Der Partykönig stirbt
Von Stefan Schmöe
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Fotos © Salzburger Festspiele / Thomas Aurin
Lear, das ist der rätselhafteste, traurigste aller Könige; der altersmüde sein Reich unter seinen Töchtern aufteilt und gleichzeitig die jüngste, Cordelia, verstößt, weil sie keine angemessenen Huldigungen vorbringt; der um seinen zügellosen Hofstaat, um Haus und Hof und letztendlich um seinen Verstand gebracht wird. Dessen Absturz alles um ihn herum zusammenbrechen lässt. Verdi ist bekanntlich vor der Vertonung des Stoffes zurückgeschreckt; Aribert Reimann dagegen ist mit dem 1978 uraufgeführten Werk der Coup gelungen, eine Oper mit andauernder Repertoiretauglichkeit zu komponieren, der nun auch der ungeteilte Festspieljubel galt, woran die bei aller Komplexität eben doch ebenso eindrucksvoll wie eindeutig illustrierend die Gemütszustände beschreibende Musik vielleicht mehr Anteil hat als die Handlung, die der Regie so manche Nuss zu knacken aufgibt.
Lear teilt sein Reich auf: Links Tochter Cordelia, rechts Goneril
Einen echten Monarchen mochte Regisseur Simon Stone dem demokratisch erzogenen Publikum nicht vorsetzen, und so ist sein Lear ein Gesellschafts-König, der beim Betreten der Bühne erst einmal hierhin und dorthin winken muss, solche Gestalten gibt es ja auch bei den Salzburger Festspielen immer wieder. Die Bühne ist sowieso eine Art Laufsteg, auch dahinter sitzt Publikum. Die bösen Töchter Goneril und Regan sehen aus wie zwei strenge und wenig lebensfrohe Tanten, die, kaum im Besitz der Macht, Lear das schrille Sex-Gelage verbieten, das er veranstaltet - da ist man noch beinahe auf ihrer Seite. In der Parallelhandlung verstößt Lears Gefolgsmann Gloster seinen ehrlichen Sohn Edgar, weil er der Intrige des anderen Sohnes, des unehelich geborenen Edmund, auf den Leim geht, und hier macht die Regie den Standesunterschied zwischen den ungleichen Geschwistern dadurch deutlich, dass Edgar der feinen Gesellschaft, Edmund dagegen dem Security-Team angehört (auch das ist in Salzburg derzeit allgegenwärtig). Da wird das Gesellschaftsdrama also gleich auf das soziale Umfeld der Festspiele übertragen, topaktuell also dieser Lear. Nur mit dem Morden ist das so eine Sache, das ist in realen Festspielkreisen zum Glück vergleichsweise selten, und so wird auf der Bühne auch eher symbolisch gemordet. Die Besucher auf der Bühne entpuppen sich dann doch als Statisten, die sich mit viel Theaterblut beschmieren lassen müssen - dass aber die brutale Security gleich das Theater übernimmt, mag man nicht recht glauben. Im ersten Akt geht vieles auf, im zweiten bleibt vieles Behauptung und manches völlig unklar. Das Gesellschaftsuntergangsdrama kriegt die Regie nicht in den Griff.
Zwei Verstoßene auf der Heide: Lear (links) und Edgar, der den Wahnsinn aber nur vortäuscht und sich als "armer Tom" ausgibt.
Besser steht es um die Individualtragödie des alternden Königs. Mit Gerald Finley in der Titelpartie hat Stone einen fulminant singenden und spielenden Hauptdarsteller, kraftvoller und dunkler als einst Dietrich Fischer-Dieskau (für den Reimann die Partie und eigentlich die ganze Oper geschrieben hat), und wenn man überhaupt etwas aussetzen möchte: Vielleicht eine Nuance zu kultiviert im Untergang. Die Inszenierung zeichnet sorgfältig nach, wie er nach und nach den weißen Smoking ablegt, in Unterwäsche wütet, eine Art Krankenanzug übergestreift bekommt und in Pantoffeln seinem Ende entgegen taumelt, das ihn schließlich im Krankenbett ereilt. Da wird jemand beunruhigend schnell vom Superstar zum entmündigten Pflegefall. Für die Familiensaga sind die bösen Töchter Goneril und Regan allerdings ziemlich eindimensional gezeichnet, wobei Evelyn Herlitzius mit dramatischer Attacke mehr Akzente setzen kann als die solide Gun-Brit Barkmin als Regan. Die bildhübsche und partytaugliche Cordelia ist offenbar (das ist ein wenig ungenau geraten) zu Beginn keineswegs kindlich gut, sondern eher spätpubertär lustlos, wenn es ums Einschmeicheln bei Papa geht, erst nach und nach wird sie zur fürsorglichen Tochter, von Anna Prohaska mit emphatisch-lyrischer, auch im Piano wunderbar tragfähiger Stimme ausgestattet. Szenisch wirft das ein neues Problem auf: Weil ja nicht gemordet werden darf (oder zumindest nur symbolisch), gibt es keinen Grund, Cordelia wirklich sterben zu lassen (ein "gesellschaftliches Sterben" hilft an dieser Stelle auch nichts, denn um seine gesellschaftliche Stellung geht es Lear längst nicht mehr). Aber die Oper endet nun einmal mit dem ergreifenden Trauergesang Lears um die ermordete Cordelia. Die wird hier zur Statue, vielleicht ein Bild im Kopf des sterbenden Lear - eine wirklich überzeugende Lösung ist das nicht.
