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Alles nur ein TraumVon Thomas Molke / Fotos vom Rossini Opera Festival
Pippo (Lena Belkina) verkündet dem Personal (Chor des Teatro Comunale di Bologna), dass Gianetto auf das Landgut zurückkehrt.
In der heutigen Zeit ist die Vorstellung, dass ein Mädchen für den
vermeintlichen Diebstahl eines silbernen Löffels zum Tode verurteilt werden
soll, natürlich absolut hanebüchen, so dass sich Regisseure schwer damit tun,
die Geschichte nach dem Libretto zu erzählen. Auch die Darstellung der Elster
stellt eine Inszenierung vor einige Probleme, da man kaum einen echten Vogel im
Theater dazu bringen kann, auf Anweisung das Besteck
zu stehlen. Diesbezüglich wird in einigen Produktionen auf einen Tänzer oder eine
Tänzerin als diebische Elster zurückgegriffen. Auch Damiano Michieletto besetzt
die Elster mit einer Tänzerin, geht dabei aber noch einen Schritt weiter.
Sandhya Nagaraja stellt dabei in ihrem rot geringelten Pullover und der weißen
halblangen Hose keine Elster im eigentlichen Sinn dar, sondern ist ein Mädchen,
das abends Probleme mit dem Einschlafen hat und sich während der Ouvertüre
gewissermaßen in die Geschichte träumt. Nachdem sie mehrere weiße Röhren
in einem Baukasten aufgestellt hat, kommen diese Röhren plötzlich in riesiger
Form aus dem Schnürboden herab und lassen die Traumwelt vorübergehend
Wirklichkeit werden. Nagaraja klettert an einem weißen Tuch, das ebenfalls aus
dem Schnürboden herabgelassen wird, empor und scheint in der ersten Szene über
dem Geschehen zu schweben. Da ist dem Mädchen dann auch der Sinn nach allerlei
Schabernack. So stiehlt sie zunächst Pippos Mütze und raubt dem fahrenden
Händler Isacco aus seinem großen Koffer eine Kette und ein I-Pod, so dass dieser
beim zweiten Mal mit einem riesigen Eisenschloss vor seinem Koffer auftritt.
Dass sie die Brille des Podestà Gottardo stiehlt, macht plausibel, dass er das
Schreiben, in dem er aufgefordert wird, Ninettas Vater zu verhaften, zunächst
selbst nicht lesen kann.
Wie in einem Traum hat die Elster auch die Möglichkeit, die Szene einfrieren zu lassen, so dass sie während Pippos Trinklied
zunächst heimlich Pippos Glas austrinkt und ihm dann auch noch die Hose
herunterzieht, ein unnötiger Regie-Einfall. Natürlich stiehlt sie auch im
weiteren Verlauf den Löffel. Zum Ende des ersten Aktes kippt die Szene
allerdings dann. Langsam erkennt sie nämlich, dass sie ihren Schabernack
zu weit getrieben hat. Im großen Finale versucht sie dann, ihren Fehler wieder
gutzumachen, und will den gestohlenen Löffel zurückgeben. Regelrecht verzweifelt
hält sie ihn Ninetta, Pippo und den anderen unter die Nase, aber diese sind von
dem Diebstahl so traumatisiert, dass sie die reumütige Elster gar nicht
wahrnehmen. Nagaraja spielt die Verzweiflung der Elster im Finale des ersten
Aktes eindrucksvoll aus. Auch im zweiten Akt gibt sie nicht auf. Warum die Bühne
hier allerdings geflutet wird, so dass alle Darsteller durch einen See waten
müssen, erschließt sich nicht. Gottardos Männer, die Michieletto unnötiger Weise mit
Maschinengewehren auftreten lässt, scheinen weniger ein Interesse an dem
gestohlenen Löffel als an der Verurteilung Ninettas zu haben, die die
Liebesbekundungen des Podestà Gottardo auch im Gefängnis noch barsch
zurückweist. Als dann die Soldaten Pippo den Ring entwenden, den er Gianetto von
Ninetta übergeben soll, und ihn ins Wasser werfen, ist es die Elster, die diesen
Ring aufliest. Wie letztendlich Pippo und Antonio das Versteck der Elster
finden, bleibt in der Inszenierung hingegen etwas unklar. Mit der Begnadigung Ninettas
geht es dann jedenfalls der Elster an den Kragen. Verzweifelt versucht sie, der
sie einkreisenden Menschenmenge zu entfliehen. Als dann auch noch die
Maschinengewehre auf sie gerichtet werden, krabbelt sie in ihr Bett zurück und scheint,
im letzten Moment aus diesem Alptraum zu erwachen, wenn da nur nicht noch Pippos
Mütze wäre, die sie unter ihrem Kopfkissen findet.
