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Erholung vom Regietheater Von Christoph Wurzel / Fotos: Andrea Kremper Nicht immer konnten die Operngastspiele des St. Petersburger Mariinsky-Theaters in Baden-Baden so überzeugen wie in diesem Jahr mit Eugen Onegin. Mag sein, dass am Ort der Uraufführung der genius loci inspirierend auf die Produktion gewirkt hat; es ist aber vor allem handwerkliche Genauigkeit, durch welche dem russischen Regisseur Alexei Stepanyuk eine ästhetisch höchst ansprechende Inszenierung gelungen ist, die dem Werk kein Konzept aufgestülpt hat, sondern die “lyrischen Szenen”, wie Tschaikowsky sie bewusst in Abgrenzung von der großen Oper genannt hat, in atmosphärisch stimmigen Genrebildern und präziser Personenregie, aber ohne über den Handlungsrahmen hinaus gehende Interpretation auf die Bühne gebracht hat. Das Bühnenbild von Alexander Orlov bietet dabei gewissermaßen Seelenräume für die an äußerer Handlung verhältnismäßig armen Szenen. Das reicht vom ersten Bild mit seinem (freilich ein wenig operettenhaft) bunten Bauernleben über das in seiner Reduktion umso wirkungsvollere Winterbild für die Duellszene (5. Bild), dem ebenso vornehmen wie steifen Adelssalon des 6. Bildes (Empfang bei Fürst Gremin) bis hin zum Schlussbild, wenn sich Onegin im Bühnennebel quasi in Nichts auflöst. Gutshof der Larins mit ihren Töchtern Olga (Yekaterina Sereyeva) und Tatjana (Maria Bayankina - beide vorne rechts mit Chor) Die Tragödie der Handlung zeigt der Regisseur in subtiler Charakterzeichnung der Protagonisten. Alexei Markov präsentiert die Titelfigur als einen weitgehend seine Fassade bewahrenden Charakter zwischen dandyhafter Selbstgefälligkeit in seinem Auftreten gegenüber den Provinzlern, die er in der Familie Larin sieht. Oberlehrerhaft lässt er Tatjana abblitzen, die ihm den glühenden Liebesbrief geschrieben hat, kaum Empfindung zeigt er gegenüber Lenski, der ihn in überschießender Emotion aus Eifersucht zum Duell fordert und vollzieht, obwohl von dessen Sinnlosigkeit überzeugt, das Ritual dieses Ehrenkodex nach leichtem Zögern aber letztlich doch kalt und konsequent. Im Schlussakt schließlich bettelt er larmoyant um Tatjanas Liebe, doch auch hier wirkt das Bekenntnis seiner Zuneigung zu ihr nur berechnend. Insgesamt erleben wir ein Charakterportrait, das diese Figur mit einem unaufgelösten Geheimnis umgibt, was der Intention Tschaikowskys sehr nahe kommen mag, der, glaubt man den meisten Interpreten, sich mit dieser Figur außerordentlich stark identifiziert haben muss. Gerade dass Onegin sein wahres Fühlen verbirgt, sei nach dieser Lesart eben ein Hinweis auf die eigene gesellschaftliche Rolle des Komponisten als Homosexueller in einer intoleranten Gesellschaft. Wohl auch aus Gründen der Opportunität lässt diese Produktion einer der bedeutendsten Bühnen Russlands derartige Sichtweisen daher außer Acht. So bleibt Eugen Onegin hier als Charakter weitgehend ein Mysterium, doch vokal gibt Alexei Markov dieser Figur kraftvoll Präsenz und singt die Partie mit außerordentlich noblem Ton. Briefszene: Maria Bayankina als Tatjana Anders Tatjana: auch sie gewinnt in dieser Inszenierung außerordentlich genaues Profil. Indem Maria Bayankina in dieser Rolle aber mit großer darstellerischer wie vokaler Empathie in die Seele dieser jungen Frau blicken lässt, gewinnt diese Figur glaubwürdig enorme Gefühlstiefe. Zuerst vorgestellt wird sie uns als melancholische junge Frau, die sich von ihren Lektüreerlebnissen kaum losreißen und der lebendigen Realität zuwenden möchte. Als jedoch überraschend Onegin auftaucht, durchfährt sie eine Gefühlswallung, die sich in der nächtlichen Szene steigert, wenn sie ihm diesen Brief schreibt, in dem sie ihre Liebe gesteht. In einem dramatischen Wechsel ihrer Gefühle zwischen Selbstzweifeln und schwärmerischer Emphase singt die Sopranistin mit starker Expressivität. Mit ganz nach Innen gewendetem Piano zweifelt sie, ob ihre Gefühle “nur leerer Wahn” seien und “ein Trugbild einer unerfahrenen Seele”. Verhalten fragend begleitet sie dazu das Horn. Und zum einkomponierten Bild der aufgehenden Sonne lässt die Sängerin schließlich triumphal auch das ganze Liebesempfinden dieser jungen Frau erstrahlen. Großartig gestaltete Maria Bayankina diese Szene.
