Ach, so konventionell ist diese Oper?
Von Stefan Schmöe
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Fotos © Salzburger Festspiele / Ruth Walz
Mozart, dem qua Geburtsrecht obersten Hausgott der Salzburger Festspiele, ist in diesem Jahr ein kleiner Zyklus mit den drei da Ponte-Opern gewidmet – keine Neuproduktionen, sondern Inszenierungen von Festspieldirektor Sven-Eric Bechtolf aus den vergangenen Jahren. Zeitlich liegen die allerdings so über den Festspielmonat verteilt, dass nur Anwohner oder Gäste mit hohem Zeitbudget davon profitieren (ein grundsätzliches Problem bei diesem rund 6 Wochen andauernden Festival). Cosí fan tutte aus dem Jahr 2013 geht mit (fast) komplett neuer Besetzung an den Neustart.
Können diese beiden jungen Damen untreu sein? Da muss der Alkohol schon nachhelfen, meint die Regie.
Bechtolf zeigt die Handlung als wissenschaftliches Experiment in der Entstehungszeit der Oper. Eine Schar älterer Herren, hinter Gipsmasken versteckt, beobachtet den Verlauf des Geschehens unablässig, und Don Alfonso, in dem man den Librettisten Lorenzo da Ponte erahnt, macht eifrig Notizen (Michael Volle mit großer Stimme gibt des Spielleiter souverän – ein Alfonso vom alten Schlag). Die Kostüme (Mark Bouman) sind dem historischen Rahmen verpflichtet , weniger der commedia dell'arte, die indirekt durch die Typisierung der Figuren herein spielt. Fiordiligi und Dorabella erscheinen zunächst sehr ähnlich, gleiche Figur, gleiche Frisur, fast gleiches Kleid (Fiordiligi in Pastellblau, Dorabella in Pastellgrün). Erst im Laufe der Oper gewinnen sie an individueller Kontur, wenn das Experiment Cosí fan tutte - So machen es alle (Frauen) - aus dem Ruder läuft. Bis dahin sind die Auftritte meist hübsch symmetrisch in konventioneller Buffo-Manier.
Diese beiden geben, aus unterschiedlichen Gründen, nicht viel auf Treue in Liebesdingen: Despina und Don Alfonso
Ottavio Dantone am Pult des Salzburger Mozarteumorchesters (2013 dirigierte Christoph Eschenbach die Wiener Philharmoniker) ist der perfekte und gleichzeitig der völlig falsche Dirigent für dieses Konzept. Er begleitet die Sänger unaufgeregt mit kleiner Gestik, in der Lautstärke sehr zurück genommenem, einem weichen, homogenen Klang und geschmackvoller, sich nie in den Vordergrund drängender Phrasierung. Das insgesamt gute (in schnellen Passagen mitunter unpräzise) Orchester trägt das mit viel Wohlklang und schönen Holzbläsersoli. Die kleinteilige Gestik der "Klangrede", ein aufgerautes Klangbild, wie das bei Mozart andernorts längst Standard ist, sucht man hier vergebens: Dantone umgibt die Personen mit einem Mantel aus Schönklang. Regie und Szene gehen da Hand in Hand. Aber sie zeichnen eben auch ein sehr konventionelles Bild, das die Figuren auf einem sozusagen vormozartschen Stadium einfriert als habe es den Figaro und den Don Giovanni nie gegeben.
Treueexperiment mit streng symmetrischem Bildaufbau
Die in den Ensembles homogene und insgesamt gute, aber nicht herausragende Besetzung verstärkt das. Julia Kleiter als Fiordiligi und Angela Brower als Dorabella haben im Timbre recht ähnliche, leuchtend lyrische Stimmen, was zu ihrer Verwechselbarkeit beiträgt. Julia Kleiter fehlt aber das Furor und der dramatische Aplomb, den die Fiordiligi bereits in ihrer ersten großen Arie „Come scolglio“ bräuchte, die Spitzentöne sind wohlgefällig sauber und die Koloraturen geschmeidig, aber im Gestus ist das ein hübsches Konzertstück im alten Stil. Mauro Peter als Ferrando haucht seine Arie „Un'aura amorosa“ mit betörend schönen Momenten, insgesamt fehlt es seinem Tenor (noch) an Substanz (und die Höhe ist arg eng). Arlessio Arduini singt den Guglielmo mit schlankem Bariton, der sonorer sein dürfte, aber mit seiner durchaus kernigen Interpretation bringt er ein wenig Leben in dieses gesetzte Wien-Neapel. Von der ursprünglichen Besetzung übrig geblieben ist Marina Janková als tadellose Despina, die allerdings manche Abstimmungsprobleme mit dem Orchester hat. Man möchte ihr zu Gute halten, dass es diesem durchtriebenen Zimmermädchen mit Recht musikalisch zu gleichförmig, ja zu leblos zugeht und sie flexiblere und situationsbezogenere Tempi wünscht. Man müsste diese Inszenierung einmal sehen mit einem Dirigenten, der sozusagen gegen die Regie dirigiert, die Figuren von Beginn an mit mehr musikalischem Leben füllt, eben hörbar macht, was unter der Oberfläche brodelt.
Der Fluchtversuch der Damen Fiordiligi und Dorabella ist vergebens - die "echten" Verlobten sind zurück.
Überspitzt gesagt herrscht im ersten Akt Langeweile auf hohem Niveau – jedenfalls wenn man ungleich lebendigere, von Beginn auf die Individualität der Charaktere setzende Aufführungen in Auge und Ohr hat. Bei Bechtolf kommt die Aufführung erst in der zweiten Hälfte richtig in Gang. Sehr genau hat er den Stimmungsumschwung nachgezeichnet, und die Darsteller spielen durchweg hervorragend. Am Ende sind, so radikal sieht man das selten, die „falschen“ Paare aus dem Experiment die richtigen, und die Hochzeit der „echten“ Paare eine Katastrophe. Die Flirts haben die jeweils Passenden zusammen geführt, und das soll rückgängig gemacht werden – eine Katastrophe. Don Alfonso lässt sich derweilen von seinen Wissenschaftlerkollegen feiern, weil seine These von der Untreue vermeintlich bestätigt ist. Da liegt eine bittere Melancholie über der Szene, und da ist plötzlich alles richtig, die Inszenierung, die Sänger, der Dirigent.
FAZIT
Ein oft betörend schönes Geduldsspiel hinterlässt ambivalente Eindrücke: Sven-Eric Bechtolf lässt sich und seinem Opernpersonal viel, viel Zeit bis zum berührenden Finale.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Ottavio Dantone
Inszenierung
Sven-Eric Bechtolf
Bühne und Kostüme
Mark Bouman
Bühne und Kostüme
Licht
Friedrich Rom
Chor
Ernst Raffelsberger
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Mozarteumorchester Salzburg
Solisten
Fiordiligi
Julia Kleiter
Dorabella
Angela Brower
Despina
Martina Janková
Ferrando
Mauro Peter
Guglielmo
Alessio Arduini
Don Alfonso
Michael Volle
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