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Zwischen Schein und SeinVon Thomas Molke / Fotos von Patrick Pfeiffer Von den unbekannten Opern Rossinis gehört Sigismondo zu den Werken, denen auch im Rahmen der Wiederentdeckung relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. So brachte beispielsweise das Rossini Opera Festival in Pesaro diese Oper erst 2010 heraus und verlegte die Handlung in ein Irrenhaus, was der Popularität des Werkes bestimmt nicht gerade zuträglich war (siehe auch unsere Rezension). Doch auch der Uraufführung am 26.12.1814 im Teatro la Fenice war kein großer Erfolg beschieden. Die Orchestermitglieder und Sänger hielten die Musik laut Rossini-Biograph Azevedo zwar für das Beste, was Rossini bis dahin komponiert hatte, aber das Publikum konnte sich dieser Meinung nicht anschließen. Auch wenn es während der Aufführung keine Unmutsbekundungen gab - dafür war Rossini zu diesem Zeitpunkt als Komponist schon zu angesehen -, konnte Rossini die Langeweile aus den Gesichtern der Zuschauer ablesen, was ihn weit mehr traf, so dass er ausgerufen haben soll: "Pfeift, so pfeift doch!" Der Grund für den Misserfolg war kaum der Musik oder den Solisten anzulasten, die in bravourösen Glanzarien punkten konnten, sondern vielmehr dem schwachen Libretto, das durch eine absolut verworrene Handlung auch für das damalige Publikum kaum nachvollziehbar gewesen sein dürfte. Sigismondo (Margarita Gritskova, vorne) wird von Wahnvorstellungen gequält (im Hintergrund: Anagilda (Paula Sánchez-Valverde) und Radoski (César Arrieta)). Bei der Titelfigur Sigismondo handelt es sich weder um eine historische Person, noch weist sein Königreich Polen irgendeine Ähnlichkeit zum tatsächlichen Land auf. Beschrieben wird ein eher mythischer Ort. Die Geschichte über eine Ehefrau, die von ihrem Mann verstoßen wird, ihn aber immer noch liebt, geht in der Literatur bis auf Griselda in Boccaccios letzter Novelle des Decamerone zurück und wurde von Rossinis Librettisten Giuseppe Foppa bereits zwei Jahre zuvor in der Farsa L'inganno felice verwendet. Sigismondos Minister Ladislao hat dessen Ehefrau Aldimira vor 15 Jahren der Untreue bezichtigt, da sie seine Avancen zurückgewiesen hat, und Sigismondo dazu gebracht, seine Gattin zu töten. Diese konnte allerdings auf wundersame Weise von Zenovito, einem polnischen Adeligen gerettet werden und lebt nun als Zenovitas Tochter Egelinda im Wald. Ihr Vater Ulderico, der mittlerweile in Ungarn wieder an die Macht gekommen ist, zieht mit seinem Heer in einen Krieg gegen die Polen, um die Ermordung seiner Tochter zu rächen. Sigismondo trifft auf der Jagd im Wald Egelinda / Aldimira, verliebt sich in sie und plant, sie Ulderico als noch lebende Tochter zu präsentieren, um den Krieg zu verhindern. Doch Ladislao fürchtet, dass seine Intrige auffliegen könnte, und verrät Ulderico Sigismondos Vorhaben, so dass Ulderico die eigene Tochter als Hochstaplerin zurückweist. Es kommt zur kriegerischen Auseinandersetzung, bei der Sigismondo Ulderico schon wehrlos ausgeliefert ist, als Egelinda / Aldimira sich zu ihm bekennt und dank Ladislaos Vertrautem Radoski ihrem Vater ein Schriftstück vorlegen kann, das ihn von ihrer wahren Identität überzeugt. Ladislao stürzt bei dem Versuch, Aldimira daran zu hindern, und gesteht, vom Sturz benommen, seine damalige Schandtat. Sigismondo erkennt, dass Egelinda Aldimira ist. Es kommt zu einer glücklichen Wiedervereinigung und