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Minnesänger am seidenen FadenVon Bernd Stopka, Fotos: © OperlaAuf dem Spielplan steht Tannhäuser von Richard Wagner. Das Haus ist schon lange im Voraus ausverkauft. Vor der Kasse stehen unverdrossen Wartende und hoffen auf eine zurückgegebene Karte. Richtig, wir sind in Bayreuth. Aber nicht auf dem Festspielhügel, der regelmäßig das gleiche Bild zeigt, sondern in der Steingraeber-Passage, in der sich das Marionettentheater OPERLA fast versteckt hat, obwohl es sich wahrhaftig nicht verstecken muss. Das „la“ ist der Bayreuther Diminutiv. Verniedlicht wird mit „la“ am Ende, gern auch mit ein bisschen Understatement: A Wägala kann ein stattliches Vehikel sein (ähnlich wie das allgegenwärtige „a weng“, was nur annähernd und unzureichend mit „ein wenig“ übersetzt werden kann). So nennt sich in Bayreuth folgerichtig mit augenzwinkerndem Lokalkolorit die besagte Marionettenbühne OPERLA. Zwar wird nicht nur Oper gespielt, sondern auch Sprechtheater mit lokalkulturellem Bezug, wie z. B. Stücke über Jean Paul und die Markgräfin Wilhelmine, aber der Tannhäuser ist der größte Erfolg, das Schmankerl, das i-Tüpfelchen. OPERLA-Theaterraum Circa 50 Besucher finden auf einer Sammlung unterschiedlichster Stühle in dem kleinen Theater(la) Platz. Aufsteigende Stuhlreihen gewähren gute Sicht von allen Plätzen. Der Raum ist in rot-gold gehalten, an der linken Wand hängen verschiedenste Spiegel in goldenen Rahmen. Vorne links blickt - wie alles überwachend - eine Richard Wagner-Marionette in den Zuschauerraum. Die Ausstattung wäre der Prunksucht des Dichterkomponisten sicher sehr entgegengekommen. Glitzernde Kristallleuchter, verspielte Accessoires und durchaus auch ein bisschen Kitsch schaffen eine angenehme, leicht verspielt wirkende Puppentheateratmosphäre. Man fühlt sich wohl, was auch daran liegt, dass jeder Besucher ganz persönlich und herzlich empfangen wird. Jede/r Aktive ist mit Herzblut dabei, denn alle arbeiten hier nebenberuflich mit. Gisela Mösch-Ahner, die auch die Marionetten kunstfertig mit Liebe zum Detail und Sinn für das Praktische baut, ist Leiterin und Seele der Bühne. Jede Figur ist individuell gekleidet und frisiert, beeindruckend detailliert sind die Gesichter gearbeitet (z. B. das des Hirtenknaben). Ausdrucksvoll ist eine Gruppe von Pilgern gestaltet, die bedeutungsvoll an einem Kreuz hängt und praktischerweise mit einer Hand geführt werden kann. Die Musik wird von CD eingespielt und wurde deutlich gekürzt, überwiegend sehr geschickt und gerade bezüglich des ewig nicht enden wollenden Lamentos der Venus in der hier verwendeten Pariser Fassung auch befreiend… Auf jeden Fall aber auf ein Marionettentheater zugeschnitten. Manche Kürzungen wirken allerdings auch etwas rabiat, aber damit kann man leben. Die verwendete Aufnahme (Barenboim, Berlin 2001) zeichnet sich unter anderem durch gute Textverständlichkeit aus, was der Aufführung in besonderem Maße zuträglich ist. Tannhäuser und Venus Im ersten Akt lagert Tannhäuser auf einer überdimensional großen Venuspuppe, die ihn und seine Harfe in einer Felsenhöhle gefangen hält, deren Wände er vergeblich hinaufzuklettern versucht. Kein Wunder, dass er dieser Übermacht entfliehen will und sich lieber vor dem naturalistisch gemalten Prospekt der Wartburg auf einer mit natürlichem Material gestalteten Waldlichtung wiederfindet. Ein kurzer Schreck durchfährt den Castorf-Ring-geplagten-Festspielbesucher, wenn sich ein auf dem Bühnenboden liegender Felsen (der eigentlich einen Frauenkörper andeuten soll) öffnet und Tannhäuser geradezu ausspuckt. Das sieht aus, als ob ein Krokodil sein Maul öffnen würde – ist aber nicht beabsichtigt. Diese Tannhäuser-Inszenierung gab es schon vor Castorfs Siegfried-Krokodilen. Die schon beschriebenen Pilger überqueren die Bühne nicht zufällig auf dem Frauenfelsen, Landgraf nebst Wolfram, Biterolf und Walter (die andern wurden weggelassen) erscheinen individuell