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FamilienzusammenführungVon Thomas Molke / Fotos folgen Beim Belcanto Opera Festival Rossini in Wildbad widmet man sich anders als in Pesaro auch Rossinis Zeitgenossen. Bedingung dafür ist, dass deren Werke - und meistens auch die Komponisten selbst - völlig dem Vergessen anheim gefallen sind, wie beispielsweise im letzten Jahr Peter Joseph von Lindpaintner mit seiner großen heroischen Oper Il vespro siciliano. Von daher ist man zunächst einmal überrascht, wenn Vincenzo Bellinis erste Oper für ein Opernhaus, Bianca e Gernando, als konzertante Produktion auf den Spielplan gestellt wird. Aber obwohl Bellini kein Unbekannter ist und seine Opern für die heutige Zeit bereits wiederentdeckt und eingespielt worden sind, stellt Bianca e Gernando eine Besonderheit dar. Bellini überarbeitete das Werk nämlich zwei Jahre nach der Uraufführung und brachte es 1828 in Genua unter dem ursprünglich geplanten Titel Bianca e Fernando heraus. Bei der neueren Wiederentdeckung der Opern Bellinis konzentrierte man sich auf diese Version und schenkte der Urfassung keine Beachtung. Da diese allerdings nicht nur musikalisch sondern auch formal zahlreiche Unterschiede aufweist, scheint Bad Wildbad genau der richtige Ort zu sein, um Bellinis Frühwerk zu präsentieren, zumal man im gleichen Jahr auch Rossinis Jugendwerk Demetrio e Polibio auf den Spielplan gestellt hat. Anders als in den meisten anderen Opern handelt es sich bei dem Titelpaar nicht um ein Liebes- sondern um ein Geschwisterpaar. Gernando, der Sohn des Herzogs von Agrigent, weilt seit vielen Jahren als Söldner im Ausland. Als der Mann seiner Schwester Bianca stirbt, wittert Filippo die Chance, die Macht in Agrigent zu übernehmen, indem er Bianca heiratet. Doch der Herzog Carlo verweigert ihm die Hand seiner Tochter, woraufhin Filippo ihn in den Kerker werfen und öffentlich verkünden lässt, dass er gestorben sei. Bianca willigt in ihrer Verzweiflung ein, Filippo zu heiraten. Die Oper beginnt mit Gernandos Rückkehr, der sich zunächst unter dem Namen Adolfo Filippos Vertrauen erschleicht. Nachdem er erfahren hat, dass sein Vater noch lebt, plant er gemeinsam mit seiner Schwester, den Vater zu befreien. Er lässt sich von Filippo beauftragen, Carlo in seinem Verlies zu töten, und begibt sich mit Bianca dorthin. Nachdem Carlo zunächst seine Tochter verflucht, weil sie sich mit dem Verräter Filippo eingelassen habe, sich anschließend allerdings mit ihr ausgesöhnt hat, da sie ja nichts von Filippos Machenschaften gewusst habe, gibt sich Gernando auch seinem Vater gegenüber zu erkennen und überwältigt mit seinen Soldaten Filippo. Unter allgemeinem Jubel erhält Carlo die Herrschaft über Agrigent zurück und regiert glücklich mit seinen Kindern über die Stadt. Ursprünglich sollte das Werk am 12. Januar 1826 im Teatro San Carlo in Neapel mit Adelaide Tosi als Bianca, und Giovanni David als Gernando uraufgeführt werden. Allerdings wurde die Aufführung abgesagt. Offiziell lautete die Begründung, dass eine Festoper zu diesem Zeitpunkt nicht angemessen erscheine, weil ein Jahr zuvor im gleichen Zeitraum Ferdinand I. von Bourbon gestorben sei. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Aufführung nicht stattfinden konnte, da die Tosi für die Titelrolle nicht mehr zur Verfügung stand. So gestaltete Bellini die Partie für Henriette Méric-Lalande um, passte die Partie des Gernando für Giovan Battista Rubini an und feierte damit am 30. Mai 1826 einen beachtlichen Erfolg, dem weitere Opernaufträge folgten. In der überarbeiteten Fassung für Genua standen dann Tosi und David wieder zur Verfügung, und Bellini baute weitere Solonummern im zweiten Akt für die beiden Titelpartien ein. In der Urfassung verzichtet Bellini auf eine Ouvertüre, sondern startet mit einer kurzen Introduktion und einem dramatischen Vorspiel. Man hat hier den Eindruck, dass Gernandos Schiffe von einem wilden Sturm in den Hafen