Das Bühnenbild von Paolo Fantin ist mit den zahlreichen überdimensionalen weißen
Röhren äußerst abstrakt gehalten. Zunächst hängen die Röhren gewissermaßen als
Dach über der Szene und deuten das Landgut der Vingraditos an. Scheinwerfer
strahlen wie Lampen aus den Röhren auf den Boden. Im weiteren Verlauf werden
diese Röhren auf den Boden herabgelassen und bilden eine Art Labyrinth, in dem
sich die Protagonisten zu verlieren scheinen. Wenn sich die Röhren dann im ersten
Finale in den Zuschauerraum neigen, fragt man sich, wie sie überhaupt
befestigt sind, da keine Seile zu sehen sind, die sie noch im Schnürboden
halten. Auch wenn man das abstrakte Bühnenbild nicht mag, dürfte die eingesetzte
Technik hier durchaus beeindrucken. Im zweiten Akt liegen die Röhren dann
aufgestapelt auf der Bühne und markieren die Zelle, in der Ninetta eingesperrt
ist. Das Wasser auf der Bühne spiegelt sich beeindruckend in den angestrahlten
Röhren. Die Richter erscheinen als eine Art Macht von oben und stehen auf einem
breiten Steg, der über der Bühne aus dem Schnürboden herabgelassen wird. Wenn
auch die Traumsequenz der Regie einige Freiheiten in der Inszenierung erlaubt,
bleiben einige Einfälle dennoch überflüssig. So wirkt es durchaus albern, wenn
sich Gottardo bei seinem Besuch im Kerker mittels Koffern eine Art Weg über die
geflutete Bühne bahnen lässt. Die zahlreichen weißen Teewagen, die das
Personal im ersten Akt zur Rückkehr Gianettos vorbereitet, erinnern in ihrem sterilen Weiß an Nachschränke aus einem Krankenhaus.
Musikalisch bewegt sich die Produktion auf hohem Niveau. Die gefeierte
armenische Sopranistin gibt als Ninetta ihr Pesaro-Debüt, wobei ihre Stimme für
das Dienstmädchen beinahe schon ein bisschen zu schwer ist. So stattet sie
die Partie zwar mit einem dramatischen und in den Höhen strahlenden Sopran aus,
der allerdings aufgrund seines enormen Volumens das Orchester überragt. René
Barbera begeistert als ihr Geliebter Gianetto mit höhensicherem Tenor. Lena
Belkina verfügt als Pippo über einen viril klingenden Mezzo und lässt den
Bauernjungen mit seinem Trinklied und dem eindringlichen Duett mit Machaidze zu
einem weiteren Star des Abends werden. Marko Mimica stattet den Podestà Gottardo
in Mafia-Optik mit schwarzem Bass aus und verleiht der Figur die erforderliche
Bedrohlichkeit. Aufhorchen lässt auch Teresa Iervolino als Lucia mit einem
satten Mezzo. In den kleineren Rollen gefallen vor allem Matteo Macchioni, der
den Händler Isacco mit hellem Tenor als eine Art Karikatur anlegt, und Simone
Alberghini, der den Gutsbesitzer Fabrizio Vingradito mit weichem Bass intoniert.
Star des Abends ist Alex Esposito als Ninettas Vater Fernando Villabella. Mit
großer Dramatik begeistert er im Terzett mit Machaidze und Mimica, wenn er seine
Tochter verzweifelt gegen die Annäherungsversuche des Podestà schützen,
sich dabei allerdings nicht zu erkennen geben will. Großartig legt er auch seine
Arie im zweiten Akt an, wenn er bereit ist, sich für seine Tochter zu stellen. Der Chor
und das Orchester des Teatro Comunale di Bologna unter der Leitung von Andrea
Faidutti (Chor) und Donato Renzetti (Orchester) runden den Abend musikalisch
hervorragend ab, so dass es am Ende großen Jubel für alle Beteiligten gibt.
FAZIT
Damiano Michieletto gelingt mit seiner Deutung der Geschichte als Traum ein
Zugang, der die Handlung auch in der heutigen Zeit noch plausibel macht.
Weitere Rezensionen zu dem
Rossini Opera Festival 2015 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungDonato Renzetti Regie Bühne
Kostüme Licht Chorleitung
Solisten
Fabrizio Vingradito
Lucia
Gianetto
Ninetta
Fernando Villabella
Gottardo
Pippo Isacco Antonio Giorgio Ernesto / Il Pretore Una Gazza
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- Fine -