Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum



42. Tage Alter Musik in Herne

09.11.2017 - 12.11.2017

Der blutige und sterbende Jesus

Passionsoratorium in zwei Teilen
Text von Christian Friedrich Hunold
Musik von Reinhard Keiser


In deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2 h 40' (eine Pause)

Aufführung im Kulturzentrum in Herne am 12. November 2017

 

 

Homepage

 

 

Abschluss mit Dornen

Von Thomas Molke / Fotos: © Thomas Kost / WDR

Auch wenn Reinhard Keiser mit seinem Passionsoratorium Der blutige und sterbende Jesus in seiner späteren Karriere große Erfolge feiern konnte, standen die ersten beiden Aufführungen in der Karwoche am 6. und 8. April 1705 in der dem städtischen Zuchthaus in Hamburg angegliederten Kirche unter keinem guten Stern und riefen den Protest des Geistlichen Ministeriums hervor. Von "anstößigen Veränderungen" und "eigenmächtigen Veränderungen" der Passionsgeschichte war die Rede, die für die bestehende Kirchenordnung nicht hinnehmbar seien. Was war geschehen? Christoph Friedrich Hunold, der unter dem Künstlernamen Menantes bekannt war, hatte die biblische Passionsschilderung für Keiser in singbare Reime gebracht, den Evangelisten als Erzähler gestrichen und stattdessen die Personen der Geschichte mit eigenem Text auftreten lassen. Hinzu kam, dass diese auch noch von Mitgliedern des Opernhauses am Gänsemarkt vorgetragen wurden und zusätzlich für die Aufführung Eintritt genommen wurde, was nach Ansicht des Ministeriums eindeutig belege, dass Keiser mit diesem Stück lediglich versuche, die von der Fastenzeit erzwungene Spielpause für die Oper zu umgehen. Der Erfolg des Werkes ließ sich allerdings nicht stoppen, wie zahlreiche spätere Aufführungen andernorts belegen. Als Keiser 1728 neuer Domkantor des Hamburger Doms wurde, nutzte er direkt die nächste Gelegenheit, das Stück in der Passionszeit 1729 aufzuführen. Eine Partiturhandschrift dieser Aufführung tauchte 2006 wieder auf, nachdem das Werk lange Zeit als verschollen galt, so dass es nun zum Abschluss der diesjährigen Tage Alter Musik in Herne unter dem Thema "Aufbruch!" zu hören ist.

Bild zum Vergrößern

Bernhard Klapprott mit der Capella Thuringia und dem Cantus Thuringia (dazwischen die Solisten, von links: Maria (Anna Kellnhofer, 2.), Tochter Zion, Sopran (Marie Luise Werneburg, 4.), Tochter Zion, Alt (Margot Oitzinger, 7.), Petrus (Manuel König, 10.), Judas (Benjamin Glaubitz, 11.), Jesus (Dominik Wörner, 14.) und Caiphas (Matthias Lutze, 16.)

Das Oratorium behandelt in zwei Teilen die Leidensgeschichte Jesus' vom letzten Abendmahl mit seinen Jüngern bis zur Kreuzigung. Neben Petrus, Judas, Maria und Caiphas tritt auch als eine Art allegorische Figur die Tochter Zion auf, die einerseits mit Jesus in Dialog tritt und andererseits eine kommentierende Rolle übernimmt. Im Zentrum des ersten Teils steht Jesus' Verhaftung und Petrus' Verrat. Eingerahmt wird der Teil von zwei Chorälen der christlichen Kirche. Der zweite Teil zeigt dann Jesus vor Pilatus, der ihn gegen seine Überzeugung den Juden zur Kreuzigung überlässt. In einem bewegenden Duett nimmt Jesus Abschied von seiner Mutter Maria, bevor er gekreuzigt wird. In einem weiteren Choral der christlichen Kirche wird sein Tod beklagt, bevor die Tochter Zion und ein Hauptmann die Auswirkungen auf die Natur beschreiben. Der Vorhang im Tempel zerreißt von oben bis unten, die Erde bebt und die Sonne verfinstert sich. Den Frauen und Jüngern bleibt am Ende nur noch übrig, den gekreuzigten Jesus zu beweinen und auf die gemeinsame Auferstehung zu hoffen.

Während die Choräle in ihrer strengen Form noch ganz der damaligen kirchlichen Ordnung entsprochen haben dürften, wird bei den Rezitativen, Choreinwürfen, Arien und Arioso-Episoden im dramatischen Aufbau deutlich, dass Keiser eher ein Komponist für die Opernbühne gewesen ist. Für leichte Verwirrung sorgt die Partie der Tochter Zion, die zwei unterschiedlichen Stimmlagen zugeordnet ist und somit als Figur noch weniger greifbar wird. Auch inhaltlich lässt sich nicht erkennen, wieso einzelne Passagen für einen Sopran und andere wiederum für eine Altstimme komponiert worden sind. Ansonsten lässt die differenzierte Ausgestaltung der einzelnen Arien aufhorchen. So tritt Petrus in den Dialog mit zwei Blockflöten, wenn er die Welt für das Unrecht verflucht, das Jesus erleiden muss. Maria wird in ihrer traurigen Arie, in der sie die Verhaftung ihres Sohnes beklagt, von zwei Traversflöten begleitet, die die Melancholie wunderbar untermalen. Caiphas erhält für die Arie, in der er Jesus vor Gericht ruft, mit dem Cembalo, dem Fagott und dem Bass eine sehr dunkle Begleitung, während die Tochter Zion am Ende die Verdunkelung der Erde mit Cembalo, Oboe und Violine als Begleitung beschreibt. Dass diese zahlreichen musikalischen Perlen jedoch nicht richtig zum Glänzen kommen, ist dem Dirigat von Bernhard Klapprott geschuldet, der die dramatische Struktur des Werkes mit unnötig langen Pausen zwischen den einzelnen Stücken zerfasert.

