Ein Wunder in c-Moll statt C-Dur
Von Stefan Schmöe
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Fotos © Salzburger Festspiele / Ruth Walz
Wenn La clemenza di Tito auf dem Spielplan steht, dann schlägt die Stunde der Dramaturgen. Die schreiben dann im Programmheft entschuldigend etwas von "unterschätzt", "verkannt" oder "zu Unrecht im Schatten". Dabei sind, ungeachtet der hinreißenden Musik, die Schwächen des als Huldigungsoper bestellten Werks mit ziemlich dröger Handlung ja offensichtlich. Ausgerechnet in Salzburg, wo Wolfgang Amadé als Stadtheiliger fungiert, ist es jetzt einmal anders: Regisseur Peter Sellars spricht im Hinblick auf das im Wesentlichen auf (den zu Mozarts Zeit bereits reichlich aus der Mode gekommenen) Metastasio zurück gehende Libretto und die vermutlich von Mozarts Schüler Süßmayer arg akademisch vertonten Rezitative drastisch aus, woran die Oper krankt: "Für La clemenza di Tito wurde die musikalische Langeweile der Achse Metastasio/Süßmayer zu einem Ballast, unter dessen Last die Oper fast zusammenbricht." Rettung muss da folglich von der Aufführung kommen.
In unserer Gesellschaft angekommen? Die Flüchtlinge Servilia und Sesto haben in Annio (rechts) Liebhaber und Freund gefunden.
Zunächst von der Regie. Sellars erzählt zwar in Grundzügen die Geschichte um den gescheiterten Anschlag auf den römischen Kaiser Titus und die folgende Begnadigung der Attentäter nach, nimmt sich aber einige Freiheiten und, was wichtiger ist, überlagert sie mit sehr gegenwärtigen Assoziationen. So wird aus dem römischen Volk eine Gruppe von Flüchtlingen, aus denen Herrscher Titus willkürlich zwei herausgreift, um diese bevorzugt zu integrieren - wobei sich diese beiden, die Geschwister Sesto und Servilia, prompt in ihre Integrationshelfer Vitellia und Annio verlieben. Vitellia, die ja auf eine eheliche Verbindung mit Titus gesetzt hatte und sich von diesem (fälschlich) übergangen fühlt, stachelt Sesto zum Attentat an, das offensichtlich viele Menschen das Leben kostet, auch (abweichend vom Libretto) den Herrscher. In diesem Titus, der auf dem Sterbebett zur Versöhnung aufruft, sieht der Regisseur Parallelen zu Nelson Mandela und dessen Bestreben, die Spaltung der südafrikanische Nation zu überwinden, was die Begnadigungen motivieren soll. Bühnenbildner George Tsypin hat dafür auf die ansonsten leere Bühne eine Reihe von Plexiglasskulpturen gebaut, die bei Bedarf aus der Versenkung hochgefahren werden, und in denen man im ersten Akt eine Stadtlandschaft erahnen kann, nach der Attentatserie ziemlich eindeutig zerbombte Ruinen. Nicht zuletzt, weil Sellars geschickt zwischen einer realistischen und einer abstrahierenden Erzählweise hin und her springt, geht diese Konstruktion einigermaßen glaubwürdig auf. Gleichzeitig zeigt er auch immer wieder assoziative Bilder wie etwa einen Kreis aus brennenden Kerzen, wie man es nach vielen Anschlägen gesehen hat. Die teilweise stark choreographierten Bewegungen des Chores erinnern zudem an Sellars' Inszenierungen der Bach-Passionen.
Dieses Attentat kann kein Herrscher überleben: Tito und Sesto.
