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Musikfestspiele
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40. Tage Alter Musik in Herne

12.11.2015 - 15.11.2015

Camilla

Oper in drei Akten (Fassung: London 1706)
Text von Nicola Haym, Owen Swiney (?) und "Mr. Northman" nach Silvio Stampiglia
Musik von Giovanni Bononcini und Nicola Haym

In englischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 3 h (eine Pause)

Aufführung im Kulturzentrum in Herne am 15. November 2015

 

 

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Wiederentdeckung von Londons Kult-Oper

Von Thomas Molke / Fotos von Thomas Kost / WDR

Die große Zeit der Barockoper in London in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts verbindet man heutzutage eigentlich nur noch mit Georg Friedrich Händel, der dort mit Rinaldo, Serse und Alcina Werke zur Uraufführung gebracht hat, die auch heute noch zum Opernrepertoire gehören. Dabei ist es Giovanni Bononcini, der mit seiner Oper Camilla 1706 in London den ersten Hype um dieses Genre bei den Engländern ausgelöst hat. Auch 11 Jahre später gaben die Briten diesem Werk noch den Vorzug, als es zeitgleich mit Händels Rinaldo auf den Spielplan gesetzt wurde. Heute sind sowohl Bononcini als auch seine Camilla dem Vergessen anheim gefallen. Bei den Tagen der alten Musik in Herne, die in diesem Jahr unter dem Motto "Kult" stehen, hat man sich nun entschieden, zum Abschluss die Oper zur deutschen Erstaufführung zu bringen, die 1706 in London regelrechten Kultstatus erlangte und nach der Uraufführung noch 25 Jahre lang in London erfolgreich auf dem Spielplan stand.

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Julia Sophie Wagner als Camilla

Als Bononcinis Oper am 27. Dezember 1696 in Neapel unter dem Titel Il trionfo di Camilla, regina dei Volsci zur Uraufführung gelangte, trat sie sehr schnell einen Siegeszug durch ganz Europa an. Allein in Italien sind aus der Zeit von 1698 bis 1719 23 Neuproduktionen in 19 verschiedenen Städten bekannt. Selbst in Mexiko soll dieses Werk aufgeführt worden sein. 1698 wirkte der Cellist Nicola Haym an einer Produktion dieser Oper in Rom unter dem Titel La rinnovata Camilla mit und hatte die bahnbrechende Idee, dieses Werk als erste abendfüllende Oper italienischer Machart nach London zu bringen. Hierfür schien es allerdings erforderlich, das Libretto ins Englische zu übertragen. Während ein nicht genannter Herr - vermutet wird, dass es sich hierbei um den in der Widmung genannten Owen Swiney handelt - und ein gewisser Mr. Northman den Auftrag bekamen, den Text zunächst in englische Prosa zu übersetzen und anschließend in Verse zu bringen, die der italienischen Musik möglichst entsprechen, überarbeitete Haym selbst die Partitur an den Stellen, an denen er es für notwendig erachtete, und nahm auch einige Kürzungen vor. Auch die Gesangspartien wurden teilweise transponiert. Im Gegensatz zur italienischen Partitur wurden die männlichen Partien Turnus und Prenesto nun für Tenöre konzipiert und nicht mehr für Kastraten, während die alte Zofe Tullia nicht mehr von einem Tenor, sondern von einer Frau gesungen wurde. Damit begannen die so genannten "Golden Years of Opera in London".

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Musikalische Leiter: Jörg Jacobi (links) und Jürgen Groß (rechts)

