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Liebeswirren in kriegerischem AmbienteVon Thomas Molke / Fotos: © Sebastian Bühler Sieben Jahre lang hat sich der Ende der Spielzeit nach Dortmund wechselnde künstlerische Leiter des Barock-Festivals Winter in Schwetzingen, Heribert Germeshausen, mit der "scuola napoletana" beschäftigt, jener musikalisch bedeutenden Epoche, die ein wichtiges Bindeglied zwischen Barock und Klassik darstellt und deren Repräsentanten heutzutage äußerst selten auf den Spielplänen der Opernhäuser zu finden sind. Nachdem dieser Zyklus 2011 mit einem der frühesten Vertreter, Alessandro Scarlatti, und der Oper Marco Attilio Regolo begonnen hatte (siehe auch unsere Rezension) und im letzten Jahr eines der letzten bedeutenden Bühnenwerke dieser Epoche, Niccolò Antonio Zingarellis Giulietta e Romeo, auf dem Spielplan stand (siehe auch unsere Rezension), ist für den Abschluss ein weiteres Mal Nicola Antonio Porpora als Komponist ausgewählt worden (2012 stand seine Oper Polifemo in Schwetzingen auf dem Programm). Ein Grund mag gewesen sein, dass sich Porporas Todestag im März 2018 zum 250. Mal jährt. Da zu diesem Zeitpunkt der diesjährige Winter in Schwetzingen jedoch bereits Geschichte sein wird, dürfte noch ein anderer Aspekt ausschlaggebend gewesen sein. Auch wenn die meisten von Porporas rund 50 Opern heute unbekannt sind, ein Teil davon leider auch verschollen ist, prägte er wie kaum ein anderer den eleganten Gesangsstil, der über Jahrhunderte die italienische Oper dominieren sollte. Er bildete nicht nur den Meisterlibrettisten Metastasio in Kompositionslehre aus und zählte die bedeutenden späteren Opernkomponisten Johann Adolf Hasse und Joseph Haydn zu seinen Schülern, sondern ging auch 1733 nach London, um dort mit großen Stars wie den Kastraten Senesino und Farinelli sowie der berühmten Sopranistin Francesca Cuzzoni mit der Opera of the Nobility ein Konkurrenzunternehmen zu Händel aufzubauen, das jedoch ein paar Jahre später genauso wie Händels Unternehmen bankrott ging. Anders als Händel blieb Porpora jedoch nicht in London, sondern kehrte nach Neapel zurück. Mitridate (David DQ Lee, rechts) begehrt Semandra (Yasmin Özkan), die Geliebte seines Sohns Sifare (Ray Chenez, Mitte). Porporas Mitridate war die letzte Oper, die er für die Opera of the Nobility 1736 in London komponierte. Sechs Jahre zuvor hatte er sich bereits schon einmal mit dem Stoff um Mithridates VI. Eupator, den König von Pontos in Kleinasien, beschäftigt, wobei die beiden Fassungen jedoch inhaltlich genauso wenig miteinander zu tun haben wie mit der historisch belegten Geschichte um den König, der sich in 40 Jahre andauernden Kriegen eine bedeutende Vormachtstellung in Kleinasien erkämpft hatte und den Römern in insgesamt drei Kriegen von 89 bis 63 v. Chr. das Leben schwer machte, bis er schließlich von Pompeius besiegt wurde und auf ungeklärte Weise auf der Halbinsel Krim ums Leben kam. Es heißt, dass er von seinem Leibwächter getötet worden sei, nachdem ein Selbstmordversuch mit Gift nicht funktioniert habe. Es verwundert nicht, dass die letzten Tage dieses sagenumwobenen Mannes zahlreiche Librettisten und Komponisten angeregt haben, sich mit diesem Stoff auseinanderzusetzen. In der Londoner Fassung steht der Konflikt des Königs mit seinen beiden Söhnen Sifare und Farnace im Mittelpunkt. Farnace liebt Ismene, die mit seinem Vater Mitridate verlobt ist, und plant deshalb eine Verschwörung gegen seinen Vater. Doch Mitridate will Ismene gar nicht mehr heiraten, weil ihm die Geliebte seines anderen Sohns Sifare, Semandra, besser gefällt. Semandra will ihren Geliebten allerdings nicht