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Musikfestspiele
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Salzburger Festspiele 2015

Die Eroberung von Mexico

Musik-Theater nach Antonin Artaud (1896–1948)
Text und Musik von Wolfgang Rihm (*1952)


Indeutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)


Premiere am 26. Juli 2015 in der Felsenreitschule
(rezensierte Aufführung: 29. Juli 2015 - zweite Aufführung)

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Salzburger Festspiele
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Von der Beziehungsunfähigkeit des modernen Mannes

Von Stefan Schmöe / Fotos © Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Dies ist keine Historienoper. Mögen die Hauptfiguren auch Montezuma und Cortez heißen und die Handlung, soweit eine solche sich überhaupt erkennen lässt, auf die blutige Unterwerfung des (keineswegs friedfertigen) Aztekenreichs durch einen Trupp spanischer Abenteurer unter Leitung von Hernando Cortez im Jahr 1520 anspielen, so bleibt das doch der Hintergrund, den ein bildungsbeflissenes Opernpublikum mitbringt. Wobei die Sache zusätzlich kompliziert wird, weil die vom Komponisten erstellte Textcollage auf Zitaten des französischen Schriftstellers, Schauspielers, Regisseurs und Theatertheoretikers Antonin Artaud (1896 – 1948) basiert, der 1936 für kurze Zeit in Mexiko lebte und seinen Entwurf Die Eroberung von Mexio seinerzeit als eine Form von Anti-Theater aus einem historisch wie geographisch anderen Blickwinkel schrieb.

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Antrittsbesuch mit Blumen. Dabei ist laut Textbuch die Begegnung von Montezuma (Angela Denoke) und Cortez (Bo Skovhus) erst eine Szene später vorgesehen.

Den mörderischen Zusammenprall zweier Kulturen deutet Regisseur Peter Konwitschny in dieser Neuproduktion von Rihms 1992 entstandener Oper um in einen Geschlechterkonflikt. Das liegt nahe, denn einerseits durchzieht die Phrase „Weiblich. Männlich. Neutral.“ als leitmotivische Fragestellung das Libretto, andererseits ist zwar die Partie des Cortez für einen Bariton, die des Montezuma aber für einen Sopran komponiert, der Gegensatz von Mann und Frau als konstituierendes Element der Musik also bereits eingebaut. Mit dem kraftvoll-virilen, stimmlich biegsamen Bo Skovhus und der bis in die höchste Lage lyrisch-geschmeidigen, ungemein durchsetzungsfähigen Angela Denoke bieten die Salzburger Festspiele eine Traumbesetzung auf, wie sie sich besser kaum denken lässt, weder musikalisch noch szenisch. Nicht nur spielen die beiden brillant das von der Regie geforderte miteinander ringende Paar vom ersten, fast schüchternen Rendezvous bis zur Katastrophenhochzeit, sie schaffen gleichzeitig die einer realen Bühnenhandlung entrückten, beinahe instrumentalen Klangräume, die dem Komponisten vorschweben dürften. Beide bekommen von der Partitur namenlose Verstärkung: Der lyrisch angelegte Montezuma zwei Soprane, einer hoch (mühelos leicht: Susanna Andersson), der andere mezzotief (da wünschte man sich von der soliden Marie-Ange Todorovitch in der unteren Lage mehr Fülle und Farben), der konträr perkussiv agierende Cortez zwei Sprecher, bei denen die konsonantischen Laute als Klangfarben mindestens so wichtig sind wie der Text (virtuos: Stephan Rehm und Peter Pruchniewitz).


Vergrößerung in neuem Fenster Schwere Geburt, gut überstanden? Das Neutrale (also weder männliche noch weibliche), das ist unsere Informationstechnologie. Die Szene ist übrigens mit "Umwälzungen" überschrieben.

