Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
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Salzburger Pfingstfestspiele 02.06.2017 - 05.06.2017
Ariodante in italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln Aufführungsdauer: ca. 4 h 20' (zwei Pausen) Premiere im Haus für Mozart am 2. Juni 2017(rezensierte Aufführung: 05.06.2017) |
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Vom Helden zur Heldin Von Thomas Molke / Fotos: © Monika Rittershaus Ludovico Ariostos Ritterroman Orlando furioso, in dem Karl der Große zum Sieger über die ungläubigen Sarazenen hochstilisiert wird, hat zwar eigentlich nichts mit dem Themenkomplex der diesjährigen Festspiele, einem von der Romantik verklärten Blick auf Schottland, zu tun, erzählt aber im vierten und fünften Gesang des Versepos von Ariodante, einem schottischen Vasallen, was für Cecilia Bartoli Grund genug gewesen sein mag, Händels gleichnamige Oper als szenische Neuproduktion der diesjährigen Pfingstfestspiele auf den Spielplan zu stellen. Für Händel war es nach Orlando die zweite Oper, in der er eine Episode aus Ariostos Versepos vertonte, und die Bedingungen waren für Händel zum Zeitpunkt der Uraufführung nicht gerade leicht. 1733 musste er nicht nur seine bisherige Wirkungsstätte, das King's Theatre am Haymarket, an die finanzstarke von Kronprinz Frederick angeführte Opera of the Nobility abtreten, sondern verlor auch noch fast seinen ganzen Sängerstab an das Konkurrenzunternehmen. So musste er sich mit seinem Wechsel nach Covent Garden etwas Neues einfallen lassen, und da kam ihm die französische Tänzerin und Choreographin Marie Sallé, die mit ihrer Balletttruppe in den Pantomimen von John Rich am Theatre Royal engagiert war, gerade recht. So fügte er nach jedem Akt Balletteinlagen ein, die im ersten und dritten Akt mit dem Auftritt des Chors und der Solisten verknüpft waren und im zweiten Akt die Angstträume der verwirrten Ginevra bebildern sollten. Noch vor der Uraufführung 1735 entschied sich Händel, die Balletteinlage aus dem zweiten Akt wieder zu entfernen und sie stattdessen in seine Oper Alcina einzubauen. In Salzburg hat man sich entschieden, die Oper mit allen drei ursprünglich geplanten Balletteinlagen zu spielen. Ariodante (Cecilia Bartoli) liebt Ginevra (Kathryn Lewek, vorne links). Wer das Libretto für Händels Oper geschrieben hat, ist nicht bekannt. Nachgewiesen werden kann lediglich, dass sich der Librettist auf einen Text des Florentiner Hofdichters Antonio Salvi bezieht, der ungefähr ein Dutzend Mal vertont wurde. Die Geschichte hat mit den eigentlichen Hauptfiguren von Ariostos Versepos, den beiden Paladinen Ruggiero und Orlando, nichts zu tun, sondern behandelt nur einen Nebenstrang. Auch auf Orlandos Vetter Rinaldo, der durch einen Sturm nach Schottland verschlagen wird und mit seinem Eingreifen das glückliche Ende herbeiführt, wird in der Oper verzichtet. Ginevra, die Tochter des Königs von Schottland, liebt Ariodante, einen Vasallen des Königs, den ihr Vater gerne als zukünftigen Thronfolger akzeptieren will. Doch Polinesso, der Herzog von Albany, ist ebenfalls in Ginevra verliebt und liebäugelt mit dem schottischen Thron. Als er von Ginevra zurückgewiesen wird, ersinnt er mit Hilfe der Hofdame Dalinda eine Intrige und gaukelt Ariodante vor, dass Ginevra ihm untreu sei. Aus Verzweiflung will sich Ariodante das Leben nehmen und stürzt sich ins Meer. Sein Bruder Lurcanio gibt Ginevra die Schuld dafür und fordert vom König, seine Tochter wegen Untreue mit dem Tod zu bestrafen. Als der König einwilligt, erklärt sich Polinesso bereit, die Ehre der Königstochter zu verteidigen. Obwohl Ginevra dies ablehnt, kommt es zum Kampf zwischen Lurcanio und Polinesso, dem letzterer zum Opfer fällt. Der König glaubt seine Tochter schon verloren, als der tot geglaubte Ariodante wieder auftaucht. Dalinda, die mittlerweile selbst vor Polinessos Häschern fliehen musste, weil er sie als Mitwisserin ausschalten wollte, hat den