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Was ist hinter dem Lametta? Von Christoph Wurzel / Fotos: Andrea Kremper Als der Geist, der stets verneint, stellt sich Mephisto bei Goethe vor. Arrigo Boito hat sich in seiner (einzigen vollendeten) Oper eng an diesen Text gehalten, „Son lo spirito, che nega sempre, tutto!“. Später wird Boito für Giuseppe Verdi glänzende Libretti schreiben wie für Otello, dessen Gegenspieler Jago er ähnliche Worte des Nihilismus in den Mund legt. Mit seinem eigenen Opernlibretto dagegen hatte Boito nicht solches Glück wie in der Zusammenarbeit mit Verdi. Mefistofele fiel bei der fünfeinhalb stündigen Uraufführung erst einmal durch. Die zweite Fassung begnügt sich mit einer Goethe-Auswahl und reiht acht Szenen aus beiden „Faust“-Teilen aneinander, weniger als eine stringente Szenenfolge als eine Abfolge von Episoden - weniger ein Handlungs- als ein Ideendrama mit der Negation als Hauptidee. Der gefallene Engel Mephisto als Prophet des Bösen, des Verderbens, gegen jede Illusion und jedes Ideal. In Mefistofele spielt der Verführer und Verderber die Hauptrolle, nicht der zwar irrende, aber letztlich doch zum Guten strebende Faust. Schon im Libretto selbst wird durch die arge Verkürzung Fausts Erlösung nicht ganz klar begründet, in dieser Inszenierung erhält der Sucher und Forscher noch weniger Eigenprofil. Mephisto hat ihn ganz im Griff und gleich die ganze Welt dazu. Sie alle beten den Gott des Nichts herbei: Chorszene aus dem Prolog (Philharmonia Chor Wien) Philipp Himmelmann hat die Oper bei den Pfingstfestspielen als eine zwar bunte, aber letztlich inhaltlich wenig zielstrebige Revue inszeniert, die von der Tragödie um Faust und Gretchen wenig übrig lässt, die Chorszenen dagegen mit schriller Ironisierung aufpeppt. Aus den himmlischen Heerscharen des Prologs werden vor einem Lamettavorhang unversehens Ikonen aus Konsumszene, Showgeschäft, und Medien- ja sogar Opernwelt - von Rudolph Mooshammer über Michael Jackson und Charly Chaplin bis zu Montserrat Caballè reichen die Zitate der wahrhaft opulenten Kostüme, für die hier sehr viel investiert worden sein muss. Alles nur leerer Tand, Flitter und Glitzer - keine so neue Erkenntnis, aber hier auf der Opernbühne eine wirkungsvolle ironische Chiffre für die Sucht nach Erlösung, wo keine anderen Ideale zu sehen sind. Wohl strebt Faust nach ihnen, doch mehr als eine winzige Funzel, die in seiner Studierstube am Kabel herunter hängt, bietet ihm auch nicht Erleuchtung. Beim Osterspaziergang ist die Welt dann wieder lebendig und schrill. Im knallbunten Trachtenlook tobt das Volk seine Freuden aus. Dies ist ist des Volkes wahrer Himmel: Osterspaziergang mit Faust (oben: Charles Castronuovo) Volk (Philharmonia Chor Wien) Einziges Bühnenrequisit ist eigentlich nur der überdimensionale Totenschädel, ein Memento an den Augenblick, in dem es um die Erfüllung der Wette zwischen Herrgott und Teufel geht, also wem von Beiden Fausts Seele zufällt. Als Projektionsfläche dient diese begehbare Installation auch, um darauf in all dieser silbern glitzernden Kälte z.B. das bisschen natürliche Lebendigkeit und Wärme der Gartenszene in Form von Blumen zu projizieren. Aber auch einen Skorpion, der in Gestalt Mephistos schon bald wieder Gefahr bringen wird. Einen seltenen Moment von intensiverer Personenregie in der ansonsten von optischen Reizen dominierten Bühne bietet die Szene der Gretchenfrage. Hier entsteht eine intime Kommunikation