Überhaupt das das Mariinsky- Theater für sein Baden-Badener
Gastspiel herausragende Gesangssolisten mitgebracht. Auch das zweite
Paar Olga und Lenski ist exzellent besetzt. Yekaterina Sereyeva warmer
Mezzosopran als Olga mischt sich eindrucksvoll mit der
strahlenden Höhe Maria Bayankinas als ihrer Schwester Tatjana. Im
Charakter ebenfalls gegensätzlich spielt die Sängerin diese
Rolle als lebenslustige und extrovertierte junge Frau. Umso tragischer
für sie, dass ihr Herzenswunsch nach der Hochzeit mit Lenski durch
Onegins Verschulden jäh zerstört wird. Den sensiblen Dichter
Lenski singt mit eminent lyrischem Tenor Evgeny Akhmadov. Seine
Weltabschieds-Arie unmittelbar vor dem Duell “Wohin, wohin seid ihr
entschwunden..?” singt er mit Verunglücktes Ständchen: Der Sänger Triquet (Andrei Zorin) und Tatjana (sitzend: Maria Bayankina) mit Chor Etwas von der tragischen Ironie Pushkins hat der Regisseur auch in seine Inszenierung hinübergenommen. Die Szene im 4. Bild, wo zu Ehren Tatjanas der französische Sänger Triquet ein Ständchen präsentieren soll, gerät hier zur Groteske, welche die schmerzliche Situation Tatjanas noch verstärkt, die gerade erst von Onegin zurückgewiesen wurde und nun von einem gebrechlichen Alten angeschmachtet wird. Intensiv spielt und singt Andrei Zorin dieses Couplet mit bizarrer Intensität. Den vonseiten der Solisten hervorragenden Eindruck vervollständigt der bestens disponierte Chor des Mariinsky-Theaters - und das Orchester, das von Valery Gergiev zu bewundernswert differenziertem Spiel angehalten wird. Tschaikowskys subtiles Motivgeflecht macht er deutlich und transparent, sowohl die feine Lyrik der Musik wie auch die derben Bauentänze und die festlich pathetische Polonaise vor dem dritten Akt werden zu orchestralen Glanznummern der Aufführung. Hier hat im vorletzten Bild auch Mikhail Petrenko seinen glanzvollen Auftritt als Fürst Gremin in der Arie “Ein jeder kennt die Lieb'”, der mit warmer Empfindung gesungenen Liebeserklärung an Tatjana. Diese hat sich nun wohl eher aus Vernunft in ihr Schicksal gefügt. Dass sie Onegin aber immer noch liebt, verrät der leidenschaftliche, aber kurze Kuss, den sie ihm schenkt, obwohl sie sein Ansinnen mit ihm zu fliehen, ausschlägt. Das ist eine berührende Nuance am Schluss dieser an subtilen Details überaus reichen Inszenierung. FAZIT
Diese Produktion ist ein schöner Beweis dafür, dass auch
ohne Regiemätzchen spannendes Musiktheater entstehen kann.
Musikalisch sorgten fantastische Solisten, das bestens disponierte
Orchester und nicht zuletzt Valery Gergiev für ganz große
Momente. Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Larina, Gutsbesitzerin
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E-Mail: oper@omm.de
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