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Geister der VergangenheitVon Thomas Molke / Fotos von Clive Barda So wie Richard Wagner seinen Siegfried unterbrochen hat, um Tristan und Isolde und Die Meistersinger von Nürnberg zu komponieren, hat auch Pietro Mascagni mitten während seiner Arbeit an Guglielmo Ratcliff eine "Auszeit" genommen, in der er zunächst sein heute noch berühmtestes Werk, Cavalleria rusticana, und dann die beiden Komödien L'Amico Fritz und I Rantzau komponierte. Erst im Anschluss daran war er als Komponist in Italien so gefragt, dass er mit einem Kompositionsauftrag für die Scala sein ihm wichtigstes Werk vollenden und zur Aufführung bringen konnte. Obwohl Guglielmo Ratcliff bei der Uraufführung begeistert aufgenommen wurde, konnte es sich nicht lange auf den Spielplänen halten. Ein Grund mag die äußerst anspruchsvolle Titelpartie gewesen sein, für den sich kaum ein Interpret finden ließ. Schon vor der Uraufführung hatte der damals berühmte Tenor Francesco Tamagno die Rolle des Guglielmo abgelehnt, da sie ihm bei der hoch angelegten Tessitura für die Länge des Stückes zu anspruchsvoll war. Auch die Handlung der Oper ist mehr als fragwürdig. Margherita (Annunziata Vestri) mit den beiden getöteten Heiratskandidaten (Alexander McCabe und Riccardo Olivier) als "Geistern der Vergangenheit" Mascagni war als junger Mann Feuer und Flamme für Heinrich Heines Tragödie Wilhelm Ratcliff, in der er aufgrund seines eigenen Liebeskummers in der Titelfigur so großes Identifikationspotential sah, dass er schon während seiner Zeit am Konservatorium in Mailand beschloss, diesen Stoff zu vertonen. Erzählt wird die Geschichte des jungen Schotten Guglielmo (William) Ratcliff, der aufgrund der Zurückweisung durch die von ihm verehrte Maria MacGregor beschlossen hat, ihre potentiellen Heiratskandidaten zum Duell zu fordern und zu töten. Den dritten Kandidaten, Count Douglas, rettet er zunächst vor drei Räubern, ohne zu wissen, um wen es sich dabei handelt. Als er erfährt, dass Douglas gekommen ist, um Maria zu heiraten, fordert Guglielmo ihn ebenfalls zum Duell. Im Kampf beschwört Douglas allerdings die Geister der bereits von Ratcliff getöteten Männer herauf, und Ratcliff unterliegt dem Rivalen. Douglas verschont ihn, um ihm für den Schutz vor den Räubern zu danken. Voller Verzweiflung begibt sich Ratcliff zu Maria und bittet sie, mit ihm zu fliehen. Maria hat mittlerweile von der alten Margherita erfahren, dass ihre Mutter Elisa einst Ratcliffs Vater Edward geliebt, ihn aber zugunsten ihres Vaters MacGregor zurückgewiesen hat. Als Elisa später klar geworden ist, dass sie Edward immer noch liebt, hat MacGregor seinen Nebenbuhler getötet, und Elisa starb an gebrochenem Herzen. Nun sind es die Geister von Edward und Elisa, die Guglielmo keine Ruhe lassen. Als Maria nicht bereit ist, mit Guglielmo zu fliehen, tötet er sie und ihren Vater in einem Anfall von Wahnsinn und begeht anschließend Selbstmord. Damit finden Edwards und Elisas Geister endlich ihre Ruhe. Maria (Mariangela Sicilia, auf dem Boden liegend) sorgt sich um die Sicherheit ihres Verlobten Count Douglas (David Stout, im Hintergrund links) (über Maria: Margherita (Annunziata Vestri), im Türeingang hinten rechts: Lesley (Alexandros Tsilogiannis), vorne rechts: MacGregor (Gianluca Buratto)). Das Regie-Team um Fabio Ceresa verzichtet auf einen Versuch, die absolut abstruse Handlung in eine andere Zeit zu transferieren und bleibt in den Kostümen und dem Bühnenbild in einer Welt der Schauerromantik. Dabei nimmt ein riesiger Bilderrahmen im Bühnenbild von Tiziano Santi eine besondere Funktion ein. In