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Festival – prall gefülltKonzertmarathon bei den 32. Tage Alter Musik in RegensburgText und Fotos von Ingo Negwer In diesem Jahr boten die Tage Alter Musik in Regensburg mit sechzehn Konzerten ein überreiches Angebot. Originalklangensembles aus Deutschland, Europa und den USA gestalteten in der historischen Altstadt an der Donau ein vielfältiges und weitgehend überzeugendes Festivalprogramm mit Musik vom Mittelalter bis zur Romantik. Das für seine langjährige Treue bekannte Publikum – viele Gesichter der eingeschworenen Fangemeinde sieht man alljährlich wieder – nahm das Angebot einmal mehr dankbar an, so dass in den Konzerten kaum ein Platz leer blieb. Ein schöner Zug der Veranstalter war, dass man sich nach dem ersten gelungenen Versuch vor zwei Jahren (mit dem Jugendbarockorchester Bachs Erben) wieder für ein Kinderkonzert entschieden hat. Das Ensemble sinn&ton führte am Samstagnachmittag „Der Sturm – Ein Jugendstück mit Alter Musik“ nach William Shakespeares gleichnamigem Drama auf. Yeree Suh, Ulrike Meyer, Roland Büchner, Uwe Gottswind, Christof Hartkopf (v.l.n.r.), Regensburger Domspatzen & L’Orfeo Barockorchester Traditionell zum Auftakt am Freitagabend sang jedoch der am Ort residierende musikalische Nachwuchs. Die Regensburger Domspatzen präsentierten sich unter der Leitung von Roland Büchner auf höchstem Niveau mit Joseph Haydns „Paukenmesse“. Die Missa in tempore belli C-Dur aus dem Jahr 1796 ist eine ebenso originell wie individuell gestaltete Komposition und bietet dem Chor große Entfaltungsmöglichkeiten, die die Domspatzen mit Klangpracht und präziser Deklamation nutzten. Den Instrumentalpart übernahm das österreichische L’Orfeo Barockorchester, das zu Beginn Haydns dreisätzige Sinfonie Nr. 30 „Alleluja“ mit kammermusikalisch transparentem Spiel interpretierte. Die Solisten des Abends waren Yeree Suh (Sopran), Ulrike Mayer (Alt), Uwe Gottswinter (Tenor) und Christoph Hartkopf (Bass). Ehe nach der Pause die „Paukenmesse“ erklang, sangen sie, begleitet von L’Orfeo, Haydns Salve Regina g-Moll als gleichsam stilles Gebet. Im anschließenden Nachtkonzert erinnerte das tschechische Tiburtina Ensemble an König Wenzel II. von Böhmen und seine Frau Judith von Habsburg. Mit Minnesang von Walther von der Vogelweide, Neidhart von Reuenthal u.a. ließen Barbara Kabátková und ihr Ensemble das Publikum in das musikalische Leben am Prager Hof des späten 13. Jahrhunderts eintauchen. Den Erzählrahmen bildete ein Marienleich Heinrichs von Meißen, genannt „Frauenlob“. Das gut einstündige Programm war musikalisch abwechslungsreich und auf einem beachtlichen Niveau. Durch Stimmpausen (die beiden Harfen mochten sich in der nächtlich kühlen Schottenkirche einfach nicht akklimatisieren) und für den durchschnittlich gebildeten Konzertbesucher unverständliche lateinische Rezitationen war es aber leider nicht ohne Längen. Große Bühne für Heinrich SchützLa Ritirata im Reichssaal Der Samstagmorgen begann schwung- und temperamentvoll mit Tänzen vom Hof der spanischen Vizekönige in Neapel. Das junge Ensemble La Ritirata aus Spanien brachte die einzigartige neapolitanische Musikkultur des 17. Jahrhunderts, in der italienische und spanische Elemente eine faszinierende Synthese eingegangen sind, zum Klingen. Spielfreudig und virtuos zogen