Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Homepage Festspiele-Hauptseite E-Mail Impressum



Bayreuther Festspiele 2017



Die Meistersinger von Nürnberg

Oper in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner


in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 6h 30' (zwei Pausen)

Aufführung im Festspielhaus Bayreuth am 31.07.2017 - zweite Aufführung im Rahmen der Bayreuther Festspiele 2017
(Premiere dieser Produktion: 25.7.2017)


Homepage

Bayreuther Festspiele
(Homepage)

Freispruch auf Bewährung für die Meistersinger

Von Stefan Schmöe, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath


Es wird viel Gericht gehalten in den Meistersingern von Nürnberg. Vordergründig über die beste Gesangsleistung, über die ein Preisgericht entscheiden soll und für die eine Heiratskandidatin als Gewinn ausgelobt ist; aber eigentlich geht's natürlich um die wahre Kunst zwischen Traditionsbewusstsein und Erneuerung. Was für Wagner freilich der Frage um das Wohl und Wehe der deutschen Nation gleich kommt. Wenn Barrie Kosky in seiner Neuinszenierung von Bühnenbildner Rebecca Ringst einen Gerichtssaal bauen lässt, greift das freilich weiter, denn der Raum ist eben dem Saal nachempfunden, in dem die Alliierten die Nürnberger Prozesse gegen führende Vertreter des NS-Regimes abhielten. So zieht die Regie eine Leitlinie von Wagners Entwurf von Nürnberg als dem utopischen (halb)demokratischen Gemeinwesen über das Nürnberg der Reichsparteitage und der Nürnberger Rassengesetze bis zur Zerstörung der Stadt durch die Luftangriffe und die juristische Aufarbeitung der NS-Greuel. Kosky will die Meistersinger nicht von ihrer Rezeptionsgeschichte trennen, die von Wagner durchaus geplant war: Die Figur des Beckmesser hatte für Zeitgenossen unverkennbar die Überzeichnung des "undeutschen" Juden. So wird letztendlich Gericht gehalten über die Oper selbst. Das Wunder daran ist, dass Kosky dies ganz großartig und bei aller Komplexität mit spielerisch leichter Hand gelingt.

Vergrößerung in neuem Fenster

Meistersinger-Lesung in Villa Wahnfried: Die Figuren verselbstständigen sich, und aus dem Flügel entspringen gleich mehrere Wagners, hier dominiert David.

Es beginnt ganz harmlos und sehr witzig in Wagners Bayreuther Villa Wahnfried. Der Meister selbst hat zu einer Lesung der Meistersinger geladen, und das müssen seinerzeit Abende ganz besonderer Art gewesen sein, wenn der Komponist und Textdichter in die verschiedenen Rollen geschlüpft ist oder am Klavier daraus gespielt hat. Liszt ist zu Gast, außerdem Hermann Levi, der erste Dirigent des Parsifal (dem Wagner und Gattin Cosima seine jüdische Abstammung keineswegs nachsahen). Die Pantomime zum Vorspiel geht in die "richtige" Oper über, Liszt wird zum Pogner, Cosima zu dessen von Stolzing umworbene Tochter Eva. Wagner selbst identifiziert sich mit dem abgeklärt altersweisen Hans Sachs, aber gleichzeitig auch mit dem ungestümen Neuerer Walther von Stolzing und sogar mit dem Lehrbuben David - das macht die biographischen Bezüge deutlich, schließlich heiratete Wagner Liszts Tochter Cosima, und in der Abfolge David-Walther-Sachs mag man den Komponisten der Jugendwerke wie des Liebesverbots, den politischen wie musikalischen Revolutionär und schließlich den Königs-Freund und die Selbststilisierung zum verständigen Volkstribun sehen, eine hübsche These der Regie, die humorvoll ausgekostet wird. Wichtiger ist aber, dass Levi unfreiwillig in die Rolle des Beckmesser gedrängt wird. Kosky spielt auf die Ambivalenz Wagners an, Levi einerseits zur christlichen Taufe gedrängt zu haben (anders hätte er Levi nicht als Dirigenten des Parsifal akzeptiert), andererseits gerade die Assimilierung jüdischer Mitbürger zu verdammen. Der Beckmesser der Oper ist ein eleganter älterer Herr, ein ernst zu nehmender und honoriger Gegenspieler von Sachs. Am Ende des zweiten Akts, dessen Prügelszene man in diesem Zusammenhang als Progrom deuten muss, wird ihm eine fratzenhafte Maske aufgesetzt, die ihn als den "typischen" Juden zeigt, und gleichzeitig wird ein riesiger Ballon mit ebendieser Fratze aufgeblasen - da entsteigt der Oper der antisemitische Ungeist wie der Geist aus der Flasche.


