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Voodoo in WexfordVon Thomas Molke / Fotos von Clive Barda Als das Wexford Festival Opera 2012 den 150. Geburtstag von Frederick Delius zum Anlass nahm, dessen vierte Oper, A Village Romeo and Juliet, auf den Spielplan zu setzen, zeigte sich die Gesellschaft "The Delius Trust" so begeistert, dass sie ihre Bereitschaft signalisierte, ein weiteres Werk von diesem Komponisten finanziell zu unterstützen. Da Delius' Opern heute größtenteils in Vergessenheit geraten sind, stießen sie mit diesem Vorschlag in Wexford natürlich auf offene Ohren, und so ist in diesem Jahr Delius' dritte Oper Koanga beim Festival zu erleben. Dieses lyrische Drama hatte es schon bei der Uraufführung nicht leicht. Nachdem Delius es zwischen 1895 und 1897 in England komponiert hatte, fand er in England kein Opernhaus, das dieses Stück zur Uraufführung bringen wollte. Folglich übersetzte er es mit seiner zukünftigen Frau Jelka ins Deutsche und brachte es 1904 im Stadttheater Elberfeld heraus, wo das Stück allerdings eher verhalten aufgenommen wurde. Erst kurz vor seinem Tod konnte das Werk 1933 in England doch noch seine Premiere erleben, wobei die Rückübersetzung ins Englische allerdings nicht mehr ganz mit der ursprünglichen Fassung übereinstimmte. Erst 1972 haben Douglas Craig und Andrew Page versucht, das erste englische Libretto zu rekonstruieren. In Wexford präsentiert man nun die revidierte Fassung aus dem Jahr 1972. Uncle Joe (Aubrey Allicock, vorne Mitte) erzählt eine Geschichte aus längst vergangener Zeit (um ihn herum: Rachel Croash, Eleanor Garside, Frances Israel, Maria Hughes, Emma Watkinson, Vivien Conacher, Laura Murphy, Jennifer Parker und Chor). Dass die Oper es von Beginn an nicht leicht gehabt hat, mag daran liegen, dass Delius bereits lange vor Gershwins Porgy and Bess und Jerome Kerns Show Boat einen afroamerikanischen Stil vorwegnahm, der erst ungefähr 30 Jahre später seinen Weg auf die Opernbühne finden sollte. Dabei sind es vor allem Delius' persönliche Erfahrungen, die er in Florida machte, als er für seinen Vater den Anbau von Orangen auf einer Plantage beaufsichtigte, und die Berührung mit der Musik der überwiegend dunkelhäutigen Arbeiter auf dieser Plantage, die dazu geführt haben, dass Delius mit Koanga bereits zum zweiten Mal versuchte, diese Eindrücke in einer Oper zu verarbeiten. Als Vorlage diente ihm George W. Cables Novelle The Grandissimes: A Story of Creole Life, wobei die Opernhandlung am Ende in Bezug auf die Dramatik der Geschichte noch weit über Cables Novelle hinausgeht. Ob auch Delius' heimliche Liebesbeziehung zu der dunkelhäutigen Chloe Baker, mit der er ein gemeinsames Kind gehabt haben soll, zur Beschäftigung mit diesem Thema beigetragen hat, kann nur gemutmaßt werden. Simon Perez (Jeff Gwaltney) bedrängt Palmyra (Nozuko Teto). Erzählt wird die Geschichte des afrikanischen Prinzen Koanga, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Sklave auf einer Baumwollplantage in Louisiana arbeiten soll. Doch der Plantagenbesitzer Don José Martinez und sein Verwalter Simon Perez erkennen sehr schnell, dass sie diesen stolzen Prinzen kaum mit körperlicher Gewalt dazu bringen können, die Plantage wieder auf Vordermann zu bringen. Da kommt Martinez das Dienstmädchen seiner Frau, Palmyra, sehr gelegen. Die junge Mulattin soll Koanga verführen und ihm als Frau versprochen werden, wenn er auf der Plantage arbeitet. Koanga, der sich sofort in Palmyra verliebt, lässt sich darauf ein. Doch Martinez' Frau Clotilda und der Verwalter Perez sind