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Salzburger Festspiele 2016

The Exterminating Angel

Oper in drei Akten
Libretto von Tom Cairns (*1952) in Zusammenarbeit mit Thomas Adès
basierend auf dem von Luis Buñuel und Luis Alcoriza verfassten Drehbuch zum Film El ángel exterminador
Musik von Thomas Adès


In englischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)


Uraufführung am 28. Juli 2016 im Haus für Mozart
(rezensierte Aufführung: 1. August 2016 - zweite Aufführung)

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Salzburger Festspiele
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Dinnerparty ohne Ausweg

Von Stefan Schmöe / Fotos © Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Es donnert und kracht; es läuten die Glocken und zirpen die Harfen; und für den ultimativen Grusel säuselt die Ondes Martenot (ein elektronisches Instrument, das auch Olivier Messiaen schätzte) ätherisch im Glissando hinauf und hinunter. Thomas Adès veranstaltet ein tolles musikalisches Spektakel in seiner neuen, im Auftrag der Salzburger Festspiele (und drei kooperierender Opernhäuser) komponierten Oper The exterminating angel, mit großem Orchester und Chor und gewaltiger Solistenriege. Die Musik ist oft illustrativ, manchmal plakativ, sie bedient sich unverhohlen beim Film. Und sie beschreibt ein unheimliches und übernatürliches Katastrophenszenario. Eine tolle Horroroper!

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Eingeschlossene Gesellschaft: Leonora (Anne-Sophie von Otter), Beatriz (Sophie Bevan), Silvia (Sally Mattews), Operndiva Leticia (Audrey Luna), Blanca (Christine Rice) und Roc (Thomas Allan)

Das surreale Szenario entstammt dem Film Il ángel exterminador (der etwas verunglückte deutscher Titel lautet Der Würgeengel) von Luis Buñuel aus dem Jahr 1962: Eine Gruppe von Menschen ist nach dem Opernbesuch in einer Villa zum Dinner eingeladen, doch es geschehen rätselhafte Dinge. Beinahe das komplette Dienstpersonal flüchtet, dafür werden Gastgeber und Gäste von einer rätselhaften Macht gehindert, die Villa zu verlassen. Es sind keine physischen Barrieren, die Türen stehen offen – und doch kann niemand den Willen aufbringen, diese zu durchschreiten, obwohl die Situation zunehmend eskaliert. Lebensmittel und Medikamente fehlen, ein Gast stirbt, ein junges Paar bringt sich um. Umgekehrt kommt von außen niemand hinein, um Hilfe zu bringen. Erst als am Ende eine Konstellation wie zum Beginn entsteht, die Primadonna der Oper aber – anders als zuerst – einwilligt, zu singen, öffnen sich die unsichtbaren Barrieren. (Einen konkreten, wie auch immer gearteten Engel gibt es übrigens nicht.)


Vergrößerung in neuem Fenster Im Überlebenskampf: Nobile (Charles Workman), Lucìa (Amanda Echalaz), Blanca (Christine Rice), Francisco (Iestyn Davies), Roc (Thomas Allen), Silvia (Sally Matthews), Julio (Morgan Moody), Colonel (David Adam Moore), Raúl (Frédéric Antoun)

Thomas Adès hat gemeinsam mit Tom Cairns aus dem originalen Drehbuch das Libretto extrahiert. Auch wenn sie die Anzahl der Gäste reduziert haben, bleibt das Geschehen zunächst unübersichtlich; die Vielzahl von annähernd gleichberechtigten Akteuren ist verwirrend. Erst nach und nach profilieren sich die Charaktere auch musikalisch, oft über Klangfarben. Da ist die Operndiva Leticia, die sich immer wieder in die allerhöchste Lage hinauf schraubt (betörend: Audrey Luna); der hypochondrische und seiner Schwester offenbar inzestuös zugewandte Francisco mit Countertenor-Stimme (ätherisch und dennoch mit Substanz: Iestyn Davies); da ist der wissenschaftlich wie musikalisch geerdete Arzt Carlos Conde (etwas flattrig, aber immer noch mit Wucht: John Tomlinson), der mit großer tenoraler Linie auftrumpfende Gastgeber Edmundo de Nobile (mit Kraft und Eleganz: Charles Workman), um nur einige zu nennen.

