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Tiroler Festspiele Erl Sommer

06.07.2017 - 30.07.2017


Semiramide

Opera seria in zwei Akten
Libretto von Gaetano Rossi nach Voltaires Sémiramis
Musik von Gioachino Rossini

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4 h 45' (zwei Pausen)

Premiere im Festspielhaus am 7. Juli 2017
(rezensierte Aufführung: 21.07.2017)

 

 

 

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Großartiger Belcanto-Abend mit fragwürdigen Regie-Einfällen

Von Thomas Molke / Fotos: © TFE Presse

Rossinis letzte in und für Italien geschriebene Opera seria Semiramide nimmt im Opernschaffen des Pesaresen eine besondere Stellung ein. Zum einen zählte dieses Werk in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts zu den meistgespielten Opern des Komponisten und erzielte bei der Uraufführung am 3. Februar 1823 einen so großen Erfolg, dass es einen Monat lang fast täglich wiederholt werden musste. Zum anderen fasste Rossini darin noch einmal seine ganze italienische Opernerfahrung zusammen und führte die Opera seria zu einem Höhepunkt. Dabei weicht das Stück in zahlreichen Punkten von der damaligen norditalienischen Tradition ab. So können die beiden weiblichen Hauptpartien kein Liebespaar bilden, weil es sich dabei um Mutter und Sohn handelt. Des Weiteren stellt die Ermordung der Titelpartie für die damaligen Verhältnisse in Norditalien ein absolut untypisches Ende dar. Neu ist auch die nahezu durchkomponierte Form, die den Aufbau der einzelnen Nummern nicht mehr genau erkennen lässt. Dies alles und die nahezu wagnerianische Länge mag Grund genug für Gustav Kuhn gewesen sein, dieses Stück nun auch bei den Tiroler Sommer-Festspielen in Erl auf den Spielplan zu stellen. Dass die Aufführung dabei noch länger gerät als die konzertante Aufführung in Bad Wildbad, 2012, bei der das Stück ungekürzt gespielt wurde, dürfte daran liegen, dass es in Erl zwei Pausen gibt.

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Arsace (Svetlana Kotina, rechts) und Assur (Giovanni Battista Parodi, links) buhlen um die Macht und die Gunst der Prinzessin Azema (Maria Rosaria Lopalco).

Die Handlung folgt im Großen und Ganzen der gleichnamigen Tragödie von Voltaire und kann als orientalische Mischung aus Orestie, Hamlet und König Oedipus betrachtet werden. Die assyrische Königin Semiramide hat vor 15 Jahren gemeinsam mit dem Prinzen Assur ihren Gatten, den König Nino, vergiftet und regiert seitdem relativ erfolgreich über Babylon. Der Hohepriester Oroe drängt sie jedoch, endlich einen männlichen Nachfolger zu bestimmen. Während Assur darauf hofft, zum König ernannt zu werden und damit die Hand der Prinzessin Azema zu erhalten, verfolgt Semiramide andere Pläne. Sie hat sich in Arsace, den jungen Anführer des assyrischen Heeres, verliebt und beabsichtigt, ihn an ihrer Seite zum neuen König zu machen, ohne zu wissen, dass Arsace ihr tot geglaubter Sohn Ninia ist, den der sterbende Nino kurz vor seinem Tod hatte außer Landes schaffen lassen. Arsace, der ebenfalls Azema liebt, ist von diesem Vorhaben zwar nicht begeistert, willigt aber ein, dem Befehl seiner Königin Folge zu leisten, als sich plötzlich Ninos Schatten aus dem Grab erhebt und Arsace ermahnt, den Mord am König zu rächen. Oroe offenbart Arsace seine Herkunft und fordert ihn auf, dem Befehl des toten Königs Folge zu leisten. Arsace will aber nur Assur für den Mord zur Rechenschaft ziehen und seine geliebte Mutter verschonen. In der Grabkammer des Königs kommt es zu einer Auseinandersetzung zwischen den beiden Männern. Als Arsace jedoch zum tödlichen Schlag ausholt, trifft er seine Mutter, die sich zu seinem Schutz ebenfalls in die Grabkammer begeben hat. Während Assur festgenommen wird und darüber triumphiert, dass Arsace seine eigene Mutter getötet hat, wird der verzweifelte Arsace vom jubelnden Volk als neuer König gefeiert.

