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Die Waffen der FrauVon Thomas Molke / Fotos von Roxana Vlad Rossinis L'Italiana in Algeri hat sich mittlerweile neben dem Barbiere und der Cenerentola einen festen Platz im Repertoire der Opernhäuser zurückerobert. Einen bedeutenden Anteil daran dürften nicht zuletzt die schmissige Ouvertüre, das grandiose Finale des ersten Aktes und das urkomische "Pappataci"-Terzett im zweiten Akt haben. Lange Zeit war man davon ausgegangen, dass Rossinis elfte Oper eigentlich in Venedig nur als Lückenbüßer gedacht gewesen sei, da das ursprünglich geplante Werk von Carlo Coccia, La donna selvaggia, nicht rechtzeitig fertiggestellt worden sei. Allerdings ist es wahrscheinlicher, dass Rossini höchstpersönlich den Impresario Giovanni Gallo gebeten hat, ihm den Kompositionsauftrag zu geben, da seine in Mailand im Jahr zuvor mit überwältigenden Erfolg uraufgeführte Oper La pietra del paragone bei der Wiederaufnahme in Venedig ein Flop wurde und Rossini diesen Misserfolg wettmachen wollte. Die Zeit, ein neue Libretto zu erstellen, war mit knapp vier Wochen natürlich zu kurz, so dass Rossini auf ein Stück zurückgriff, das Luigi Mosca bereits fünf Jahre zuvor für Mailand vertont hatte (Rossini In Wildbad präsentierte diese Variante übrigens 2003 und brachte auch eine Einspielung auf CD heraus). Mit einigen Überarbeitungen und Anpassungen stand die Oper, die inhaltlich ganz im Trend der damaligen Begeisterung für orientalische Themen stand, über mehrere Wochen erfolgreich auf dem Spielplan. Zulma (Silvia Aurea De Stefano, links) tröstet Elvira (Sara Blanch, vorne) (im Hintergrund: Herren des Camerata Bach Chor Posen) Die Handlung soll auf der wahren Geschichte der Mailänderin Antonietta Frappoli basieren, die 1808 Berühmtheit erlangte, als es ihr aus nicht genau geklärten Gründen gelang, aus der Gefangenschaft im Harem des Beys von Algier über Venedig in ihre Heimatstadt zurückzukehren. In der Oper ist der Bey Mustafà, was wahrscheinlich eine Anspielung auf Mustafa II. darstellen soll, der von 1798 bis 1805 als osmanischer Statthalter über die Provinz Algier herrschte, seiner Frau Elvira überdrüssig und glaubt, dass nur eine Italienerin seinen Bedürfnissen nach der "idealen Frau" entsprechen kann. Diese erscheint in Gestalt der schönen, in Algier gestrandeten Isabella, die in Begleitung ihres ältlichen Verehrers Taddeo von Livorno aufgebrochen ist, um ihren Geliebten Lindoro zu suchen, der als Sklave in Algier gefangen gehalten wird. Mit List und Charme gelingt es ihr, sich den Bey gefügig zu machen. Nachdem sie zunächst verhindert hat, dass Mustafà seine bisherige Gattin verstößt und sie dem Sklaven Lindoro zur Frau gibt, ernennt sie ihn anschließend zu einem Pappataci, dessen einzige Beschäftigung darin besteht, zu essen, zu trinken und zu schweigen. Während er diesen Aufgaben nachkommt, bricht sie mit Lindoro und Taddeo zurück nach Italien auf. Zu spät erkennt Mustafà den Betrug und bittet seine Gattin Elvira demütig um Verzeihung. Ähnlich wie in Pesaro, wo die Accademia Belcanto jedes Jahr Rossinis Il viaggio a Reims einstudiert, haben Raúl Giménez und Lorenzo Regazzo in ihren Meisterklassen der Akademie BelCanto in Bad Wildbad in diesem Jahr beschlossen, ebenfalls eine