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Die Drehbühne macht's möglich: Drinnen und draußen

Der kleinteiligen Kompositionsweise von Thomas Adés kommt die Struktur einer Konversationsoper entgegen. Blitzlichtartig wie Filmeinstellungen beleuchtet er musikalisch die schnell wechselnden Szenen mit einer Folge von kurzen Nummern, die meist auf bekannten Modellen basieren – so walzert es immer mal wieder, und das Liebespaar singt sich choraliter in den gemeinsamen Suizid (mit lyrischer Emphase: Sophie Bevan und Ed Lyon). Der nicht real vorhandene Engel findet seine musikalische Repräsentation in der schon genannten, kaum fassbaren ätherischen Ondes Martenot, und schließlich darf der Chor nicht fehlen. Für die Handlung wäre der gar nicht so wichtig, der Blick auf die Außenseite mit Volk und Polizeiaufgebot stört im Grunde genommen nur die strenge Binnenperspektive, aber wenn der hervorragende Salzburger Bachchor (Einstudierung: Alois Glassner) klangprächtig und mit hervorragender Intonation das Libera me, domine aus der Requiem-Liturgie anstimmt, dann bekommt das Geschehen auch seine religiöse Überhöhung bei voller Prachtentfaltung.


Vergrößerung in neuem Fenster Die Befreiung? Jedenfalls ist die Tür offen.

Viel (mitunter auch vordergründiges) Spektakel, keine Frage, aber es gelingt Adès und Cairns (der auch Regie führt) geschickt, die Spannung immer weiter zu verdichten und somit auch eine der spannendsten Opern der letzten Jahre zu gestalten. Ausstatterin Hildegard Bechtler hat einen riesigen Durchgang, mehr Tor als Tür, ohne weitere Wände auf die Drehbühne gesetzt, dazu Mobiliar, das mehr und mehr in Unordnung gerät und im dritten Akt eine Mischung aus Schlachtfeld und Wüste assoziieren lässt – da haben die Eingeschlossenen ihre Kultur beinahe verloren, sind wie vorzivilisatorische Ausgesetzte in verlassener Gegend. In dieser Gesamtperspektive erhält die Oper Gewicht. Dem fulminanten Finale kann man sich ohnehin kaum entziehen: Das plötzlich wieder ermöglichte Durchschreiten der Türen ist vor allem eine grandiose Lichtinstallation (Licht: Jon Clark). Der (vermeintliche?) Weg in die Freiheit führt in Richtung Zuschauerraum. Dass Adès und Cairns damit womöglich das Publikum zum Mitgefangenen machen möchte - Regieanweisung: „Die Türen des Opernhauses bleiben geschlossen“ -, kann man allerdings eher dem Programmheft als der Inszenierung entnehmen.

Der Komponist persönlich leitet umsichtig das ORF-Radiosymphonieorchester Wien, das mit Verve die mal an Britten, mal an Strawinsky, mal an Berg erinnernde und durch ihre vagabundierenden, aber doch fast immer erkennbaren tonalen Bezüge vergleichsweise einfach zugängliche Musik mit allen komplexen rhythmischen Verschiebungen souverän bewältigt. Bei dem ausgezeichneten Sängerensemble – zu nennen wären noch (neben anderen) Anne Sofie von Otter als eindringlich verfallende Leonora Palma, Christine Rice als Dirigentengattin Blanca und Sally Mattews als Silvia de Àvila, die Schwester des Countertenors; ein Star wie Thomas Allen als solider Dirigent Alberto Roc kann sich vergleichsweise wenig profilieren – bleiben keine Wünsche offen, zumal nicht nur ausgezeichnet gesungen, sondern auch gespielt wird. Und da auch noch die Spieldauer mit jeweils ziemlich genau einer Stunde vor und nach der Pause annähernd ideale Operndimensionen aufweist, bleibt der Produktion gar nichts anderes übrig, als ein Publikumserfolg zu werden. Einhelliger Jubel.


FAZIT

Eine neue, sehr spannende Oper, der man glatt Repertoiretauglichkeit zutraut; toll gesungen und inszeniert.






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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Thomas Adès

Inszenierung
Tom Cairns

Bühne und Kostüme
Hildegard Bechtler

Video
Tal Yarden

Licht
Jon Clark

Chor
Alois Glaßner

Dramaturgie
Christian Arseni



Salzburger Bachchor

ORF Radio-Symphonieorchester Wien


Solisten

Lucía
Amanda Echalaz

Leticia
Audrey Luna

Leonora
Anne Sofie von Otter

Silvia
Sally Matthews

Blanca
Christine Rice

Beatriz
Sophie Bevan

Nobile
Charles Workman

Raúl
Frédéric Antoun

Colonel
David Adam Moore

Francisco
Iestyn Davies

Eduardo
Ed Lyon

Russell
Sten Byriel

Roc
Thomas Allen

Doctor
John Tomlinson

Julio
Morgan Moody

Lucas
John Irvin

Enrique
Franz Gürtelschmied

Pablo
Rafael Fingerlos

Meni
Frances Pappas

Camila
Anna Maria Dur

Padre
Cheyne Davidson


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