Steine und das Café Babylon
Mit Uraufführungen schmückt sich auch das Festival Aix-en-Provence gerne. Tapfer steht es zu der These, dass es immer wieder Neues braucht, damit die Oper als Genre weiter- und überlebt. Es ist allerdings die nach vier Jahren nach Aix-en-Provence ins Grand Théâtre de Provence zurückgekehrte Zauberflöte von Regisseur Simon McBurney, an der man studieren kann, wie enthusiastisch Publikumsbegeisterung wirklich klingen kann. Natürlich hat beides seine Berechtigung. Das Neue und die Neuinterpretation des Bekannten und Vertrauten. Aix-en-Provence oder Salzburg ohne Mozart, das wäre so absurd wie Bayreuth ohne Wagner. In Südfrankreich gehört es darüber hinaus zum Programm, den auf Mitteleuropa zentrierten Blick aufzubrechen und sich bewusst Einflüssen und Künstlern des südlichen Mittelmeerraumes oder Osteuropas zu widmen.
Der Steinesammler will Antworten
Die aktuelle Uraufführung Seven Stones des tschechischen Komponisten Ondřej Adámek (1979) war schon für 2016 vorgesehen. Sie musste damals aus Finanzierungsgründen aufgeschoben werden, obwohl nicht mal ein großes Orchester dafür gebraucht wird. Dabei liegt in der Machart ohne großes Orchester schon das besondere dieser Novität. Die Komposition bewegt sich im Grenzbereich des Musikalischen hin zum puren Rhythmus des Gesprochenen und sporadischem Überspringen ins Melodische eines chorischen oder solistischen Singsangs. Die Struktur des 80minütigen Stückes ist eher oratorisch als von einem musikalischen Handlungsgestus beherrscht.
A-capella-Gesang mit gewagten Instrumenten
Im dafür bestens geeigneten Theater Jeu de Paume hat Regisseur Éric Oberdorff diese (beinahe) a-cappella-Kammeroper für vier Solo- und zwölf Chorsänger so in Szene gesetzt, dass das suchende Kombinieren der zum Teil exzentrischen Instrumente (von Flaschen und gestrichenen Sägeblättern, in einem Gerüst schwebender Pauke bis zu exotischen Spielarten von Schlagwerk und Blasinstrumenten) eine ständige Bewegung auch des Dirigenten Léo Warynski einschließt. Einmal umrunden sie allesamt sogar den Zuschauerraum.
Der erste Stein
Die Geschichte der Steine besteht im Librettio des Isländers Sjón (der mit bürgerlichem Namen Sigurjón Birgir Sigurðsson heisst) etwas allzu beharrlich auf ihren diversen Assoziationen und Gedankensprüngen. Es geht um einen Steinesammler (Nicolas Simeha), den es in alle möglichen Weltgegenden treibt. Eine Maid (Anne-Emmanuelle Davy mit präzisem Sopran) genannte und eine Land Lady (Shigeko Hata, prägnant und Messamt) fungieren als Erzählerinnen der Geschichte. Die Ambitionen des Sammlers fungieren als eine Art Leitfaden für die Folge der sieben Episoden, die mit der endgültigen Rückkehr des Protagonisten in sein Haus endet.
Der Text mäandert zwischen mythisch, tragisch, biblisch archaisch und banal. Vom Turmbau zu Babel bezieht er seinen Treibstoff, und nach etlichen Umwegen (u.a. über eine Tangobar in Buenos Aires und Japan) landet er bei Jesus und dessen berühmtem "…der werfe den ersten Stein". Was noch die nachvollziehbarste, gleichwohl recht gut abgehangene Botschaft ist. Immerhin lernen wir in der klimatisierten Kühle des Stadttheaters, dass nicht nur das Werfen von Steinen, sondern auch das Sammeln die Gesundheit gefährden kann.
FAZIT
Die aktuelle Uraufführung des Festivals fällt vor allem durch ihre Machart auf.
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