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Rossini Opera Festival

Pesaro
10.08.2015 - 22.08.2015


La gazza ladra

Melodramma in zwei Akten
Libretto von Giovanni Gherardini
Musik von Gioachino Rossini

In italienischer Sprache mit italienischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 45' (eine Pause)

Koproduktion mit der Fondaziona Arena di Verona

Wiederaufnahme-Premiere in der Adriatic Arena in Pesaro am 10. August 2015 (Produktion aus dem Jahr 2007)
(rezensierte Aufführung: 16.08.2015)


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Rossini Opera Festival

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Alles nur ein Traum

Von Thomas Molke / Fotos vom Rossini Opera Festival


Rossini-Experte Alberto Zedda räumt La gazza ladra eine besondere Stellung unter den Werken des Schwans von Pesaro ein. Wie Semiramide und Guillaume Tell ist diese Oper zum einen wesentlich länger als Rossinis andere Kompositionen und greift zum anderen kaum auf Anleihen aus vorherigen Stücken zurück, was laut Zedda auf eine einschneidende Veränderung in Rossinis Schaffen hinweist. Während Rossini mit Semiramide seinen Rückzug aus dem italienischen Opernleben einleitet und mit Guillaume Tell seine Opernkarriere beendet, perfektioniert er in der gazza ladra die Vermischung komischer und ernster Opernelemente und verabschiedet sich endgültig von der reinen Opera buffa, die den Anfang seiner Karriere markiert hat. Dass dieses Melodramma zwar heutzutage eher selten auf den Spielplänen steht, aber sich dennoch großer Popularität erfreut, dürfte wohl vor allem der berühmten Ouvertüre zu verdanken sein, die nicht nur häufig in Wunschkonzerten erklingt, sondern auch den einen oder anderen Werbeblock zumindest in Auszügen musikalisch untermalt. Rossinis Anekdote über die Entstehung dieses Vorspiels dürfte allerdings eher im Bereich der Legenden anzusiedeln sein. Bei dem programmatischen Charakter dieser Ouvertüre scheint es zu unwahrscheinlich, dass er sie wirklich erst am Tag der Uraufführung komponiert habe, während er im Dachgeschoss der Mailänder Scala eingesperrt und von vier Maschinisten bewacht worden sei, die jedes Notenblatt sofort nach der Fertigstellung zum Kopieren aus dem Fenster werfen mussten und angeblich die Auflage gehabt haben sollen, Rossini selbst aus dem Fenster zu werfen, falls er keine Noten zu Papier bringen werde.

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Pippo (Lena Belkina) verkündet dem Personal (Chor des Teatro Comunale di Bologna), dass Gianetto auf das Landgut zurückkehrt.

Die Handlung geht zurück auf eine wahre Begebenheit, die sich Ende des 18. Jahrhunderts zugetragen haben soll und von Théodore Baudouin d'Aubigny und Louis-Charles Caigniez zu dem Theaterstück La pie voleuse verarbeitet wurde, das sich in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts großer Beliebtheit auf den europäischen Bühnen erfreute und den italienischen Librettisten Giovanni Gherardini veranlasste, für einen Opernwettbewerb in Mailand ein Libretto mit dem Titel Avviso ai giudici zu verfassen, welches zunächst Ferdinando Paër zur Vertonung angeboten wurde, der sich allerdings weigerte den Stoff zu vertonen. Rossini hingegen war sofort von der Geschichte begeistert und vertonte sie unter dem neuen Titel La gazza ladra. Darin wird das Dienstmädchen Ninetta beschuldigt, ihrer Herrin einen silbernen Löffel und eine silberne Gabel gestohlen zu haben. Als sie dabei beobachtet wird, wie sie ein ähnliches Besteck, das sie von ihrem auf der Flucht befindlichen Vater Fernando erhalten hat, an den Händler Isacco verkauft, scheint ihre Schuld bewiesen. Um ihren Vater zu schützen, verschweigt sie die Wahrheit und soll zum Tode verurteilt werden. Erst in letzter Sekunde kann der Bauernjunge Pippo beweisen, dass die eigentliche Übeltäterin eine diebische Elster ist, die das Besteck in ihrem Nest versteckt hat. Ninetta wird begnadigt und einer Hochzeit mit Giannetto, dem Sohn ihrer Herrin, steht nun nichts mehr im Wege.

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Noch sind sie glücklich vereint: Ninetta (Nino Machaidze) und Gianetto (René Barbera).

