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Musikfestspiele
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Salzburger Festspiele 2017

Lucrezia Borgia

Melodramma in einem Prolog und zwei Akten
Libretto von Felice Romani nach dem Drama Lucrèce Borgia von Victor Hugo
Musik von Gaetano Donizetti

In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere der konzertanten Aufführung im Großen Festspielhaus am 27. August 2017


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Salzburger Festspiele
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Gennaro Borgia

Von Thomas Tillmann / Fotos © Marco Borrelli

Im Zentrum der diesjährigen Salzburger Festspiele stand trotz des Wirbels um Anna Netrebkos Aida-Debüt die italienische Oper keineswegs, das Hauptaugenmerk war auf große Musikdramen (und andere Werke) des 20. Jahrhunderts gerichtet, eine programmatische Entscheidung, die das Publikum mit einer erstaunlichen Auslastung von 97% würdigte und - so wurde es auf der Abschlusspressekonferenz verkündet - die auch kommerziell erfolgreich war.

Trotzdem war es sicher kein Zufall, dass gerade Lucrezia Borgia und I due Foscari für die konzertanten Aufführungen ausgewählt wurden, geht es doch auch hier um das Thema Macht, beide Stücke sind zudem eng mit Venedig verbunden, Donizettis Werk gilt auch musikalisch als ein Wegbereiter der Weiterentwicklung der italienischen Oper durch Verdi. Nicht zuletzt fällt auf, dass einige Interpretinnen sowohl die Donizettipartie als auch zumindest die Arie der Verdi-Lucretia gesungen haben.

Wer war nun die Beste, möchte man fragen, wohl wissend, dass solche Fragen letztlich unzulässig sind, weil Kriterien geklärt werden müssten und persönlicher Geschmack hineinspielt. Joan Sutherland war vermutlich die stilsicherste und die mit den geschmackvollsten Auszierungen der Gesangslinie. Dafür hatte sie nicht das expressive Feuer einer sich wirklich nicht schonenden Leyla Gencer mit ihrer bis zum wilden Schrei prall gefüllten Trickkiste, die mit jeder vokalen Geste deutlich machte, dass es hier um Verwandtenmord und entsprechende Emotionen geht (an manchen Tagen ist mir diese Art des Singens dann doch zu anstrengend, das Maltraitieren der Stimme schmerzt beim bloßen Zuhören) oder später einer Nelly Miricioiu (vielleicht die unterschätzteste unter all den großen Namen, weil kommerziell nicht wirklich wahrgenommen), nicht die erschütternde Tragik (und die vokalen Verfallserscheinungen) einer Maria Callas, die im Spätherbst ihrer Karriere die Arie aufgenommen hat (warum nur hat niemand zehn Jahre früher das ganze Werk mit ihr gemacht?), nicht die groben Effekte und Manierismen, das affektierte Gesäusel, die verschmierten, mitunter fahlen, gehauchten Töne und Tricks der luftigen Edita Gruberova, die ich die schwächste von diesen allen finde. Und dann waren da noch die superbe, wenn auch nicht wirklich virtuose, aber in diesen Jahren wirklich formidable und mit imposanten Spitzentönen, delikaten Piani und fraulicher Mittellage aufwartende Montserrat Caballé (ich liebe besonders den Mitschnitt aus Marseille, bei dem wirklich Tränen, Schweiß und Blut fließen, besonders im Dialog mit Alain Vanzo) sowie die heute vergessene Vasso Papantoniou im Mitschnitt eines Pariser Konzerts, etwas spröde noch in der Auftrittsarie mit ihrer luftigen, nur sehr oberflächlich an die Callas erinnernden Stimme, aber durch den sehr jungen, knackigen, direkten und einfach unglaublich sexy singenden José Carreras durchaus herausgefordert, in der Schlussszene vokal wie gestalterisch aber an Grenzen stoßend. Auch Renée Fleming ist nicht uninteressant in diesem Repertoire, aber hat sich nicht die Zeit genommen, in es hineinzuwachsen und zu verstehen, dass Belcanto nicht bedeutet, ein Publikum mit Stimmakrobatik und Stratosphärentönen zu überrumpeln. Wie großartig zu dieser Partie eine (flexible) dramatische Sopranstimme passt, zeigen die Clips mit der feurigen Ines Salazar bei YouTube. Dann gibt es noch Dokumente mit Katia Ricciarelli, Adelaide Negri, Angeles Gulin, Marielle Devia, Daniela Dessi, Darina Takova, June Anderson, Sondra Radvanovsky unf Dimitra Theodossiou, die man alle hätte hören können ...

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Krassimira Stoyanova war Lucrezia Borgia.