Statt Mexiko also ein schickes Appartement mit vagem Blick auf die rückwärtige Küche, und das als Guckkasten auf einen Autofriedhof, der wohl unsere Kultur in Frage stellen soll, gesetzt, und das alles brechtmäßig verfremdet auf die riesig breite Bühne der Felsenreitschule. Mexiko ist trotzdem präsent, unschwer verschlüsselt, durch einen Teppich mit Aztekenmuster (oft überdeckt vom, na ja, „westlichen“ Perserteppich), und an der Wand hängt ein Gemälde von Frida Kahlo, Mexikos prominentester Malerin: „Der verwundete Hirsch“ von 1946, autobiographisch auf Kahlos schwierige Beziehung zum Ehemann anspielend. Der Eroberer Cortez wird im Cabrio vorfahren (spanisches Kennzeichen!), und er wird Auto wie Eroberungsmission vor die Wand fahren. Peter Konwitschny ist ein ungemein kluger Regisseur, jeden seiner sprudelnd vielen, auf den ersten Blick mitunter absurden Einfälle lässt er durch Text und Musik absichern. Es ist, als dechiffriere er ein Stück, unter dessen Oberfläche sich etwas andres als zunächst erwartet befindet.

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Ein Blutbad (so heißt die Regieanweisung), virtuell

Weiblich. Männlich. Na gut. Aber neutral? „Zwischen der Person, die sich in mir bewegt“, flüstert der Chor vom Band (selbiges ist aus einer Produktion der Oper Madrid übernommen). Das kann man als Hinweis auf Schwangerschaft deuten, und Montezumas Reaktion: „Das stürzt der Atem, ist ein weiblicher Schrei, dann Erschöpfung, ein schlechtes Arbeiten der Eingeweide.“ Das hört sich ganz verdächtig nach einem Geburtsvorgang an, und so lässt die Regie Frau Montezuma niederkommen, Hausgeburt, und was gebiert sie (neutral!): Smartphone, Tablet und Macbook. Das folgende Gemetzel ist eine hysterische Melange von Videospielen, vom in solchen Dingen bewährten Duo fettFilm (Momme Hinrichs und Torge Møller) bühnenfüllend produziert: Schöne neue Kommunikationswelt, die allerdings eine tatsächlich sinnvolle Kommunikation zwischen Frau und Mann fortan verhindert. Die Schlachten unserer modernen Gesellschaft bleiben virtuell. Und alles greift beziehungsreich ineinander, dass man nur so staunt über Konwitschny, den großen Dechiffrierer.


Vergrößerung in neuem Fenster Der Ehestand als Höchststrafe? Montezuma erscheint jedenfalls textbuchgetreu als "versteinerte" Statue

Aber vielleicht ist Konwitschny auch nur ein großer Taschenspieler, der virtuos jedes Detail so schnell auf seine Interpretation hin umdeutet, dass man vor lauter Schwindel das eigentliche Stück aus den Augen verliert. Die Regieanweisungen von Rihm und Artaud, aus denen der eigentliche Handlungsablauf sichtbar wird, die ignoriert er natürlich, und auf eine Inhaltsangabe (die anders lauten müsste als das, was man auf der Bühne sieht), verzichtet das Programmheft vorsorglich ganz. Das wäre an sich nicht der Rede wert, das Regietheater hat sich schon erfolgreich über ganz andere Hürden hinweggesetzt und Werke (keineswegs zu derem Nachteil) umgedeutet. Aber ein wenig hohl bleibt Konwitschnys Konstrukt schon deshalb, weil die unverhohlene Kritik an einem auf Sexualität fixiertem Männlichkeitsideal irgendwie in die Jahre gekommen ist – wie auch Konwitschnys Bemühen, das Publikum zum Mitakteur zu machen. Der Saal ist die allermeiste Zeit der Aufführung durch fahles Natriumlicht beleuchtet, dessen monochromes Gelborange alles grau erscheinen lässt. Ein Suchscheinwerfer tastet zu Beginn Bühne wie Publikum ab. Und der Bewegungschor sitzt zunächst (und nach der Pause wieder) verteilt im Publikum, stürzt auf die Bühne, wenn es dort sexuell zur Sache geht: Wir, die Zuschauer, sind die Voyeure, die den Geschlechterkampf auf Betriebstemperatur halten. Cortes präsentiert keine Marienstatue wie vorgesehen, sondern sechs junge Frauen, deren Nacktheit durch hautenge und fast komplett durchsichtige Latexanzüge noch unterstrichen wird, und denen die Publikumsvoyeure (also auch irgendwie wir) mit lechzenden Zungen zu Füßen liegen.