In der heutigen Zeit ist die Vorstellung, dass ein Mädchen für den vermeintlichen Diebstahl eines silbernen Löffels zum Tode verurteilt werden soll, natürlich absolut hanebüchen, so dass sich Regisseure schwer damit tun, die Geschichte nach dem Libretto zu erzählen. Auch die Darstellung der Elster stellt eine Inszenierung vor einige Probleme, da man kaum einen echten Vogel im Theater dazu bringen kann, auf Anweisung das Besteck zu stehlen. Diesbezüglich wird in einigen Produktionen auf einen Tänzer oder eine Tänzerin als diebische Elster zurückgegriffen. Auch Damiano Michieletto besetzt die Elster mit einer Tänzerin, geht dabei aber noch einen Schritt weiter. Sandhya Nagaraja stellt dabei in ihrem rot geringelten Pullover und der weißen halblangen Hose keine Elster im eigentlichen Sinn dar, sondern ist ein Mädchen, das abends Probleme mit dem Einschlafen hat und sich während der Ouvertüre gewissermaßen in die Geschichte träumt. Nachdem sie mehrere weiße Röhren in einem Baukasten aufgestellt hat, kommen diese Röhren plötzlich in riesiger Form aus dem Schnürboden herab und lassen die Traumwelt vorübergehend Wirklichkeit werden. Nagaraja klettert an einem weißen Tuch, das ebenfalls aus dem Schnürboden herabgelassen wird, empor und scheint in der ersten Szene über dem Geschehen zu schweben. Da ist dem Mädchen dann auch der Sinn nach allerlei Schabernack. So stiehlt sie zunächst Pippos Mütze und raubt dem fahrenden Händler Isacco aus seinem großen Koffer eine Kette und ein I-Pod, so dass dieser beim zweiten Mal mit einem riesigen Eisenschloss vor seinem Koffer auftritt. Dass sie die Brille des Podestà Gottardo stiehlt, macht plausibel, dass er das Schreiben, in dem er aufgefordert wird, Ninettas Vater zu verhaften, zunächst selbst nicht lesen kann.

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Gottardo (Marko Mimica, Mitte) bedrängt Ninetta (Nino Machaidze) im Gefängnis (rechts: Herrenchor des Teatro di Bologna).

Wie in einem Traum hat die Elster auch die Möglichkeit, die Szene einfrieren zu lassen, so dass sie während Pippos Trinklied zunächst heimlich Pippos Glas austrinkt und ihm dann auch noch die Hose herunterzieht, ein unnötiger Regie-Einfall. Natürlich stiehlt sie auch im weiteren Verlauf den Löffel. Zum Ende des ersten Aktes kippt die Szene allerdings dann. Langsam erkennt sie nämlich, dass sie ihren Schabernack zu weit getrieben hat. Im großen Finale versucht sie dann, ihren Fehler wieder gutzumachen, und will den gestohlenen Löffel zurückgeben. Regelrecht verzweifelt hält sie ihn Ninetta, Pippo und den anderen unter die Nase, aber diese sind von dem Diebstahl so traumatisiert, dass sie die reumütige Elster gar nicht wahrnehmen. Nagaraja spielt die Verzweiflung der Elster im Finale des ersten Aktes eindrucksvoll aus. Auch im zweiten Akt gibt sie nicht auf. Warum die Bühne hier allerdings geflutet wird, so dass alle Darsteller durch einen See waten müssen, erschließt sich nicht. Gottardos Männer, die Michieletto unnötiger Weise mit Maschinengewehren auftreten lässt, scheinen weniger ein Interesse an dem gestohlenen Löffel als an der Verurteilung Ninettas zu haben, die die Liebesbekundungen des Podestà Gottardo auch im Gefängnis noch barsch zurückweist. Als dann die Soldaten Pippo den Ring entwenden, den er Gianetto von Ninetta übergeben soll, und ihn ins Wasser werfen, ist es die Elster, die diesen Ring aufliest. Wie letztendlich Pippo und Antonio das Versteck der Elster finden, bleibt in der Inszenierung hingegen etwas unklar. Mit der Begnadigung Ninettas geht es dann jedenfalls der Elster an den Kragen. Verzweifelt versucht sie, der sie einkreisenden Menschenmenge zu entfliehen. Als dann auch noch die Maschinengewehre auf sie gerichtet werden, krabbelt sie in ihr Bett zurück und scheint, im letzten Moment aus diesem Alptraum zu erwachen, wenn da nur nicht noch Pippos Mütze wäre, die sie unter ihrem Kopfkissen findet.

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Fernando Villabella (Alex Esposito) will seine Tochter Ninetta vor der Verurteilung retten.