Dann greifen Sellars und Dirigent Teodor Currentzis in die musikalische Struktur ein. Die Rezitative sind insbesondere im zweiten Akt drastisch gekürzt oder ganz gestrichen (was an sich kein Verlust ist, nur fehlen sie teilweise als Entspannungsphasen). Dafür haben sie jede Menge Musik ergänzt, durchweg Mozart (bevorzugt in c-Moll), vor allem aus dessen c-Moll-Messe, was den exzellenten Chor (der wie das Orchester zum von Currentzis gegründeten Ensemble musicAeterna, beheimatet an der Oper Perm, gehört) in den Mittelpunkt rückt. Das Benedictus ("Gesegnet, wer da kommt im Namen des Herrn") wendet der Chor (Flüchtlinge!) direkt an das Festspielpublikum, und das darf man wohl als unverstellten Aufruf zu einer im besten Sinne christlichen Willkommenskultur in der Flüchtlingspolitik verstehen, die im politischen Spektrum Österreichs bekanntlich nicht jede Gruppierung vertritt. Da hat der heftige Szenenapplaus, auch wenn er bei vielen wohl zuerst der musikalischen Interpretation galt, auch eine politische Dimension, derer sich mancher Applaudierende womöglich gar nicht so recht bewusst war. Mit dem großformatigen Kyrie beginnt der zweite Teil (für dessen Beginn Mozart ein schnödes Rezitativ vorgesehen hatte, in dem klar wird, dass Titus den Anschlag überlebt hat). Und hinter das Jubelfinale, dass hier wegen Titus' Tod ja szenisch keines ist, ist die Maurerische Trauermusik gesetzt. Mozart mag mit La clemenza di Tito Kaiser Leopold II. anlässlich dessen Krönung auf eine weise, gerechte und humane Amtsführung hinweisen wollen - bei Sellars und Currentzis bleibt trotz manchen utopischen Fingerzeigs die Trauer über den Zustand unserer Welt als letztes Wort stehen.
Auf der Intensivstation: Sesto und der sterbende Tito.
Und dann ist da noch die Art und Weise, wie Currentzis diese Musik interpretiert. Den Ruf, Mozart ganz neu erfahrbar zu machen, hat er sich ja mit den da-Ponte-Opern erarbeitet; jetzt will er den viel weniger spritzigen Tito ähnlich verlebendigen - mit etlichen Zäsuren, Verzögerungen, Generalpausen, plötzlichen Tempowechseln, die man manieriert nennen müsste, wäre Currentzis nicht so eminent musikalisch und hielte die Spannungsbögen durch alle diese Dinge hindurch verblüffend sicher aufrecht. Dazu füllt er den Klang auch in den Arien und Ensembles immer wieder mit den Continuo-Instrumenten auf, lässt Hammerklavier, Laute und Gitarre unvermittelt laut mitspielen, teilweise bis in die Kadenzen der Sänger hinein. Das ist ein wenig viel, ein wenig dick und oft ziemlich unnötig "aufgemotzt", geht allerdings immer sehr genau mit der Szene zusammen. Mitunter liefert Currentzis so etwas wie einen üppig instrumentierten Soundtrack. Dann aber spielen die Musiker von musicAeterna (die auch unkonzentrierte Momente haben) plötzlich so traumhaft schön, dass man diese Musik nie mehr anders hören möchte, und selten hört man Instrumentalisten und Sänger klanglich so genau aufeinander abgestimmt wie in dieser Produktion.
Trauriges Finale: (von links) Publio, Servilia, Vitellia, Annio und Sesto vor dem toten Titus.
Marianne Crebassa singt einen großartig burschikosen, flammenden Sesto, Golda Schultz eine nicht allzu dramatische, aber leuchtende Vitellia, Christina Gansch eine anrührend mädchenhafte Servilia; eine Sensation ist Jeanine De Bique als knabenhaft reiner Annio, dazu betörend schön im vertrackten Sopranpart im Kyrie der c-Moll-Messe. Die beiden Herren können auf diesem außerordentlichen Niveau nicht mithalten, was immerhin dramaturgisch durchaus stimmig ist: Russell Thomas als Titus hat eine schöne und kraftvolle Mittellage, aber sein Tenor verliert in der Höhe an Kontur und Glanz (und durch die Koloraturen mogelt er sich irgendwie hindurch) - kein strahlender, sondern ein zweifelnder Kaiser. Willard White gibt den Publio solide, aber etwas ungenau fokussiert in der Höhe, als fiesen General.
FAZIT
Nichts für Mozart-Puristen: Einiges in der szenisch wie musikalisch eigenwilligen Interpretation ist zu dick, zu reißerisch aufgetragen. Und dennoch hat man La clemenza di Tito selten so fesselnd, mitreißend, bewegend gehört und gesehen.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Teodor Currentzis
Inszenierung
Peter Sellars
Bühne
George Tsypin
Kostüme
Robby Duiveman
Licht
James F. Ingalls
Chor
Vitaly Polonsky
Dramaturgie
Antonio Cuenca Ruiz
Chor und Orchester MusicAeterna der Oper Perm
Solisten
Tito Vespasiano
Russell Thomas
Vitellia
Golda Schultz
Servilia
Christina Gansch
Sesto
Marianne Crebassa
Annio
Jeanine De Bique
Publio
Willard White
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