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Liebesspiel zu drittVon Thomas Molke / Fotos: © Paul Secchi Seit dem vergangenen Jahr hat es sich Raúl Giménez, der beim Festival Rossini in Wildbad seit vielen Jahren mit seinen Meisterklassen ein wichtiger Bestandteil ist, vorgenommen, junge Sängerinnen und Sänger nicht nur mit dem Belcanto-Gesang im Rahmen der Meisterklasse vertraut zu machen, sondern auch mit ausgewählten Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine ganze Rossini-Oper einzustudieren, die dann halbszenisch in der Trinkhalle aufgeführt wird. Die Wahl ist dieses Mal auf Le Comte Ory gefallen, eine komische Oper, die am 20. August 1828 in Paris an der Opéra uraufgeführt wurde, obwohl diese Spielstätte eigentlich eher dem ernsten Metier verpflichtet war. Doch Rossini gelang es nicht nur, durch seine zahlreichen Kontakte in der Metropole den höchst pikanten Stoff von der Zensurbehörde genehmigen zu lassen, sondern er konnte mit dem Stück auch einen so großen Erfolg verbuchen, dass bereits drei Jahre später die 100. Vorstellung über die Bühne ging und das Werk sich bis 1884 mit fast 500 Aufführungen im Repertoire der Opéra halten konnte. Während Eugène Scribe bei der Uraufführung noch nicht als Librettist genannt werden wollte, ließ er sich anschließend schnell davon überzeugen, seinen Namen unter das Textbuch zu setzen. von links: Karina Repova (Isolier), Sara Blanch (Comtesse) und Mae Hayashi (Ragonde) bei der Probe Die Geschichte geht zurück auf die alte Ballade des Grafen Ory, eines adeligen Schürzenjägers, der sich mit seinen Kumpanen Zutritt zu einem Frauenkloster verschafft, indem sich alle als Nonnen verkleiden. Neun Monate später bekommen dann alle Frauen im Kloster einen kleinen Ritter. Scribe hatte mit Charles-Gaspard Delestre-Poirson 1816 dieses Thema zu einem Vaudeville verarbeitet, das unter anderem bereits 1819 von Carl Borromäus von Miltitz in Berlin vertont wurde. Aus den Nonnen wurden dabei eine Gräfin und ihre Edeldamen, die bis zur Rückkehr ihrer sich auf Kreuzzügen befindenden Ehemänner Keuschheit gelobt hatten. Ory und seine Gefährten verkleiden sich hier als Pilgerinnen und erhalten so Zutritt zum Schloss. Doch die Frauen können das Gelübde halten, zum einen, weil der Page Isolier die Gräfin beschützt, zum anderen weil die Kreuzritter in derselben Nacht zurückkehren und Ory und seinen Männern nur noch die Flucht bleibt. Rossini beschloss, diese einaktige Geschichte, um einen zweiten Akt zu erweitern. So verkleidet sich der Graf im ersten Akt als weiser Eremit, um sich die Sorgen und Wünsche der jungen Mädchen anzuhören. Der Gräfin, die er erobern will, rät er, ihre Liebessehnsucht nicht weiter zu unterdrücken, hat dabei allerdings nicht damit gerechnet, dass ihr Verlangen seinem Pagen Isolier gilt. Bevor er jedoch einen weiteren Annäherungsversuch starten kann, wird er von seinem Erzieher, Le gouverneur, enttarnt, so dass sich die Frauen entsetzt auf dem Schloss verschanzen. Gheorghe Vlad in der Titelpartie bei der Probe Für den ersten Akt verwendet Rossini größtenteils Musik aus der drei Jahre zuvor komponierten Cantata scenica Il viaggio a Reims. Rossini hatte das Werk bereits nach vier Aufführungen zurückgezogen, da er es für die Krönungsfeierlichkeiten von Karl X. kreiert hatte und aufgrund des Sujets für nicht repertoiretauglich erachtete. Die Musik hielt er allerdings für zu gut, als dass er sie in der Versenkung verschwinden lassen wollte. Nach einem kurzen Einstieg, der für Rossini eher ungewöhnlich klingt, beginnt das Stück mit der aus Il viaggio a Reims bekannten Introduktion. Aus Maddalenas "Presto, presto" wird Raimbauds Aufforderung an die jungen Mädchen, Rat beim "weisen Eremiten" zu suchen. Um hier einen Bezug zur ursprünglichen Ballade herzustellen, treten die Damen des Camerata Bach Chor Pozna ń mit einer Nonnenhaube auf und haben ihre Partitur mit einem großen Kreuz auf der Außenseite versehen. Gheorghe Vlad tritt in der Titelpartie zunächst mit Beffchen auf, um eine weitere Assoziation zur Kirche herzustellen. Dazu "predigt" er von einem Rednerpult mit der Aufschrift "Bad Wildbad". Während Vlad durch großen Spielwitz in dieser Szene überzeugt, hat er bei seiner Arie "Que les destins prospères", die auf die Melodie von Madama Corteses Auftrittsarie "Di vaghi raggi adorno" aus Il viaggio gelegt ist, stimmlich in den Höhen leichte Probleme. Insgesamt legt er die Arie sehr nasal an und muss in den Höhen etwas quetschen, um die Töne sauber zu treffen.