mit diesem Plan gar nicht einverstanden. Clotilda will nicht, dass Palmyra, die die Tochter ihres Vaters mit einer Sklavin und damit Clotildas Halbschwester ist, mit einem Sklaven verheiratet wird. Perez liebt Palmyra und möchte sie selbst heiraten. Deshalb entführt er Palmyra kurz vor der geplanten Hochzeit mit Koanga. Koanga flieht mit einigen weiteren Sklaven von der Plantage und belegt sie mit einem Voodoo-Fluch. Um Palmyra zu retten, kehrt er allerdings zurück, tötet Perez und wird von Martinez hingerichtet. Bei seinem Tod schwört Palmyra ihrem christlichen Glauben ab und nimmt sich das Leben. Koanga (Norman Garrett) hat die Plantage mit einem Fluch belegt und soll nun hingerichtet werden. Die szenische Umsetzung dieser Oper dürfte jedes Regie-Team vor einige Probleme stellen, da sich die Geschichte kaum in eine andere Zeit übertragen und damit nicht wirklich modernisieren lässt. Außerdem wird mit dem Prolog und Epilog eine andere Zeitebene eingeführt, die eine Generation später spielt. Michael Gieleta gelingt mit seinem Team eine gute Lösung dieser Probleme. James Macnamara rahmt die Bühne mit hohen weißen Stellwänden ein, bei denen sich einzelne Elemente herausschieben lassen und die Decke auch herabgesenkt werden kann. So lässt sich beispielsweise ein niedriger Raum erzeugen, in dem Simon Perez Palmyra unerwünschte Avancen macht. Mit Öffnung dieser Wände kann ein Blick auf die Baumwollfelder im ersten Akt oder den Sumpf im dritten Akt freigegeben werden. Uncle Joe, der im Prolog der Oper auftritt und den acht Töchtern der nächsten Generation vom Schicksal des afrikanischen Prinzen erzählt, tritt mit den acht Mädchen und den weiteren Mitgliedern des Chores vor der Ouvertüre in dieses Bühnenbild und beginnt auf Drängen der Mädchen seine Geschichte. Durch Projektionen verwandelt sich der Raum allmählich in die Zeit, in der die nun folgenden Ereignisse spielen. Die Chormitglieder übernehmen dabei die Rolle der Sklaven. Dass sie im Gegensatz zu Koanga, Palmyra und Uncle Joe nicht dunkelhäutig sind, irritiert dabei zwar ein wenig, da auch darauf verzichtet worden ist, sie dunkelhäutig zu schminken. Da Gieleta aber auch während der drei Akte die acht Töchter immer wieder als stumme Beobachterinnen auftreten lässt, scheint man die Handlungsebene des Prologs eigentlich nicht zu verlassen, was diesen Ansatz dann doch wieder rechtfertigt. Aufbruch in eine andere Welt? (Koanga (Norman Garrett, Mitte), Palmyra (Nozuko Teto, Mitte) und die Tänzerinnen und Tänzer Mit Norman Garrett, Nozuko Teto und Aubrey Allicock hat man drei dunkelhäutige Interpreten gefunden, die die eigentliche Geschichte um Koanga auch optisch glaubhaft machen. Aubrey Allicock interpretiert neben Uncle Joe auch noch Rangwan, der gemeinsam mit Koanga versklavt worden ist. Diese Doppelbesetzung ist von Delius so gewünscht und fungiert vielleicht auch als Erklärung dafür, woher Uncle Joe diese Geschichte eigentlich kennt. Zusätzlich werden vier afrikanische Tänzerinnen und Tänzer eingeführt, die zum einen Koanga begleiten und zum anderen in ihren Tanzchoreographien dem Zauber eine glaubhafte Note zu verleihen. Wenn nämlich im Libretto eigentlich eingefordert wird, dass Koanga den Voodoo-Fluch mit einem Blutopfer beim Tanz um das Feuer durchführt, wird darauf auch aus dem Grund verzichtet, da Delius' Vorstellungen hierüber nicht mit der geschichtlich überlieferten Tradition übereinstimmen. So finden Garrett und die vier Tänzerinnen und Tänzer für den Fluch eine Bewegungssprache, die wesentlich realistischer und damit auch bedrohlicher