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Experiment gescheitert
Von Thomas Tillmann
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Fotos von Ruth Walz
Sie hätte eine kleine Sensation werden können, die Salzburger Dreigroschenoper, angekündigt als "Einmalige Experimentalfassung" - man hatte sich auf eine zeitgemäß-aktuelle, prägnante, vielleicht auch kontrovers inszenierte, die Gemüter erhitzende, vor allem aber auch musikalisch pfiffige Entdeckung gefreut. Peachum (Graham F. Valentine) und seine Frau (Pascal von Wroblwesky) betreiben eine gut gehende Bettlerorganisation.
Weit gefehlt. Kein auch nur ansatzweise den Intellekt herausforderndes Element, aber auch keine wirklich komische Szene bleibt in Erinnerung, Klamotte kommt, wo Groteskes gefordert wäre, Doppelbödiges, Hintergründiges. Und auch die wenigen dezidiert revuehaften Szenen - wie etwa das Bügelbrettballett der Prostituierten oder die Tanzszene der Häftlinge mit den Leitern, die Mackies Zelle formen werden - wirken trotz präziser Ausführung bemüht und ohne Pepp. Unentschlossen kommt das alles über die Rampe - eine knackige Revue- oder Musicalversion wäre immerhin eine Idee gewesen, die vielleicht großartig gescheitert wäre, aber nicht so belanglos dahergekommen wäre wie dieser nicht zuletzt wegen der langatmigen Dialoge nicht enden wollende Abend voller Einzeleinfälle, die sich nicht zu einem großen Ganzen zusammenfügten. Die Spelunken-Jenny (Sona MacDonald) kommt nicht los ... Das ist vielleicht der zentrale Eindruck: Der Aufführung fehlt es an Tempo, an Esprit, an Frische und Biss, an einem Ansatz, der drei lange Stunden fasziniert. Von Brechts (pädagogischen, politischen) Theateridealen war da nichts zu beobachten - seinen Satz zu den Banken etwa hätte man einfach nutzen müssen. Stattdessen zuviel viktorianisches Weihnachtsmärchenkolorit à la Charles Dickens - man würde sich nicht wundern, wenn plötzlich Oliver Twist als Mackies Sohn über die breite Bühne wieselte oder Sweeney Todd dem Titelhelden flink den Bart trimmte -, zu wenig echte Interpretation, keine erkennbare Aussage, nur überladene Bilder und müder Theaterzauber. Ich fühlte mich an Aufführungen bei Karl-May-Festspielen erinnert, die ähnlich provinziell, vordergründig, vorhersehbar, platt und fantasielos daherkommen. Was aber das Schlimmste ist: Das Ganze ist nicht ein bisschen unterhaltsam, sondern umständlich, langatmig, uninspiriert schon in der dritten Vorstellung. Und das merkte auch das Publikum, schon als das Licht am Ende ausging, mischten sich Buhrufe in den Beifall. ... von Mackie Messer (Michael Rotschopf), auch wenn er sie schlecht behandelt.
Michael Rotschopf ist kein unattraktiver Mann, man nimmt ihm schon ab, dass er Frauen um den Finger wickelt, aber die Aufführung zu dominieren gelingt ihm nicht, dazu bleibt sein Spiel zu glatt, dazu ist sein Singen zu kläglich, vor allem am Ende, wo man schon mehr als ein paar Schauspielertöne braucht. Hier hätte man einfach einen Darsteller mit mehr Charisma und Stimme gebraucht. Es hätte dem Projekt vielleicht nicht geschadet, wenn hier ein wirklich prominenter Schauspieler (ich musste immer an Elyas M'Barek oder Matthias Schweighöfer denken) grandios gescheitert wären. Sona MacDonald ist eine Jenny, die schon lange auf dem Liebesmarkt unterwegs ist, eine abgeklärte Frau, die nicht loskommt von dem Schwerenöter. In der Aufnahme unter HK Gruber war sie noch die Polly, hier wurde ihr die Ehre zuteil, auch noch die Moritat unendlich zerdehnt singen zu dürfen, was weder plausibel noch rasend originell war; dass die Künstlerin viel mehr kann, hat sie zahllose Male am Theater in der Josefstadt oder zuletzt als Marlene Dietrich in der Erfolgsproduktion Spatz und Engel am Burgtheater bewiesen. Polly (Sonja Beißwenger) und Lucy (Miriam Fussenegger) streiten sich um den inhaftierten Macheath (Michael Rotschopf). Pascal von Wroblewsky ist eine raumfüllende Mrs. Peachum, die im Laufe des Abends mehr und mehr an Profil gewinnt, und sie entspricht mit ihrer klaren Diktion vielleicht am ehesten dem, was Brecht und Weill von ihren Darstellern wollten, ihre "Sexuelle Hörigkeit" stand eindeutig auf der Haben-Seite. Dass ihr Gatte in dieser Produktion als Jude gezeichnet ist, wurde von den Kollegen sehr diskutiert; es ist schlicht überflüssig und unpassend und wie so vieles in dieser Produktion nicht zielführend, auch wenn Graham F. Valentine einiges an Präsenz entwickelt. Gleiches gilt für Sonja Beißwenger, die eine temperamentvoll-freche, hintergründige, vielschichtige, moderne Polly gab. Sierk Radzei war ein dauergreinender, aber nicht unrechter Brown, Miriam Fussenegger seine nicht besonders lange im Gedächtnis bleibende Bühnentochter Lucy. Es wird knapp für Herrn Macheath (Michael Rotschopf): Noch ein paar Augenblicke und er hängt am Galgen.
