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Internationale Maifestspiele am Hessischen Staatstheater Wiesbaden26.04.2017 - 28.05.2017
Siroe, König von Persien in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln Aufführungsdauer: ca. 3 h 40' (zwei Pausen) Parnassus Arts Production in Koproduktion mit Athens Festival und Opéra Royal de Versailles Aufführung im Großen Haus am 20. Mai 2017 |
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Intrigen in märchenhaftem Ambiente Von Thomas Molke / Fotos: © Guillaume L' Hôte Obwohl Johann Adolf Hasse mit seinen ca. 70 Opern zu den erfolgreichsten Komponisten des 18. Jahrhunderts zählte und der Historiker Charles Burney ihn als "allen anderen Opernkomponisten überlegen" betrachtete, sind seine Werke heute nur noch Spezialisten und begeisterten Anhängern der Barockmusik bekannt und auf den Theaterbühnen so gut wie nie zu erleben. Vielleicht lässt sich das mangelnde Interesse an Hasses Musik damit erklären, dass sie als charakteristisch für die gesamte Form der Opera seria galt und genauso wie die Glanzzeit dieses Genres ab dem beginnenden 19. Jahrhundert verblasste. Aufgrund des in den letzten Jahren wieder wachsenden Interesses an Barockopern hat es sich Parnassus unter der künstlerischen Leitung des Countertenors Max Emanuel Cencic zur Aufgabe gemacht, versunkene Schätze dieser Gattung erneut zu heben und in an der historischen Aufführungspraxis orientierten Inszenierungen wieder auf die Bühne zu bringen. Große Erfolge konnte man dabei vor allem mit den beiden Opern Artaserse (siehe auch unsere Rezension aus Köln) und Catone in Utica von Leonardo Vinci verbuchen, bei denen in Anlehnung an die historische Aufführung auch die weiblichen Rollen von Männern gesungen wurden. Nachdem letztere vor zwei Jahren mit großem Erfolg bei den Internationalen Maifestspielen in Wiesbaden zu erleben war (siehe auch unsere Rezension), hat man Parnassus in diesem Jahr mit Hasses Siroe eingeladen, einer Produktion, bei der Cencic nicht nur die Titelrolle übernimmt, sondern auch noch für die Inszenierung verantwortlich zeichnet. Gespielt wird die zweite Fassung von 1763, in der Hasse 14 der 21 Arien überarbeitete und einen Großteil der Rezitative umschrieb. Die damalige Aufführung, mit der die Rückkehr des musikliebenden Kurfürsten Friedrich August nach Dresden gefeiert wurde, war der letzte große Erfolg, den Hasse in Dresden verbuchen konnte. Friedrich August verstarb nämlich zwei Monate nach der Premiere, und Hasse blieb nichts anderes übrig, als sich mit seiner Frau, der berühmten Mezzosopranistin Faustina Bordoni, nach Wien zu begeben, da das musikkulturelle Interesse in Dresden zum Erliegen kam und man Hasse für seine mehr als 30 Dienstjahre währende Tätigkeit noch nicht einmal eine Pension zahlen wollte oder konnte. Siroe (Max Emanuel Cencic, rechts) und Medarse (Mary-Ellen Nesi, links) streiten sich um die Thronfolge. Die Handlung spielt zu Beginn des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts in Persien. Der persische König Cosroe (Chosrau II.) ist sich unschlüssig, ob er seinen erstgeborenen Sohn Siroe (Kadavh II. Shiruya) oder seinen jüngeren Sohn Medarse (Medarza) zum Nachfolger bestimmen soll. Medarse gelingt es durch seine vorgetäuschte Sanftheit, den Bruder in Ungnade fallen zu lassen. Unterstützt wird er dabei von Laodice, der Schwester von Siroes Freund Arasse, die Siroe liebt, von diesem jedoch zurückgewiesen wird, da sein