Das Bühnenbild von Paolo Fantin ist mit den zahlreichen überdimensionalen weißen Röhren äußerst abstrakt gehalten. Zunächst hängen die Röhren gewissermaßen als Dach über der Szene und deuten das Landgut der Vingraditos an. Scheinwerfer strahlen wie Lampen aus den Röhren auf den Boden. Im weiteren Verlauf werden diese Röhren auf den Boden herabgelassen und bilden eine Art Labyrinth, in dem sich die Protagonisten zu verlieren scheinen. Wenn sich die Röhren dann im ersten Finale in den Zuschauerraum neigen, fragt man sich, wie sie überhaupt befestigt sind, da keine Seile zu sehen sind, die sie noch im Schnürboden halten. Auch wenn man das abstrakte Bühnenbild nicht mag, dürfte die eingesetzte Technik hier durchaus beeindrucken. Im zweiten Akt liegen die Röhren dann aufgestapelt auf der Bühne und markieren die Zelle, in der Ninetta eingesperrt ist. Das Wasser auf der Bühne spiegelt sich beeindruckend in den angestrahlten Röhren. Die Richter erscheinen als eine Art Macht von oben und stehen auf einem breiten Steg, der über der Bühne aus dem Schnürboden herabgelassen wird. Wenn auch die Traumsequenz der Regie einige Freiheiten in der Inszenierung erlaubt, bleiben einige Einfälle dennoch überflüssig. So wirkt es durchaus albern, wenn sich Gottardo bei seinem Besuch im Kerker mittels Koffern eine Art Weg über die geflutete Bühne bahnen lässt. Die zahlreichen weißen Teewagen, die das Personal im ersten Akt zur Rückkehr Gianettos vorbereitet, erinnern in ihrem sterilen Weiß an Nachschränke aus einem Krankenhaus.

Musikalisch bewegt sich die Produktion auf hohem Niveau. Die gefeierte armenische Sopranistin gibt als Ninetta ihr Pesaro-Debüt, wobei ihre Stimme für das Dienstmädchen beinahe schon ein bisschen zu schwer ist. So stattet sie die Partie zwar mit einem dramatischen und in den Höhen strahlenden Sopran aus, der allerdings aufgrund seines enormen Volumens das Orchester überragt. René Barbera begeistert als ihr Geliebter Gianetto mit höhensicherem Tenor. Lena Belkina verfügt als Pippo über einen viril klingenden Mezzo und lässt den Bauernjungen mit seinem Trinklied und dem eindringlichen Duett mit Machaidze zu einem weiteren Star des Abends werden. Marko Mimica stattet den Podestà Gottardo in Mafia-Optik mit schwarzem Bass aus und verleiht der Figur die erforderliche Bedrohlichkeit. Aufhorchen lässt auch Teresa Iervolino als Lucia mit einem satten Mezzo. In den kleineren Rollen gefallen vor allem Matteo Macchioni, der den Händler Isacco mit hellem Tenor als eine Art Karikatur anlegt, und Simone Alberghini, der den Gutsbesitzer Fabrizio Vingradito mit weichem Bass intoniert. Star des Abends ist Alex Esposito als Ninettas Vater Fernando Villabella. Mit großer Dramatik begeistert er im Terzett mit Machaidze und Mimica, wenn er seine Tochter verzweifelt gegen die Annäherungsversuche des Podestà schützen, sich dabei allerdings nicht zu erkennen geben will. Großartig legt er auch seine Arie im zweiten Akt an, wenn er bereit ist, sich für seine Tochter zu stellen. Der Chor und das Orchester des Teatro Comunale di Bologna unter der Leitung von Andrea Faidutti (Chor) und Donato Renzetti (Orchester) runden den Abend musikalisch hervorragend ab, so dass es am Ende großen Jubel für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Damiano Michieletto gelingt mit seiner Deutung der Geschichte als Traum ein Zugang, der die Handlung auch in der heutigen Zeit noch plausibel macht.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Donato Renzetti

Regie
Damiano Michieletto

Bühne
Paolo Fantin

Kostüme
Carla Teti

Licht
Alessandro Carletti

Chorleitung
Andrea Faidutti



Chor und Orchester des
Teatro Comunale di
Bologna


Solisten

Fabrizio Vingradito
Simone Alberghini

Lucia
Teresa Iervolino

Gianetto
René Barbera

Ninetta
Nino Machaidze

Fernando Villabella
Alex Esposito

Gottardo
Marko Mimica

Pippo
Lena Belkina

Isacco
Matteo Macchioni

Antonio
Alessandro Luciano

Giorgio
Riccardo Fioratti

Ernesto / Il Pretore
Claudio Levantino

Una Gazza
Sandhya Nagaraja

 


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