Es fließt viel Theaterblut, und allenthalben wird jemand zum Narren - hier Gloster, dem die Augen ausgestochen wurden.
Bleibt noch die Bildebene. Zunächst ist die Laufsteg-Bühne ein imponierendes Blumenbeet, in dem es betörend schön blüht - da ist die Natur anfänglich noch intakt. Natürlich reißen alle nach Kräften an den Pflanzen, und vor allem Lears wüste Party lässt kaum einen Halm stehen. Im zweiten Teil ist von der Natur nichts mehr übrig, denn in der Pause wurden alle Blumenreste entsorgt. Zuvor gibt es noch den Sturm auf der Heide, und für ein zünftiges Unwetter lässt es die Regie auch ein wenig regnen - was ziemlich niedlich gerät, ein sanfter Sommerregen auf zertrampelte Blüten (nebenbei riecht es auch noch ganz hübsch). Ungeachtet dessen gelingen ein paar starke Bilder, die haften bleiben - Lears Wühlen in der Erde, später bei seiner Verhaftung transparente Vorhänge, die sein Kranken- und Sterbezimmer wie eine undurchdringliche Wand umgeben.
Das Ende: Lear trauert um die tote Cordelia
Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf Festspielniveau. Neben den schon Genannten überzeugt Kai Wessel im Wechsel von tiefer Bruststimme und hoher Countertenor-Lage und sehr engagiertem Spiel als Edgar, der sich lange Zeit als Verrückter tarnt; der böse Halbbruder Edmund wird von Charles Workman angemessen stimmgewaltig, bei seinem allmählichen gesellschaftlichen Aufstieg aber auch mit der nötigen Eleganz gesungen und gespielt. Derek Walton als Albany und Michael Colvin als Cornwall sind stimmlich ansprechende Grafen und Schwiegersöhne Lears, Matthias Kling ein zupackender Graf Kent, Lauri Vasar ein nuancierter Gloster. Michael Maertens bewegt sich als Narr sicher zwischen Sprache und Sprechgesang. Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor singt ungemein klangschön, die Wiener Philharmoniker spielen unter der Leitung von Franz Welser-Möst Reimanns Klangflächen sehr präzise und bei aller Schärfe im Detail mit "rundem" Klang - gegen Ende dürfen sie sogar kurz ihren typischen vollen, warmen Sound andeuten. Da ist der Lear allemal zum festspieltauglichen Klassiker geworden.
FAZIT
Die sicher nicht ganz schlechte Inszenierung will viel zeigen, verheddert sich aber und muss letztendlich auf mehreren Ebenen vor dem Lear kapitulieren. Musikalisch eine festspielwürdige Aufführung.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Franz Welser-Möst
Inszenierung
Simon Stone
Bühne
Bob Cousins
Kostüme
Mel Page
Licht
Nick Schlieper
Chor
Huw Rhys James
Dramaturgie
Christian Arseni
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Wiener Philharmoniker
Solisten
König Lear
Gerald Finley
König von Frankreich
Tilmann Rönnebeck
Herzog von Albany
Derek Welton
Herzog von Cornwall
Michael Colvin
Graf von Kent
Matthias Klink
Graf von Gloster
Lauri Vasar
Edgar
Kai Wessel
Edmund
Charles Workman
Goneril
Evelyn Herlitzius
Regan
Gun-Brit Barkmin
Cordelia
Anna Prohaska
Narr
Michael Maertens
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