komplette Oper im Rahmen eines Workshops einzustudieren und diese als Semistage-Aufführung auf die Bühne zu bringen. Ohne Kostüme und Bühnenbild setzen die jungen Künstlerinnen und Künstler in der Personenregie von Primo Antonio Petris das Werk dabei szenisch um und begeistern dabei durch eine überwältigende Spielfreude. Man hat unter den talentierten jungen Sängerinnen sogar den Luxus, die Titelpartie doppelt zu besetzen. In der rezensierten Aufführung übernimmt Ana Victoria Pitts die Rolle der Isabella. Mit voluminöser Mittellage und dramatischen Höhen begeistert sie direkt bei ihrer Auftrittsarie "Cruda sorte!", in der sie den Gefahren der Reise aus Liebe zu ihrem Lindoro trotzt. Im zweiten Akt setzt sie ihre Kavatine "Per lui che adoro", in der sie sich auf das Rendezvous mit dem Bey vorbereitet und bei der sie mehr oder weniger heimlich von Mustafà, Lindoro und Taddeo belauscht wird, ihre weiblichen Reize stimmlich und darstellerisch großartig in Szene, so dass es regelrecht Spaß macht, zuzusehen, wie alle drei Männer diese Liebesbeteuerungen auf sich beziehen. In den Auseinandersetzungen mit Taddeo und Mustafà beweist Pitts' dunkel gefärbter Mezzo eine unglaubliche Beweglichkeit in den schnellen Läufen, und auch in ihrem berühmten Schluss-Rondò "Pensa alla patria", das sie anstimmt, kurz bevor sie mit Lindoro und Taddeo zurück in die Heimat aufbricht, begeistert Pitts mit großer Dramatik. Lindoro (Gheorghe Vlad, links) und Taddeo (Matija Mei ć, rechts) beschreiben Mustafà (Laurent Kubla, Mitte) die Vorzüge eines Lebens als Pappataci.Sara Blanch setzt als Elvira mit einem leuchtenden Sopran und klaren, sauberen Höhen dagegen. Da sie optisch der schönen Isabella in nichts nachsteht, muss sie darstellerisch deutlich machen, wieso der Bey ihrer überdrüssig ist. Und das gelingt Blanch hervorragend. Mit übertriebenen Heulkrämpfen mimt sie das devote Weibchen, das selbst dem größten Macho irgendwann auf die Nerven gehen muss. Silvia Aurea De Stefano setzt die Partie von Elviras Vertrauten Zulma mit vollem Mezzo recht kess an, steht ihrer Herrin aber stets treu zur Seite. Laurent Kubla begeistert als Mustafà mit machohaftem Gehabe und dunkel gefärbtem Bariton. Auch ihm liegen die schnellen Läufe wunderbar in der Kehle. Großen Spielwitz beweist er in dem großartigen Terzett mit Lindoro und Taddeo "Pappataci! che mai sento", wenn er sich zwar einerseits geehrt fühlt, von den Italienern zu einem Pappataci ernannt zu werden, aber nicht die geringste Idee hat, was ein Pappataci eigentlich sein soll. Wie er sich dabei selbst zum Esel macht, wird von Kubla mit großartiger Komik umgesetzt. Auch das Duett mit Lindoro im ersten Akt gelingt ihm wunderbar, wenn er diesen mit seiner Frau Elvira verkuppeln will und sämtliche Einwände des jungen Sklaven aus dem Weg räumt. Großartiges komisches Talent entfaltet auch Daniele Caputo als Haly und überzeugt dabei mit profundem Bariton. Wenn Mustafà am Ende dann wieder mit seiner Elvira zusammenkommt, darf er Elviras Vertraute Zulma auf Händen tragen. Haly (Daniele Caputo, 2. von links) durchschaut Isabellas (hier: Marina Viotti) und Taddeos (Matija Mei ć, links) Betrug, aber Mustafà (Laurent Kubla, rechts) möchte als Pappataci nichts davon hören.Matija Mei ć macht aus der Partie