die sieben Musikerinnen und Musiker das Publikum im Reichssaal von Beginn an in ihren Bann. In der zweiten Konzerthälfte zeigten die Instrumentalisten in kleineren Besetzungen ihre beachtlichen Fähigkeiten, beispielsweise Daniel Zapico an der Theorbe mit Improvisationen über eine Passacaglia von Giovanni Girolamo Kapsberger oder Tamar Lano (Blockflöte) mit Diego Ortiz’ Recercadas über „Doulce Memoire“. Besonders beeindruckte Enrike Solinís (Barockgitarre), der sich mit David Mayoral (Percussion) einen höchst virtuosen Wettstreit lieferte. Gaspar Sanz’ berühmtes Canarios ließ er mit außergewöhnlicher Brillanz und Präzision im Reichssaal wie ein funkensprühendes morgendliches Feuerwerk aufsteigen. Von ihm sollte später noch mehr Erstaunliches zu hören sein. Der Oboist Alfredo Bernardini war schon mehrfach in Regensburg zu Gast. Dieses Mal leitete er in der St.-Oswald-Kirche das Orchester Barokkanerne aus Norwegen. Auf dem Programm standen von Georg Philipp Telemann eine Ouvertüre B-Dur für drei Oboen, Fagott, Streicher und Basso Continuo sowie das Oboenkonzert c-Moll, außerdem zwei Solokantaten von Johann Sebastian Bach. Barokkanerne stellte sich als homogen aufeinander abgestimmte Formation vor. In Telemanns Tanzsätzen bevorzugten die Norweger frische bis sehr rasche Tempi, wobei klangliche Kontraste deutlicher hätten hervorgehoben werden können. Die Kantaten „Vergnügte Ruh, beliebte Seelenlust“ BWV 170 und “Geist und Seele wird verwirret“ BWV 35 wurden von Marianne Beate Kielmann mit warmem, in der Tiefe etwas blassem Mezzosopran gesungen. Am selben Ort war Alfredo Bernardini zusammen mit seinem Ensemble Zefiro am Montagmorgen noch einmal zu erleben. Dem ursprünglich als Freiluftkonzert geplanten Auftritt der Italiener machten die Eisheiligen, die am Pfingstwochenende mit kühlem, unbeständigen Wetter regierten, leider einen Strich durch die Rechnung. Zefiro unterhielt sein Publikum in der St.-Oswald-Kirche nichtsdestotrotz mit kurzweiliger Harmoniemusik u.a. von Wolfgang Amadeus Mozart, Gioacchino Rossini, Ludwig van Beethoven und Felix Mendelssohn Bartholdy. Im Zentrum des Programms stand die „Türkenmode“ der klassisch-romantischen Bläsermusik mit ihren charakteristischen Exotismen. Dresdner Kammerchor & Dresdner Barockorchester in der Dreieinigkeitskirche Den festlichen Höhepunkt erlebten die diesjährigen Tage Alter Musik jedoch am Samstagabend mit einer Auswahl aus den Psalmen Davids von Heinrich Schütz. Selten hat man Gelegenheit die großbesetzte Musik dieses bedeutenden deutschen Barockkomponisten zu erleben, nicht zuletzt, weil der in Venedig von Giovanni Gabrieli in der Mehrchörigkeit unterwiesene Schütz für seine Werke häufig ein großes Aufgebot an versierten Sängern und Instrumentalisten verlangt. So sind die 1619 im Druck erschienenen Psalmen jeweils mit einem doppelchörigen Favorit- und Capellchor sowie mit Basso continuo zu besetzen. Die barocke Dreieinigkeitskirche bot den passenden Raum für diese großartige Musik, die vom Dresdner Kammerchor und Dresdner Barockorchester unter der Leitung von Hans-Christoph Rademann kompetent und bravourös wiedergegeben wurde. Die Solisten Gerlinde Sämann, Isabel Jantschek (Sopran), David Erler, Stefan Kunath (Altus), Charles Daniels, Tobias Mäthger, Cenêk Svoboda (Tenor), Lisandro Abadie und Ekkehard Abele (Bass) bildeten