gewandet. Walter, Biterolf, Wolfram, Landgraf, Tannhäuser Die Sängerhalle auf der Wartburg ist praktikabel gebaut, mit schönen Säulen und durch einen perspektivisch gemalten Hintergrund optisch verlängert. Für Elisabeth und den Landgrafen stehen logenartige Podien bereit, beim Einzug der Gäste treten sechs jeweils gemeinsam geführte Paare auf, die sich vielfältig grüßend verbeugen. Dezent geführt antworten der Landgraf und Elisabeth mit kurzen Handbewegungen. Zu Tannhäusers Leidenschaftsausbruch umgibt ihn das rote Licht des Venusberges. Ein Effekt, den schon Siegfried Wagner in seiner letzten Tannhäuser-Inszenierung anwandte, wie man in der Ausstellung nebenan in der Steingraeber Klaviermanufaktur lesen kann. Biterolf, Landgraf, Walter, Tannhäuser, Hirtenknabe, Wolfram, im Hintergund die Pilger Über Tannhäusers Pilgerfahrt ist es Winter geworden. Tal und Wartburg sind verschneit. Der vergeblich betenden und hoffenden Elisabeth wird wortwörtlich mit einer überdimensionalen Schere der Marionetten-Lebensfaden abgeschnitten. Hinter dem Prospekt leuchtet hell der von Wolfram besungene Abendstern. Und dann zeigt sich gerade mit dem dritten Akt, dass es sich hier nicht nur um eine nett bebilderte Puppenstube handelt, sondern um eine Inszenierung, die sich mit dem Werk auseinandersetzt. Wirkt die päpstlich-göttliche Puppenspielerhand, die Tannhäuser bei seiner Romerzählung an den rhythmisch prägnanten Stellen auf den Hinterkopf schlägt, noch etwas komisch, erinnert der lang behandschuhte (Menschen-) Arm der Venus mit einem Edelsteinring, der wie ein Auge leuchtet, an die verführerische Schlange im Paradies. Die umgarnt und berührt Tannhäuser sinnlich, aber der widersteht und stirbt. Während der Schlusschor den nicht sichtbaren grünenden Bischofsstab besingt, geht ein Schneesturm nieder, in dem sich die Venushand nun Wolfram als Ersatz schnappt. Keine neue Idee, aber effektiv und gedankenanregend. Ganz besonders beeindruckt die Musikalität mit der die Puppenspieler ihre Marionetten in den liebevoll und detailreich gestalteten Bühnenbildern führen. Ebenso die Feinheiten der Bewegungen – allein wie Elisabeth sich hinkniet, hinlegt, wieder aufsteht ist ein Kabinettstückchen für sich – und manchmal lässt ein Schattenspiel sogar glauben, dass sich ein Kinn wie beim Singen bewegt. Die Begeisterung und Leidenschaft der Spieler springt auf das Publikum über; auf die Großen und die Kleinen. In der ersten Reihe in der von mir besuchten Vorstellung saßen zwei kleine Jungen, die von dem allem gänzlich fasziniert waren und nachher hinter der Bühne alles wissen und sehen wollten. Auch das ist Nachwuchsarbeit in Sachen Theater und Oper: Begeisterung mit Spaß, Genuss, Neugier und Denkanstößen wecken. Während Tannhäuser auf seiner Pilgerfahrt nach Rom darben und dürsten muss, steht für den Zuschauer ein auf das Stück bezogenes Pausenbuffet bereit. Das enthält neben Wein, „Erotikbier“ und Wasser, Bratwürsten im Brötchen und Körnergebäck in Kreuzform auch geradezu sündhaft leckere Venusbrüstchen (zarter Biskuit mit Schokobuttercremefüllung und Marzipanummantelung in offensichtlicher Form). Auch das zeigt, mit wie viel Liebe zum Detail es dem Team gelingt, den Operla-Besuch zu einem ganz besonderen Erlebnis mit vielfältigem Verwöhncharakter zu machen.
Wer Bayreuth
besucht, sollte sich eine dieser entzückenden und bezaubernden
Vorstellungen im Operla nicht entgehen lassen, und wer rechtzeitig
bestellt, bekommt auch Karten. Aufführungsserien von Tannhäuser, Wilhelmine, Jean Paul und Der Sängerkrieg der Heidehasen
stehen abwechselnd auf dem Spielplan. Als nächste Opernproduktion
ist Hänsel und Gretel in
Vorbereitung. Eine wundervolle und dankbare Oper – auch dankbar, was
die Gestaltungsideen des Pausenbüffets angeht. Die Vorfreude auf
das Gesamtpaket ist mit aller Berechtigung groß. |
ProduktionsteamRegie Figuren Bühnenbild
und
Technik Musik Musikalische
Einrichtung
PuppenspielerGisela
Mösch-Ahner
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- Fine -