Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
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Kein Geist in SichtVon Stefan Schmöe, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Jörg Schulze
Vor die Musik haben die Verantwortlichen das Warten gesetzt. Mindestens eine Stunde vor Aufführungsbeginn möge man sich einfinden, mit Lichtbildausweis, so steht's auf dem Ticket. Die Sicherheitslage erfordert entsprechende Maßnahmen. Und so steht das Publikum geduldig vor der Probebühne IV, einem scheunenartigen Gebäude unterhalb des Festspielhauses, in einem eingezäunten Areal. Das Unkraut sprießt, ein unansehnlicher Container für die Toiletten hübscht das Ambiente auch nicht eben auf. „Richard Wagner für Kinder“ ist, so der Eindruck, auf den hässlichen Hinterhof der Festspiele ausgelagert, und bei allen Notwendigkeiten darf man schon fragen: Warum sorgen nicht wenigstens ein paar Sitzgelegenheiten und ein provisorischer Eis- und Getränkestand für gute Laune? (Angesichts der Erfolgsgeschichte dieser 2009 ins Leben gerufenen Reihe könnte man dabei über den Status eines Provisoriums hinaus sein). Bewundernswert, mit welcher Gelassenheit die anwesenden Kinder das Warten hinnehmen. Lichtbildausweise sind dann doch nicht erforderlich, denn heute herrscht unterste Risikostufe, erklärt ein Mitarbeiter des sehr präsenten Wachdienstes.
Da ist er, der fliegende Holländer, perfekt frisiert, aber das Schiff ist doch etwas klein geraten
Für die Aufführung bieten die Festspiele erneut ein formidables Profiorchester auf, nämlich das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt/Oder (in reduzierter Besetzung), und unter der Leitung von Boris Schäfer legen die Musiker höchst energisch mit der Ouvertüre los, dass einem vor lauter Sturm und Unwetter Hören und Sehen vergeht und man sich wünscht, dieses Orchester mal mit einer kompletten Wagner-Oper zu hören (bei etlichen Ungenauigkeiten der Streicher im weiteren Verlauf wird dieser Wunsch freilich bald weniger dringlich). Das ist tolles Hörkino, leider szenisch ziemlich verschenkt. Regisseurin Julia Huebner möchte dem jungen Publikum offenbar Sinn (und Unsinn) des Regietheaters vorführen und fährt zweigleisig: In der Mitte ein abstrahierter, moderner Wohnraum, in dem Senta vor dem Fernseher sitzt und in selbigem ein (modernes) Schiff auf stürmischer See betrachtet, links Daland und der Steuermann mehr pantomimisch als real die Leinen einholend, dazu ein paar Blitze; Mary ist bei diesem schlechten Wetter mit dem Fahrrad unterwegs und hatte wohl eine Reifenpanne. Der Holländer kriecht nicht aus einem Schrecken erregenden Geisterschiff, sondern aus einem harmlosen Ruderboot und ist ein netter junger Mann mit toller Fönfrisur. Er gibt sicher ein Heidengeld für Haarfestiger aus.
Irgendwie geht es um Projektionen Sentas, die Diskrepanz zwischen der banalen Alltagswirklichkeit und Jungmädchenträumen und solcherlei Zeug – man kennt das aus diversen mal mehr, mal weniger gelungenen Inszenierungen, eine der letzteren Sorte läuft ja gerade oben im Festspielhaus, und, einigermaßen gute Werkkenntnis vorausgesetzt, lassen sich solche Konzepte ja entsprechend entschlüsseln. Bei einer Fassung für Kinder zwischen 8 und 12 Jahren allerdings dürfte die Geschichte selbst stärker im Mittelpunkt stehen, und das heißt beim Holländer auch: die romantische Seite dieser nicht nur der Bezeichnung Wagners nach romantischen Oper. Ein Gespensterschiff mit unheimlichem Kapitän als Gegensatz zur bürgerlichen Welt, das ist doch an sich schon ein toller Stoff fürs Nachwuchspublikum. Hier aber präsentiert die Regie eine ziemlich öde Dekonstruktion des Stoffes, übrigens weitgehend unverständlich. Gab's im Vorjahr beim (eigentlich viel komplizierteren) Parsifal tolle Kostüme, so ist hier Alltagskleidung angesagt (nicht einmal ein Kostümbildner ist im Programmheft genannt). Dass sich Daland im Kapitänsgewand bemüht durch die Aufführung witzeln muss, worüber in der hier besprochenen dritten Aufführung niemand so recht lachen mag, macht die Sache eher öder.
Schnell einig sind sich dagegen der Holländer und Senta. Daland schaut neugierig zu.
Immerhin wird toll gesungen: Kay Stiefermann als hell timbrierter Holländer, Christiane Kohl als dramatische Senta, Jukka Rasilainen als vitaler Daland und Charles Kim als „italienisch“ gefärbter Erik haben (teils umfangreiche) Wagner-Erfahrung, dazu David Ameln, der sich hier mit einem beachtlich gesungenen Steuermann an das schwere Fach heran tastet (Eva Maria Summerer als Mary hat fast nichts zu singen), das ist eine stimmgewaltige Besetzung. Die Wucht von Wagners Musik wird in dem vergleichsweise kleinen Raum geradezu körperlich erfahrbar. Die von Katharina Wagner und Dorothea Becker erstellte Spielfassung bemüht sich, alle musikalisch zentralen Stellen beizubehalten, was ein wenig zu einem „best-of“-Medley führt – und den fliegenden Holländer ohne Chor zu spielen (ein ganz kurzer Ausschnitt des Geisterchors kommt vom Band), das ist natürlich eine herbe Einschränkung. Unentschlossen wirkt die Unterbrechung durch gesprochene Dialoge, die den musikalischen Fluss stören, aber zu wenig prägnant sind, um die Handlung wirklich zu erklären. Marko Zdralek hat die Partitur recht geschickt für die verkleinerte Orchesterbesetzung arrangiert.
Die angestrengte Regie macht wenig neugierig auf Wagner, und so bleibt es den sehr guten Sängern überlassen, musikalisch für den Komponisten zu werben.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Lichtgestaltung Solisten
Daland
Senta
Erik
Mary
Der Steuermann
Holländer
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- Fine -