wirkt. Bemerkenswert ist bei diesem Werk vor allem der musikalische Aufbau. Auf grandiose Weise setzt Delius bei der Musik der Sklaven und der Titelfigur Melodienbögen an, die unweigerlich an das viel später komponierte "Ol' Man River" aus Kerns Show Boat erinnern. So wird spürbar, wie Delius bei seinem Aufenthalt in Florida die Musik der Plantagenarbeiter in sich aufgesogen und für seine Oper verarbeitet haben muss. Norman Garrett ist in jeder Hinsicht eine Idealbesetzung für die Titelpartie. Optisch nimmt man ihm den unbeugsamen Prinzen, der mit der Peitsche nicht gezähmt werden kann, in jedem Moment ab. Stimmlich trumpft er mit einem kräftigen, profunden Bariton auf, der ebenfalls die Stärke dieser Figur unterstreicht. Dass nur eine Frau seinen Willen brechen und seine Herkunft für einen Moment vergessen lassen kann, wird bewegend von Garrett umgesetzt. Nozuko Teto stattet die Palmyra mit großem, dunkel-timbriertem Sopran aus und stellt die Faszination, die sie für Koanga empfindet, genauso intensiv und glaubhaft dar wie die Ablehnung, die sie für den Verwalter Simon Perez empfindet. Jeff Gwaltney hat als Perez eigentlich eine eher undankbare Rolle. Im eigentlichen Sinn ist er nicht böse, da er Palmyra nicht nur sexuell begehrt, sondern sie sogar heiraten will, was für die damalige Zeit eher ungewöhnlich war. Der eigentliche Schurke des Stückes ist Christopher Robertson als Don José Martinez. Mit schwarzem Bass und bedrohlicher Mimik vertritt er den "typischen bösen Weißen", der nur seine Plantage retten will, koste es, was es wolle. Kate Allen stattet Martinez' Frau Clotilda mit warmem Mezzo aus, der auch dem Charakter der Figur entspricht. Sie leidet stark darunter, dass ihr Vater mit Sklavinnen Kinder gezeugt hat. Gieleta suggeriert in seiner Inszenierung, dass Palmyra nicht Clotildas einzige Halbschwester ist. In der Szene, in der dieses Geheimnis offenbart wird, steht Clotilda vor einer Bilderwand, auf der in der Mitte ein großes Bild von Clotildas Vater hängt, das von zahlreichen Fotos junger Frauen umgeben ist. Diese Idee ist allerdings eigentlich nicht ganz schlüssig, da Palmyra in diesem Fall eigentlich ja keine Sonderstellung für Clotilda einnehmen würde. Da Clotilda im dritten Akt nicht mehr vorkommt, lässt Gieleta sie Opfer des Fluches werden, der auf der Plantage lastet. Wenn Palmyra sich am Ende das Leben nimmt, wird es nicht auf der Bühne gezeigt. Stattdessen erhebt sich der tote Koanga und ergreift die Hand seiner Geliebten. Gemeinsam gehen sie auf ein abstraktes Bild zu, das die afrikanische Malerin Ntombephi 'Induna' Ntobela mit dem Titel "My Sea, My Sister, My Tears" gezeichnet hat und das das Regie-Team mit dem Schicksal der Titelfigur assoziiert. Stephen Barlow arbeitet mit dem Orchester des Wexford Festival Opera die stilistische Vielfalt von Delius' Musik differenziert heraus, so dass es am Ende großen Applaus für alle Beteiligten gibt.
FAZIT Frederick Delius' Koanga ist musikalisch ein großartiges Werk, das eigentlich zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist. Richtig gerecht werden kann man der Musik allerdings, ähnlich wie bei Gershwins Porgy and Bess, nur mit dunkelhäutigen Sängern. Das betrifft eigentlich auch den Chor der Sklaven.
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Wexford Festival Opera 2015 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungStephen Barlow Regie Bühne
Projektionen
Kostüme Licht Choreographie Chorleitung
Chor des Wexford Festival Opera
SolistenKoanga
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