Herz der indischen Prinzessin Emira gehört. Emira wiederum hat sich als Mann unter dem Namen Idaspe Zugang zum persischen Hof verschafft, um Rache für den Tod ihres Vaters zu nehmen, den Cosroe im Kampf grausam ermordet hat, und fordert Unterstützung von Siroe. Hin- und hergerissen zwischen seiner Liebe zu Emira und dem Pflichtgefühl seinem Vater gegenüber fällt Siroe immer mehr in Ungnade. Als Medarse seinen Bruder beschuldigt, den Vater ermorden zu wollen, und Laodice ihn anklagt, ihr Gewalt angetan zu haben, landet Siroe im Gefängnis und soll hingerichtet werden. Arasse will seinen Freund retten und verbreitet die falsche Nachricht von Siroes Tod. Emira offenbart sich dem König als eigentliche Drahtzieherin des geplanten Attentats und wird verhaftet. Medarse, der noch nichts vom angeblichen Tod seines Bruders weiß, plant, seinen Bruder im Gefängnis zu ermorden, und überlässt dafür Emira / Idaspe sein Schwert. Damit sind seine wahren Absichten entlarvt. Arasse befreit gemeinsam mit Emira den Prinzen aus dem Kerker. Cosroe ist froh, dass sein Sohn noch lebt, erkennt seinen Irrtum und übergibt ihm die Königskrone. Siroe verzeiht seinem Bruder und Laodice und kann sogar Emira davon überzeugen, ihrer Rache abzuschwören und seinem Vater zu vergeben. Laodice (Julia Lezhneva, Mitte) und Emira (Blandine Staskiewicz, links) lieben beide Siroe. Cencic verzichtet in seiner Inszenierung auf politische Aktualisierungen und nähert sich der Geschichte wie einem orientalischen Märchen aus 1001 Nacht an. Dazu hat Bruno de Lavenère ein pittoreskes Bühnenbild geschaffen, das aus hohen verschiebbaren Stellwänden besteht, die mit den kassettenförmigen geometrischen Mustern an orientalische Garten-Pavillons erinnern. Unterstützt wird dieser Ansatz durch Videoprojektionen von Etienne Guiol, die mal mit farbenfrohen Blumenmustern und bunten Schmetterlingen eine exotisch-kitschige Idylle erzeugen und dann wieder in geometrischen Mustern mit unterschiedlichen Weltbildern spielen. Besonders beeindruckend gelingen die Bilder im dritten Akt, wenn Cosroe glaubt, dass sein Sohn Siroe gestorben ist. Hier nehmen lodernde Flammen die ganze Rückwand allmählich ein und zeigen die Verzweiflung des Königs. Andere Projektionen sind zwar schön anzusehen, erschließen sich in ihrer Bedeutung jedoch nicht. Die Kostüme, für die ebenfalls de Lavenère verantwortlich zeichnet, sind ebenfalls märchenhaft gehalten und geben der Inszenierung eine gewisse Opulenz, wie sie für die Opera seria im 18. Jahrhundert charakteristisch war. In der Personenregie gelingt es Cencic, auch in den affektgeladenen Arien die Sängerinnen und Sänger überzeugend agieren zu lassen und nicht auf statisches Rampensingen zu reduzieren. Arasse (Dilyara Idrisova, links) will Siroe (Max Emanuel Cencic, liegend) retten. Musikalisch weist das Werk zwar sehr viele und lange Rezitative auf, kann jedoch mit den eingebauten Arien umso mehr punkten, was vor allem auch ein Verdienst der hervorragenden Sängerriege ist, die für diese Produktion zusammengestellt worden ist. Da ist zunächst einmal Cencic selbst zu nennen, der die Doppelfunktion von Titelpartie und Regisseur wunderbar meistert, ohne sich in den Szenen übermäßig in den Vordergrund zu spielen. Sein Siroe ist ein störrischer und mit übertriebenem Ehrgefühl ausgestatteter junger Mann, der durch seinen Stolz beinahe ins eigene Verderben rennt. Mit großer Dramatik präsentiert er seine Arie im ersten Akt, "La sorte mia