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42. Tage Alter Musik in Herne

09.11.2017 - 12.11.2017

La liberazione di Ruggiero dall'isola d'Alcina

Balletto in musica
Libretto von Ferdinando Saracinelli nach Ludovico Ariosto
Musik von Francesca Caccini


In italienischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 1 h 30' (keine Pause)

Aufführung im Kulturzentrum in Herne am 11. November 2017

 

 

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Dominanz der Frauen

Von Thomas Molke / Fotos: © Thomas Kost / WDR

Die diesjährigen Tage Alter Musik in Herne beschäftigen sich unter dem Motto "Aufbruch!" mit Rebellen, Reformern und Revolutionären in der Musik zwischen Mittelalter und Romantik. Da darf natürlich auch Francesca Caccini nicht fehlen, der es im 17. Jahrhundert gelang, fast vier Jahrzehnte als freischaffende und hochbezahlte Musikerin tätig zu sein und als erste Opernkomponistin in die Geschichte einzugehen. "La Cecchina", das Singvögelchen, wurde sie liebevoll genannt, und auch Claudio Monteverdi lobte ihre schöne Stimme und ihr musikalisches Talent an der Laute und am Cembalo. Doch die politische Situation in der Toscana ermöglichte ihr viel mehr, als nur ein dekoratives Singvögelchen in männlichen Kompositionen zu sein. Hier hielten nämlich Christina von Lothringen und ihre Schwiegertochter Maria Magdalena die Zügel in der Hand und führten die Gegend immerhin durch eine fast 30 Jahre währende Periode des Friedens und Wohlstands. Es verwundert nicht, dass die beiden Damen vor allem auch Künstlerinnen wie etwa die Malerin Artemisia Gentilleschi oder eben Francesca Caccini förderten. Caccini leitete in dieser Zeit am Hof das Frauenensemble "Le cantatrici de Pitti" und soll insgesamt sieben Bühnenwerke komponiert haben, von denen jedoch nur La liberazione di Ruggiero dall'isola d'Alcina erhalten ist.

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Alcina (María Cristina Kiehr, vorne links) und Melissa (Sarah Breton, rechts) kämpfen um den Ritter Ruggiero (vorne Mitte: Jean-Marc Aymes an der Orgel mit dem Concerto soave dahinter, im Hintergrund von links: Alice Duport-Percier, Lise Viricel, Axelle Verner, Laurent David und Éric Chopin).

Wie Händels Meisterwerk Alcina greift das Stück auf das berühmte Versepos Orlando furioso von Ludovico Ariosto zurück und handelt von dem Sarazenenritter Ruggiero, der auf der Insel der orientalischen Zauberin Alcina strandet und sich durch Einsatz von Magie in sie verliebt. Seine Verlobte Bradamante, mit der er eigentlich das Haus Este in Ferrara gründen soll, taucht anders als bei Händel hier nicht auf, sondern schickt ihre Vertraute Melissa, ebenfalls eine Zauberin, um Ruggiero zu finden und zurückzubringen. Melissa gelingt es, Alcinas Zauber zu zerstören und Ruggiero wieder zur Vernunft zu bringen. Die früheren Liebhaber Alcinas, die in Pflanzen verwandelt worden sind, werden ebenso befreit wie die Damen, die ihre Freiheit für die ihres Geliebten opfern wollten und dafür von Alcina versteinert wurden. Alcina schwört mit ihren höllischen Verbündeten Rache, doch sie wird von Melissa in die Flucht geschlagen. Ein gewaltiges Meeresungeheuer trägt Alcina davon, während Melissa und die befreiten Paare den Wert der Tugend preisen.

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Ruggiero (Romain Bockler) zwischen zwei Frauen (im Hintergrund von links: Melissa (Sarah Breton), Laurent David und Éric Chopin)

Die Oper wurde am 3. Februar 1625 zur Einweihung des Poggio Imperiale uraufgeführt. Die Auswahl des Sujets mag mehrere Gründe gehabt haben. Zum einen kann das Stück als eine Art Machtdemonstration der amtierenden Großherzogin Maria Magdalena verstanden werden, da eine fiktionale Welt gezeigt wird, in der ausschließlich Frauen die handelnden Personen sind. Die mächtige Zauberin Melissa, die sich im Verlauf der Oper auch in einen Mann, Ruggieros Erzieher Atlas, verwandelt, lässt sich folglich als Selbstdarstellung Maria Magdalenas deuten. Ruggiero verhält sich eher passiv und lässt sich erst von Alcina manipulieren und später von Melissa, die er Mutter und Vater nennt, auf den Pfad der Tugend zurückholen. Diese Botschaft mag sich an den damals pubertierenden zukünftigen Großherzog Ferdinando gerichtet haben, für den der Held Ruggiero eine Identifikationsfigur darstellen sollte. Auch mit dem 20-minütigen (heute leider verschollenen) Rossballett am Ende der Oper, konnte Maria Magdalena ihre Macht demonstrieren, da sich das Publikum der Uraufführung zu diesem Zweck aus dem Innenhof, in dem die Oper dargeboten wurde, in den ersten Stock des Palastes begab, um vom monumentalen Balkon Zeuge eines beeindruckenden Spektakels mit berittenen Pferden zu werden. Zum anderen wurde mit der Aufführung dem Besuch des Kronprinzen von Polen, Wladislaw IV. Wasa, gehuldigt, der nicht nur Maria Magdalenas Neffe war, sondern auch mit ihrer Tochter Margherita de' Medici verlobt werden sollte. Deswegen ist dem Stück ein Prolog vorangestellt, in dem der Meeresgott Neptun gemeinsam mit dem Fluss Weichsel den Gast begrüßt und zur Betrachtung der folgenden Geschichte einlädt.

