Oper im See als Gesamtkunstwerk
Von Antje Schmöe
/
Fotos © Bregenzer Festspiele / Karl Forster
In Bregenz bei den Festspielen bin ich zum ersten Mal. Hier geht es ja schon mit der Kleidungsfrage los: Was ziehe ich an, wenn ich zu Festspielen(!) gehe und die Aufführung (draußen!) bis 23 Uhr dauert? Ich erkenne schnell: Alles ist möglich und erlaubt. Versierte Festspielbesucher haben große Tüten mit Accessoires für alle Eventualitäten dabei. (Am Ende bin ich trotz des schönen Sommerabends froh über meinen Mantel.) Betritt man das die Zuschauertribüne der Seebühne, könnte man fast meinen, sich in ein Stadion verlaufen zu haben: Grüne, nummerierte Klappstühle aus Plastik bilden in einem Halbkreis angeordnet den Zuschauerraum. Doch schnell stelle ich fest, dass diese Klappstühle um einiges bequemer sind, als sie zunächst aussehen, und die nächsten zwei Stunden sehr gut auszuhalten sind.
Turandots Ankunft in der Barke
Spätestens mit Beginn der Oper wäre wohl jeder noch so unbequeme Sitzplatz vergessen; Marco Arturo Marcelli sorgt in seiner Inszenierung dafür, dass ein wahres Spektakel stattfindet. Choreografien mit Feuerelementen, die sich drehende Bühne mit Leinwand und teils aufwendige Kostüme, und das alles in Kombination mit der eindrucksvoll aus dem Wasser des Bodensees aufragenden chinesischen Mauer bescheren dem Zuschauer eine kurzweilige Aufführung. Und zum Gesamtbühnenbild gehört natürlich die atemberaubende Kulisse des Bodensees im Hintergrund, welcher von der untergehenden Sonne in wunderbar rotes, eigentlich schon kitschiges Licht getaucht wird.
Gleich nochmal in groß: Turandots Ankunft in der Barke
Auch musikalisch lässt die Geschichte um den unbekannten Prinzen Calaf (Arnold Rawls), der sich auf den ersten Blick in die schöne, aber grausame Prinzessin Turandot (Katrin Kapplusch) verliebt, fast keine Wünsche offen. Gesanglich kann Arnold Rawls mich hier weitestgehend von seinen tiefgreifenden Gefühlen überzeugen. Besonders berührt mich das berühmte Nessun dorma, wie er davon singt, dass seine geliebte Turandot die gleichen Sterne sehe wie er. Ist ja auch irgendwie authentisch, weil tatsächlich gerade die Sterne aufgehen. Schauspielerisch wird mir allerdings nicht ganz klar, warum er überhaupt so große Gefühle gegenüber Turandot hegt. Ihre Ankunft in einem weißen, mit Lampions geschmückten Boot ist tatsächlich sehr schön anzusehen, aber reicht das schon für solche Gefühlsregungen gegenüber einer ziemlich kaltherzigen Person? Auch im weiteren Verlauf der Oper bleibt schauspielerisch manches auf der Strecke, erschwert durch die Doppelrolle der Figur, Calaf auf der einen und Komponist Puccini auf der anderen Seite, welche für den Zuschauer nicht immer ganz einfach zu begreifen ist – mehr dazu kann man in der Rezension aus dem vorigen Jahr, als diese Inszenierung ihre Premiere hatte, nachlesen.
Gehören in Bregenz einfach dazu: Feuerkünstler
Solche Probleme gibt es bei der Dienerin Liu, die sich für Calaf opfert, nicht. Yitian Luan überzeugt mich sowohl stimmlich als auch darstellerisch vollkommen und ruft beim Publikum Begeisterungsstürme hervor. Katrin Kapplusch beweist als Turandot sowohl schauspielerisch als auch sängerisch Haltung. Dazu kommt, dass Kostüme und Requisiten ihre Stimmung gut unterstreichen. Das passt alles, und sie wird ihrer Rolle vollständig gerecht. Besonders beeindruckend gelungen ist der Auftritt des Kaisers Altoum, Turandots Vater, welcher in vollkommener Autorität ganz in weiß in seinem Rollstuhl auf der Bühne erscheint. Trotz seines fortgeschrittenen Alters – oder gerade deshalb - wird er vom Volk verehrt. Ein wenig seltsam wird es, als er anfängt zu singen und seine ziemlich jugendlich klingende Stimme seinem Alter absolut nicht entsprechen mag. Da kommt ein wenig ungewollte Komik auf. Man muss dem Sänger, Christophe Mortagne, aber eine einwandfreie gesangliche Leistung bescheinigen. Abgerundet wird das tolle musikalische Erlebnis durch den Chor und das Orchester, die nebenan im Festspielhaus sitzen und auf den seitlich der Bühne angebrachten Leinwänden zu sehen sind. Dirigent Giuseppe Finzi sorgt dafür, dass das Zusammenspiel des guten Orchesters und der Sänger auch über die riesigen Entfernungen hinweg sehr genau ist.
Über der Seebühne steigen Lampions auf
Hätte mir das Stück in dieser Inszenierung nicht vorher schon gefallen, hätte mich spätestens das große Finale der Oper mit allem versöhnt: Wenn Turandot dem Volk ihre Liebe zu Calaf erklärt, wird auf der Seebühne noch einmal alles aufgefahren, was die Seefestspiele zu bieten haben. Die Bezeichnung „Spektakel“ erscheint hier wirklich angemessen. Mit Feuerwerk, Wasserfontänen, Lampions und voll versammelter Besetzung auf der Bühne endet die Oper und geht in den begeisterten Applaus des Publikums über.
FAZIT
Turandot in dieser Produktion ist ein tolles Erlebnis, dass man sich nicht entgehen lassen sollte.
Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
|
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Giuseppe Finzi
Inszenierung und Bühne
Marco Arturo Marelli
Kostüme
Constance Hoffmann
Licht
Davy Cunningham
Chor
Lukáš Vasilek
Benjamin Lack
Kampf-Choreographie
Ran Arthur Braun
Video
Aron Kitzig
Dramaturgie
Olaf A. Schmitt
Kleindarsteller und Statisterie
der Bregenzer Festspiele
Bühnenmusik in Kooperation mit dem
Vorarlberger Landeskonservatorium
Akrobaten und Feuerkünstler
Kinderchor der Musikmittelschule
Bregenz-Stadt
Prager Philharmonischer Chor
Bregenzer Festspielchor
Wiener Symphoniker
Solisten
* Besetzung der rezensierten Aufführung
Turandot
* Katrin Kapplusch
Mlada Khudoley
Erika Sunnegardh
Altoum
* Christophe Mortagne
Manuel von Senden
Timur
Gianluca Buratto
* Mika Kares
Calaf
Riccardo Massi
* Arnold Rawls
Rafael Rojas
Liú
* Yitian Luan
Marjukka Tepponen
Guanqun Yu
Ping
* Matija Metic
Mattia Olivieri
Pang
Peter Marsh
* Taylan Reinhard
Pong
Martin Fouirnier * Cosmin Ifrim
Kyungho Kim
Ein Mandarin
Yasushi Hirano
* Grigory Shkarupa
Unsere Rezension von Turandot
bei den Bregenzer Festspielen 2015
Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Bregenzer Festspielen
(Homepage)
|