mit verschiedenen Instrumentalisten in variablen Besetzungen die Favoritchöre. Der Kammerchor teilte sich entweder in die beiden Capellchöre auf oder stand einem Instrumentalensemble gegenüber. So gelang den Dresdnern ein vielfarbiges Klangspektrum, das von der kammermusikalischen Intimität des Psalms „Die mit Tränen säen“ bis hin zum majestätischen „Danket dem Herren, denn er ist freundlich“ reichte, mit dem das Konzert festlich zu Ende ging. Plädoyer für EuropaL’Achéron im Reichsaal. Miguel Henry, Sofie Van den Eynde, Sarah van Oudenhove Delikate Kammermusik aus dem elisabethanischen England stand am Pfingstsonntag auf dem Programm, im Reichsaal sehr beeindruckend dargeboten von L’Achéron aus Luxemburg. Mal mit tänzerischem Schwung, mal mit gesanglicher Polyphonie, aber auch melancholisch expressiv widmeten sich François Joubert-Caillet, Lucile Boulanger, Marie-Suzanne de Loye, Andreas Linos und Sarah van Oudenhove dem Schaffen Anthony Holbornes. Das wunderbar aufeinander abgestimmte Gambenconsort wurde von Miguel Henry (Laute, Cister), Sofie Vanden Eynde (Pandora) und Yoann Moulin (Cembalo) ergänzt. Das Ergebnis war ein durch die Zupf- und Tasteninstrumente variabel aufgelockerter Ensembleklang. Rachel Podger und das European Union Baroque Orchestra Anschließend präsentierte sich das European Union Baroque Orchestra unter dem Motto „Kreatives Europa“am Nachmittag in der Basilika St. Emmeram. Das Eliteorchester der Europäischen Union wurde von einer Britin, der Ausnahmegeigerin Rachel Podger, geleitet, die es sich nicht nehmen ließ, in ihrer sympathischen Moderation (in perfektem Deutsch) für Europa zu werben. Frisch, mit hör- und sichtbarer Spielfreude interpretierte das EUBO Kompositionen von Lully, Albinoni, van Wassenaer, Vivaldi und Händel. Ein überzeugendes Plädoyer für Europa und seine kulturelle Vielfalt. Davon würde man sich in diesen Tagen mehr wünschen. Am Abend spielte das Pulcinella Orchestra aus Frankreich unter der Leitung von Ophélie Gaillard Werke von Carl Philipp Emanuel Bach. Es stellte sich in der Dreieinigkeitskirche als ein weiteres exquisites Barockensemble unseres Nachbarlandes vor. Die renommierte Cellistin Gaillard übernahm den Solopart im Cellokonzert a-Moll Wq. 170. Für den Basso continuo verwendeten die Franzosen einen Hammerflügel, der sich wunderbar in den homogenen Streicherklang, etwa in der Sinfonie Nr. 5 h-Moll, einfügte. Die außergewöhnliche Triosonate „Gespräch zwischen einem Sanguineus & einem Melancholicus“ zeigte – quasi als kammermusikalisches Intermezzo nach der Pause – C.P.E. Bach als experimentierfreudigen, humorvollen Komponisten, ehe das Programm mit dem Cellokonzert A-Dur Wq. 172, wiederum mit Ophélie Gaillard als Solistin, zu Ende ging. Wurzeln in der VergangenheitEuskal Barrokensemble im Neuhaussaal. Miren Ziberio, Pablo Marin Caminero, Enrike Solinís, María Moreno Enrike Solinís hat, wie erwähnt, bereits am Samstag seine Visitenkarte als hervorragender Virtuose auf der Barockgitarre abgegeben. Am Montagnachmittag stand er mit seinem eigenen Euskal Barrokensemble auf der Bühne des Neuhaussaals. Was die Spanier dort boten, war ein Grenzen bewusst überschreitendes Konzept, mit dem sie ihr Publikum vom ersten Takt an in ihren Bann zogen. Ausgehend von Manuel de Fallas Ballett „El Amor brujo“ aus dem Jahr 1915, das