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Triumph der Liebe?
Von Thomas Molke / Fotos von Wilfried Hösl Auch wenn Claudio Monteverdis L'Orfeo nicht den Beginn des Musiktheaters der Neuzeit im eigentlichen Sinne markiert, gilt seine am 24. Februar 1607 anlässlich der Geburtstagsfeierlichkeiten eines Förderers der Accademia degli Invaghiti, Francesco IV. Gonzaga, uraufgeführte Favola in musica als die "Ur-Oper aller Opern". Während nämlich in Jacopo Peris sieben Jahre zuvor entstandenen L'Euridice die Allegorie der Tragödie das Stück als eine "neue Art von Schauspiel" ankündigt, übernimmt bei L'Orfeo La Musica als allegorische Figur diese Funktion und leitet ein Werk ein, in dem es keine Sprechtexte mehr gibt. Nachdem dieses Frühwerk bei den letzten Münchner Opernfestspielen vor einem Jahr in der Inszenierung von David Bösch Premiere feierte, wird es in diesem Jahr im Prinzregententheater im Rahmen der Opernfestspiele wieder aufgenommen. Orfeo (Christian Gerhaher, Mitte) und Euridice (Elsa Benoit, Mitte) feiern im Kreis der Hirten und Nymphen (Zürcher Singakademie) ihre Hochzeit. Die Handlung basiert auf dem berühmten in Ovids Metamorphosen überlieferten Mythos über den thrakischen Sänger Orpheus (Orfeo), der versucht, seine bei der Hochzeit verstorbene Frau Eurydice (Euridice) aus der Unterwelt zurückzuholen, sie allerdings erneut verliert, weil er dem Verbot des Unterweltgottes Pluto (Plutone), sich bis zum Erreichen der Oberwelt nicht nach seiner Gattin umzudrehen, nicht Folge leisten kann. Während allerdings bei Ovid der thrakische Sänger nach dem erneuten Verlust Eurydices der Liebe abschwört und von zahlreichen Verehrerinnen aus verschmähter Liebe umgebracht wird, so dass er als Schatten nun erneut mit seiner Eurydice im Elysium wandeln kann, und sich in der bekanntesten musikalischen Bearbeitung von Christoph Willibald Gluck die Götter durch Orpheus' Klagegesang schließlich erweichen lassen und ihm seine geliebte Eurydice zurückgeben, unterscheidet sich Monteverdis Fassung in einigen Punkten von den beiden anderen Varianten. Zum einen gibt es bei Monteverdi noch eine Vorgeschichte, in der die Hirten und Nymphen von Orfeos Qualen berichten, die er erlitten hat, bevor er Euridices Herz gewinnen konnte. Zum anderen wird bei Monteverdi die Begegnung mit dem Fährmann Caronte (Charon) ausführlich beschrieben, der Orfeo eigentlich nicht in sein Boot einsteigen lassen will, von dessen Gesang allerdings eingeschläfert wird. Auch das lieto fine erfährt eine völlig andere Ausprägung. Orfeo steigt am Ende mit seinem Vater Apollo zum Himmel empor, von wo aus er zukünftig Euridices Ebenbild in der Sonne und in den Sternen erblicken kann. Ob das die Wiedervereinigung der beiden Liebenden ersetzen kann? Messagiera (Anna Bonitatibus, Mitte rechts) bringt Orfeo (Christian Gerhaher) die schlimme Nachricht von Euridices Tod. Bühnenbildner Patrick Bannwart kreiert für die Inszenierung beeindruckende Bilder, die vor allem die beiden Akte in der Unterwelt zu einem optischen Erlebnis machen. Kommt La Musica zu Beginn des Prologs noch auf eine nahezu leere schwarze Bühne, die einen gewissen Endzeitcharakter hat, lässt sie, wenn sie ankündigt, die Geschichte Orfeos erzählen zu wollen, zahlreiche Blumen vom Boden emporsteigen, die den passenden Rahmen für die anstehende Hochzeit bilden. Ob die Hirten und Nymphen nun unbedingt mit einem VW-Bus als Hochzeitsgesellschaft auflaufen und diese wie auf einem Gartenfest der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts zelebrieren müssen, ist natürlich Geschmacksache, stört allerdings auch nicht weiter. Dann kippt das Glück mit dem Auftritt der Messagiera, die von Euridices tragischem Tod berichtet. Die Blumen verschwinden in den Schnürboden, und von oben werden kopfüber schemenhafte Figuren herabgelassen, die wohl die Schatten der Unterwelt darstellen sollen und der ganzen Szene eine unheimliche Atmosphäre geben. Wenn Orfeo sich dann auf dem Rückweg zur Oberwelt nach seiner Gattin umdreht, bekommen diese Figuren durch eine geschickte Videoprojektion von Falko Herold Augen und leiten damit den erneuten Verlust Euridices ein. Die Figuren verwandeln sich in Skelette und verschwinden wieder im Schnürboden, während Euridice erneut von den umherwandelnden Toten eine Totenkopfmaske aufgesetzt bekommt, die sie nun nicht mehr abstreifen kann. Von den Blumen des ersten Aktes wird eine letzte wieder aus dem Schnürboden herabgelassen, die langsam ein Blatt nach dem nächsten verliert. Orfeo (Christian Gerhaher) will seine Gattin aus der Unterwelt befreien. Während die Kostüme für die menschlichen Figuren relativ modern gehalten sind, stattet Falko Herold die allegorischen Figuren