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Familienfehde in BilderrahmenVon Thomas Molke / Fotos von Patrick Pfeiffer
Auftritt der beiden verfeindeten Familien auf dem Markusplatz: Capellio (Baurzhan Anderzhanov, links) und Contareno (Kenneth Tarver, rechts) mit dem Chor als Volk Die Handlung spielt im Venedig des 17. Jahrhunderts. Die beiden Senatoren Contareno und Capellio befinden sich in einem Erbstreit, für den sich eine Lösung abzeichnet, da Capellio sich in Contarenos Tochter Bianca verliebt hat und bereit ist, auf seine Ansprüche zu verzichten, wenn er dafür Bianca zur Frau erhält. Bianca liebt hingegen den venezianischen General Falliero, der gerade siegreich aus dem Kampf gegen die spanischen Verschwörer zurückgekehrt ist. Contareno bedeutet hingegen die Beilegung der Familienfehde mehr als das Glück der Tochter oder der Ruhm ihres mittellosen Geliebten, und so verbietet er ihr den Umgang mit Falliero. An ihre Pflichten als Tochter gemahnend will er sie zwingen, Capellio zu heiraten. Als der Vertrag unterschrieben werden soll, platzt Falliero herein und bezichtigt Bianca der Untreue. Die Hochzeit wird verschoben, und es kommt zu einem weiteren heimlichen Treffen zwischen Falliero und Bianca, bei dem Falliero allerdings in die spanische Botschaft fliehen muss und als Verräter festgenommen wird. Als Contareno ihn zum Tode verurteilen will, gesteht Bianca ihre Mitschuld und bittet um die Verschonung des Geliebten. Schließlich lenkt Capellio ein und übergibt Falliero dem Senat, um ein Urteil über seine Schuld zu fällen. Der Senat befindet Falliero für unschuldig und gibt Bianca in seine Obhut. Erst durch Capellios Fürsprache beugt sich Contareno diesem Urteil und gibt seine Tochter für Falliero frei. Bianca (Cinzia Forte) hofft mit den Mädchen des Hauses (Damen des Chors) auf Fallieros baldige Rückkehr. Primo Antonio Petris setzt in seiner Inszenierung auf ein sehr minimalistisches Bühnenbild. So befinden sich auf der Bühne zunächst nur einige Bilderrahmen mit einem herabführenden Steg davor. Aus diesen Bilderrahmen treten Contareno und Capellio zu Beginn heraus, um ihre Familienfehde zu beenden. Im Hintergrund sieht man einige Videoprojektionen der Lagunenstadt, die bisweilen durchaus Postkartencharakter haben. Den Chor lässt Petris in der Regel mit Masken auftreten, die er nicht nur als Zeichen des Karnevals betrachtet, sondern die ihm auch die Möglichkeit geben, den Chor als anonyme Masse agieren zu lassen und ihm somit in den Ensembles einen leicht bedrohlichen Charakter zu verleihen. Unklar bleibt, was mit den beiden Schaufensterpuppen bezweckt wird. Bei Biancas erstem Auftritt wird eine männliche rote Schaufensterpuppe auf die Bühne gestellt, die zunächst von den Damen des Chors und dann auch von Bianca angehimmelt wird. Wahrscheinlich soll die Puppe Falliero darstellen. Die rote Farbe mag für die Liebe zwischen dem jungen Paar stehen, aber richtig schlüssig ist das nicht. Auch wenn später zahlreiche rote Puppen an die Rückwand projiziert werden, wird die Idee nicht griffiger. Wenn Falliero im zweiten Akt gefangen genommen worden ist, wird eine weiße weibliche Schaufensterpuppe auf die Bühne gestellt, die dann wohl Bianca darstellen soll (weiß wegen ihrer Reinheit?). Sieht man von diesen kleinen Mätzchen ab, erzählt Petris die Geschichte stringent und belässt die Konzentration auf der Musik. Contareno (Kenneth Tarver, rechts) will seine Tochter Bianca (Cinzia Forte) zwingen, Capellio (Baurzhan Anderzhanov, links) zu heiraten (Mitte: Chor als Volk). Und die hat es in der Tat in sich. Das Festival weist ein hochkarätiges Ensemble auf, um die musikalischen Qualitäten dieses Stückes voll zur Geltung zu bringen. Da ist zunächst einmal der von Ania Michalak hervorragend einstudierte Camerata Bach Chor Posen, der stimmlich und darstellerisch als venezianisches Volk, Senatoren und Contarenos Dienstmädchen mit großer Spielfreude überzeugt und durch die zahlreichen Ensembles erfreulicher Weise auch einiges zu