den ersten beiden Akten erkennt man ihn nur ansatzweise im Hintergrund der Bühne. Als Teil der Rückwand scheint er die Geschichte in einem Bild einzufangen. Ab dem dritten Akt wird der Rahmen dann wesentlich dominanter. Bedrohlich hängt er über der Schlucht, in der Ratcliff Douglas zum Duell herausgefordert hat. Die dunklen hohen Bäume, die in diesem Rahmen dabei erkennbar werden, erinnern an die unheimliche Szenerie aus Webers Wolfsschlucht-Szene im Freischütz. Mit den beiden gewaltigen weißen Baumstämmen auf der Bühne wird deutlich, dass in diesem Ambiente das Unheimliche über die Realität dominiert. Im vierten Akt fungiert der Rahmen dann als eine Art Spiegel. Ceresa doppelt dabei zunächst das Geschehen. Nur Margherita, die die überirdischen Mächte erkennt, bewegt sich außerhalb des Spiegels. Wenn Ratcliff am Ende Maria tötet, steigt sie zu den Geistern ihrer Mutter und seines Vaters in den Spiegel und entschwindet somit dieser Welt. Auch ist es nicht Ratcliff selbst, der MacGregor tötet, sondern der Geist seines Vaters, der dem Spiegel entsteigt und mit einem imaginären Schwert seinem Mörder den Todesstoß versetzt. Ratcliff verzichtet im Anschluss auf einen Selbstmord auf der Bühne und steigt stattdessen zu den beiden Geistern und Maria in den Spiegel. So finden die Figuren am Ende in einer anderen Welt ihren Frieden. Guglielmo Ratcliff (Antonio Villari) wird beim Duell von den Geistern der Vergangenheit heimgesucht. Eine besondere Bedeutung kommt in Ceresas Inszenierung auch den Geistern zu. So befinden sich die beiden getöteten Freier als Wolfshunde während des ersten und dritten Aktes nahezu permanent auf der Bühne. Ob sie dabei im ersten Akt eine Warnung an Maria darstellen, sich nicht mit einem anderen Mann als Ratcliff einzulassen, lässt sich nur mutmaßen. Jedenfalls stehen sie in einer besonderen Beziehung zu Margherita, die wohl mit ihren magischen Fähigkeiten erkennt, wer sich hinter ihnen verbirgt. Andererseits überbringen sie Douglas auch Ratcliffs Aufforderung zum Duell und wirken dabei sehr bedrohlich, wenn sie mit Ratcliffs Brief über den Tisch krabbeln und dabei rücksichtslos das ganze Geschirr umwerfen. Im dritten Akt treten sie dann wieder gemeinsam mit Margherita auf. Wieso Margherita hier einen hohen Hochzeitsschleier wie eine Braut trägt, erschließt sich allerdings nicht. Nachdem sie Ratcliff im Duell gegen Douglas außer Gefecht gesetzt haben, löst Margherita ihre Halsbänder und lässt die beiden Geister somit frei. Übergang in eine andere Welt? Maria (Mariangela Sicilia) und Guglielmo (Antonio Villari) mit Noemi Bresciani und Mattia Agatiello als Elisa und Edward im Hintergrund Während sich dieser Ansatz noch relativ gut nachvollziehen lässt, sorgt der Ansatz, Ratcliffs Vater Edward und Marias Mutter Elisa als Hirsche mit hohen Geweihen auftreten zu lassen, doch eher für Unverständnis. Ceresa schlägt in seinen Erläuterungen zur Inszenierung vor, dass dieser Ansatz die Einsamkeit und Majestät dieser beiden Geister unterstreiche. Dieser Idee mag man zwar folgen. Logisch ist sie allerdings nicht. Auch im zweiten Akt wird nicht klar, was Ceresa mit seiner Personenregie beabsichtigt. Um anzudeuten, dass in der Kneipe von Tom Diebe und Räuber verkehren, sieht man vor der Tür einige erhängte Gestalten, bei denen es sich wahrscheinlich um Verbrecher handelt. Wieso der alte Tom, seinem Sohn Willie, der das "Vater unser" aufsagen soll, dabei allerdings einen Strick um den Hals legt und ansetzt, ihn dabei ebenfalls zu erhängen, wird nicht klar. Soll das der Grund dafür sein, dass der verängstigte Junge beim Gebet immer die gleiche Zeile