für den König aufgeben, woraufhin Mitridate seinen Sohn kurzerhand als Feldherrn in den Kampf gegen die Römer schickt. Als Semandra schläft, nähert sich ihr der König und wird dabei vom zurückkehrenden Sifare überrascht, der seine Geliebte daraufhin für untreu hält. Ismene lässt derweil Farnace abblitzen, so dass dieser sich frustriert auf die Seiten der Römer schlägt. Semandras Vater Archelao kann das Missverständnis zwischen Sifare und Semandra aufklären, und der sterbende Mitridate übergibt seinem Sohn das Königreich mit dem Auftrag, die Römer zu vernichten. Farnace (Shahar Lavi) bedrängt Ismene (Katja Stuber). Das Bühnenbild von Madeleine Boyd deutet schon zu Beginn an, dass Mitridates Reich vom Krieg schwer in Mitleidenschaft gezogen ist und den Angriffen wohl nicht mehr lange standhalten wird. Wenn sich der Vorhang hebt, ist die Holzdecke geborsten, und ein riesiger Leuchter liegt auf dem Boden, der wahrscheinlich bei einem Angriff herabgestürzt ist. Mitridates Thron befindet sich zunächst in einem Kasten der teilweise mit Gittern umgeben ist, was zum einen anzeigt, dass Mitridates Macht eigentlich schon gebrochen ist, und zum anderen an ein museales Ausstellungsstück erinnert, als das der König für die Nachwelt vielleicht geführt wird. Nach der Pause ist auch die Rückwand des Raumes verschwunden. Die Steinreste an den Seiten deuten an, dass auch diese Wand durch kriegerische Aktivitäten zerstört worden ist. Ein hohes Gitter im Bühnenhintergrund lässt den Raum wie ein Sperrgebiet erscheinen. Die Kostüme von Sarah Rolke sind modern gehalten und stellen wie die Maschinengewehre Bezüge zu aktuellem Kriegsgeschehen dar. Etwas unklar bleibt die Aufgabe der Statisten nach der Pause. Während ihr Wirken als Opferpriester im ersten Teil noch nachvollziehbar ist, auch wenn das Menschenopfer zur Befragung des Orakels am Anfang unnötig brutal wirkt, erschließt sich nicht wirklich, wieso sie im zweiten Teil Stiefel an unterschiedlichen Stellen auf der Bühne platzieren. Soll das ein Zeichen für die im Krieg gefallenen Soldaten sein? Auch dass die Statisten im Hintergrund Sifares Gefühlsqualen nachahmen, wenn er sich von Semandra betrogen glaubt, wirkt eher unnötig und lenkt ein wenig von der eigentlichen Handlung um Sifare ab. Versöhnung zwischen Semandra (Yasmin Özkan) und Sifare (Ray Chenez) (im Hintergrund: Archelao (Zachary Wilson)) Sieht man von diesen kleineren Unstimmigkeiten ab, geht das Regie-Konzept von Jacopo Spirei im Großen und Ganzen auf und bleibt, abgesehen von der zeitlichen Verlegung der Handlung, nah am eigentlichen Geschehen. Gut herausgearbeitet wird Mitridates Manipulation des Orakels zu Beginn der Oper. Mitridate überreicht dem Opferpriester ein Messer und Geld, um sicher zu stellen, dass das Opfer so ausgelegt wird, wie Mitridate es für seine intendierte Trennung von Ismene benötigt. Auch bei Semandras Schlaf im zweiten Akt hat Mitridate in Spireis Inszenierung seine Finger im Spiel. So lässt er ihr über einen Diener einen Schlaftrunk reichen, was nachvollziehbarer macht, wieso sie nicht aufwacht, wenn er ihren Kopf in seinen Schoß bettet, um seinem Sohn Sifare einzureden, dass Semandra untreu gewesen sei. Wieso Farnace allerdings am Ende mit einem schwarzen Sack über dem Kopf als Gefangener hereingeführt und mit seinem Komplizen Arcante an die Gitterwand gestellt wird, steht zum gesungenen Text im Widerspruch, da der sterbende Mitridate seinen Sohn Sifare anweist, Farnace seinem Schicksal zu überlassen. Für Mitridates tödliche Verwundung führt Spirei keine Begründung an. Wahrscheinlich ist er einfach im Kampf schwer verletzt worden und erliegt dann auf seinem