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Schlussapplaus (Jean-Marc Aymes (ganz links) mit dem Concerto soave und Solisten (von links): Laurent David, Éric Chopin, Sarah Breton, María Cristina Kiehr, Romain Bockler, , Alice Duport-Percier, Axelle Verner und Lise Viricel)

Musikalisch gelingt es dem siebenköpfigen Ensemble Concerto soave unter der Leitung ihres Mitbegründers Jean-Marc Aymes, der die Aufführung gleichzeitig noch an der Orgel begleitet, die bildhafte Musik Caccinis differenziert herauszuarbeiten. So lullen harmonische Klänge mit weiblichen Stimmen Ruggiero zunächst mit musikalischen Wonnen in ein Zauberreich ein, das man eigentlich gar nicht verlassen möchte. Das verführerische Strophenlied der Sirenen nach französischem Vorbild unterstreicht, dass Ruggiero dem Zauber Alcinas absolut verfallen ist. In musikalischem Kontrast dazu steht Melissas Auftritt mit stark kadenzierten Harmonien, die Ruggiero abrupt aus dieser Traumwelt reißen. Ruggiero übernimmt in seinem Gesang diesen Ausdrucksstil sofort. Alcina bäumt sich verzweifelt dagegen auf, unterliegt aber mit einem großartig komponierten Lamento. Der Racheschwur des Chors der Ungeheuer hallt noch lange nach, bevor Melissa die Gemüter wieder beruhigt und die befreiten Menschen zu einem ausgelassenen Tanz auffordert, der in einem Madrigal endet, in dem die Schönheit und Treue der toskanischen Frauen besungen werden.

Die acht Solisten, die auch die Rolle des Chors übernehmen und für die Solopartien jeweils vor das Orchester treten, überzeugen stimmlich auf ganzer Linie. María Cristina Kiehr, die gemeinsam mit Jean-Marc Aymes das Ensemble Concerte soave gegründet hat, gestaltet die Partie der Alcina mit rundem Sopran. Dabei arbeitet sie die Verführungskünste der Zauberin stimmlich genauso überzeugend heraus wie das Leid und die Verzweiflung, wenn Alcina erkennen muss, dass sie ihrer Rivalin Melissa im Kampf um Ruggiero unterliegt. Ein Glanzpunkt ist ihr großes Lamento "Ahi, Melissa, Melissa", in dem sie einen letzten Versuch unternehmen will, Ruggiero zurückzugewinnen. Sarah Breton hält als Alcinas Gegenspielerin Melissa mit sattem Mezzosopran dagegen und macht deutlich, dass ihre Macht der Alcinas überlegen ist. Romain Bockler überzeugt als Ruggiero mit flexiblem Bariton, der sowohl mit Kiehrs Sopran zu Beginn in bewegender Harmonie unterstreicht, wie glücklich er im Zauberreich Alcinas ist, als auch Bretons harten Tonfall übernimmt und sich fortan standhaft den Verführungskünsten Alcinas widersetzt. Als Flussgott Nettuno strahlt er im Prolog mit markanten Tiefen die notwendige Autorität aus. Auch die übrigen Solisten überzeugen in den kleineren Partien und als Chor, so dass es am Ende verdienten Beifall für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Diese erste von einer Frau komponierte Oper stellt sicherlich eine Besonderheit im musikalischen Schaffen des 17. Jahrhunderts dar.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung und Orgel
Jean-Marc Aymes



Concerto soave

 

Solisten

Alcina
María Cristina Kiehr

Ruggiero / Nettuno
Romain Bockler

Melissa
Sarah Breton

Sirena / Damigella
Lise Viricel

Damigella / Dama Disincantata
Axelle Verner

Damigella / Nunzia
Alice Duport-Percier

Pastore / Planta Incantata / Astolfo
Laurent David

Vistola Flume / Planta Incantata
Éric Chopin

 

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Informationen

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