zum Frieden zwischen Polen und Ungarn, während Ladislao im Kerker für seine Missetaten büßen soll. Aldimira (Maria Aleida) lebt als Egelinda mit Zenovito (Marcell Bakonyi) im Wald. Festspiel-Intendant Jochen Schönleber, der das Stück bereits 1995 für Rossini in Wildbad erfolgreich in Szene gesetzt hat, konzentriert sich in seiner Neuinszenierung auf die Wahnvorstellungen des Titelhelden. Dazu lässt er mit drehbaren Stellwänden, die mit Spiegelfolie beklebt sind, und einer geschickten Lichtregie, die den Blick durch diese Folie ermöglicht, eine abstrakte Welt entstehen, in der man zwischen Schein und Sein kaum noch unterscheiden kann. Sigismondo ist dabei ein junger Mann geblieben, um anzudeuten, dass seine Schuldgefühle ihm nicht ermöglichen, sein Leben weiterzuführen, während Aldimira als alte Frau mit grauen Haaren gezeigt wird. Ladislao trägt zunächst einen weißen Arztkittel, den er dann gegen ein weißes Sakko eintauscht, wobei die Farbe Weiß hier im Kontrast zu seinem Charakter steht, suggeriert sie doch Reinheit und Unschuld. Doch auch Ladislao hat mit Schuldgefühlen zu kämpfen, so dass er seine Augen häufig hinter einer dunklen Sonnenbrille (mit weißem Rahmen) verbirgt. Die übrigen Kostüme von Claudia Möbius sind modern gehalten, wobei sich die Herren des Camerata Bach Chor Pozna ń farblich eindeutig Sigismondos beziehungsweise Uldericos Truppen zuordnen lassen. Als weiteres Requisit unterstreicht eine schwarze Ledercouch-Gruppe den modernen Charakter der Aufführung, während ein Theaterschminktisch für eine illusionäre Scheinwelt steht. Szenenwechsel werden nicht nur durch das Drehen der Stellwände angedeutet, sondern auch durch Video- und Fotoprojektionen von Paul Secchi im Hintergrund, die mal einen Wald, mal ein großes Bild der jungen Aldimira zeigen. Ob man Egelinda / Aldimira allerdings mit hochhackigen Schuhen an eine Stange stellen muss, um den Polen die Rückkehr der totgeglaubten Königin zu suggerieren, ist Geschmacksache. Auch wird nicht ganz klar, wieso Schönleber am Ende Anagilda und Radoski als neues glückliches Paar beim Jubel in den Mittelpunkt stellt und auf dem Ledersofa Platz nehmen lässt, während Sigismondo, Aldimira und Ulderico lediglich als Randfiguren agieren und der Chor schon fast bedrohlich immer wieder hinter den Stellwänden eingeblendet wird.Wird das gutgehen? Egelinda / Aldimira (Maria Aleida) bittet für Sigismondo (Margarita Gritskova mit Kenneth Tarver als Ladislao) bei Ulderico (Marcell Bakonyi, vorne links). Weist das Stück dramaturgisch auch einige Schwächen auf, die Schönleber in seinem Regie-Ansatz nicht zu überspielen versucht, hat es musikalisch doch einiges zu bieten, was eine Aufführung lohnenswert macht. Zu nennen ist hier die Ouvertüre, die Rossini aus der kurz zuvor komponierten Buffo-Oper Il turco in Italia übernommen hatte und die die Virtuosi Brunenses unter der Leitung von Antonino Fogliani temporeich und differenziert präsentieren. Auch das große Duett zwischen Aldimira und Sigismondo im zweiten Akt, "Tomba di morte e orrore", verdient besondere Aufmerksamkeit, wenn Sigismondo Egelinda / Aldimira seine Liebe gesteht und von ihr bezichtigt wird, seine Frau zu Unrecht verurteilt zu haben. Auch die Arien für Sigismondo, Ladislao und Aldimira stellen an die Solisten hohe Anforderungen, da Sigismondo mit seinen Wahnsinnsattacken große Intervallsprünge zu bewältigen hat, Aldimira sich in ihren Ängsten in atemberaubende Koloraturen