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Choral und Variationen im Glashaus
Text und Foto von Stefan Schmöe
Das ist schon ein ganz besonderes Ambiente für ein Klavierkonzert: Der Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal, den der Künstler Tony Cragg 2008 für die Öffentlichkeit geöffnet hat und hier vornehmlich (aber nicht nur) eigene Skulpturen ausstellt. Im Park hat Cragg einen gläsernen Pavillon als Ausstellungsgebäude erbauen lassen, von Wiese und Bäumen umgeben; und nachdem gerade die eine Sonderausstellung ab- und die Nächste noch nicht aufgebaut ist, gastiert Martin Stadtfeld in dem kurzzeitig für 200 Besucher bestuhlten Raum, der ein wenig hallig ist und Außengeräusche wie Vogelgezwitscher durchlässt. Das sind akustische Zugeständnisse, die man an das betörend schöne Ambiente machen muss.
Stadtfeld, mit elegantem Anzug und Lackschuhen wohl der bestangezogenste Pianist des Klavierfestivals, beginnt mit einer Passacaglia in d-Moll von Dietrich Buxtehude, ursprünglich für Orgel komponiert. Stadtfeld setzt zunächst die Töne und Akkorde einzeln ab und erzeugt einen an die Orgel erinnernden, von starrer Motorik geprägten und durchaus reizvollen Klang, zu dessen Strenge allerdings manche überraschenden und nicht immer schlüssigen Tempowechsel passen. Von Buxtehude schlängelt der Pianist sich irgendwie ohne Unterbrechung zu Chopin und dessen Berceuse Des-Dur op. 57, wie die voran gegangene Passacaglia eine Folge von Variationen. Stadtfeld sucht einen zwischen der Romantik und der barocken Formidee vermittelnden Tonfall, was nicht so recht gelingt - der Reiz der Musik geht darüber verloren.
Warten auf Martin Stadtfeld: Der Pavillon in Tony Craggs Skulpturenpark Waldfrieden
Den Schwerpunkt des ersten Teils bildet die Uraufführung der knapp halbstündigen zweiten Klaviersonate von Stefan Heucke, geboren 1959. In deren Zentrum steht der Choral Nun danket alle Gott, liedhaft schlicht beginnend und dann zum satten Forte aufschwingend und Basis für vier klanglich reizvolle Variationen. Nicht nur darin erinnert das Werk immer wieder an Mendelssohn-Bartholdy, der immer wieder affirmativ Choräle einsetzte (u.a. in der Lobgesang-Symphonie oder im Paulus); auch verwendet Heucke wieder und wieder die Notenfolge B-A-C-H und schließt mit einer formidablen Fuge - nicht nur im Einsatz dieser Mittel, auch im Wunsch nach Verständlichkeit ist er Mendelssohn nahe. Dazu ist das Werk, das Dissonanzen wie Zuckerguss über die wiedererkennbaren Formen ausschüttet, durchzogen mit allerlei Anspielungen und Zitaten, bewusst oder unbewusst, aus der Musikgeschichte; Beethovens Apassionata geistert herum, Liszt sowieso. Stadtfeld ist in seinem Element und lässt die musikalischen Funken fliegen mit gehörigem Pathos (und davon gibt es sehr, sehr viel in dieser Komposition). Kitsch? Geschmackssache. Dem Publikum gefiel's.
Nach der Pause gab's dann "echten" Bach, die Goldberg-Variationen. Stadtfeld beginnt die Aria schlicht, nimmt den Triller allzu selbstsicher, die kurzen Noten zu auftrumpfend. Schon da entsteht der Eindruck einer immer wieder manirierten Interpretation, und das wird sich nicht mehr legen. Stadtfeld versteht sich als Ausgestalter dieser Musik, gibt ihr durch seine Interpretation eine eigene Note - aber es fehlt an der immanenten Logik, die eine solche Aneignung plausibel machen würde. Die schnellen Sätze haben kaum Transparenz, in den stürzenden Noten gehen Klarheit und rhythmische Prägnanz verloren. Sicher gelingen Stadtfeld, der über eine differenzierte Anschlagskultur verfügt, einzelne schöne Stellen, aber in der Gesamtanlage wirkt die Musik uneinheitlich und ziellos. Stadtfeld ergänzt den Zyklus um 14 Kanons, die Bach in einem Handexemplar des Erstdrucks notiert hat und die Stadtfeld nach jeder dritten Variation einschiebt. Das ist einerseits nicht uninteressant, weil die vertraute Komposition immer wieder unterbrochen wird (und Stadtfeld in diesen teils recht spröden Kanons seine überzeugendsten Momente hat); andererseits wird die Gesamtkonzeption der Goldberg-Variationen eben doch gestört, denn bruchlos lassen sich die Kanons nicht einfügen. Nebenbei: Lang wird das Konzert dadurch auch.
Als Zugabe dann - da konnte Stadtfeld seine Virtuosität demonstrieren - Prokofjews Toccata d-Moll, und als Kontrast Der Dichter spricht aus Schumanns Kinderszenen, sentimental verschleppt. András Schiff hat ein paar Tage zuvor Schumanns Fröhlichen Landmann als Zugabe gespielt und mit anrührender Schlichtheit große Kunst daraus gemacht. Von solchen Höhenflügen war Martin Stadtfeld weit entfernt.
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Klavierfestival Ruhr 2017 Skulpturenpark Wuppertal, Pavillon 2. Juli 2017 In Kooperation mit der Cragg-Foundation AusführendeMartin Stadtfeld, KlavierProgrammDietrich Buxtehude:Passacaglia d-Moll BuxWV 161 Frédéric Chopin: Berceuse Des-Dur op. 57 Stefan Heucke: II. Klaviersonate op. 79 - Pause - Johann Sebastian Bach: Goldberg-Variationen BWV 988 Verschiedene Canones über die ersten acht Fundamental-Noten BWV 1087 (Fassung von Martin Stadtfeld) Zugaben: Sergej Prokofjew: Toccata d-Moll op.11 Robert Schumann: Der Dichter spricht aus Kinderszenen op.15
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