tun hat. Mit Kenneth Tarver als Contareno hat das Festival ebenfalls einen Glücksgriff gemacht. Tarver bewältigt mit Bravour die anspruchsvolle Partie, die dem Interpreten neben Ausflügen in stupende Höhen auch ein umfangreiches Volumen in der Mittellage abverlangt. So gelingt es ihm in seiner großen Arie im ersten Akt "Pensa che omai resistere", in der er seine Tochter erst zwingen will, seinem Befehl Folge zu leisten und dann an ihr Mitleid für seine auswegslose Situation appelliert, mit einer variablen Stimmführung die Manipulationsfähigkeit dieses durch und durch unsympathischen Charakter glaubhaft zu machen. Baurzhan Anderzhanov ist wohl in diesem Festspieljahr auf die verschmähten Liebhaber spezialisiert. Nachdem er schon als Ormondo in L'inganno felice vergeblich versucht hat, die Herzogin Isabella zu erobern, wird auch als Capellio seine Liebe zu Bianca nicht erhört. Im Gegensatz zu Ormondo ist Capellio aber eine sympathische Figur und führt mit seinem Verzicht schlussendlich das lieto fine herbei. Dabei punktet Anderzhanov stimmlich mit einem markanten Bass, der in den Läufen enorme Beweglichkeit aufweist. Falliero (Victoria Yarovaya) ist verzweifelt und bereit, sich unschuldig zum Tode verurteilen zu lassen. Auch Cinzia Forte und Victoria Yarovaya lassen als Bianca und Falliero in den beiden Titelpartien keine Wünsche offen. Forte stattet die Partie der Bianca mit glasklaren Koloraturen und großer Dramatik aus. Wirkt sie in ihrer ersten Kavatine, wenn sie sehnsüchtig auf die Rückkehr Fallieros wartet, noch wie ein naives kleines Mädchen, was Forte sowohl stimmlich als auch darstellerisch glaubhaft zum Ausdruck bringt, dreht sie im finalen Rondo "Deh respirar lasciatemi" noch einmal so richtig auf, wenn sie ihr Glück darüber besingt, dass ihr Vater nun einer Hochzeit mit Falliero nicht mehr im Wege stehen wird und Capellio bereit ist, auf sie zu verzichten. In atemberaubenden Läufen lässt sie die Koloraturen nur so sprudeln. Diese Nummer ist übrigens einige der wenigen bekannten Stücke aus der Oper, wobei man sie allerdings eher als Elenas Schluss-Rondo "Tanti affetti in tal momento" aus La donna del lago kennt. Yarovaya begeistert als Falliero mit einer samtig weichen Mittellage und großartigen dramatischen Ausbrüchen in den Höhen. Einen Glanzpunkt des Abends bildet ihre Arie im zweiten Akt "Tu non sai qual colpo atroce", in der Falliero sich aufgegeben hat, weil er glaubt, dass seine Geliebte Bianca den Rivalen Capellio geheiratet habe. Wie Yarovaya sich dabei gekonnt durch die schnellen Läufe bewegt und dabei die Töne sauber ansetzt, ist beeindruckend. Als weitere Höhepunkte des Abends können die beiden Quartette im ersten und zweiten Akt bezeichnet werden, die von Forte, Yarovaya, Tarver und Anderzhanov mit großer Innigkeit umgesetzt werden. Antonino Fogliani rundet den Abend mit den beherzt aufspielenden Virtuosi Brunenses in äußerster Präzision zu einem einzigartigen Belcanto-Erlebnis hervorragend ab, so dass es am Ende nicht nur frenetischen Applaus für alle Beteiligten gibt. Auch das Feuerwerk am Premierenabend, das allerdings schon während des Schlussapplauses außerhalb der Trinkhalle einsetzt und wohl nicht im Zusammenhang mit dem Festival steht, scheint, diese großartige Aufführung kommentieren zu wollen.
FAZIT In dieser Besetzung kommen die musikalischen Qualitäten, die in dieser fast nie aufgeführten Oper stecken, wunderbar zur Geltung, und es bleibt zu hoffen, dass weitere Bühnen dieses großartige Stück auf den Spielplan stellen werden.
Weitere Rezensionen zu Rossini in
Wildbad 2015 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungAntonino Fogliani Regie, Bühnenbild und Kostüme Mitarbeit Kostüme Licht Chor
Camerata Bach Chor Posen Virtuosi Brunenses
SolistenPriuli, Doge von Venedig
Contareno, Senator
Capellio, Senator
Loredano, Senator
Falliero, Venezianischer General
Bianca, Tochter Contarenos Costanza,
Biancas Amme Pisani Ufficiale / Usciere
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