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Salzburger Festspiele 2016

Faust

Opéra in fünf Akten
Libretto von Jules Barbier und Michel Carré nach Faust I von Johann Wolfgang von Goethe
Musik von Charles Gounod

In französischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 45'  (zwei Pausen)

Premiere der Neuinszenierung im Großen Festspielhaus am 10. August 2016
(Besuchte Aufführung: 14. August 2016)


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Salzburger Festspiele
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Rien? Ganz im Gegenteil!

Von Thomas Tillmann / Fotos © Monika Rittershaus

So sehr ich mit der bloß dekorativen, wenig ideenreichen, faden Danae gehadert habe, umso erfreuter war ich über die intelligente, inspirierende, spannende Salzburger Erstaufführung von Gounods Faust, gelingt es Reinhard von den Thannen und seinem Team doch, über beinahe vier Stunden trotz einer Überfülle (mitunter auch über das Ziel hinausschießender, im Programmbuch erschöpfend entwickelter) Ideen mit großer, wirkungsvoller Theatralik, mit glänzender Personenzeichnung und -führung, mit einem besonderen Händchen für starke, exzellent organisierte Massenszenen, aber auch für Komik etwa im Quartett und in faszinierender Optik eine packende, berührende, moderne Geschichte zu erzählen, ohne die Vorlage zu kompromittieren. Man fühlt mit mit diesen beiden Menschen, mit der jungen Frau, die an ihrer ersten großen Liebe zerbricht und am Ende nicht erlöst wird (riesige Orgelpfeifen ragen in der Kirchenszene wie Speere von der Decke - von den Thannen misstraut dem Trost der Religion und dem "Sauvée!"), sondern unspektakulär verschwindet, mit Faust, der in seiner Verzweiflung über die eigene Endlichkeit jeden moralischen Halt verliert - oder besser gesagt die Kontrolle über sein alter ego verliert (es ist intendiert, dass Faust und Méphistophélès sich optisch immer ähnlicher werden) und damit ein typischer Zeitgenosse ist, der schließlich schlicht mit der Masse verschmilzt, als einer von (uns) vielen, vertreten durch den vielköpfigen Chor in Kostümen, die an Clowns oder Commedia dell'Arte-Figuren erinnern, die sich "behände wie Flughunde" in bester Neuenfels-Manier durch den Bühnenraum bewegen". Und auch die immer wieder bemühten Revuezutaten fügen sich in einer so stark visuell orientierten, schnelllebigen Zeit wie der unseren glänzend in dieses Konzept. Dazu gehört auch der Schrankkoffer mit Méphistos beleuchtbarer Initiale darauf, der sich zur Garderobe öffnen lässt und wichtige Kostüme und Requisiten wie etwa Marguerites Swarovsky-Stola für die Juwelenarie bereit hält. Von den Thannens Bühnenraum allein ist faszinierend mit den an gotische Arkaden anmutenden Elementen an den Seiten der "Cinemascopebühne", in deren Zentrum ein futuristisches Halbrund sich auftut, das durch eine Rampe begehbar ist und dessen zentrales Auge sowohl an Logos von ORF und ARD aus den 1970er Jahren erinnert als auch an Zukunftsromane wie Orwells 1984 und das berühmte "Big brother is watching you" gemahnt. Besondere Erwähnung verdienen nicht zuletzt die aufwändigen, gut sitzenden Kostüme (Ausnahme ist Siebels Anzug, aber das dürfte Absicht sein; Tara Erraught kann mit etwas unfertigen, spitzen Sopran den Rezensenten trotz einer gewissen Steigerung im Laufe des Abends indes nur eingeschränkt für sich einnehmen) und das hervorragende, kluge Licht von Franck Evin. Und noch ein Detail: Statt hektischem Aktionismus und Überfrachtung beginnt jeder der drei Teile mit einigen Augenblicken, in denen der Vorhang noch geschlossen bleibt, der Zuschauer sich auf die Musik konzentrieren und sich sammeln kann.

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"Nihilist" Faust (Piotr Beczala, links) verliebt sich in das von Méphistophélès (Ildar Abdrazakov) beschworene Bild der jungen Marguerite (Maria Agresta).

"Rien" ist Fausts erstes Wort im Stück und für den Regisseur der Schlüssel zur Deutung: Faust ist ein Nihilist, ohne spirituelle Heimat, ohne Werte, die ihn wirklich tragen, ein Künstler "in einer fundamentalen Krise, in jener Stunde kurz vor dem Morgengrauen, wenn die eigene Nicht-Allmächtigkeit, Nicht-Göttlichkeit augenfällig und die Endlichkeit des eigenen Könnens zum Skandal zu werden droht", überwältigt von dem "offenbar nicht risikolos zu versöhnende(n) Gegensatz aus Theorie und Praxis, Sex und Vernunft" (wie es Mirjam Schaub in ihrem klugen, einfühlsamen Programmbuchbeitrag formuliert). Er quält sich in seinem schicken, übergroßen Ohrensessel und mit einer Masse leerer, gebündelter Blätterhaufen mit selbstzerstörerischem Grübeln - schon nach diesen ersten Minuten hat diese Figur mehr Konturen und Format als alle in der Danae. Tänzerinnen und Tänzer gibt es hier wohl auch, aber anders als in der Strauss-Produktion lenken sie nicht ab von szenischem Stillstand, sondern intensivieren entscheidende Momente, übernehmen Bewegungsabläufe, die für den Chor zu komplex wären, der nichtsdestotrotz sowohl darstellerisch wie musikalisch alles gibt (ein Sonderlob verdienen die Herren, die zu Beginn des zweiten Aktes wunderbar homogen piano sangen; Einstudierung: Walter Zeh).