Und nun Krassimira Stoyanova, Salzburgs Marschallin und Danae der letzten Sommer. Die Bulgarin ist auf dem Papier eine interessante Besetzung der Titelpartie, hat sie doch einerseits einige Erfahrung im Belcantofach ("Maria di Rohan"), erarbeitet sich andererseits das dramatische italienische Repertoire (Rollen wie Amelia und Aida, die sie ja vielleicht im nächsten Jahr Anna Netrebko nachsingt, wie der Salzburger Klatsch vermeldet). Anders als für das Gros der Premierenbesucher fand ich sie dennoch enttäuschend, denn Rollen wie diese erfordern mehr als professionelles, kunstvolles, diskretes Singen. Mir blieb die Künstlerin wie so oft zu kontrolliert, zu wenig aus sich herausgehend, zu brav, zu wenig involviert in das Drama. Sicher, die Borgia ist eine Adelige in ihren besten Jahren, aber sie hat doch einiges auf dem Kerbholz und befindet sich in einer extremen Situation, das möchte und muss man hören. Und auch nicht jeder Spitzenton hatte die nötige Durchschlagskraft und Brillanz, um Ensembles und Schlüsse zu krönen (da hatte der Tenorkollege deutlich die Nase vorn), nicht jede Koloratur war wirklich souverän ausgeführt, vor allem nicht in der effektvollen Schlussszene "Era desso" (die Donizetti übrigens für die Wiederaufnahme seiner Oper in Mailand 1840 gestrichen hatte, die aber in fast jeder Aufführung natürlich wegen seiner Brillianz nicht fehlen darf).

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Teresa Iervolino war ein hinreißender Orsini.

Eine Freude war dagegen Teresa Iervolino bei ihrem Salzburg-Debüt als Orsini (es war wohl der Sommer der Mezzos, alles sprach über Marianne Crebassas Sesto, das Highlight auch des Intendanten, wie er in der Abschlusspressekonferenz verriet). Was für eine gesunde, pralle, charaktervolle Stimme besitzt die junge Italienerin, die auch in Sopranhöhe gegenüber einigen YouTube-Clips sicherer und imposanter geworden ist (man denkt bereits an Rollen wie Eboli und Amneris in einigen Jahren und ahnt eine glanzvolle Laufbahn), ein mitunter herber, dunkler, voluminöser Rossini-Koloraturmezzo in der Tradition einer Marilyn Horne oder Ewa Podles. Was für ein Timing hatte sie bei der Gestaltung ihrer Phrasen, was für eine Arbeit am Text war da hörbar.

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Ildar Abdrazakov gab den Don Alfonso.

Ildar Abdrazakov dagegen malte als Alfonso wie gewohnt mit breitem Pinsel und sicherte sich Applaus nicht mit Finesse und Stilsicherheit, sondern überrumpelnder vokaler Kraft.

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Juan Diego Flórez überzeugte das Publikum in besonderem Maße als Gennaro.

Eine Wucht war einmal mehr Juan Diego Flórez, diesmal nun als Gennaro, elegant wie leidenschaftlich singend, betörend und nach wie vor jugendlich das Timbre, herzzerreißend das gesungene Wort und das angedeutete Spiel - einmal mehr eine Ausnahmeleistung des Peruaners, die das Festspielpublikum bereits nach seinem sensationellen "Partir degg'io" mit minutenlangem Beifall honorierte und der das eigentliche Highlight dieses Konzerts war (nachzuhören am 2. 9. im ORF Hörfunk und bei BR-Klassik).

Andrew Haji tat sich mit flexiblem Tenor als Rustighello hervor, Gordon Bintner mit seinem klangvollen Bariton als Astolfo, aber auch die anderen Herren hinterließen einen guten Eindruck wie auch die immer hochkarätig musizierende Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor. Routiniert, aber nicht allzu inspiriert fand ich das Dirigat von Marco Armiliato, gerade auch im Vergleich zu der I due Foscari-Produktion, in der der Kollege dem Mozarteumorchester bei kontrollierterer Lautstärke mehr Verve und Feuer entlockte.


FAZIT

Wegen der Mitwirkung von Juan Diego Flórez und Teresa Iervolino war dieses Konzert ein echtes Highlight des Festspielsommers, während Krassimira Stoyanova der Titelpartie Entscheidendes schuldig blieb.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Marco Armiliato

Choreinstudierung
Ernst Raffelsberger



Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor

Mozarteumorchester Salzburg

 


Solisten

Don Alfonso
Ildar Abdrazakov

Lucrezia Borgia
Krassimira Stoyanova

Gennaro
Juan Diego Flórez

Maffio Orsini
Teresa Iervolino

Jeppo Liverotto
Mingjie Lei

Oloferno Vitellozzo
Ilker Arcayürek

Don Apostolo Gazella
Gleb Peryazev

Ascanio Petrucci
Ilya Kutyukin

Gubetta
Andrzej Filonczyk

Rustighello
Andrew Haji

Astolfo
Gordon Bintner


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