Hinter dem formulierten Anspruch ("Indem wir die unsterblichen Melodien dieses großartigen Komponisten neu adaptieren, wollen wir versuchen, die Herkunft seiner Musiksprache, die sich den Tanzbands der zwanziger Jahre verdankt, in die Klangwelt der zehner Jahre unseres Jahrhunderts zu transportieren") blieben Martin Lowe, der ja auch verantwortlich ist für die Bühnenmusik zum aktuellen Jedermann, und sein Team meilenweit zurück: Das Freche, Frische, stilistisch Vielfältige der Weillschen Musik geht unter in den meistens weichgespülten, zu streicher- und synthesizerlastigen Arrangements, die phasenweise sehr nach Broadway oder West End klingen (was an sich ja gar nichts Verwerfliches ist), wobei die Beschallungstechnik auch nicht berauschend gearbeitet hat. Und auch das gelegentliche Überbetonen von Nebenstimmen läuft ins Leere - man sehnte sich schnell nach der Originalfassung, die zu Beginn kurz eingespielt wird. Das eigentliche Ereignis des Unternehmens ist die Zustimmung der als schwierig bekannten Weill-Foundation zu einer Adaption an sich - das Ergebnis ist an Belanglosigkeit kaum zu überbieten. Da hatte beispielsweise Dominique Horwitz' freches "Best of" mehr kreatives Potential, atmete mehr den Geist von Brecht und Weill (eine Version ist damals auch bei der DG auf CD herausgekommen). Immerhin bewiesen die Verantwortlichen Mut, am Abend drauf eine konzertante Aufführung des Werks unter Leitung von HK Gruber mit Max Raabe (der an diesem Abend ebenso wie Gruber im Publikum saß) als Mackie auf den Spielplan zu setzen - die Einspielung aus dem Jahre 1999 ist nichts weniger als eine Referenzaufnahme des Werks.
Wie schön, Brecht ist endlich in Salzburg angekommen, wie überhaupt das Interesse an dem großen Dramatiker wieder zuzunehmen scheint. Die Salzburger Experimentalfassung indes wird dem bedeutenden Werk zu wenig gerecht, sie wird eine Momentaufnahme bleiben.
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Produktionsteam
Musikalische Gesamtleitung
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Chroeografie
Licht
Sound
Video
Solisten
Jonathan Jeremiah Peachum
Frau Peachum
Polly Peachum
Macheath
Brown
Lucy
Trauerweidenwalter
Hakenfingerjakob
Münzmatthias
Sägerobert/
Ede
Jimmy
Filch
Spelunkenjenny
Smith/Hochwürden Kimball/
Ensemble
Alexander Ernst Doevendans Dorit Ehlers Christian Fröhlich Ulrike Hallas Leah Hofmann Nabila Irshaid Maria-Pilmaiquén Jenny Milla Keskitalo Saskia Lane Bernadette Leitner Wei-Ken Liao Younha Ma Roberto Martinelli Carla Morera Cruzate Carina Nopp Johann Rosenhammer Roni Sagi Penelope Scheidler Robert Thirtle
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- Fine -