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Marguerite (Maria Agresta) kann sich der Faszination des plötzlich aufgetauchten Schmucks nicht erwehren.

Wenn es an dieser Produktion etwas auszusetzen gibt, dann ist es wohl nur, dass mit Ausnahme von Marie-Ange Todorovitch, die mit eleganter Erscheinung und immer noch beachtlicher Stimme viel aus der Marthe macht, keine Muttersprachler auf der Bühne waren und somit dem französischen Idiom kaum Beachtung geschenkt wurde. Zur französischen Oper gehört eigentlich ja auch ein stattliches Ballett, aber einem Trend dieser Tage folgend, verzichtet auch diese Produktion auf die als retardierend empfundene Walpurgisnacht und Hexenküche - man fragt sich, wann Ähnliches mit Siegfrieds Rheinfahrt, dem Trauermarsch oder der Karfreitagsmusik im Parsifal passiert, hier wird ja auch gern über den langen Abend geklagt.

Viel gelöster und musizierfreudiger als bei Strauss präsentierten sich die Wiener Philharmoniker, die im Verbund mit dem hochtalentierten Alejo Pérez einen wunderbaren Sound kreierten, der genau die Grenze fand zwischen eindringlichem Pathos und Sentiment, ohne süßlich oder reißerisch zu werden, und beispielsweise in der großen Szene Marguerites das Kollektiv zum Glitzern brachte - eine große Leistung.

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Die beiden Paare treffen sich (von links nach rechts:Marie-Ange Todorovitch als Marthe, Piotr Beczala als Faust, Ildar Abdrazakov als Méphistophélès und Maria Agresta als Marguerite).

Piotr Beczala, dessen Werther im letzten Jahr mir nicht uneingeschränkt gefallen hatte, hat die Titelpartie häufig gesungen, diese Erfahrung kann er gut ausspielen, vieles gerät ihm wundervoll innig, und natürlich sitzen die Spitzentöne perfekt, auch wenn ihm im berühmten "Salut! demeure chaste et pure" die Solovioline beinahe die Show stiehlt. Am attraktivsten finde ich trotzdem die reiche Mittellage der Stimme, und ein allererster Darsteller ist der Pole wohl auch nicht. Gleiches möchte ich über Ildar Abdrazakov sagen, der als Mephisto vor allem durch seine imposante Bühnenerscheinung wirkt; das Schillernde, das Ambivalente, den Esprit der Figur, aber auch ihre dämonischen Züge weiß er weder stimmlich durch prägnante Diktion und Timing noch schauspielerisch wirklich umzusetzen, und für die tiefen Töne muss er auch nicht unerheblich arbeiten. Viel markante Stimme hatte auch Alexey Markov als legatostarker Valentin anzubieten, aber erst in seiner zweiten Szene überwand er sein eindimensionales Dauerforte. Insgesamt aber fehlte seinem Singen der letzte Feinschliff. Warum Paolo Rumetz als Wagner mitwirken durfte, war durch seine nicht mehr als ordentliche Leistung nicht gerechtfertigt - gab es da nicht einen verdienten, prominenten französischen Veteranen?

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Marguerite (Maria Agresta) endet verzweifelt und von ihren Mitmenschen verdammt.

Die bemerkenswerteste vokale Leistung steuerte Maria Agresta mit ihrem nicht riesigen, aber sehr farbigen, selbst im Pianissimo noch gehaltvollen, aber auch zu kraftvoll-unverkrampfter Attacke fähigen, beweglichen, aber nicht wirklich virtuosen lyrischen Sopran als Marguerite bei; ihre intensive Rollengestaltung jenseits von falscher Mädchenhaftigkeit, Outrage oder Sentimentalität war über die Maßen berührend. Man kann nur hoffen, dass die Italienerin lange genug mit dramatischeren Partien wartet, die ihr sicher bereits angeboten werden.


FAZIT

Ein praller, berührender, anregender Theaterabend, der auch musikalisch manchen Wunsch erfüllt und der unbedingt eine Wiederaufnahme hier oder anderswo verdient.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alejo Pérez

Regie, Bühne und Kostüme
Reinhard von der Thannen

Choreografie und Regiemitarbeit
Giorgio Madia

Licht
Franck Evin

Konzeptionelle Mitarbeit und Dramaturgie
Birgit von der Thannen

Choreinstudierung
Walter Zeh



Philharmonia Chor Wien

Wiener Philharmoniker


Solisten

Faust
Piotr Beczala

Méphistophélès
Ildar Abdrazakov

Marguerite
Maria Agresta

Valentin
Alexey Markov

Siébel
Tara Erraught

Wagner
Paolo Rumetz

Marthe
Marie-Ange Todorovitch

Tänzerinnen
Francesca Maria Amante
Adi Hanan
Aleksandra Krajewska
Denise Noack
Veselina Handzhieva
Ya-Chun Tsai

Tänzer
Steven Forster
Meita Joseph Haim Besson
Giovanni Nicolella
Björn Christer Nilsson
Axe Sebastian Pena Inchausti
Michael Schneider
Miguiel Collado Sanchez

Mimen
Augustin Alriq
Thomas Pfertner


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