Einen gelungenen Auftritt hat anschließend Shi Zong als
sein Erzieher. In seiner Arie, "Veiller sans cesse", in der Lord Sidney in Il
viaggio seine unerhörte Liebe zur schönen Corinna beklagt, verleiht er den
Sorgen um den Verbleib seines Zöglings mit markanten Tiefen und beweglicher
Stimmführung glaubhaft Ausdruck. Auch Karina Repova begeistert als Page Isolier
mit warm-timbriertem Mezzo und jungenhaftem Spiel. Das Duett mit Vlad, in dem
Isolier dem Grafen seinen Plan gesteht, als verkleidete Pilgerin ins Schloss zu
gelangen, ist von Rossini dann originär für die Oper komponiert worden. Repova bringt mit weicher Mittellage die Liebesleiden des jungen Pagen wunderbar
zum Ausdruck. Es folgt der Auftritt der Gräfin, die Sara Blanch mit
glockenklarem Sopran und perlenden Koloraturen ausstattet. So wird ihre große
Arie "En proie à la tristesse", in der sie ihre Schwermut beklagt und die
eigentlich in Il viaggio der Contessa di Folleville dazu dient, den
Verlust ihres Hutes zu betrauern, ein musikalischer Höhepunkt des Abends. Sehr
komödiantisch gelingt hier das Zusammenspiel zwischen Blanch und Vlad, der als
Schürzenjäger immer wieder versucht, die Angebetete von der Bühne zu ziehen.
Nach der Enthüllung des Grafen endet der erste Akt mit dem großen Finale "Ciel!
Ô terreur, ô peine extrème!", das in Il viaggio für 14 Stimmen konzipiert
ist und auch in der Originalfassung von Le Comte Ory dreizehn Rollen mit
doppeltem Chor notiert. In Bad Wildbad wird allerdings die Troupenas-Fassung
gespielt, die außerhalb von Paris üblich wurde und mit den sieben Partien des
Stückes zuzüglich Chor auskommt. Auch in dieser Fassung wird das Publikum vor
Begeisterung fast von den Sitzen gerissen, was nicht zuletzt der musikalischen
Leistung und der großen Spielfreude des Ensembles zu verdanken ist.
Der zweite Akt führt dann ins Schloss der Gräfin. Hier verschaffen sich nun Graf
Ory und seine Kumpanen als verkleidete Nonnen Eintritt. Leider unterläuft der
Regie hier ein logischer Fehler. So sitzt Isolier schon zu Beginn vertraut mit
den Frauen im Schloss und tauscht Zärtlichkeiten mit der Gräfin aus. Die
auftretenden Nonnen beäugt Repova als Isolier recht kritisch.
Doch dann erscheint Isolier später erneut, um die Gräfin vor dem verkleideten
Grafen zu warnen. Hier hätte man auf den ersten Auftritt Repovas verzichten
sollen, zumal Isolier in diesem Teil auch noch nichts zu singen hat. Im zweiten
Akt entnimmt Rossini dann nur noch zwei Stücke aus Il viaggio, zunächst
das Duett zwischen der Gräfin und dem verkleideten Grafen, in dem dieser sie zu
erobern versucht - wie der Cavaliere Belfiore die schöne Corinna in Il
viaggio -, dann die Weinarie des Raimbaud (ursprünglich Don Profondos
Katalogarie "Medaglie incomparibile"), in der Orys Gefährte von seiner
Entdeckung des Weinkellers berichtet und nach dem eher spartanischen Mahl ein
großes Gelage beginnt. Roberto Maietta stellt als Raimbaud mit wuchtigem Bariton seine
herausragenden Buffo-Qualitäten unter Beweis und ruft beim Publikum großen Jubel
hervor.
Ein weiterer musikalischer und szenischer Höhepunkt ist das Terzett zwischen der
Gräfin, Isolier und dem als Schwester Colette verkleideten Grafen Ory. Drei
Stühle in der Mitte der Bühne stellen das Bett dar, in dem sich dann eine
urkomische Ménage à trois abspielt. Ory hält Isolier für die Gräfin und
überschüttet sie mit Liebkosungen, die Isolier mehr schlecht als recht abwehrt,
während er auf der anderen Seite hingegen von der Gräfin entsprechend
entschädigt wird. Vlad spielt den Schürzenjäger hier überzeugend aus, während
Repova mit wunderbar komischer Mimik als Isolier nicht so ganz weiß, wie ihr /
ihm eigentlich geschieht. Blanch scheint dieses Verwirrspiel als Gräfin
regelrecht zu genießen und begeistert erneut mit glockenklarem Sopran. Bei so
viel Komik ist man schon fast enttäuscht, wenn die Ankunft der Kreuzritter das
Liebesspiel unterbricht, und dem Grafen und seinen Kumpanen nur noch die
Möglichkeit des Rückzuges bleibt. Zum Trost darf der Graf dann wenigstens noch
die Hofdame Ragonde entführen, die Mae Hayashi mit dunklem Mezzo gestaltet. Der
Camerata Bach Chor Pozna
FAZIT
Vielleicht liegt es daran, dass Le Comte Ory in diesem Jahr die einzige
komische Oper bei Rossini in Wildbad ist. Jedenfalls stellt sie auch in
der halbszenischen Form einen, wenn nicht gar den Höhepunkt des diesjährigen
Festivals dar.
Weitere Rezensionen zu Rossini in
Wildbad 2016 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungLuciano Acocella Musikalische Workshopleitung Semistage Workshopleitung Chor
Camerata Bach Chor Pozna ńVirtuosi Brunenses
SolistenLe Comte Ory
Le gouverneur, sein Erzieher
Isolier, sein Page
Raimbaud, Ritter und sein Gefährte
La Comtesse de Formoutier
Ragonde, Pförtnerin des Schlosses
Formoutier Alice,
Bauernmädchen
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- Fine -