und die Götter etwas aufwändiger aus. Caronte wirkt in seinem schwarzen weiten Umhang mit den langen Haaren recht bedrohlich und kommt mit einem beeindrucken Gefährt auf der Bühne vorgefahren, mit der er die Verstorbenen über den Styx in die Unterwelt transportiert. Ob dieser Wagen nun unbedingt ein Taxi-Schild führen muss, ist sicherlich diskutabel, aber schließlich mussten die Toten der Überlieferung nach die Überfahrt ja auch bezahlen. Proserpina strahlt in einem schwarzen aufwändigen Kleid, das mit zahlreichen glitzernden Steinen besetzt ist, die wie Sterne auf dem nächtlichen Himmel wirken. Dagegen wirkt ihr Gatte Plutone in seinem Feinripp-Unterhemd mit den behaarten Armen eher wie ein übergewichtiger Satyr. Wieso Apollo im fünften Akt mit Kapuzen-Pulli, Beinschiene und Krücke auftreten muss, bleibt unklar, zumal er optisch so wirklich gar nichts Göttliches an sich hat. Aber David Bösch lässt in seiner Inszenierung Orfeo auch nicht mit zum Himmel emporsteigen. Stattdessen reicht Apollo seinem Sohn ein Messer, mit dem dieser sich die Pulsadern aufschneidet. Vor seinem geistigen Auge scheint sich die Hochzeit mit Euridice zu wiederholen, wobei Orfeo allerdings ein unbeteiligter Beobachter bleibt. Dann tritt Euridice aus der Hochzeitsgesellschaft heraus und legt sich mit Orfeo gemeinsam in ein Grab. Ist das eine "glückliche" Wiedervereinigung im Tod? Proserpina (Anna Bonitatibus) überredet ihren Gatten Plutone (Goran Juri ć), Orfeo seine Gattin Euridice zurückzugeben (im Hintergrund: die Spiriti (Mathias Vidal, Simon Robinson und James Hall)).Eine besondere Funktion lässt Bösch auch den allegorischen Figuren La Musica und Speranza zukommen, die nicht nur beide von Anna Stéphany dargestellt werden, sondern auch zu einer Person verschmelzen. So sieht Bösch die Musik als die Kraft, die Orfeo hoffen lässt, seine Gattin Euridice der Unterwelt zu entreißen. Speranza ist folglich nichts anderes als die Musik. Mit ihren weißen Engelsflügeln wirkt sie folglich auch göttlicher als beispielsweise Apollo. Außerdem lässt Bösch die Figur auch auftreten, wenn sie gar nichts mehr zu singen hat. In der Unterwelt überreicht sie Orfeo erneut seine Leier und unterstützt ihn auf seinem Weg. Wenn Orfeo dann am Ende mit seiner Euridice ins Grab hinabsteigt, sitzt sie mit einer Laute am Grab und blickt fragend ins Publikum. Hat die Musik schlussendlich doch gesiegt? Was den Abend betrifft, kann man diese Frage eindeutig mit "Ja" beantworten. Christian Gerhaher begeistert in der Titelpartie mit kräftigem Bariton, der das Leiden des begnadeten Sängers überzeugend zum Ausdruck bringt. Besonders hervorzuheben ist dabei seine große Szene "Tu se' morta, mia vita, ed io respiro?", wenn er seine geliebte Euridice zum ersten Mal verloren hat und beschließt, in die Unterwelt hinabzusteigen. Auch seine Interpretation des "Possente spirto", mit dem er versucht, Carontes Mitgefühl zu erlangen, geht unter die Haut. Elsa Benoit stattet die Partie der Euridice mit jugendlichem Sopran aus und begeistert darstellerisch im Kampf mit den Mächten der Unterwelt. Anna Bonitatibus beweist als Messagiera und Proserpina mit warmem Mezzo große Wandlungsfähigkeit. Während sie als Messagiera mit klagenden Tönen das große Leid spürbar macht, gibt sie sich als Proserpina absolut verführerisch, um ihren Gatten Plutone zu überzeugen, Orfeo die geliebte Frau zurückzugeben. Goran Juri ć stattet den Gott der Unterwelt mit markanter Schwärze aus. Gleiches gilt für Tareq Nazmi in der Partie des Caronte. Anna Stéphany begeistert als La Musica und Speranza mit samtweichem Mezzo, und auch die übrigen kleineren Partien sind gut besetzt. Die Zürcher Singakademie unter der Leitung von Tim Brown überzeugt durch homogenen Klang und große Spielfreude. Christopher Moulds rundet mit dem Monteverdi-Continuo-Ensemble und Mitgliedern des Bayerischen Staatsorchesters den Abend musikalisch pointiert ab, so dass es am Ende lang anhaltenden und frenetischen Applaus für alle Beteiligten gibt.
FAZIT David Bösch gelingt eine moderne Inszenierung des antiken Stoffes mit einem interessanten Ende, ohne das Libretto dabei gegen den Strich zu bürsten. Die musikalische Umsetzung hat Festspielniveau. Weitere Rezensionen zu den Münchner Opernfestspielen 2015
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung Bühne Kostüme und Video Licht Chor
Dramaturgie Rainer Karlitschek
Zürcher Singakademie Monteverdi-Continuo-Ensemble Mitglieder des Bayerischen
Solisten
Orfeo
Euridice
Messagiera / Proserpina
Caronte
Speranza / La Musica Plutone Apollo Pastore I / Spirito I Pastore II/ Spirito III / Echo Pastore III Pastore IV / Spirito II Ninfa
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