tiranna", in der Siroe seiner Wut freien Lauf lässt, da er sich von allen verraten fühlt. Hier punktet Cencic mit stupenden Höhen. Sehr leise Töne hingegen schlägt er im dritten Akt an, wenn er in seiner großen Arie "Vo disperato a morte" alle Hoffnung aufgegeben hat und bereit ist zu sterben. Hier überzeugt Cencic mit weichen und melancholischen Bögen. Ganz anders präsentiert sich Mary-Ellen Nesi als sein Bruder und Rivale Medarse. Mit rundem und sattem Mezzo arbeitet sie wunderbar die zwei Gesichter des Medarse heraus, der sich dem Vater gegenüber sanft zeigt, den Bruder dabei jedoch aus dem Weg räumen will. Ein musikalischer Höhepunkt ist die Schlussarie im ersten Akt "Fra l'orror della tempesta", wenn Siroe verhaftet worden ist und Medarse sich bereits am Ziel wähnt. Hier begeistert Nesi mit beweglichen Läufen. Musikalische Sternstunden beschert auch Julia Lezhneva als Laodice mit ihren beiden halsbrecherischen Koloraturarien. Wenn Laodice im ersten Akt in ihrer großen Arie "O placido il mare" ihrem Bruder Arasse die Gründe für ihren Wankelmut nennt, lässt Lezhneva die Koloraturen mit scheinbarer Leichtigkeit wie tanzende Wogen auf dem Meer nur so perlen. Mit welcher Präzision sie dabei die Läufe ansetzt, ist atemberaubend. Im dritten Akt präsentiert sie dann noch eine Steigerung und lässt das Publikum in frenetischen Jubel ausbrechen. Mit welcher Geschwindigkeit Lezhneva hier durch die Koloraturen heizt und dabei die Töne trotzdem exakt ansetzt, lässt auch die Solisten auf der Bühne Beifall zollen. Dilyara Idrisova begeistert als Laodices Bruder Arasse mit leuchtendem Sopran. Ein Höhepunkt ist ihre große Arie "Se pugnar non sai col fato" im zweiten Akt, in der Arasse seinem Freund Siroe verspricht, ihn vor der Verurteilung zu bewahren. Mit großer Beweglichkeit und scheinbarer Leichtigkeit lässt Idrisova hier die Koloraturen nur so perlen. Blandine Staskiewicz kann an diesem Abend als Emira nur bedingt überzeugen. Bewegend gelingt ihre Arie am Ende des zweiten Aktes, "Non vi piacque, ingiusti dei", in der sie wehmütig bekennt, wieso sie kein friedliches Leben als Schäferin führen kann. Hier punktet Staskiewicz mit warmem und weichem Mezzo. Bei der schnellen Arie im dritten Akt, "Che furia, che mostro", wenn sie glaubt, dass ihr Geliebter Siroe tot ist, vergaloppiert sich Staskiewicz jedoch in den schnellen Läufen und hat Schwierigkeiten, über das Orchester zu kommen und dabei auch noch im Tempo zu bleiben. Juan Sancho zeichnet den König Cosroe als alten leicht gebrechlichen Mann, der in seinen Handlungen stets unberechenbar ist. Erst wenn er seinen Sohn Siroe im dritten Teil für tot hält, erlaubt ihm die Musik Gefühle. Hier gelingt es Sancho, in der berührenden Arie "Gelido in ogni vena" mit weichem Tenor ein etwas sympathischeres Bild dieser ansonsten doch recht blassen Figur zu zeichnen. George Petrou rundet mit dem Ensemble Armonia Atenea den Abend musikalisch hervorragend ab, so dass es am Ende verdienten und lang anhaltenden Applaus gibt. FAZIT Diese großartige Produktion ist noch einmal am 22. Mai 2017 im Staatstheater zu erleben. Des Weiteren sei auf die CD-Einspielung hingewiesen, die bei Decca mit einer großteilig gleichen Besetzung erhältlich ist. |
ProduktionsteamMusikalische Leitung und Cembalo Regie Bühnenbildidee und Kostüme Licht Video
Armonia Atenea
Solisten
Siroe Laodice Emira Medarse
Cosroe Arasse Extras
Weitere |
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