Bild zum Vergrößern

Bernhard Klapprott

Vielleicht sind die verhältnismäßig langen Unterbrechungen zwischen einzelnen Musikstücken der Tatsache geschuldet, dass die Aufführung auch auf Video aufgenommen wird und später als Stream bei WDR 3 abgerufen werden kann. Für den Live-Genuss ist dies aber genauso störend, wie das pfeifende Hörgerät, das im ersten Teil der Aufführung für leichte Unruhe im Saal sorgte. Natürlich benötigt es Zeit, wenn der Cembalist bei einzelnen Arien für Klapprott den Platz räumen muss, da dieser die Arien selbst begleitet. Aber bis die Noten jeweils sortiert sind, ist die dramatische Spannung verloren gegangen. Auch ist es fraglich, ob man wirklich immer erst warten muss, bis die Solisten nach einer Arie wieder ihren Platz in der Reihe des Chors hinter dem Orchester eingenommen haben, bevor man mit dem Stück fortfährt. Der Solo-Violine gelingt es kurz vor Ende leider nicht, eine Gänsehaut beim Zuhörer hervorzurufen, wenn das Zerreißen des Vorhangs im Tempel lautmalerisch beschrieben wird. Die abgehackten Klänge der Streicher hingegen erzeugen eine gekonnt düstere Atmosphäre, wenn Jesus am Kreuz seinen Vater fragt: "Warum hast du mich verlassen?"

Bild zum Vergrößern

Bernhard Klapprott mit der Capella Thuringia und dem Cantus Thuringia

Stimmlich überzeugt der Chor Cantus Thuringia bei den Chorälen und den Ensembles durch homogenen Klang, auch wenn der Chor der Kriegsknechte im ersten Teil ein wenig zu fröhlich und unbeteiligt klingt und damit den Inhalt des Textes nicht angemessen transportiert. Bei den Solisten gibt es Licht- und Schattenseiten. Manuel König ist mit seinem Tenor der Partie des Petrus nur bedingt gewachsen. In der großen Arie "Waffnet euch, ihr Himmel" im ersten Teil, die von den Blockflöten begleitet wird, bleibt er sehr blass und schafft es nicht, mit beweglichen Bögen zu glänzen. Benjamin Glaubitz gelingt es als Judas, mit seinem Tenor etwas mehr Dramatik zu entfalten, was vor allem in seiner großen Arie kurz vor Judas' Selbstmord zum Ausdruck kommt. Matthias Lutze legt die Partie des Caiphas mit dunklem Bass an und verleiht der Figur damit die erforderlichen schwarzen Züge. Dominik Wörner verfügt als Jesus über einen weichen Bass, der der Güte der Figur gerecht wird, aber ein wenig mehr Profil benötigt hätte. Im Duett mit seiner Mutter Maria und in der Sterbeszene gewinnt er aber an Dramatik. Bei den drei Frauenpartien sind keine Abstriche zu machen. Anna Kellnhofer gestaltet die Maria mit weichem Sopran, der ihr Leiden glaubhaft werden lässt. Besonders bewegend gelingt ihr das Arioso "Da nun der Mensch vor Gott sein Herz verloren" zur Flötenbegleitung am Ende des zweiten Teils. Marie Luise Werneburg stattet die Tochter Zion mit einem leuchtenden Sopran und sauberen Koloraturen aus, während Margot Oitzinger die Partie mit einem warmen weichen Alt anlegt.

FAZIT

In Reinhard Keisers Passionsoratorium steckt mehr Dramatik als die Capella Thuringia unter der Leitung von Bernhard Klapprott herausarbeiten kann. So bildet die Aufführung leider nicht den fulminanten Abschluss der diesjährigen Tage Alter Musik in Herne, den man sich von dem Werk vielleicht erhofft hat.

 Weitere Rezensionen zu den Tagen der Alten Musik in Herne 2017

Produktionsteam

Musikalische Leitung und Cembalo
Bernhard Klapprott



Cantus Thuringia

Capella Thuringia

 

Solisten

Tochter Zion 1
Marie Luise Werneburg

Maria
Anna Kellnhofer

Tochter Zion 2
Margot Oitzinger

Petrus
Manuel König

Judas
Benjamin Glaubitz

Jesus
Dominik Wörner

Caiphas
Matthias Lutze

Magd 1
Angelika Lentner

Sopran 1
Franziska Eberhardt

Magd 2
Heidrun Voßmeier

Sopran 2
Lena Schneider

Hauptmann / Zeuge
Stefan Kunath

Zeuge / Gefolge
Thomas Riede

Hauptmann
Alexander Bischoff

Pilatus
Joachim Holzhey

Zeuge / Gefolge
Sönke Tams Freier

 

Weitere
Informationen

erhalten Sie unter
Tage Alter Musik in Herne
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum

© 2017 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de

- Fine -