Die Handlung weist die für die Barockoper üblichen Liebesverwicklungen auf und greift teilweise auf Figuren zurück, die aus der zweiten Hälfte von Vergils Aeneis bekannt sind, ohne dabei in irgendeiner Form Bezug auf die Geschichte um Aeneas zu nehmen. Latinus, der König von Latium, ist hier ein tyrannischer Herrscher, der einerseits in Feindschaft mit den Rutulern und ihrem König Turnus steht, andererseits den König der Volsker, Metabus, getötet hat, weshalb dessen Tochter Camilla Rache an ihm nehmen will. Folglich taucht sie als Schäferin Dorinda getarnt am Hofe Latinus' auf. Dabei trifft sie im Wald zunächst auf seinen Sohn Prenesto, den sie vor einem wilden Eber rettet. Die beiden verlieben sich, und Prenesto führt sie zu seinem Vater. Dieser will ihr aus Dankbarkeit ein Heer zur Verfügung stellen, um ihre Feinde zu bekämpfen. Zur gleichen Zeit hat sich Turnus als Sklave Armidoro nach Latium begeben, weil er heimlich in Lavinia, Latinus' Tochter, verliebt ist. Als diese ihrem Vater gesteht, dass sie Turnus heiraten möchte, lässt Latinus sie entsetzt in den Kerker werfen und fordert Armidoro auf, Lavinia zu töten. Daraufhin gibt sich Turnus zu erkennen und schwört Latinus die Treue. Dieser ist nun bereit, Lavinia mit Turnus zu vermählen. Mittlerweile ist aber Lavinia ein Gerücht zu Ohr gekommen, dass Turnus gemeinsam mit Dorinda plant, ihren Vater zu stürzen. Sie berichtet ihrem Vater, dass Dorinda im Auftrag ihrer Herrin, der Volskerkönigin Camilla, einen Anschlag plane, woraufhin Latinus Dorinda einsperren lässt. Prenesto wiederum befreit Dorinda und stellt ihr ein Sklavenheer als Armee zur Verfügung. Daraufhin gibt sie sich als Camilla zu erkennen und nimmt Prenesto als Geisel. Doch als sie Latinus, Lavinia, Turnus und Prenesto töten will, siegt ihre Liebe über ihren Wunsch zur Rache. So kommt es zur allgemeinen Versöhnung. Camilla heiratet Prenesto und Lavinia Turnus.

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Schlusschor: von links: Turnus (Michael Connaire), Lavinia (Marysol Schalit), Prenesto (James Elliot), Camilla (Julia Sophie Wagner), Jörg Jacobi (Cembalo), Latinus (Simon Robinson), Tullia (Cécile Kempenaers) und Linco (Konrad Jarnot), dahinter Elbipolis Barockorchester Hamburg

Die musikalische Struktur der Oper unterscheidet sich stark von dem sonst üblichen Aufbau der Barockopern. Zwar gibt es zahlreiche Arien im ABA-Stil, die die Affekte der Protagonisten beschreiben. Diese sind allerdings wesentlich kürzer gehalten, so dass die Handlung in dieser Oper trotz der drei Stunden Länge relativ zügig voranschreitet. Auch die Rezitative sind sehr melodiös gehalten und werden häufig nicht nur vom Cembalo begleitet. Musikalisch hervorzuheben sind die Soloinstrumente in einzelnen Nummern, die damit die Gefühlswelt der Protagonisten eindrucksvoll unterstreichen. Wenn Camilla in ihrer Auftrittsarie "I was born of Royal Race" ihr tragisches Schicksal am Waldrand von Latium besingt, hebt die Soloflöte mit ihrem traurigen Spiel noch einmal Camillas Einsamkeit hervor. Bei Prenestos Arie im zweiten Akt "In vain I fly from Sorrow", in der er beklagt, dass Camilla / Dorinda ihn nicht erhören will, begleitet das Cello bewegend sein Lamento. Wenn sich Lavinia am Ende des zweiten Aktes in ihrer Arie "Fly, fly and follow your Idol Beauty" von Turnus verraten fühlt, sind es das Cembalo und die Theorbe, die Lavinias Gefühle unterstreichen. Als musikalische Höhepunkte lassen sich zwei Duette im dritten Akt nennen. Im ersten Duett bitten Prenesto und Camilla den Gott Amor bzw. die Göttin Fortuna, ihnen endlich ihren Seelenfrieden zu schenken, wobei Cembalo und Cello die Inbrunst der Bitte hervorheben. Noch eindringlicher gelingt das Duett zwischen Turnus und Lavinia, in dem sie sich nach vielen Wirrungen endlich ihre Liebe gestehen. Hieran haben Cembalo, Theorbe und Cello einen nicht zu unterschätzenden Anteil.

