Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
|
|
Familienoper mit fraglicher ElternliebeVon Thomas Molke / Fotos: © Patrick Pfeiffer
Polibio (Luca Dall' Amico, rechts) will seine Tochter Lisinga (Sofia Mchedlishvili) mit Siveno (Victoria Yarovaya, links) vermählen. Auch ist nicht ganz klar, welche Teile der Oper tatsächlich von Rossini stammen und was Mombelli und eventuell weitere Komponisten zu diesem Werk beigesteuert haben. An einigen Stellen entspricht die Musik nämlich noch den Konventionen des ausgehenden 18. Jahrhunderts und erinnert in der Ausgestaltung an die Reformopern Glucks. Als nahezu sicher gilt, dass die Ouvertüre von Mombelli selbst ergänzt worden ist, was sich stilistisch und an einer erhaltenen Abschrift belegen lässt. Die Tatsache, dass Mombelli selbst die Partie des Eumene verkörpert hat, legt nahe, dass Mombelli auch die Arie des Eumene am Ende der Oper für sich selbst als Bravourarie komponiert hat. Dennoch hat er Rossinis Urheberschaft an diesem Werk nie abgestritten. Schließlich galt Rossini bei der Uraufführung von Demetrio e Polibio am 18. Mai 1812 in Rom bereits als neuer Shootingstar der Opernszene, was das Interesse an diesem Werk wachsen ließ. Obwohl die Mombellis mit dieser Oper große Erfolge feiern konnte, verschwand sie nach einigen Jahren von den Spielplänen, und bis heute ist aufgrund der verzwickten Sachlage noch keine kritische Ausgabe erstellt worden. In Pesaro war das Werk zuletzt 2010 beim Rossini Opera Festival zu erleben (siehe auch unsere Rezension). Eumene / Demetrio (César Arrieta) entführt die schlafende Lisinga (Sofia Mchedlishvili) aus ihrem Brautgemach. Die Handlung spielt im 2. Jahrhundert vor Christus. Demetrio, der König von Syrien, hat die Macht in seinem Land und seine ganze Familie verloren. Sein Sohn konnte aber von seinem Diener Minteo gerettet werden, indem er ihn zu Polibio, dem König der Parther, brachte. Doch bevor Minteo dem Jungen seine wahre Identität mitteilen konnte, starb er. So wuchs der junge Mann unter dem Namen Siveno am Hof des Königs Polibio auf und verliebte sich in dessen Tochter Lisinga. Kurz vor der Eheschließung taucht aber Demetrio, der die Herrschaft über Syrien zurückerlangt hat, getarnt als Botschafter des Königs unter dem Namen Eumene auf und fordert die Auslieferung Sivenos. Polibio lehnt ab, und Demetrio entführt statt seines Sohnes Lisinga aus dem Brautgemach. Siveno macht sich mit Polibio auf den Weg, um Lisinga zu befreien. Als er Demetrio / Eumene in seinem Versteck aufspürt, droht dieser, Lisinga zu töten, während Polibio im Gegenzug Siveno erdolchen will. Da gibt sich Demetrio / Eumene als Sivenos Vater zu erkennen, und die beiden Kinder werden ausgetauscht. Doch Siveno will auch als Eumenes Sohn nicht ohne Lisinga nach Syrien zurückkehren. Diese mobilisiert inzwischen das Heer der Parther gegen Eumene und ist bereit, ihn zu töten, als sich Siveno schützend vor seinen Vater stellt. So lenkt Demetrio / Eumene schließlich ein, gibt sich als König der Syrer zu erkennen und bietet Polibio ein Bündnis an, das mit Lisingas und Sivenos Hochzeit besiegelt werden soll. von links: Eumene / Demetrio (César Arrieta), Siveno (Victoria Yarovaya), Lisinga (Sofia Mchedlishvili) und Polibio (Luca Dall' Amico) beim Quartett Das Regie-Team um Nicola Berloffa wählt für die verworrene Geschichte einige Ansätze, die man durchaus als fragwürdig bezeichnen kann. Natürlich sind die Bühnenmöglichkeiten im Königlichen Kurtheater beschränkt, und vielleicht sind auch die Erwartungen, die man nach der großartigen Farsa L'inganno felice im letzten Jahr an die Aufführungsstätte stellt, zu hoch. Jedenfalls geht das Konzept bei Berloffa nicht auf. Von dem im Programmheft versprochenen Videodesign, für das der Bühnenbildner Paul Secchi verantwortlich zeichnen soll, ist in der Premiere nichts zu sehen. Dabei hätten die hohen Stellwände, die aus dem letzten Jahr übernommen worden sind, durchaus eine geeignete Projektionsfläche geboten. Stattdessen baut Secchi Stühle und ein Pult mit einem Telefon auf, dessen Sinn sich nicht erschließt. Wieso muss Lisinga, kurz bevor