an sich tief in der Tradition der andalusischen Musik wurzelt, loteten sie die Verbindungen zwischen Volks- und Kunstmusik aus. Dabei griffen sie neben Kompositionen von de Falla (1876-1946) und Joaquín Rodrigo (1901-1999) auch auf ältere Werke von Nicola Matteis, Giovanni Girolamo Kapsberger, Gaspar Sanz u.a. zurück. Solinís zeigte sich dabei auf der arabischen Úd und der Flamencogitarre ebenso versiert wie auf der Barockgitarre. Rocío Márquez (Gesang) und María Moreno (Tanz) beschworen temperamentvoll die beinahe grausam anmutende expressive Welt des Flamenco. Miren Zeberio (Violine) und Pablo Marin Caminero (Kontrabass) komplettierten zusammen mit den exzellenten Perkussionisten David „Chupete“ und Dani Garay das außergewöhnliche Ensemble, das zuletzt mit stürmischen Ovationen gefeiert wurde. Am Abend gingen die 32. Tage Alter Musik in der Dreieinigkeitskirche mit einer Rarität zu Ende. Das britische Vokalensemble Solomon’s Knot und das Orchester Les Passions de l’Ame aus der Schweiz führten, passend zum Shakespeare-Jubiläum, die „Lyric Ode on the Fairies, Aereal Beings and Witches of Shakespeare“ des früh verstorbenen Mozart-Zeitgenossen Thomas Linley (1756–1778) auf. Das Werk aus dem Jahr 1776 steht noch ganz in der Tradition der großen Oden und Oratorien, wie sie Henry Purcell und Georg Friedrich Händel in Großbritannien etabliert hatten. In den zwei Teilen der lyrischen Ode wechseln sich kurze Rezitative und Arien mit prächtigen Chören ab und weben einen lockeren Handlungsfaden durch die dramatische Welt William Shakespeares mit all ihren Fantasiewesen. Das achtköpfige Vokalensemble Solomon’s Knot mit den Protagonistinnen Zoë Brookshaw (Sopran) als Fancy und Clare Lloyd-Griffiths (Sopran) als Spirit of Avon kommunizierten auswendig singend gleichfalls mit Orchester und Publikum. Les Passions de l’Ame begleiteten die hervorragenden Sängerinnen und Sänger ebenso aufmerksam und engagiert.
Die Tage
Alter Musik in Regensburg boten wieder ein überaus abwechslungsreiches und
vielseitiges Panorama der historischen Aufführungspraxis und leuchteten auch die
Grenzbereiche der Szene aus. Wenn ein kritisches Wort zum diesjährigen Festival
angebracht ist, dann dieses, dass das Programm mit sechzehn Konzerten – jeweils
fünf alleine am Samstag und Pfingstsonntag – quasi aus den Nähten platzte. Die
Leidtragenden waren insbesondere die Instrumenten- und Musikalienaussteller im
Salzstadel, die – so zeigte sich in Gesprächen – weniger Beachtung fanden, als
in den Jahre zuvor. Eine Zeit der Muße während der Nachmittagsstunden in
Regensburgs herrlicher Altstadt würde allen sicherlich gut tun. |
13. bis 16. Mai 2016 Tage Alter Musik Regensburg Die Konzerte der 32. Tage Alter Musik: Freitag, 13. Mai
20.00
Uhr, Dreieinigkeitskirche
22.45
Uhr, Schottenkirche Samstag, 14. Mai
11.00
Uhr, Reichssaal
14.00
Uhr, Neuhaussaal, Theater am Bismarckplatz
16.00
Uhr, St.-Oswald-Kirche
20.00
Uhr, Dreieinigkeitskirche
22.45
Uhr, Minoritenkirche Sonntag, 15. Mai
11.00
Uhr, Reichssaal
14.00
Uhr, Basilika St. Emmeram
16.00
Uhr, Alte Kapelle
20.00
Uhr, Dreieinigkeitskirche
22.45
Uhr, Dominikanerkirche Montag, 16. Mai
11.00
Uhr, St.-Oswald-Kirche
14.00
Uhr, Minoritenkirche
16.00
Uhr, Neuhaussaal, Theater am Bismarckplatz
20.00
Uhr, Dreieinigkeitskirche
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