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Nicht mehr von dieser Welt
Von Stefan Schmöe
Mozarts C-Dur-Sonate hat doch beinahe jeder Klavieranfänger schon verhunzt. Der Beginn mag ja noch forsch gehen, aber sobald die etüdenartigen Tonleitersequenzen einsetzen, ist es in der Regel mit dem Tempo wie mit der Leichtigkeit dahin. So hat man das Werk im Ohr: Hübsch, belanglos und schonungslos die Übungsdefizite aufzeigend. Grigory Sokolov beginnt sein Programm mit eben dieser Komposition, zeigt darin seine große Kunst, in den (überschaubaren) technischen Anforderungen sowieso, aber in der Unbestechlichkeit im Tempo, in der Transparenz der Gestaltung, in der Nachdrücklichkeit und Bedeutung jedes einzelnen Tones (auch wenn er "nur" Begleitung ist), in der ungeheuren Klarheit des Spiels. Da hört man plötzlich keine Tonleiterübung mehr, sondern eine in der linken Hand absteigende Akkordfolge, die mit eleganter Nebensächlichkeit von Tongirlanden umspielt wird, und plötzlich achtet man genau auf jede kleine Wendung unter der scheinbar harmlosen Oberfläche. Das folgende Andante nimmt Sokolov recht zügig, auf dass erst gar keine biedermeierliche Behaglichkeit aufkommt, das abschließende Rondo dagegen recht verhalten mit einer Nachdenklichkeit, die bereits zu den anschließenden Moll-Werken überleitet.
Grigory Sokolov (Archivfoto, © AMC Verona)
Findet sich bei der Sonate C-Dur im kommentierenden Aufsatz im Programmheft noch ein dezenter Hinweis, besser nicht zu applaudieren, so werden die Fantasie c-Moll KV475 und Sonate Nr. 14 c-Moll KV 457 direkt als ein Werk ausgewiesen, und Sokolov lässt die Sonate übergangslos auf die Fantasie folgen - im Grunde bilden die drei Werke dieses ersten Teils eine Einheit, eine großformatige dreiteilige Struktur. Sokolovs Mozart-Spiel ist in der Kombination, einerseits einen "leichten" Tonfall ohne überflüssigen Ballast anzuschlagen, trotzdem der Musik das Gewicht zu geben, das ja gerade Mozarts Kompositionen in Moll einfordern, einzigartig. Als Hörer darf man sich keinen Sekundenbruchteil zurücklehnen und ausruhen, Sokolovs Interpretation sind bis ins letzte Detail durchdacht und voller Überraschungen. Bei anderen Pianisten würde man manche plötzliche Forte-Attacke wie im Finalsatz der c-Moll-Sonate als Manierismus empfinden, hier folgt alles einem großen Plan und hat seinen Sinn.
Nach der Pause dann Beethoven, zunächst die zweisätzige Sonate e-Moll op.90, deren grüblerischer Eingangssatz mit der zerklüfteten Mozart-Fantasie korrespondiert wie der gesangliche zweite mit dem Charme der C-Dur-Sonate. Ohne die Musik "romantisch" zu spielen, macht Sokolov deutlich, was alles Beethoven hier den nachfolgenden Komponistengenerationen bis hin zu den klanglichen Experimenten des späten Liszt vorweg genommen hat. Das gilt natürlich in noch größerem Maße für seine allerletzte Klaviersonate Nr. 32 c-Moll op.111, ein Universum für sich oder bereits Musik aus einem anderen Universum. Sokolovs außerordentliche Energie im düsteren ersten Satz bei gleichzeitiger Feinzeichnung im Detail ist ein Ereignis ebenso wie der unfassbare Klangreichtum des zweiten Satzes mit seinen Variationen. Wie Sokolov hier zaubert, selbst im leisesten Pianissimo noch einen klaren und unverschatteten Anschlag erzeugt, aber alles im Dienste einer immer stringenten Interpretation, ist ein Wunder.
Kann man nach dieser Sonate überhaupt noch Zugaben geben (und hören)? Thomas A. Lange, Vorsitzender des Stiftungsrates des Klavierfestival Ruhr, hatte in seiner kurzen Ansprache anlässlich dieses Abschlusskonzerts versprochen, dass Sokolov (der bereits zum 21. Mal hier auftritt) für viele Zugaben bekannt sei. Es wurden schließlich sechs an der Zahl, und wäre die Uhrzeit nicht schon erheblich fortgeschritten, es hätten auch mehr sein können. Nach Beethoven war programmatisch freilich alles gesagt, was folgte, waren kleine Wunderwerke für sich, bei denen man wieder und wieder staunen konnte über Sokolovs technische wie musikalische Fähigkeiten wie über die Klangpalette, die er dem Steinway entlocken kann. So fand das Festival seinen überaus würdigen Abschluss letztendlich bei Claude Debussy, dessen Todestag sich im kommenden Jahr zum einhundertsten Mal jährt und dessen Musik einen Schwerpunkt des Klavierfestivals 2018 werden dürfte. Hoffentlich mit Sokolov.
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Klavierfestival Ruhr 2017 Duisburg, Mercatorhalle im CityPalais 20. Juli 2017 AusführendeGrigory Sokolov, KlavierProgrammWolfgang A. Mozart:Sonate Nr. 16 C-Dur KV 545 Fantasie c-Moll KV 475 Sonate Nr. 14 c-Moll KV 457 - Pause - Ludwig van Beethoven: Sonate Nr. 27 e-Moll op.90 Sonate Nr. 32 c-Moll op.111 Zugaben: Franz Schubert: Moment musicaux D780 Nr.1 Frédéric Chopin: Nocturne Nr.10 As-Dur op.32/2 Jean-Philippe Rameau: L'Indiscrète Franz Schubert: Arabeske C-Dur op.18 Alexander Gribojedow: Walzer e-Moll Claude Debussy: Prélude Buch II Nr.10 ... Canope
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