jungen Ritter aufgeklärt, dass sie es gewesen sei, die er in Ginevras Kleid mit dem Nebenbuhler in trauter Zweisamkeit gesehen habe. So ist Ginevras Ehre gerettet, und einer Hochzeit steht nichts mehr im Weg. Dalinda (Sandrine Piau, rechts) stürzt Ginevra (Kathryn Lewek, links) ins Unglück. Das Regie-Team um Christof Loy verortet die Geschichte nicht zu einer bestimmten Zeit, sondern springt gewissermaßen durch Zeit und Raum. So sind die Figuren mal historisch und mal modern gekleidet, was die Aktualität der Geschichte hervorheben soll. Johannes Leiacker hat dafür einen großen, hellen Bühnenraum mit mehreren Türen auf der rechten und linken Seite entworfen, der nach hinten geöffnet werden kann und einen Blick entweder auf eine pittoreske Landschaft oder eine kahle schwarze Wand freigibt. Dadurch entstehen beeindruckende Bilder, wenn beispielsweise Ariodante in seiner großen Verzweiflung allein auf der riesigen Bühne gezeigt wird oder sich die Solisten mit dem Chor, dem Ballett und der Statisterie zu imposanten Ensembles an den Aktschlüssen aufstellen. Eine besondere Bedeutung kommt auch Ginevras schwarzem Kleid zu, das sie bis zum vermeintlichen Treuebruch trägt. Zu Beginn des ersten Aktes sehen Ginevra und Dalinda in diesem Kleid mit dunkler Perücke genau gleich aus, was wohl andeuten soll, dass man die beiden wirklich verwechseln kann. Im zweiten Akt präsentiert Polinesso Ariodante das Kleid als Beweis der Untreue, und Ariodante schlüpft zum berühmten "Scherza infida" selbst in das Kleid. Wieso sich Ariodante im Folgenden in eine Frau verwandelt, erschließt sich nicht wirklich. Ist es Cecilia Bartoli geschuldet, die trotz Hosenrolle dennoch Frau bleiben will / soll? Loy soll bei diesem Ansatz von Virginia Woolfs Roman Orlando inspiriert worden sein, in dem der Titelheld zu einer Frau mutiert. Dazu werden auch jeweils Passagen aus dem Roman über Lautsprecher eingelesen. Sinn macht das nicht wirklich, zumal Bartoli während des Übergangs zu Beginn des dritten Aktes stark an Conchita Wurst erinnert, was der Figur ein wenig die Tragik nimmt. Ariodante (Cecilia Bartoli) mutiert zur Frau. Umso überzeugender gelingen die Balletteinlagen. Am Ende des ersten Aktes treten die Tänzer in pittoresken Barockkostümen mit Perücken auf und feiern die bevorstehende Hochzeit mit an historischer Aufführungspraxis orientierten Schritten und kleinen Sprüngen, in die auch Bartoli und Kathryn Lewek als Ginevra eingebunden werden. Im zweiten Akt stellen sie dann Ginevras Angstträume in bedrohlichem Ausdruckstanz dar. Hier sind die Tänzer modern dunkel gekleidet und bedrängen Ginevra in ihrem weißen Unterrock als lüsterne Masse. Verzweifelt versucht Lewek ihren fordernden Berührungen zu entkommen und bricht schließlich völlig erschöpft auf der Bühne zusammen, worauf dann plötzlich der sich öffnende Raum den Blick auf Ariodante freigibt und die Szene seine Halluzination ist, während er gerade auf dem Weg ist, sich in eine Frau zu verwandeln. Am Ende des dritten Aktes zeigt Loy im Tanz, dass er dem glücklichen Ende misstraut. Die Tänzer treten in den gleichen Kostümen wie im ersten Akt auf und setzen zu den gleichen fröhlichen Bewegungen an. Doch dabei versagen ihnen immer wieder die Beine, und sie brechen zusammen. Die Freude ist getrübt. Nichts ist mehr, wie es war. Lurcanio und Dalinda, die eigentlich laut Libretto am Ende auch ein Paar werden sollen, finden nicht wirklich zueinander, und Ariodante und Ginevra sehen ihren einzigen Ausweg darin, die Bühne durch eine schwarze Tür im Hintergrund zu verlassen. Lurcanio (Norman Reinhardt, links) besiegt Polinesso (Christophe Dumeaux, rechts) im Zweikampf (im Hintergrund: Odoardo (Kristofer Lundin)). Musikalisch bewegt sich der Abend auf absolutem Festspielniveau. Bartoli gewinnt der Titelpartie Facetten ab, die man so wohl noch nicht auf der Bühne erlebt hat, und bringt den Saal gleich mehrere Male zum Toben. Wenn sie im ersten Akt in Ariodantes großer Arie "Con l'ali di constanza" die