Deutscher Belcanto - eine Wiederentdeckung
Von Thomas Tillmann
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Fotos © Marco Borrelli
Richard Strauss hat seine in diesem Jahr wieder in Salzburg gezeigte Die Liebe der Danae als "deutschen Belcanto" bezeichnet - man versteht die Idee, aber beim bloßen Hören assoziiert man alles andere als "Belcanto". Das ist ganz anders bei Il templario, die die renommierten Festspiele nun in zwei konzertanten Aufführungen präsentierten. Den Anstoß hierzu hatte übrigens Juan Diego Flórez gegeben, als er in einer
Email an den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Wiener Philharmoniker Interesse an dieser beinahe vergessenen Oper von Otto Nicolai (immerhin dem Gründer des berühmten Orchesters) bekundete, der mit diesem Werk eine der Erfolgsopern des Jahres 1840 komponiert hatte, die in den folgenden 40 Jahren etwa 70 Inszenierungen in Italien, aber auch in Wien und Berlin erlebte.
Die Mitwirkenden: Franz Supper (Isacco di York), Clémentine Margaine (Rebecca), Kristiane Kaiser (Rovena), Juan Diego Flórez (Vilfredo d'Ivanhoe), Luca Salsi (Briano di Bois-Guilbert), Adrian Sâmpetrean (Cedrico il Sassone), die Wiener Philharmoniker und Salzburger Bachchor
Und sie ist herrlich, diese Musik: reinster, vor allem an Bellini orientierter Belcanto, aber sich an vielen Stellen doch über dessen mitunter etwas konventionelle Formensprache erhebend, gehaltvoller, harmonisch raffinierter, sinfonischer auch. Besonders in Erinnerung bleiben wunderbare Vorspiele zu wichtigen Soloarien, besonders die effektvoll-intensive Celloeinleitung der Briano-Arie, die jene zu Filippos großer Szene in Verdis Don Carlo beinahe vorwegnimmt.
Andrés Orozco-Estrada machte den Wiener Philharmonikern ordentlich Dampf, die entsprechend wunderbar glutvoll, süffig und voller Verve musizierten, die zündenden Melodien, die ins Bein oder ans Herz gehen, und mitreißende Rhythmik auskosteten und dabei trotzdem stets elegant und transparent spielten, auch in den prächtigen Tableaus und bereits in der kontrastreichen Sinfonia, die eine schöne Alternative darstellt zu den immer gleichen Titeln, die in Konzerten gegeben werden.
Juan Diego Flórez als Vilfredo d'Ivanhoe
Juan Diego Flórez stieg mit einer sehr hohen, reich versierten Auftrittsarie ein, die sich bis zum E in alto hochschraubt und die einer der Gründe sein mag, warum das Werk nicht den Weg ins Repertoire finden wird - nur eine Handvoll Tenöre wird sie überhaupt adäquat bewältigen können, womöglich aber nicht mit einer so mühelosen Attacke, einer so eleganten Stimmführung und so strahlenden Acuti wie der Peruaner, der neben aller vokalen Brillanz eben auch ein charismatischer Interpret ist, besonders nachdrücklich gegen Ende, wenn er seinen Vater um Vergebung bittet.
Ähnlich gefeiert wurde Luca Salsi, der seinen kraftvollen, aber beweglichen, wenn auch nicht wirklich virtuosen Heldenbariton äußerst expressiv in den Dienst der Sache stellte und sich geradezu auf den Part des Briano di Bois-Guilbert stürzte. Wilde Forteentladungen standen neben geschmackvoll zarten Piani, man bewunderte die große Bandbreite an vokalen Farben und wünschte sich allenfalls, dass der Italiener noch häufiger zu einer eleganteren Phrasierung findet - das messa di voce in seiner Kadenz zeigte, dass auch dafür großes Potential vorhanden ist.
Die größte Überraschung war für mich aber die junge Französin Clémentine Margaine, die als Rebecca mit ihrem aufregenden, feurigen, auch metallische Nuancen aufweisenden, in allen Lagen gut ausgebildeten Mezzosopran und einer zupackenden, intensiven Interpretation die Kolleginnen und Kollegen beinahe an die Wand sang - man kann sie sich sehr gut als Carmen vorstellen, die sie inzwischen allerorts singt, aber auch als Berlioz' Didon oder Marguerite, und man hofft, dass sie mit Partien wie Eboli und Amneris noch etwas warten wird. Nicht ganz so charismatisch, aber immer noch mit vielen hervorragenden Einzelmomenten und sehr präsenten Spitzentönen in den Ensembles punktend präsentierte sich Kristiane Kaiser als Rovena, die vor allem an der Volksoper Wien wichtige Partien des lyrischen wie jugendlich-dramatischen Fachs singt.
Adrian Sâmpetrean steuerte vor allem im Dialog mit Juan Diego Flórez im zweiten Teil als Cedrico il Sassone einige interessante Phrasen bei, und auch Armando Piña (als Luca di Beaumanoir), Franz Supper (Isacco di York) und die Damen und Herren des Salzburger Bachchores machten ihre Sache ganz hervorragend (wobei der Chorpart anders als in mancher Belcantooper durchaus abwechslungsreich und anspruchsvoll ist).
FAZIT
So diskutabel es ist, so bühnenwirksame Werke wie Puccinis Manon Lescaut und Massenets Thaïs in konzertanter Form zu präsentieren, so nachvollziehbar ist es, bei Nicolais Oper auf eine szenische Produktion zu verzichten: Die Handlung ist verworren und arg historisch, es reihen sich vor allem lange Soloszenen aneinander - nicht gerade günstige Zutaten für einen packenden Theaterabend. Die glänzende Partitur des deutschen Komponisten mit dem Faible für die italienische Oper aber macht durchgängig Spaß und gehört auch außerhalb exklusiver Festspiele aufgeführt, wenn man entsprechende Interpreten zur Verfügung hat. Man freut sich auf die (vermutlich geplante) Veröffentlichung des Mitschnitts, den der ORF am 3. September ausstrahlt, derjenige von der Oper Chemnitz aus dem Jahre 2008 ist verdienstvoll, aber eben nicht immer mit ersten Kräften besetzt.
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