Siziliens geworfen werden. In dieser unheimlichen Stimmung scheint Clemente, ein Vertrauter der Fürstenfamilie, die Stimme des Herzogs Carlo zu vernehmen. Zong Shi stattet den Clemente mit dunklem Bass aus. Maxim Mironov, der in diesem Jahr in Bad Wildbad auch noch ein Belcanto-Konzert mit Arien vorstellt, die Komponisten wie Rossini und Donizetti für den Ausnahmetenor Rubini komponiert haben, kann auch in der Partie des Gernando unter Beweis stellen, dass ihm die hohe Tenorlage großartig in der Kehle liegt. Schon bei seiner Auftrittskavatine begeistert Mironov mit strahlend ausgesungenen Höhen und reißt das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Mit Vittorio Prato als Filippo wird ihm ein Gegenspieler zur Seite gestellt, mit dem er in Bad Wildbad schon 2012 in Mercadantes Schiller-Vertonung I briganti als Moor-Brüder begeisterte (siehe auch unsere Rezension). Mit dunkel gefärbtem Bariton bildet Prato auch dieses Mal stimmlich einen großartigen Kontrast zu Mironov. Dabei überzeugt Prato ebenso wie Mironov durch eine flexible Stimmführung und schafft es, sich gegen die unter der musikalischen Leitung von Antonino Fogliani laut auftrumpfenden Virtuosi Brunenses durchzusetzen. Der Camerata Bach Chor Pozna ń geht hingegen bisweilen gegen das Orchester ein wenig unter, und manchmal hat man zumindest in der Premiere den Eindruck, dass die Einsätze nicht ganz auf den Punkt kommen. Mit warmem Mezzosopran überzeugt Marina Viotti in der kleineren Partie als Filippos Vertrauter Viscardo, der Gernando unter dem Namen Adolfo kennt und ihn als zuverlässigen Diener bei Filippo einführt.
Bis zur Pause klingt die Musik noch nicht so ausgereift,
wie man sie von späteren Werken Bellinis kennt, und lässt noch klare Strukturen
vermissen. Das ändert sich im zweiten Akt. Hier findet Bellini mit den ihm ganz
eigenen Melodienbögen bereits zu dem Klang, den man an seinen Belcanto-Opern so
bewundert. Zu nennen ist hier die bewegende Romanze der Bianca, in der sie den
Verlust ihres Vaters beklagt. Silvia Dalla Benetta begeistert als Bianca mit
strahlendem Sopran und leuchtenden Spitzentönen, die von der Harfe und den
Holzbläsern betörend unterstützt werden. Mar Campo setzt mit dunklem Mezzo als
Biancas Vertraute Eloisa in dieser Szene ebenfalls bewegende Akzente. Es folgt
ein großartiges Duett zwischen Bianca und Gernando, in dem letzterer sich als
ihr Bruder zu erkennen gibt. Hier schrauben sich Dalla Benetta und Mironov in
absolutem Einklang in schwindelerregende Höhen empor und lösen beim Publikum erneut
Begeisterungsstürme aus. Gemeinsam begeben sie sich dann zum Verlies, in dem
Carlo gefangen gehalten wird. Nun hat Luca Dall' Amico seinen großen Auftritt
als Carlo. Mit dunklem und voluminösem Bass macht er in seiner Kavatine die
Leiden des eingesperrten Herzogs deutlich, und führt das Werk dann in einem
fulminanten Terzett mit Dalla Benetta und Mironov zum Finale, in dem Filippo
überwältigt wird und Carlo mit seinen Kindern die Wiedervereinigung seiner
Familie und die Wiederherstellung der alten Machtverhältnisse feiert. Das
Publikum ist bei dieser Darbietung so aus dem Häuschen, dass das großartige
Finale noch einmal als Zugabe präsentiert wird.
FAZIT
Ob Bellinis Urfassung mit seiner zwei Jahre später erschienenen Bearbeitung
Bianca e Fernando musikalisch konkurrieren kann, lässt sich nur im direkten
Vergleich beurteilen. Für Bellini-Liebhaber und Anhänger von Opern-Raritäten
ist die Wildbader Aufführung auf jeden Fall empfehlenswert und wird
dankenswerter Weise auch auf CD erscheinen.
Weitere Rezensionen zu Rossini in
Wildbad 2016 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungAntonino Fogliani Chor
Camerata Bach Chor Pozna ńVirtuosi Brunenses
SolistenBianca
Gernando, ihr Bruder
Carlo, Herzog von Agrigent, ihr Vater
Filippo
Clemente
Viscardo, Filippos Vertrauter Uggero,
Gernandos Vertrauter Eloisa, Biancas Vertraute
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- Fine -