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Traumes BruderVon Roberto Becker, Fotos: © Diskurs Bayreuth - Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Der traditionelle Eröffnungstermin auf dem Grünen Hügel ist der 25. Juli. Doch diesmal gab es einen Vorabend. Was bei der Wetterlage den Vorzug hatte, dass die Zuschauer, die auch die Eröffnungspremiere gebucht hatten, nicht den Anreise-Stress bei hochsommerlicher Hitze auf sich nehmen mussten. Am 24. gab es neben der Pressekonferenz am Festspielhaus am Abend die erste Uraufführung unter der Ägide der Festspiele in ihrer Reihe "Diskurs Bayreuth" seit unerdenklich lange zurückliegenden Parsifal-Zeiten, also seit 1882! Als Teil dieses Rahmenprogramms wird sich ein Symposium in diesem Jahr mit Verboten (in) der Kunst - und der Uraufführung beschäftigen.
Ideal wäre es gewesen, wenn es gelungen wäre, das gerade wiedereröffnete Markgräfliche Opernhaus als glanzvolle Spielstätte für Uraufführungen oder auch schon mal gezeigte Novitäten, die in einem mehr oder weniger engen Kontakt zu Wagners Musik stehen, zu nutzen. Aber da waren die im letzten Jahr verkündeten Wünsche wohl doch zu hochfliegend. Und die Rechnung ohne die Bayerische Schlösserverwaltung gemacht, die wohl etwas übergenau darauf achtet, dass das barocke Raumkunstwerk der Markgräfin Wilhelmine nicht allzu sehr von den Anforderungen eines Proben- und Theaterbetriebes strapaziert wird. Fürs nächste Jahr schreiben übrigens Feridun Zaimoglu und Günter Senkel ein Stück über Siegfried Wagner zu dessen 150. Geburtstag. Für den Wagner-Sprössling wird es auch einen Festakt am Vorabend geben - das neue Stück wird dann während der Festspiele uraufgeführt.
Das ehemalige, 1926 erbaute Kino Reichshof in der Maximilianstraße erwies sich allerdings mit seinem Charme unterm Tonnengewölbe für die beim 1971 geborenen Österreicher Klaus Lang in Auftrag gegeben Oper der verschwundene hochzeiter als passender Rahmen. Die bewusste Kleinschreibung soll wohl auf die minimalistische Musik verweisen. Auf der Pressekonferenz hatte der Komponist gesagt, dass er sich weder in einem Pro noch in einem Contra direkt auf Wagner beziehen, sondern einfach eine gegenwärtige Position zeigen wolle. Es mag an der Stadt der Uraufführung gelegen haben, dass sich das Flirren der Klänge, mit dem er die Zuschauer überzog, manchmal doch auf Wagner beziehen ließ. Klang da nicht das Rheingold-Vorspiel durch? Oder die Naturidylle aus dem Siegfried? Aber das mögen Assoziationen im Ohr des Betrachters sein, die dem Ort geschuldet sind.
Einen fernen Bezug zum Lohengrin, der tagsdrauf in der Pappmaschee-Bebilderung von Neo Rauch oben auf dem Hügel auf den Programm stand, gab es aber doch. Dort wie hier ging es nämlich um ein Verbot, das ein Protagonist missachtet, um dann erhebliche Konsequenzen zu spüren.
Bei Elsa und Lohengrin ist es ein Identitätsproblem; beim Bräutigam, den Klaus Lang in seinem selbstverfertigten Libretto aus der österreichischen Sagenwelt zu Tage gefördert hat, ist es das Verbot, länger auf eine Hochzeit zu tanzen, als die Musik spielt.