verstrickt und Ladislao sein schlechtes Gewissen mit zahlreichen Spitzentönen zu beruhigen versucht. Und wieder einmal ist es in Bad Wildbad gelungen, eine Sängerriege zu versammeln, die diesen Ansprüchen mehr als gerecht wird. Zu allererst ist hier Margarita Gritskova in der Titelpartie zu nennen, die mit ihrem Contralto über einen enormen Stimmumfang verfügt. So setzt sie die Tiefen mit großem Volumen an und schraubt sich spielerisch in dramatische Höhen empor, um die Wahnvorstellungen Sigismondos spürbar zu machen. Direkt in ihrer Auftrittskavatine "Non seguirmi... omai t'invola" gelingt es ihr, stimmlich und darstellerisch die innere Zerrissenheit des Königs umzusetzen. Ein weiterer Höhepunkt ist ihre große Schlussarie "Alma rea! Il più infelice", in der Sigismondo erkennt, dass er seine Frau zu Unrecht verurteilt hat. Hier transportiert Gritskova mit großer Dramatik die Schuldgefühle des Königs. Glückliches Ende: Sigismondo (Margarita Gritskova, Mitte stehend) feiert mit Aldimira (Maria Aleida) und Ulderico (Marcell Bakonyi), im Hintergrund büßt Ladislao (Kenneth Tarver, rechts).
Maria Aleida verfügt als Aldimira über einen leuchtenden
Sopran, der in den Höhen große Strahlkraft besitzt. Die Koloraturen präsentiert
sie dabei mit beweglicher Stimme. Hervorzuheben ist hier vor allem ihre große
Arie im zweiten Akt, "Ah! signor, nell' alma mia", in der sie Sigismondo schwere
Vorwürfe macht und dies mit spitzen Koloraturen zum Ausdruck bringt. Gleiches
gilt für das oben erwähnte Duett im zweiten Akt. Kenneth Tarver punktet als
Bösewicht Ladislao mit flexiblem Tenor mit großartigen Oktavsprüngen, wobei er
in den Höhen an einigen Stellen an seine Grenzen stößt. Beeindruckend gelingt
ihm das Duett mit Aldimira am Ende des ersten Aktes, in der er sie zwingen will,
ihn an den königlichen Hof zu begleiten und in die Rolle der vermeintlich toten
Königin zu schlüpfen. In seiner großen Arie im zweiten Akt, "Giusto ciel che i
mali miei", macht Tarver mit sauberer Stimmführung deutlich, wie ihn sein
schlechtes Gewissen heimsucht und er sich ausmalt, was wohl passieren würde,
wenn Sigismondo von seinem Vergehen erfährt. Die Partien des Zenovito und des
Ulderico sind mit Marcell Bakonyi hochkarätig besetzt. Mit profundem Bass
punktet Bakonyi als Aldimiras Retter Zenovito und als ihr Vater Ulderico. Paula
Sánchez-Valverde überzeugt als Anagilda mit mädchenhaftem Sopran. César Arrieta
verleiht dem Radoski einen jugendlich frischen Tenor. Die von Ania Michalak
einstudierten Herren des Camerata Bach Chor Poznań und die Virtuosi Brunenses
unter der Leitung des musikalischen Leiters Antonino Fogliani runden den Abend
musikalisch hervorragend ab, so dass es für alle Beteiligten großen Applaus am
Ende gibt, in den sich auch das Regie-Team einreiht.
FAZIT
Musikalisch hat das Stück durchaus seine Meriten, und Jochen Schönlebers
Inszenierung lässt über die dramaturgischen Schwächen der Vorlage hinwegsehen.
Weitere Rezensionen zu Rossini in
Wildbad 2016 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungAntonino Fogliani Regie Bühne Kostüme Video und Foto Licht Chor
Camerata Bach Chor Pozna ńVirtuosi Brunenses
SolistenSigismondo, König von Polen
Ulderico, König von Ungarn
Aldimira, seine Tochter und Sigismondos
Gattin
Ladislao, Sigismondos Minister
Anagilda, Ladislaos Schwester
Zenovito, polnischer Adeliger Radoski,
Ladislaos Vertrauter
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