sie von Demetrio und seinen Soldaten entführt wird, telefonieren? Warum greifen auch im zweiten Akt, nachdem das Pult umgestürzt ist, immer wieder die Soldaten zum Telefon? Mag man diese Fragen noch als unwichtige Nebensächlichkeit abtun, bieten die Kostüme von Claudia Möbius den nächsten Reibungspunkt. Dass die Figuren alle in Militäruniformen auftreten, ist sicherlich Geschmacksache und eigentlich noch nicht einmal unbedingt gegen das Libretto inszeniert, da sich die Parther ja mit den Syrern im Krieg befinden. Während man aber zu Beginn die Parther noch durch hellbraune Uniformen von den Syrern in blauen Uniformen unterscheiden kann, werden die beiden Gruppen später am Hofe des Königs bunt gemischt und machen so überhaupt keinen Sinn mehr. Absolut sinnfrei ist auch Berloffas Interpretation des Endes. Statt einer großen Versöhnung der beiden Familien sind es nun die Kinder, die ihren Vätern die Pistole an die Brust setzen. Man kann natürlich über die Glaubwürdigkeit des lieto fine diskutieren, aber Rossinis Musik spricht hier eine eindeutig andere Sprache und erhöht die Elternliebe. Immerhin geht Berloffa aber nicht so weit, dass er Lisinga und Siveno am Schluss noch abdrücken lässt. Das Premierenpublikum scheint sich allerdings nicht an diesen Ungereimtheiten zu stören und spendet auch dem Regie-Team großen Applaus. Lisinga (Sofia Mchedlishvili, mit den Herren des Camerata Bach Chor Pozna ń) ruft zum Kampf gegen Eumene auf.Musikalisch lässt der Abend keine Wünsche offen und bewegt sich auf absolutem Festspiel-Niveau. Sofia Mchedlishvili, die vor zwei Jahren in Bad Wildbad unter anderem für ihre grandiose Interpretation der Contessa di Folleville in Rossinis Il viaggio a Reims mit dem Internationalen Belcanto Preis ausgezeichnet worden ist, lässt auch als Lisinga die Koloraturen in den höchsten Tönen nur so sprudeln und begeistert in ihrer großen Rache-Arie im zweiten Akt, "Superbo, ah! tu vedrai", in der sie beschließt, Siveno zu befreien und Eumene zu töten. Bei solch klar fokussierten Spitzentönen wirkt selbst Mozarts Königin der Nacht friedfertig. Victoria Yarovaya hält in der Hosenrolle des Siveno mit wohl-timbriertem Mezzo und flexiblen Läufen dagegen und begeistert vor allem in der Arie "Perdon ti chiedo" im zweiten Akt mit warmer Mittellage, wenn sie ihrem Vater erklärt, dass sie nicht ohne Lisinga mit ihm nach Syrien zurückkehren werde. Ein weiterer musikalischer Höhepunkt ist das große Liebesduett der beiden im ersten Akt, "Questo cor ti giura amore", in dem sich Lisinga und Siveno ewige Liebe schwören, und Mchedlishvilis Sopran mit Yarovayas Mezzo zu einer Einheit verschmilzt, die unter die Haut geht und den einen oder anderen Besucher sicherlich ein paar Tränen der Rührung verdrücken lassen. Hervorzuheben ist auch das Quartett "Donami omai Siveno" im zweiten Akt, in dem Polibio und Eumene die Kinder austauschen, auch wenn Berloffas szenische Umsetzung der Musik ein bisschen den Zauber nimmt. Luca Dall' Amico stattet den König Polibio mit markantem Bass aus, und César Arrieta überzeugt als Demetrio mit strahlendem Tenor, auch wenn man sich von der Maske gewünscht hätte, dass er ein bisschen älter zurecht gemacht worden wäre, da er so optisch eher wie ein jugendlicher Liebhaber und keineswegs wie Sivenos Vater wirkt. Die Herren des von Ania Michalak einstudierten Camerata Bach Chor Pozna ń runden gemeinsam mit den frisch aufspielenden Virtuosi Brunenses unter der Leitung von Luciano Acocello den Abend musikalisch wunderbar ab.
FAZIT Auch wenn die Oper in weiten Teilen noch nicht das ganze Genie Rossini erkennen lässt, hat sie musikalisch durchaus ihre Meriten und wird in dieser Besetzung zu einem Hörerlebnis. Da kann man auch über die stellenweise fragwürdige Regie hinwegsehen.
Weitere Rezensionen zu Rossini in
Wildbad 2016 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungLuciano Acocella Regie Bühne, Videodesign Kostüme Chor
Camerata Bach Chor Pozna ńVirtuosi Brunenses
SolistenLisinga, Tochter des Polibio
Siveno, eigentlich Demetrio, Sohn des
Eumene, eigentlich Demetrio, König
Polibio, König der Parther
|
- Fine -