Aber die Geschichte ist noch rätselhafter, als ihr Kern klingt. Sie wird dem geneigten Publikum auch nicht via Übertitel nahegebracht. Vor dem Einsetzen der Musik ertönt die Stimme des Komponisten und erzählt in ruhig fließendem Ton von jenen Begebenheiten, die er dann zu einem Klangteppich verwebt. Es geht um eine Dorfhochzeit - irgendwann im niederösterreichischen Gölsental -, zu der auch ein Fremder eingeladen wird, der tatsächlich kommt, sich vergnügt und sich mit einer Gegeneinladung zu seiner eigenen, drei Tage später geplanten Hochzeit revanchiert. So weit, so gut. Doch auf dem Weg dorthin, den der Bräutigam (unhinterfragt) alleine antritt, begegnen ihm einige Merkwürdigkeiten: Zunächst trifft er auf einer fetten Wiese lauter mageres Vieh. Danach auf einer kargen Heide fettes Vieh. Aus einem Häuschen, in dem es gewaltig brummt, lässt er - einem Impuls folgend - unzählige Bienen frei, verschließt es aber wieder, als es ihm unheimlich wird. Schließlich kommt er bei der Hochzeit des rätselhaften Fremden an, wird freundlich empfangen und aufgefordert, kräftig mitzufeiern. Beim Tanzen allerdings solle er darauf achten, nie länger zu tanzen, als die Musik spielt. Zweimal missachtet er das Verbot - bei dritten Mal hält er sich daran. Bevor er den Heimweg antritt, wird ihm noch erklärt, was es mit seinen sonderbaren Begegnungen auf sich hat: Die Bienen, die er freigelassen habe, seinen arme Seelen gewesen, die froh darüber waren, befreit worden zu sein. Das fette Vieh werde er nicht mehr antreffen, denn das waren Seelen, die der Erlösung schon recht nahe waren. Das dürre Vieh hingegen werde er noch antreffen, denn das seien arme Seelen, die noch lange zu leiden hätten.
Auf dem Rückweg dann findet er das Bienenhäuschen, aber keine Öffnung mehr, um weitere Bienen freizulassen. Das fette Vieh auf der Heide ist - wie vorhergesagt - ebenso nicht mehr da, wie er das magere Vieh noch vorfindet. Doch dann passiert es: als er zu Hause ankommt, ist ihm alles fremd und man kennt ihn nicht. Als er seine Geschichte erzählt, holt man ein Buch hervor, in dem von einem Bräutigam die Rede ist, der vor dreihundert Jahren, drei Tage nach seiner Hochzeit, verschwunden war. Alle staunen, und er zerfällt in Staub und Asche.
Gelöst hat auch Regisseur Paul Esterhazy dieses Rätsel nicht. Aber eine Bilder- und Traumwelt dazu erfunden, die ebenso hineinzieht wie die minimalistische Musik von Klaus Lang, die zunehmend eine suggestive Wirkung entfaltet. Zu dieser Wirkung trägt die Anordnung der Musiker des Ictus Ensemble und der zwölf Choristen um die Zuschauer herum einen guten Teil bei. Die beiden Sänger, der Bass Alexander Kiechle als Hochzeiter und der Countertenor Terry Wey als der Fremde, steuern ihren nicht allzu ausufernden vokalen Part wie aus dem Off von der Galerie gegenüber der Bühne bei.
Dort blicken wir auf eine Bauernstube mit zwei Fenstern. Es ist ein Blick in die Landschaft, also die Welt in schnell wechselnden Zuständen. Immerhin taucht der in aller bäuerlichen Festtagspracht herausgeputzte Hochzeiter in ein metaphorisches Zwischenreich ab, das sich in einer anderen Dimension der Zeit befindet. Da die Geschichte vorgetragen wurde, können sich Musik und die dazu kongenial assoziierenden Bilder voll ins assoziative Spiel mit Identitäten und Zeiten fallen lassen. Oder erheben. Oder dorthin entführen.
Dem musikalischen Sog entspricht der, den die beiden Tänzerlegenden, die Zwillinge Jiří und Otto Bubeníček , auf der Bühne imaginieren. Wobei eine raffinierte Projektionstechnik und Friedrich Zorns Videos die Grenzen zwischen realer und Geisterwelt immer wieder aufhebt - und man oft nicht genau weiß, mit wem, oder genauer womit man auf der Bühne gerade beim Schreiten, Setzen, Schauen zu tun hat. Einem "echten" Menschen aus Fleisch und Blut. Oder einer Projektion, die ihm täuschend echt begegnet oder sich wie eine Seele von seinem Körper löst.
Klaus Lang und Paul Esterhazy ist ein irritierendes und faszinierendes Gesamtkunstwerk. (Und damit doch eine Referenz an Richard Wagner.)
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Konzept, Regie, Raum
Video
Kostüme
Einstudierung Orchester
Einstudierung Chor Solisten
Der Hochzeiter - Darsteller I
Der Hochzeiter - Darsteller II
Der Hochzeiter - Sänger (Bass)
Der Fremde - Sänger (Countertenor)
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- Fine -