Ein paar Podeste, etwas orientalischer Kostümzauber und ein exotischer Klang - das ist die äußere Seite einer aparten Novität, die jetzt in Aix-en-Provence den Reigen der Premieren zum Auftakt mit einer besonderen auf den angrenzenden Mittelmeerraum zielenden Uraufführung abrundete. Das sparsame szenische Arrangement von Olivier Letellier in der Ausstattung von Philippe Casaban und Éric Charbeau passte zum Charme des 18.Jahrhunderts, den das "Théâtre du Jeu de Paume" selbst beisteuert. Dazu ein Griff in die eigene Tradition, eine Kombination von Instrumenten, die ebenso wie die eigene Gesangstechnik der Sänger für einen orientalischen Sound sorgte, der schnell die Schwelle zu den mitteleuropäischen Hörgewohnheiten überwand und für eine eigene Suggestionskraft entfaltete.
Kalîla wa Dimna ist eine in ihrer Heimat populäre arabische Märchensammlung aus dem 8. Jahrhundert. Der palästinensische Komponist und Sänger Moneim Adwan (*1970) hat sie als Vorlage genutzt und die Fabel vom lügnerischen Schakal, der die Freundschaft zwischen dem Löwen und dem Stier zerstört, in eine politisch durchaus brisante menschliche Konstellation übertragen. Adwan spielt dabei selbst die ziemlich fiese Rolle des Dimna, der durch Einschmeicheln zum Berater des Königs aufsteigt. Er macht den König mit dem Sänger Chatraba erst bekannt und liefert ihn dann ans Messer. War es ihm doch gelungen, das das Herz des Königs zu bewegen und damit den Neid und die Eifersucht Dimnas, aber auch der Mutter des Königs zu erwecken. Er wird verleumdet, in dem man ihm nachsagt, seine Lieder über das Leben der kleinen Leute wären subversiv zu deuten und gegen die bestehende Ordnung gerichtet. Diese Interpretation überlebt er nicht.
Als Komponist beschreitet Adwan mit dieser ersten arabischsprachigen (Kammer-)Oper für fünf Sänger und fünf Musiker Neuland. Der wie arabische Popmusik arrangierte Sound umspielt den deklamatorischen Erzählstil und entfaltet seinen eigenen Reiz.
Die Entfernung zur europäischen Operntradition wird freilich nicht nur in der Musik hörbar, sondern auch in der Vorsicht erkennbar, mit der die Fabel im historisch Allgemeinen verbleibt. Sie wird auch von der Regie dort belassen, wohl auch, um möglichen Einwänden der Zensur in den geschlossenen arabischen Gesellschaften keine Angriffsflächen zu bieten. So wie die Geschichte erzählt wird, dürfte jedenfalls keinem Potentaten sein Wasserpfeifchen verleidet werden.
Neben dem Intriganten Dimna, ist der smarte Volksliebling Chatraba der eigentliche Held der Geschichte. Jean Chahid hat mit seiner unbekümmerten Wahrheitsliebe und dem Grundvertrauen in die "Gerechtigkeit" und das Gute im Menschen die Sympathien per se auf seiner Seite. Er ist zu gut für die Welt, in der er lebt, also überlebt er nicht.
Reem Talhami legt die Würde einer Diva an den Tag für ihre Königin-Mutter, die sich als bestimmende Kraft hinter ihrem lenkbaren Sohn sieht. Ranine Chaar ist als Kalila die Gesprächspartnerin ihres Bruders, und vermittelt sozusagen seine Geschichte ihres Bruders dem Publikum. Am Ende kommen die Worte des getöteten Poeten immerhin wie ein Regen von beschriebenen Blättern von oben zurück.
FAZIT
Mit dieser arabisch-französischen Opernnovität bereichert das Festival in Aix-en-Provence nicht nur sein "klassisches" Programm, sondern stellt sich inhaltlich auf die bestehenden Verbindungen und Netzwerke in allen ans Mittelmeer grenzenden Regionen ein.
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