zudem zahlreiche darstellerische Aufgaben erhielt. Für Villazón ist es die zweite Baden-Badener Regiearbeit und er musste sich diesbezüglich an seinem Liebestrank von 2012 hier messen lassen. Auch diesmal erzählt er nicht platt direkt an der Geschichte entlang, sondern legt ein Konzept zugrunde und bebildert es mit starken, eindeutigen Symbolen, phantasievoll und regie-handwerklich souverän. Dass seine Regie zudem präzise auch dem musikalischen Duktus folgt, ist natürlich Frucht seiner Karriere als Sänger und unterscheidet diesen inszenierenden Quereinsteiger in erfreulicher Weise von manch Anderen, die etwa vom Schauspiel oder vom Film herkommen. Szenerie von großer Bildkraft: Ensemble in Villazóns Traviata In dieser Inszenierung ist Violetta Valéry keine Edelkurtisane, sondern eine Zirkusartistin, eine Trapezkünstlerin und als solche ein Star. Damit geht zwar das Motiv der moralischen Anrüchigkeit der „Traviata“ weitgehend verloren, Villazón stellt dafür den seelischen Absturz eines einst umjubelten Stars in den Mittelpunkt des Interesses. Violettas Krankheit ist hier wohl am ehesten eine psychische statt „nur“ somatisch. Am erzwungenen Liebesverzicht auf Alfredo geht diese zerbrechliche Frau (als solche zeigt sie die Sängerin auch eindrucksvoll) schließlich zugrunde. Zwischen Traum und Wirklichkeit inszeniert Villazón nun ihre Geschichte: den ersten Akt wie eine Rückblende auf den Anfang der Liebesbeziehung, die Landszenen des zweiten Akts wohl als reale Gegenwart, die folgende Ballszene als düsteren, taumelnden Alptraum und den dritten Akt schließlich als den endgültigen tragischen Zusammenbruch. Diese Überblendungen der Realität mit Traum und Erinnerung löst die Spaltung dieser Rolle in die der Sängerin und die der Zirkuskünstlerin. Unvergesslich das Schlussbild: im Vordergrund die sterbende Violetta und hinten der jähe Absturz der Artistin aus der Höhe der Zirkuskuppel in eine bodenlose Tiefe. Villazón stellt das Geschehen in das überaus ästhetische Bühnenbild von Johannes Leiacker, das viele Motive der Inszenierung verbindet. Beherrschend ist das Zirkusmilieu, als Symbol ist der Teil eines großen Ziffernblatts einer Uhr zu sehen, zugleich ein vielleicht ironisches Zitat derjenigen Salzburger Aufführung der Oper, mit der Villazón selbst (zusammen mit Anna Netrebko) einmal berühmt wurde. Zitat ist auch die deutliche Anspielung an den steinernen Gast beim Diner Don Giovannis, als der Giorgio Germont hier erscheint. Wenn er seinem Sohn die Hand reicht, ergreift diese sie ähnlich erschüttert wie der Mozartsche Lebemann. Zugleich ist diese graue Gestalt als Besucher aus einer anderen Welt bei Violetta auch als Vorbote des Todes ein anrührendes Zeichen. Ein Übriges tragen die bis ins Phantastische gehenden Kostüme von Thibault Vancraenenbroeck und ebenso die eindrucksvolle Lichtregie David Cunninghams zu der starken Wirkung der Szenerie bei. Im selben Maße hochkünstlerisch wie die Sängerin in ihrem Metier agiert die Artistin Susanne Preissler am Boden und in der Luft – eine wunderbare Entsprechung beider Seiten dieser verdoppelten Rolle. FAZIT Eine wahrhaft festspielwürdige Aufführung, die sich aus dem Gewohnten heraushebt: bestechend in ihrer szenischen Eleganz und Bildkraft, faszinierend ob ihrer musikalischen Schönheit und Feinfühligkeit
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ProduktionsteamMusikalische LeitungPablo Heras-Casado
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme Licht
Choreinstudierung
Choreografie
Balthasar-Neumann-
Alfredo Germont
Giorgio Germont, sein Vater
Flora Bervoix
Gastone
Baron Douphol
Marquis d’Obigny
Doktor Grenvil
Annina
Giuseppe, Diener Violettas
Kommissionär
Diener bei Flora
Trapezkünstlerin
Tänzer, Akrobaten |
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