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Die Vernichtung des Gegners macht Cortez auch nicht glücklich

Das Publikum aber, sollte man denken, dürfte sich längst von so holzschnittartigen Geschlechterbildern verabschiedet haben. Und quasi als Gegenbeweis posaunt ein (männlicher) Besucher in der Pause: „Hätte ich gewusst, das noch sechs nackte Frauen kommen, wäre ich auch auf die Bühne gegangen.“ Dem Manne ist wohl auch von Peter Konwitschny nicht zu helfen. Die in ihrer moralisierenden Attitüde an sich nicht unsympatische, aber eben auch mitunter holzhammermäßig vereinfachende Regie geht noch weiter, und dafür wechselt Konwitschny chamäleonartig die Rolle und nimmt den Text plötzlich beim Wort: „Wie Affen giert ihr nach dem Gold, befingert es, seid hingerissen, ihr alle hungert und dürstet nur nach Gold, wie hungrige Schweine wühlt ihr nach Gold.“ Das singt Montezuma addressiert an die Spanier, und dazu steigt Angela Denoke von der Bühne in den Saal und schreit es den gutsituierten Festspielbesuchern ganz ungebrochen ins Gesicht. Hier in Salzburg. Eine Publikumsbeschimpfung ersten Ranges. Ein Skandal? Mitnichten. Kein Protest, nirgends. Nicht einmal ein kleines Buh zur Pause oder nach der Aufführung. Konwitschnys Gesellschaftskritik perlt ab, verpufft, wird – Inszenierung. Und bei allem Staunen über das inszenatorisch-musikalische Feuerwerk, vom grandiosen ORF-Radio-Sinfonieorchester Wien unter der umsichtigen Leitung von Ingo Metzmacher von verschiedensten Positionen im Saal als Super-Surround-Rundum-Beschallung annähernd perfekt dargeboten, gibt es Momente, da gehen Artauds artifizielle Text und auch Rihms mitunter schablonenhafte Musik auf die Nerven. Auch wenn der schöne Schluss, bei dem Rihm auf ein Gedicht von Octavio Paz zurückgreift und sich das eigentlich gestorbene Paar im zunehmenden Dunkel utopisch versöhnlich an den Händen berührt, versöhnt.


FAZIT

Grandios gescheitert: Peter Konwitschnys Regie zieht wirkungslos alle theatralischen Register. So viel wollten wir über Sex gar nicht wissen, schon gar nicht zu Wolfgang Rihms Musik, die in weniger konkreten Kontexten vielleicht doch besser aufgehoben ist. Spannend (und musikalisch eindrucksvoll) ist's trotzdem.






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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ingo Metzmacher

Inszenierung
Peter Konwitschny

Bühne und Kostüme
Johannes Leiacker

Video
fettFilm

Licht
Manfred Voss

Klangregie
Peter Böhm
Florian Bogner

Dramaturgie
Bettina Bartz



Ein Bewegungschor

ORF Radio-Symphonieorchester Wien


Solisten

Montezuma
Angela Denoke

Cortez
Bo Skovhus

Sopran
Susanna Andersson

Mezzosopran
Marie-Ange Todorovitch

Sprecher 1
Stephan Rehm

Sprecher 2
Peter Pruchniewitz


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