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Großartiger Belcanto-Abend mit fragwürdigen Regie-EinfällenVon Thomas Molke / Fotos: © TFE Presse Rossinis letzte in und für Italien geschriebene Opera seria Semiramide nimmt im Opernschaffen des Pesaresen eine besondere Stellung ein. Zum einen zählte dieses Werk in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts zu den meistgespielten Opern des Komponisten und erzielte bei der Uraufführung am 3. Februar 1823 einen so großen Erfolg, dass es einen Monat lang fast täglich wiederholt werden musste. Zum anderen fasste Rossini darin noch einmal seine ganze italienische Opernerfahrung zusammen und führte die Opera seria zu einem Höhepunkt. Dabei weicht das Stück in zahlreichen Punkten von der damaligen norditalienischen Tradition ab. So können die beiden weiblichen Hauptpartien kein Liebespaar bilden, weil es sich dabei um Mutter und Sohn handelt. Des Weiteren stellt die Ermordung der Titelpartie für die damaligen Verhältnisse in Norditalien ein absolut untypisches Ende dar. Neu ist auch die nahezu durchkomponierte Form, die den Aufbau der einzelnen Nummern nicht mehr genau erkennen lässt. Dies alles und die nahezu wagnerianische Länge mag Grund genug für Gustav Kuhn gewesen sein, dieses Stück nun auch bei den Tiroler Sommer-Festspielen in Erl auf den Spielplan zu stellen. Dass die Aufführung dabei noch länger gerät als die konzertante Aufführung in Bad Wildbad, 2012, bei der das Stück ungekürzt gespielt wurde, dürfte daran liegen, dass es in Erl zwei Pausen gibt. Arsace (Svetlana Kotina, rechts) und Assur (Giovanni Battista Parodi, links) buhlen um die Macht und die Gunst der Prinzessin Azema (Maria Rosaria Lopalco). Die Handlung folgt im Großen und Ganzen der gleichnamigen Tragödie von Voltaire und kann als orientalische Mischung aus Orestie, Hamlet und König Oedipus betrachtet werden. Die assyrische Königin Semiramide hat vor 15 Jahren gemeinsam mit dem Prinzen Assur ihren Gatten, den König Nino, vergiftet und regiert seitdem relativ erfolgreich über Babylon. Der Hohepriester Oroe drängt sie jedoch, endlich einen männlichen Nachfolger zu bestimmen. Während Assur darauf hofft, zum König ernannt zu werden und damit die Hand der Prinzessin Azema zu erhalten, verfolgt Semiramide andere Pläne. Sie hat sich in Arsace, den jungen Anführer des assyrischen Heeres, verliebt und beabsichtigt, ihn an ihrer Seite zum neuen König zu machen, ohne zu wissen, dass Arsace ihr tot geglaubter Sohn Ninia ist, den der sterbende Nino kurz vor seinem Tod hatte außer Landes schaffen lassen. Arsace, der ebenfalls Azema liebt, ist von diesem Vorhaben zwar nicht begeistert, willigt aber ein, dem Befehl seiner Königin Folge zu leisten, als sich plötzlich Ninos Schatten aus dem Grab erhebt und Arsace ermahnt, den Mord am König zu rächen. Oroe offenbart Arsace seine Herkunft und fordert ihn auf, dem Befehl des toten Königs Folge zu leisten. Arsace will aber nur Assur für den Mord zur Rechenschaft ziehen und seine geliebte Mutter verschonen. In der Grabkammer des Königs kommt es zu einer Auseinandersetzung zwischen den beiden Männern. Als Arsace jedoch zum tödlichen Schlag ausholt, trifft er seine Mutter, die sich zu seinem Schutz ebenfalls in die Grabkammer begeben hat. Während Assur festgenommen wird und darüber triumphiert, dass Arsace seine eigene Mutter getötet hat, wird der verzweifelte Arsace vom jubelnden Volk als neuer König gefeiert.