des Taddeo einen weiteren Höhepunkt des Abends. Mit komödiantischem Spiel setzt er den ältlichen Liebhaber Isabellas um, der ständig hofft, von ihr erhört zu werden, und erst am Ende erkennen muss, dass ihre sämtlichen Bestrebungen nur Lindoro gegolten haben. Wenn er dann vor der Wahl steht, als Kaimakan in Algier zu bleiben oder als fünftes Rad am Wagen zurück nach Italien zu kehren, entscheidet er sich zähneknirschend für Letzteres. Großartig legt er mit Pitts das Streitduett im ersten Akt an, nachdem die beiden in Algier gestrandet sind. Während sie sich zunächst in halsbrecherischen Läufen beschimpfen und getrennte Wege gehen wollen, beschließen sie dann doch zusammen zu bleiben, und Meić ist heilfroh, wenn Pitts ihn als ihren "Onkel" ausgibt und so vor dem drohenden Galgen rettet. Meićs Bariton verfügt über eine enorme Beweglichkeit und Durchschlagskraft, die sich vor allem in dem großen Terzett mit Lindoro und Mustafà zeigt. Einige Abstriche sind bei Gheorghe Vlad als Lindoro zu machen. Zwar bewegt sich Vlad mit Leichtigkeit durch die schnellen Läufe und verfügt auch über eine solide Mittellage. Die hohen Töne bereiten ihm allerdings Probleme, so dass er sehr quetschen muss und keinen tenoralen Glanz verströmen lässt. Darstellerisch steht Vlad dem restlichen Ensemble in nichts nach.
Großartig umgesetzt wird das Finale im ersten Akt. Wie
die Solisten da ihre Verwirrung mit den phonetischen Floskeln "Din-Din, Tak-Ta,
Kra-Kra" und "Bum-Bum" zum Ausdruck bringen, dabei auch noch in einer
pointierten Choreographie zur Musik zucken und das überbordende Tempo der Musik
einhalten, ist wirklich erstklassiges Musiktheater. Wenn dann auch noch Blanch
mit klirrenden Höhen die Runde macht und alle sich verzweifelt die Ohren
zuhalten, wird die Komik in dieser Szene auf die Spitze getrieben. Die von Ania
Michalak einstudierten Herren des Camerata Bach Chor Posen, die als einzige in
dieser Aufführung mit Textbüchern auftreten, begeistern als Eunuchen, Piraten
und italienische Sklaven mit homogenem Klang. José Miguel Pérez-Sierra arbeitet
mit den Virtuosi Brunenses die orchestralen Finessen der Musik in einer
wunderbar dargebotenen Ouvertüre und in einer punktgenauen Begleitung der
Solisten detailliert heraus und rundet den Abend damit hervorragend ab, so dass
es trotz der tropenhaften Temperaturen in der Trinkhalle begeisterten und lang
anhaltenden Jubel für alle Beteiligten gibt.
FAZIT
Auch wenn es kein Bühnenbild und keine Kostüme gibt, vermisst man als Zuschauer
bei dieser wunderbaren Umsetzung von Rossinis L'Italiana in Algeri nichts
und erkennt vielleicht sogar noch mehr vom Stück als in mancher von
Regie-Mätzchen durchzogenen Inszenierung. Das junge Ensemble dürfte größtenteils
noch eine vielversprechende (Rossini-) Karriere vor sich haben.
Weitere Rezensionen zu Rossini in
Wildbad 2015 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungJosé Miguel Pérez-Sierra Musikalische Workshopleitung Semistage-Workshop Leitung Chor
Herren des Virtuosi Brunenses
Secco-Rezitativbegleitung / Hammerflügel
Solisten*rezensierte Aufführung
Mustafà, Bey von Algier
Elvira, Frau des Bey
Zulma, Vertraute Elviras
Lindoro, italienischer Gefangener
Isabella, italienische Dame
Taddeo, Begleiter Isabellas
Haly, Korsar |
- Fine -