zwischen den Figuren und die Stimmen von Faust (Charles Castronovo mit höhenstarkem Tenor) und Gretchen (Alex Penda, früher als Alexandra Pendatchanskaya schon auf den Bühnen vertreten) mischen sich zum schönen Duett. Die Walpurgisnacht wird dann erneut zum großen Auftritt für Erwin Schrotts Mefistofele. Enorm bühnenpräsent, mit viriler Kraft und schier maßlosem Stimmvolumen gebietet er über seine Adepten: „Ecco il mondo“ zeigt er ihnen die brüchige Vergänglichkeit menschlicher Existenz. Schon zeichnet sich bedrohlich das Schicksal Gretchens ab, wenn in schwindelnder Höhe eine Artistin (die Künstlerin Susanne Preissler hatten wir in Baden-Baden schon mal in Villazons Traviata-Fassung) gefährlich am Seil hängt. In der Kerkerszene kann Alex Penda ihre stimmlichen Qualitäten voll aussingen. Erst in schönem Piano, dann in einer rauschhaften Steigerung gestaltet sie diese Reue- und zugleich Weltabschiedsarie, bis Faust erscheint, beide nochmals in alten Erinnerungen schwelgen und Gretchen angesichts des leibhaftigen Teufels schließlich Faust zurückstößt: „Heinrich, mir graut vor dir!“. Ein Fest purer Schönheit: Faust begegnet Helena (Angel Joy Blue im weißen Kleid, Charles Castronovo oben und Chor) Schuldbeladen muss Faust zurückbleiben, gelangt aber im letzten Akt zum langersehnten idealen Liebeserlebnis. Boito hat an diese Stelle unvermittelt einen Teil des Helena-Aktes gefügt, die „klassische Walpurgisnacht“ aus Faust II, mit der Himmelmann allen Glamour der bisherigen Szenen toppt: Auftritt über eine geschwungene Treppe einer Modelqueen gleich die Sängerin Angel Joy Blue, afroamerikanische Sopranistin von splendider Erscheinung, im schlohweißen Abendkleid mit großem Gefolge in elegantestem Partylook, von deren Ausstrahlung allein nicht nur Faust hingerissen gewesen sein dürfte. Der intendierte Triumph absoluter Schönheit, der dieser Szene innewohnt, hätte nicht eindrucksvoller visualisiert werden können. Dass die Sängerin obendrein die balsamischen Linien in Boitos Musik kongenial nachschuf, vollendete die Perfektion dieses Eindrucks. Doch auch dies bleibt bloße Illusion. Die süßliche Serenade, die lyrischen Liebesschwüre bleiben ein Traum, der so unvermittelt entschwindet, wie er gekommen ist. Fausts Ende folgt im Epilog. Er rekapituliert sein Leben und seine Lieben und findet beglückende Ruhe in der Versenkung in „heilige Poesie“. Wenig hatte die Inszenierung zu sagen zu seiner Erlösung. Aber den großartigen Chören (neben dem stimmprächtigen Wiener Philharmonia Chor die glockenreinen jugendlichen Stimmen des Karlsruher Cantus Juvenum) gelingt wenigstens die musikalische Verklärung dieses Moments: „Ave, ave“. Zu all dem trendigen Bühnenzauber lieferten die Münchner Philharmoniker einen gewaltigen Breitbandsound. Stefan Soltesz setzte voll auf Klangopulenz, nie geriet dabei die Balance mit der Bühne ins Wanken. Die Musiker spielten mit exzellenter Klangsensibilität. Ein Fest für die Ohren war das. FAZIT Die
Aufführung punktete vor allem in musikalischer Hinsicht. Der
visuell vorherrschende Glamourlook konnte die sparsam entwickelte
Personenführung nicht in allen Szenen ersetzen. Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Video
Münchner Philharmoniker
Philharmonia Chor Wien
Cantus Juvenum Karlsruhe
Bühnenmusik
Faust
Margherita
Elena
Marta
Wagner
Pantalis
Nerèo |
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E-Mail: oper@omm.de
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