vergisst? Amüsant hingegen ist, dass einer der im Anschluss auftretenden Räuber optisch an Captain Jack Sparrow aus Fluch der Karibik erinnert, auch wenn die aufwändig gestalteten hellen Kostüme von Giuseppe Palella auf bunte Farben verzichten und wie das Bühnenbild in ihren silbrig weißen Tönen den unheimlichen Charakter der Geschichte unterstreichen. Sieht man von den Logikbrüchen im Libretto ab, kommt man nicht umhin einzugestehen, dass Mascagni hier eine großartige Musik komponiert hat, die unter die Haut geht und das Publikum in Wexford zu derartigen Begeisterungsstürmen hinreißt, dass man am Ende einzelner Akte mit dem Applaus noch nicht einmal wartet, bis der letzte Takt verklungen ist, was für das unter der musikalischen Leitung von Francesco Cilluffo fabelhaft aufspielende Orchester schon beinahe schade ist. Auch die Solisten begeistern auf ganzer Linie, allen voran Angelo Villari in der Titelpartie. Mit nicht enden wollenden Kraftreserven gestaltet er den Guglielmo und wird vom Publikum frenetisch gefeiert. Dabei singt er die zahlreichen hohen Töne stets sauber aus und macht aus dem charakterlich gebrochenen Helden den Star des Abends. Mit welcher Wucht er in dem Monolog "Quando fanciullo ancora" seinen Schmerz über Marias Zurückweisung herauslässt, geht dabei unter die Haut. Auch seine große Szene im dritten Akt, wenn er Douglas im Duell unterliegt, setzt Villari mit sauberer Stimmführung und bewegendem Spiel um. Trotz der anspruchsvollen Partie, zeigt Villari zu keiner Zeit Ermüdungserscheinungen. Im Gegensatz präsentiert Villari sogar noch im Anschluss an die Vorstellung im Gala-Konzert die große Tenor-Arie "Nessun dorma" aus Puccinis Tosca. Bei dieser Stimme kann man gar nicht nachvollziehen, wieso Maria diesen heißblütigen Liebhaber einst abgewiesen haben soll. Zweiter Star des Abends ist Gianluca Buratto, der die relativ kleine Partie von Marias Vater MacGregor mit kräftigem Bass und unglaublichen Tiefen, zu einem weiteren Höhepunkt des Abends avancieren lässt. Annunziata Vestri besticht als Margherita mit großartiger Mimik durch leicht entrücktes Spiel, so dass einem die alte Frau mehr als unheimlich ist. Mit dunklem Mezzo setzt sie die Partie an und begeistert vor allem in ihrer großen Erzählung im vierten Akt, wenn der Zuschauer die ganze Vorgeschichte der Oper erfährt. Im Spiel mit den Geistern der beiden getöteten Heiratskandidaten überzeugt Vestri durch eine gewaltige Bühnenpräsenz. Mariangela Sicilia stattet die Maria mit einem mädchenhaften Sopran aus, der in den Höhen enorme Durchschlagskraft besitzt. Leider lässt die Partie es erst im vierten Akt im großen Duett mit Villari zu, dass Sicilia mit leuchtendem Sopran brillieren kann. David Stout verfügt als Count Douglas über einen kräftigen Bariton und kann im dritten Akt im Duell gegen Villari stimmlich und darstellerisch Akzente setzen. Quentin Hayes und Sarah Richmond runden das Ensemble als Tom und sein Sohn Willie stimmlich wunderbar ab, so dass es am Ende großen Beifall für alle Beteiligten gibt.
FAZIT Auch wenn sich die Handlung in Mascagnis Guglielmo Ratcliff nicht wirklich nachvollziehen lässt, enthält die Oper großartige Musik, die es durchaus rechtfertigt, dieses Werk heute noch auf den Spielplan zu stellen, zumal Fabio Ceresa eine alles in allem bewegende szenische Umsetzung gelingt.
Weitere Rezensionen zum
Wexford Festival Opera 2015 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungFrancesco Cilluffo Regie Bühne
Kostüme Licht Choreographie Chorleitung
Chor des Wexford Festival Opera
SolistenGuglielmo Ratcliff
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- Fine -