Semiramide (Maria Radoeva) mit ihrem Gefolge in
den hängenden Gärten
Tiere spielen auch in den Requisiten eine nicht ganz verständliche Rolle. Auf
Idreno (Hiu Jin, links), Assur (Giovanni Battista
Parodi, zweiter von links), Azema (Maria Rosalia Lopalco, Mitte links),
Semiramide (Maria Radoeva, Mitte rechts), Oroe (Raphael Sigling, zweiter von
rechts) und Arsace (Svetlana Kotina, rechts) in der Grabkammer des Nino (oben:
Tänzerinnen und Tänzer)
Im Gegensatz zu den kleineren szenischen Unstimmigkeiten lässt der Abend
stimmlich keinerlei Wünsche offen. Ein Höhepunkt des Abends ist Svetlana Kotina
als Arsace. Mit samtig weichem Mezzosopran und großer Beweglichkeit in den
Koloraturen begeistert sie bereits in ihrer ersten Kavatine "Ah! quel giorno
ognor rammento", in der sie darauf hofft, von Semiramide Azemas Hand zu
erhalten. Auch im folgenden Duett mit Giovanni Battista Parodi als Assur, in dem
sich die beiden als Widersacher um die Gunst der schönen Azema erkennen, setzt
Kotina mit großer Dramatik Akzente. Parodi hält mit schwarz gefärbtem Bass
wunderbar dagegen, klingt jedoch in den Höhen ein wenig angestrengt und zeigt
sich in den schnellen Läufen nicht ganz so beweglich wie Kotina. Die große
Wahnsinns-Arie am Ende des zweiten Aktes, wenn Assur in der Grabkammer noch
einmal dem Geist des toten Königs begegnet, wird von Parodi mit dramatischem
Bass großartig umgesetzt. Maria Rosaria Lopalco überzeugt als schöne Prinzessin
Azema mit mädchenhaft leuchtendem Sopran. Als Dritter im Kampf um die schöne
Prinzessin stattet Hui Jin den indischen Prinzen Idreno mit kräftigen Tenor aus,
der in den Höhen zwar stellenweise etwas stark forciert, aber dennoch strahlend
klingt. Raphael Sigling verleiht dem Hohepriester Oroe mit dunkler Stimmfärbung
und tiefer Schwärze eine enorme Autorität, die direkt in seiner ersten Szene
deutlich wird, wenn er die Gottheit auffordert, den Mord am König endlich zu
rächen.
Semiramide (Maria Radoeva) in der
Auseinandersetzung mit Assur (Giovanni Battista Parodi)
Als stimmliche und optische Idealbesetzung kann auch Maria Radoeva als
Semiramide bezeichnet werden, die mit gestochen scharfen Koloraturen und
großartiger Dramatik begeistert. Unter die Haut gehen ihre beiden Duette mit
Kotina, da Kotinas samtiger Mezzo und Radoevas dramatischer Sopran wunderbar
harmonieren. Wenn die beiden im ersten Duett von ihrer großen Liebe singen,
damit aber unterschiedliche Personen meinen, ist die Interpretation der beiden
Frauen an emotionaler Innigkeit kaum zu überbieten. Einen großartigen
Stimmungswechsel vollziehen sie dann im zweiten Duett, wenn ihnen bewusst ist,
dass sie Mutter und Sohn ist. Hier schlägt Radoeva regelrecht verzweifelte Töne
an, um Vergebung von ihrem Sohn zu erlangen, und Kotina zeigt sich von ihren
Gefühlen für die Mutter und der Pflicht, den Mord am Vater zu rächen, hin- und
hergerissen. Von einer ganz anderen Seite präsentiert Radoeva sich dann im Duett
mit Parodi, in dem die assyrische Königin ihrem ehemaligen Geliebten nun als
eiskalt berechnende Frau entgegentritt. Hier liefern sich Radoeva und Parodi
stimmlich einen fulminanten Schlagabtausch. So gibt es am Ende großen Applaus
für alle Beteiligten, in den sich auch das Regie-Team bei dieser zweiten
Aufführung noch einmal mit einreiht.
FAZIT
Auch wenn szenisch nicht alles nachvollziehbar wird, erlebt man an diesem Abend
im Erler Festspielhaus Belcanto vom Feinsten in nahezu wagnerianischer Länge.
Weitere Rezensionen zu den Tiroler
Festspielen Sommer 2017 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungGustav Kuhn Gesamtproduktion Bühnenbild Kostüme Choreographie
Orchester und Chorakademie der
Solisten*rezensierte Aufführung Semiramide
Assur Oroe
Arsace Idreno
Azema
Mitrane
L'ombra di Nino Tänzerinnen und Tänzer
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- Fine -