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Semiramide (Maria Radoeva) mit ihrem Gefolge in den hängenden Gärten

Inszeniert wird das Stück von der Künstlergruppe "Furore di Montegral", hinter der sich Alfredo Troisi (Bühnenbild), Lenda Radecky (Kostüme) und Katharina Glas (Choreographie) verbergen. Troisi hat ein abstraktes Bühnenbild entworfen, das durch Einsatz der Hebebühne und Zwischenwände gewaltige Räume konzipiert. Erwähnt seien hier die hängenden Gärten der Semiramis, die in rot leuchtenden Blumenbändern vom Schnürboden herabhängen oder die dunkle Grabkammer des Nino, in der Arsace versehentlich seine Mutter tötet. Bei den Kostümen von Radecky hingegen kann nicht jeder Einfall als geglückt bezeichnet werden. So stattet Radecky die Figuren zwar mit opulenten Kostümen und orientalischem Flair aus, wieso jedoch Arsace in der Hosenrolle auf Stilettos in hohen schwarzen Lederstiefeln daherkommen muss und auch der blaue Lendenschurz ein wenig kurz geraten ist, wird nicht klar, da die Figur dadurch optisch und in der Bewegung sehr feminine Züge erhält. Für die Titelpartie entwirft Radecky glänzende rote Kostüme, die die schlanke Figur von Maria Radoeva sehr gut zur Geltung kommen lassen. Der hautenge Blumen-Suit, der unter den aufgestickten rot glänzenden Blüten die nackte Haut suggeriert, wirkt unter dem langen wehenden feuerroten Umhang allerdings doch ein wenig gewagt. Auch wird nicht ganz klar, wieso das Kostüm des indischen Prinzen Idreno mit sechs langen grünen Bändern umgeben ist, die drei Balletttänzerinnen wie weitere Arme um ihn herumwehen lassen und ihn in seiner Bewegungsfreiheit ein wenig einschränken. Der Chor der Assyrer trägt dunkle Bergarbeiter-Schutzbrillen und erinnert bei seinem Auftritt in gewisser Weise an Maulwürfe.

Tiere spielen auch in den Requisiten eine nicht ganz verständliche Rolle. Auf schwarzen Podesten werden gipsartige Tierköpfe von den Figuren in einzelnen Szenen über die Bühne geschoben. Eine sinnvolle Zuordnung zu den einzelnen Charakteren lässt sich dabei allerdings nicht erkennen. Auch die Chorpassagen werden in der Choreographie von Katharina Glas gewöhnungsbedürftig umgesetzt. So wirkt es zwar amüsant, wenn sich der Chor zu den schnellen Läufen Rossinis im Takt bewegt, zum Inhalt des gesungenen Textes passt es allerdings weniger, da die Bewegungen des Chors mit dem ruckartigen Zucken des Kopfes und dem einen Marsch erinnernden Polonaise-Schritt der jeweiligen Situation die Ernsthaftigkeit nehmen. Gleiches gilt für Semiramide, wenn sich die tote Königin während der letzten Takte äußerst lebendig vom Boden erhebt. Fraglich ist auch die musikalische Entscheidung, die Ouvertüre nicht an den Anfang der Oper zu stellen, sondern mitten im ersten Akt nach der ersten Auseinandersetzung zwischen Arsace und Assur zu platzieren, um damit die erste Pause einzuleiten. Sieht man von der eigentlich unpassenden Stellung im Stück ab, gelingt es Kuhn mit dem frisch aufspielenden Orchester der Tiroler Festspiele Erl die zahlreichen Melodien der Oper, die hier bereits anklingen, sorgsam und mit feinem Gespür herauszuarbeiten und den ersten Teil bis zur Pause mit einem musikalischen Glanzpunkt enden zu lassen.

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Idreno (Hiu Jin, links), Assur (Giovanni Battista Parodi, zweiter von links), Azema (Maria Rosalia Lopalco, Mitte links), Semiramide (Maria Radoeva, Mitte rechts), Oroe (Raphael Sigling, zweiter von rechts) und Arsace (Svetlana Kotina, rechts) in der Grabkammer des Nino (oben: Tänzerinnen und Tänzer)