Vergrößerung in neuem Fenster Nächtlicher Streit: Beckmesser und Sachs.

Der Wandel von der autobiographisch gefärbten Komödie, die die Meistersinger vielleicht im frühen Entwurfsstadium einmal gewesen sein mögen, zur bedeutungsschweren Nationaloper mit ebenjenem hetzerischen Subtext, den die Nazis nicht ohne Grund begeistert aufgriffen, deutet sich bereits am Ende des ersten Aufzugs an, wenn die Wände Wahnfrieds gegen den Gerichtssaal ausgetauscht werden (der aber erst im Schlussbild, der Festwiese, seine eigentliche Bedeutung erhält). Zunächst beschwört eine ziemlich verkrautete Wiese zwischen diesen holzgetäfelten Wänden so etwas wie Naturstimmung herauf (auf den besungenen Flieder wollen sich Kosky und Ringst aber nicht einlassen). Wie zuvor gibt es also ein "falsches" Bühnenbild, und doch erzählt Kosky die Geschichte erstaunlich genau. Die anfängliche Idee, aus der Imagination des fabulierenden Künstlers heraus einen Kosmos wider alle Vernunft entstehen zu lassen, mit putzigen Meistersingern in herrlich historisierenden Kostümen (Klaus Bruhns), zieht Kosky konsequent durch, immer wieder mit ironischen Brechungen, und doch ist das eine von vielen Liebeserklärungen an diese schwierige Oper. Es ist ein Idyll voller Brüche, das hier aufgezeigt wird, immer wieder mit witzigen Momenten, vor allem aber mit ungeheurer Spielfreude - die Meistersinger sind, daran lässt Kosky keinen Zweifel, allerbestes Musiktheater.

Vergrößerung in neuem Fenster

Jude bleibt Jude, so hat es Richard Wagner gesehen und in der Figur des Beckmesser stellenweise zur Karikatur verzerrt dargestellt: Beckmesser, eben noch ein honoriger Bürger, in der "Prügelfuge"

Die bis ins kleinste Detail ausgefeilte Regie hört sehr genau auf die Musik - und umgekehrt: Dirigent Philippe Jordan geht ungeheuer flexibel auf das Bühnengeschehen ein, setzt passgenau die Zäsuren und phrasiert im Sinne des Textes. Altdeutsche Kraftmeierei ist ohnehin nicht seine Sache, die Musik fließt vom ersten Takt des Vorspiels an sinnlich überströmend (wobei ein wenig mehr Klarheit da nicht schaden würde), und da, wo die Musik vor Kraft nur so strotzen will wie im "Wach auf!"-Chorfortissimo, da unterschlägt zwar nicht die Wucht, paart diese aber mit einer Eleganz und Geschmeidigkeit, wie man sie kaum je gehört hat bei diesem Werk. Dabei wird keine Note zu leicht genommen. Gerade die leisen Passagen erhalten eine Nachdenklichkeit, die ihresgleichen sucht. Chor und Orchester setzen das großartig um.


Vergrößerung in neuem Fenster Ein Preislied wird erfunden: Sachs und Stolzing

Wie auch die Sänger. Klaus Florian Vogts knabenhaftes Timbre ist ja durchaus Geschmackssache; wenn er im dritten Aufzug unter Sachs' Anleitung sein Preislied erfinden soll und jede Phrase zaghaft suchend wie aus dem Nichts beginnt, um sich dann zunehmend sicherer zu imposanten tenoralen Ausbrüchen aufzuschwingen, dann bekommt das plötzlich eine dramaturgische Funktion und man möchte das gar nie anders hören als hier von Vogt und Jordan behutsam entwickelt und grandios fortgeführt - mit einem volltönenden Michael Volle als Sachs, wie ihn Bayreuth lange nicht gehört hat, mit jugendlicher Energie statt altväterlicher Dröhnung. Johannes Martin Kränzle ist ein immer wohlklingender, sehr genau nuancierender Beckmesser, Daniel Behle ein nicht zu leichter David mit lyrischen Zwischentönen, Günther Groissböck ein tadellos souveräner Pogner. Anne Schwanewilms kann mit solchem Festspielglanz nicht mithalten, ihre Eva schwankt etwas unentschlossen zwischen lyrischem und dramatischem Tonfall, hat aber ein paar wunderschöne Pianotöne. Wiebke Lehmkuhl ist eine unscheinbare Magdalene. Und ausnahmslos alle, Meistersinger und Lehrbuben eingeschlossen, zeigen eine unbändige Lust am Spiel.