Thron seinen Wunden. Schlussbild: von links: Oraculo (Xiangnan Yao), Arcante (Seung Kwon Yang), Archelao (Zachary Wilson), Mitridate (David DQ Lee), Ismene (Katja Stuber), Farnace (Shahar Lavi), Sifare (hier: Ray Chenez) und Semandra (Yasmin Özkan) Musikalisch lässt der Abend keine Wünsche offen und weckt das Verlangen, Porporas wunderbare Musik häufiger auf der Bühne zu erleben. Davide Perniceni arbeitet mit dem Philharmonischen Orchester Heidelberg Porporas kurzweiligen und abwechslungsreichen Stil, der an vielen Stellen stark an Georg Friedrich Händel erinnert, differenziert heraus und lässt das Publikum in eine bezaubernde Klangwelt eintauchen. Die Titelpartie ist mit dem kanadischen Countertenor David DQ Lee hochkarätig besetzt. Lee begeistert in den Höhen mit einer warmen Stimmführung und steigt auch problemlos bis in baritonale Tiefen hinab. Dabei hat seine Stimme in jeder Lage ein erfrischend viriles Timbre. Einen musikalischen Höhepunkt des Abends stellt seine Arie "Per un sol momento ancora" im zweiten Akt dar, wenn er die schlafende Semandra findet und sich ihr wie ein verliebter Teenager nähert. Hier punktet Lee mit warmem, weichem Timbre und zeigt den König von einer ganz milden Seite. Wenn er im dritten Akt dann beschließt, in den Kampf zu ziehen, nachdem Ismene ihn darüber aufgeklärt hat, dass Farnace zum Verrat am König aufgerufen hat, lässt er seinem Zorn in großartigen Koloraturen freien Lauf. Absolut getragen präsentiert er dann zum Schluss die Todesszene des Königs in zwei kurzen bewegenden Accompagnato-Rezitativen. Ray Chenez stattet Mitridates Sohn Sifare mit sauberen Höhen und virilem Klang aus. Mit großer Bravour meistert er die zahlreichen Verzierungen in seinen beiden großen Arien im zweiten Akt, wenn er sich von Semandra verraten glaubt, und im dritten Akt, wenn er erneut in den Kampf gegen die Römer zieht. Shahar Lavi punktet in der Hosenrolle als Farnace mit dunklem Mezzo und diabolischem Spiel. Yasmin Özkan begeistert als Semandra mit leuchtendem Sopran und bewegendem Spiel. In den Duetten mit Chenez findet sie stimmlich zu einer betörenden Innigkeit, die die Zusammengehörigkeit des jungen Paares unterstreicht. Ein weiterer Glanzpunkt des Abends ist ihre Arie "Augelletti che cantando" im zweiten Akt, wenn sie im Dialog mit zwei Querflöten und Oboen langsam einschläft. Die große Todesarie "Vieni o cara", in der sie im dritten Akt den von Arcante überreichten Giftbecher leeren will, geht in Özkans melancholischer Interpretation unter die Haut. Die Partie der Ismene ist mit Katja Stuber ebenfalls großartig besetzt. Stuber glänzt mit klarem Sopran, sauberen Spitzentönen und leicht sprudelnden Läufen, wenn sie Farnaces Ansinnen, seinen Vater zu hintergehen, entschieden zurückweist. Ihre große Arie im ersten Akt, wenn sie von Mitridate aufgrund des manipulierten Orakels zurückgewiesen wird, gestaltet Stuber mit großer stimmlicher Tragik. Zachary Wilson überzeugt als Semandras Vater Archelao mit dunklem, kräftigem Bass. Seung Kwon Yang und Xiangnan Yao runden als Arcante und Orakel die Ensemble-Leistung gut ab, so dass es am Ende zu Recht verdienten Applaus für alle Beteiligten liegt.
FAZIT
Mit dieser Produktion gelingt musikalisch ein großartiger Abschluss des
auf sieben Jahre angelegten Querschnitts durch die "scuola napoletana". Es
bleibt zu hoffen, dass es im nächsten Jahr beim Winter in Schwetzingen
mit neuer Ausrichtung auf gleichem Niveau weitergeht.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Kostüme
Licht
Dramaturgie
Statisterie des Theaters und
Solisten *rezensierte Aufführung
Mitridate
Semandra
Ismene
Archelao
Arcante
Oraculo |
- Fine -