Julia Sophie Wagner stattet die Titelpartie mit einem in den Koloraturen sehr beweglichen Sopran aus, der durch ein dunkles Timbre überzeugt. Neben ihrer Auftrittsarie bewegt vor allem die Kerkerszene, in der sie zur Sologeige tapfer ihrem Schicksal entgegentreten will. In den schnellen Läufen macht sie deutlich, dass Camilla eine durchaus kämpferische Frau ist, die zur eigentlichen Heldin der Oper avanciert. James Elliot zeigt sich als Prenesto in den schnellen Läufen nicht ganz so beweglich wie Wagner, gefällt aber durch einen weichen Tenor, der dem Charakter der Figur gerecht wird. Besonders überzeugt seine Interpretation der Arie "Charming Fair, for thee I languish" im ersten Akt, in der er seine Liebe zu Camilla / Dorinda besingt. Marysol Schalit verfügt als Lavinia über einen jugendlichen Sopran mit sauberen Höhen und unterstreicht die mädchenhaften Züge der Partie. Besonders bewegend gelingt ihre Arie in ihren Gemächern, wo sie auf die Strafe ihres Vaters wartet. Mit Michael Connaire als Turnus findet sie in dem oben erwähnten Duett zu einer unter die Haut gehenden Innigkeit. Mit profundem Bass überzeugt Simon Robinson als Latinus. Etwas blass hingegen bleibt das Dienerpaar Tullia und Linco. Cécile Kempenaers verfügt als Tullia zwar über einen lieblichen Sopran, der die Komik der Partie allerdings verschenkt. Auch Konrad Jarnot gelingt es stimmlich nicht, den Gegensatz der beiden Diener zu den herrschaftlichen Paaren herauszuarbeiten. Natürlich fehlt bei dieser konzertanten Aufführung die Szene, um den Witz dieser Figuren zu unterstreichen, aber auch der gesungene Text hätte einigen Spielraum für eine entsprechende Interpretation gelassen.

Das Elbipolis Barockorchester Hamburg erweist sich unter seinen beiden musikalischen Leitern Jürgen Groß an der Violine und Jörg Jacobi am Cembalo als prädestiniert für die deutsche Erstaufführung dieses Opernjuwels und begeistert neben der Begleitung auch mit einigen herausragenden Instrumentalteilen. Zu nennen ist hier die Schlafmusik im zweiten Akt nach Lavinias großer Arie oder die getragene "Symphony for Camilla" vor Camillas Kerkerszene im dritten Akt. Welchen Sinn der Tanz allerdings kurz vor Ende des dritten Aktes haben soll, erschließt sich nicht. Schließlich hat Camilla gerade Prenesto in ihre Gewalt gebracht und plant, alle zu töten. Da wirkt der fröhliche Tanz ein wenig deplaziert, auch wenn damit zu den Hochzeitsvorbereitungen für Lavinia und Turnus übergeleitet wird. Mit knapp drei Stunden wird der Abend insgesamt länger als ursprünglich geplant, aber in keinem Moment langweilig. Das Publikum belohnt die Solisten und das Orchester mit großem Applaus.

FAZIT

Den Tagen Alter Musik in Herne gelingt mit dieser deutschen Erstaufführung ein würdiger Festival-Abschluss, der nachvollziehbar macht, wieso Bononcini zur damaligen Zeit einen Opern-Hype in London ausgelöst hat. Liebhaber von Barockraritäten, die diese Aufführung verpasst haben, werden sich sicherlich bald auf einer CD-Einspielung von den Qualitäten dieses Werkes überzeugen können.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jürgen Groß (Violine)
Jörg Jacobi (Cembalo)



Elbipolis Barockorchester Hamburg

 

Solisten

Camilla
Julia Sophie Wagner

Prenesto
James Elliot

Lavinia
Marysol Schalit

Tullia
Cécile Kempenaers

Turnus
Michael Connaire

Linco
Konrad Jarnot

Latinus
Simon Robinson

 

Weitere
Informationen

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Tage Alter Musik in Herne
(Homepage)



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