Im Gegensatz zu den kleineren szenischen Unstimmigkeiten lässt der Abend stimmlich keinerlei Wünsche offen. Ein Höhepunkt des Abends ist Svetlana Kotina als Arsace. Mit samtig weichem Mezzosopran und großer Beweglichkeit in den Koloraturen begeistert sie bereits in ihrer ersten Kavatine "Ah! quel giorno ognor rammento", in der sie darauf hofft, von Semiramide Azemas Hand zu erhalten. Auch im folgenden Duett mit Giovanni Battista Parodi als Assur, in dem sich die beiden als Widersacher um die Gunst der schönen Azema erkennen, setzt Kotina mit großer Dramatik Akzente. Parodi hält mit schwarz gefärbtem Bass wunderbar dagegen, klingt jedoch in den Höhen ein wenig angestrengt und zeigt sich in den schnellen Läufen nicht ganz so beweglich wie Kotina. Die große Wahnsinns-Arie am Ende des zweiten Aktes, wenn Assur in der Grabkammer noch einmal dem Geist des toten Königs begegnet, wird von Parodi mit dramatischem Bass großartig umgesetzt. Maria Rosaria Lopalco überzeugt als schöne Prinzessin Azema mit mädchenhaft leuchtendem Sopran. Als Dritter im Kampf um die schöne Prinzessin stattet Hui Jin den indischen Prinzen Idreno mit kräftigen Tenor aus, der in den Höhen zwar stellenweise etwas stark forciert, aber dennoch strahlend klingt. Raphael Sigling verleiht dem Hohepriester Oroe mit dunkler Stimmfärbung und tiefer Schwärze eine enorme Autorität, die direkt in seiner ersten Szene deutlich wird, wenn er die Gottheit auffordert, den Mord am König endlich zu rächen.

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Semiramide (Maria Radoeva) in der Auseinandersetzung mit Assur (Giovanni Battista Parodi)

Als stimmliche und optische Idealbesetzung kann auch Maria Radoeva als Semiramide bezeichnet werden, die mit gestochen scharfen Koloraturen und großartiger Dramatik begeistert. Unter die Haut gehen ihre beiden Duette mit Kotina, da Kotinas samtiger Mezzo und Radoevas dramatischer Sopran wunderbar harmonieren. Wenn die beiden im ersten Duett von ihrer großen Liebe singen, damit aber unterschiedliche Personen meinen, ist die Interpretation der beiden Frauen an emotionaler Innigkeit kaum zu überbieten. Einen großartigen Stimmungswechsel vollziehen sie dann im zweiten Duett, wenn ihnen bewusst ist, dass sie Mutter und Sohn ist. Hier schlägt Radoeva regelrecht verzweifelte Töne an, um Vergebung von ihrem Sohn zu erlangen, und Kotina zeigt sich von ihren Gefühlen für die Mutter und der Pflicht, den Mord am Vater zu rächen, hin- und hergerissen. Von einer ganz anderen Seite präsentiert Radoeva sich dann im Duett mit Parodi, in dem die assyrische Königin ihrem ehemaligen Geliebten nun als eiskalt berechnende Frau entgegentritt. Hier liefern sich Radoeva und Parodi stimmlich einen fulminanten Schlagabtausch. So gibt es am Ende großen Applaus für alle Beteiligten, in den sich auch das Regie-Team bei dieser zweiten Aufführung noch einmal mit einreiht.

FAZIT

Auch wenn szenisch nicht alles nachvollziehbar wird, erlebt man an diesem Abend im Erler Festspielhaus Belcanto vom Feinsten in nahezu wagnerianischer Länge.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Gustav Kuhn

Gesamtproduktion
Furore di Montegral

Bühnenbild
Alfredo Troisi

Kostüme
Lenda Radecky

Choreographie
Katharina Glas

 

Orchester und Chorakademie der
Tiroler Festspiele Erl


Solisten

*rezensierte Aufführung

Semiramide
*Maria Radoeva /
Anna Werle /
Federica Grumiro

Assur
Daniele Antonangeli /
*Giovanni Battista Parodi

Oroe
Szymon Chojnacki /
*Raphael Sigling

Arsace
*Svetlana Kotina /
Alena Sautier

Idreno
Li Biao /
*Hui Jin

Azema
*Maria Rosaria Lopalco /
Marta Mari

Mitrane
Luca Granziera /
*Giorgio Valenta

L'ombra di Nino
Frederik Baldus /
*Szymon Chojnacki

Tänzerinnen und Tänzer
Nozomi Chinju
Thomas Leopold
Florian Pizana
Thomas Riess
Thien Trang Tran Tranh
Julia Wutte

 


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Tiroler Festspiele Erl




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