Freude über die bevorstehende Hochzeit zum Ausdruck bringt, zelebriert sie nicht einfach nur mit absoluter Virtuosität die zahlreichen Verzierungen und schnellen Läufe, sondern wird von den sprudelnden Koloraturen regelrecht betrunken. So schüttet ihr Polinesso während der Arie ein Glas nach dem nächsten ein, was dazu führt, dass sie die Koloraturen an einzelnen Stellen auch mit einem Schluckauf verziert. Im weiteren Verlauf kann sie sich kaum noch aufrecht halten, torkelt von einem zum anderen und verbreitet dabei eine großartige Komik, weil jede Bewegung hierbei auf den Punkt genau sitzt. Umso dramatischer wirkt der Wechsel im zweiten Akt zu ihrer ersten Arie "Tu, preparati a morire", wenn Ariodante sich aus Verzweiflung über Ginevras Untreue das Leben nehmen will. Hier setzt Bartoli die Koloraturen absolut ernst an und schleudert sie beinahe wie in einer Wahnsinnsarie heraus. Ein weiterer Glanzpunkt in ihrer Interpretation ist dann kurz darauf das berühmte "Scherza infida", in dem Ariodante die Untreue der Geliebten beklagt. Bartoli setzt die Töne hier durch und durch verletzlich an und rührt damit zu Tränen. Wenn sich dann im dritten Akt alles zum Guten wendet, überwiegen dann wieder die komischen Momente. In "Dopo notte, atra e funesta" gönnt sie sich erst einmal eine Zigarre und zeigt wie man die Läufe und Koloraturen mit dem Anzünden und Paffen verbinden kann. In den Duetten mit Lewek findet sie stimmlich und darstellerisch zu einer bewegenden Innigkeit. Dennoch wird der Abend nicht zu einer One-Woman-Show. Kathryn Lewek gibt als Ginevra ein erstklassiges Festspieldebüt. Im ersten Akt punktet sie mit strahlenden Höhen und leuchtenden Koloraturen, wenn Ginevras Welt noch in Ordnung ist. Wenn sie dann zu Unrecht beschuldigt wird, geht ihr Sopran in den leidenden Klagen unter die Haut. Sandrine Piau stattet Ginevras Hofdame Dalinda mit einem kräftigen Sopran und flexiblen Läufen aus. Ihrem bewegenden Spiel nimmt man ab, dass sie dem bösen Polinesso verfallen ist. Ein weiterer Höhepunkt des Abends ist ihre große Arie "Negghitosi, or voi che fate?" im dritten Akt, nachdem sie Ariodante ihr Vergehen gestanden hat. Hier punktet Piau mit großer Dramatik in den Läufen. Christophe Dumeaux ist als Polinesso darstellerisch ein exzellenter Bösewicht. Mit beweglichem Counter zeigt er in scharfen Höhen und voluminösen Tiefen die Abgründe dieser Figur. Dabei strahlt er auch eine enorme Virilität aus, die nachvollziehbar macht, dass Dalinda seinem Charme erliegt. In glänzender Rüstung macht er auch beim Schwertkampf mit Lurcanio eine gute Figur. Norman Reinhardt stattet Ariodantes Bruder mit lyrischem Tenor und sauberen Höhen aus. Glaubhaft spielt er seine Gefühle für Dalinda aus, auch wenn man bei ihrer großen Aussprache im dritten Akt nicht den Eindruck hat, dass die beiden am Ende wirklich zueinander finden werden. Nathan Berg begeistert als König mit markanten Tiefen und großem Volumen, das der Figur die entsprechende Autorität verleiht. Gianluca Capuano zaubert mit dem Ensemble Les Musiciens du Prince - Monaco aus dem Orchestergraben einen filigranen Barockklang, so dass es am Ende frenetischen Jubel für alle Beteiligten gibt. FAZIT Mit dieser musikalisch großartigen Aufführung haben die Salzburger Pfingstfestspiele den Titel "4. Händel-Festspiele" im deutschsprachigen Raum verdient. (Weitere Aufführungen finden im Rahmen der Salzburger Festspiele im Sommer statt. Weitere Rezensionen zu den Salzburger Pfingstfestspielen 2017 |
ProduktionsteamMusikalische Leitung Regie Bühne Kostüme Licht Choreographie Choreinstudierung Dramaturgie
Les Musiciens du Prince - Monaco Continuo Cembalo Continuo Violoncello Horn Salzburger Bachchor Statisterie
Solisten
Re, König von Schottland Ariodante, Vasall des Königs Ginevra, Tochter des Königs Lurcanio, Ariodantes Bruder Polinesso, Herzog von Albany Dalinda, Hofdame Ginevras Odoardo, Günstling des Königs Tänzer
Weitere |
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