Vergrößerung in neuem Fenster

"Heil! Sachs! Nürnbergs teurem Sachs!" Wagner-Sachs lässt sich's gefallen. Das Urteil über die Meistersinger muss er allerdings dem Publikum überlassen.

"Verachtetet mir die Meister nicht": Bleibt der gefürchtete Schlussmonolog des Hans Sachs über die vermeintlich rettende deutsche Kunst. Kosky inszeniert gegen alle Konvention, wenn er vorher alle außer Sachs abgehen lässt. Der steht allein da und hält das Schlussplädoyer - gerichtet an das Festspielpublikum, und Michael Volle, Philippe Jordan und das Festspielorchester suchen und finden die Zwischentöne und das Zweifelnde und brechen das fatale Pathos der Szene. Und für den emphatischen Schluss mit seinen fatalen "Heil"-Rufen hat sich der Chor in blitzschnell seiner Renaissance-Kostümierung entledigt und neutral-schwarze Konzertkleidung angezogen, und Sachs-Wagner dirigiert, als wolle er sagen: "Hört die Musik, wenn ihr über diese Oper urteilt". In den Salon der Villa Wahnfried, wo alles begann, kehren wir nicht zurück, von solcher privatbiographischen Sphäre haben sich diese Meistersinger viel zu weit entfernt. Kosky hat nichts unterschlagen von dem Furchtbaren, was von ihnen ausging und mit ihnen angerichtet wurde; die Meistersinger gibt es bei ihm nicht ohne die Abgründe, die sich darin auftun. Aber gleichzeitig ist er in jedem Moment ein Theater-Begeisterter und -Begeisterer. Den Bayreuther Festspielen hätte nichts Besseres passieren können.


FAZIT

Kosky, Jordan und einem festspielreifen Ensemble gelingt das Kunststück, eine ungemein kluge und sehr nachdenkliche Inszenierung entstehen zu lassen, die gleichzeitig in jedem Takt großartiges und oft auch witziges, musikalisch überragendes Theater bietet.




Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief



Weitere Rezensionen von den Bayreuther Festspielen 2017



Produktionsteam

Musikalische Leitung
Philippe Jordan

Inszenierung
Barrie Kosky

Bühnenbild
Rebecca Ringst

Kostüme
Klaus Bruns

Licht
Franck Evin

Choreinstudierung
Eberhard Friedrich

Dramaturgie
Ulrich Lenz

Statisterie, Chor und Orchester
der Bayreuther Festspiele


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Hans Sachs, Schuster
Michael Volle

Veit Pogner, Goldschmied
Günther Groissböck

Kunz Vogelgesang, Kürschner
Tansel Akzeybek

Konrad Nachtigal, Spengler
Armin Kolarczyk

Sixtus Beckmesser, Stadtschreiber
Johannes Martin Kränzle

Fritz Kothner, Bäcker
Daniel Schmutzhard

Balthasar Zorn, Zinngießer
Paul Kaufmann

Ulrich Eisslinger, Würzkrämer
Christopher Kaplan

Augustin Moser, Schneider
Stefan Heibach

Hermann Ortel, Seifensieder
Raimund Nolte

Hans Schwarz, Strumpfwirker
Andreas Hörl

Hans Foltz, Kupferschmied
Timo Riihonen

Walther von Stolzing
Klaus Florian Vogt

David, Sachsens Lehrbube
Daniel Behle

Eva, Pogners Tochter
Anne Schwanewilms

Magdalene, Evas Amme
Wiebke Lehmkuhl

Ein Nachtwächter
* Karl-Heinz Lehner
Georg Zeppenfeld


Weitere Rezensionen von den
Bayreuther Festspielen 2017



Weitere
Informationen

erhalten Sie von den
Bayreuther Festspielen
(Homepage)




Da capo al Fine

Homepage Festspiele-Hauptseite E-Mail Impressum

© 2017 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: festspiele@omm.de

- Fine -