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Acht Brücken | Musik für Köln 2018

Philharmonie Köln, 10. Mai 2018



"Ich wandte mich und sah alles Unrecht, das geschah unter der Sonne"


Werke von Johann Sebastian Bach, Gustav Mahler und Bernd Alois Zimmermann
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Acht Brücken | Musik für Köln 2018

frage: worauf hoffen? / es gibt nichts was zu erreichen wäre, außer dem tod.

Von Stefan Schmöe

Es ist ein Konzert der großen Abschiede: Zwei Werke, die jeweils die letzten ihrer Komponisten sein sollten. Bernd Alois Zimmermann, schwer erkrankt, nahm sich wenige Tage nach Vollendung von Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne das Leben. Gustav Mahler hatte im Sommer 1910 mit den Arbeiten an seiner 10. Symphonie begonnen und bis zu seinem Tod im Mai 1911 allein den ersten Satz vollständig auskomponiert und vollendet. Um den Tod dreht sich auch die dritte Komposition des Abends, Johann Sebastian Bachs Kreuzstabkantate, die das Lebensende in Glaubenszuversicht als Ziel besingt: Der ruhige Hafen nach stürmischer Seefahrt durch das Leben. Komm, o Tod, Du Schlafes Bruder heißt es im Schlusschoral - da hat der Tod seinen Stachel verloren. Der Katholik Zimmermann zitiert in den letzten Takten seiner Komposition einen anderen Bachchoral, den auch schon Alban Berg in seinem Violinkonzert aufgegriffen hat: Es ist genug; Herr, wenn es Dir gefällt, so spanne mich doch aus. Das freilich weniger als sanfte Bitte denn als Aufschrei.

Gemessen am Klangbild der Spezialensemble für "alte" Musik, klingt die 1726 komponierte, später für Bariton umgearbeitete Kantate Bachs in der Interpretation des Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter dem Dirigat von Michael Wendenberg doch sehr geglättet. Solist Georg Nigl, mit schlankem und beweglichem Bariton (über einige hohe Töne huscht er ungenau hinweg), gestaltet zudem auch die beiden Rezitative recht arios, und da dürfte die Continuo-Gruppe doch etwas pointierter spielen. Statt kleinteiliger barocker Klangrede überwiegt die große Linie, wenn man möchte: der große Leitgedanke. Der Chor des Bach-Vereins Köln singt klangschön mit verhaltenem Duktus, bereits der Welt entrückt.

Mahlers Adagio beginnt sehr sachlich, beinahe unterkühlt: Fast kein Vibrato, wenig Entwicklung, dadurch auch wenig Espressivo, vielmehr eine unendliche Linie. Es entsteht ein luftiger, "schwebender" Klang, und selbst wenn das Riesenorchester im Tutti spielt, wird die Musik in Wendenbergs Interpretation nicht massig, sondern bleibt transparent. Die Bläsereinsätze sind durchweg kultiviert, und auch da, wo sie "grell" erscheinen sollen, bleibt ein Moment an reflektierender Distanz - nicht so sehr eine alles einhüllende Schönheit (wie man sie etwa von den Wiener Philharmonikern kennt), sondern ein Staunen über das Gespinst an musikalischen Linien, dass sich da über rund eine halbe Stunde subtil entfaltet und schließlich in einem hochgradig dissonanten Akkord zusammenbricht. Wendenberg dirigiert auswendig und mit kleinen, souveränen Gesten, und das vor allem in den Streichern ausgezeichnete Orchester hört jeder Reibung genau nach.

Es ist doch einigermaßen absonderlich, dass Bernd Alois Zimmermanns Kantate als Auftragswerk für die olympischen Spiele 1972 entstand, und zwar für das kulturelle Begleitprogramm in Kiel (wo die Segelwettbewerbe ausgetragen wurden - und wo mit Hans Zender ein ausgewiesener Freund Zimmermanns als Chefdirigent wirkte). Eine Festmusik wollte und sollte das nicht sein, ganz im Gegenteil. Als Text verwendet Zimmermann Verse aus dem vierten Kapitel aus dem alttestamentarischen Buch Prediger Salomo ("Ich wandte mich um und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne; und siehe, da waren die Tränen derer, so Unrecht litten und hatten keinen Tröster; […]. Da lobte ich die Toten, die schon gestorben waren […]") Der Text wird, meist kurz gegeneinander versetzt, einem Sprecher sowie dem Bariton-Solisten übertragenen. Hinzu kommen Passagen aus dem Großinquisitor-Kapitel aus Dostojewskijs Die Brüder Karamasow. Dort erscheint in einer phantastischen Erzählung Jesus zur Zeit der spanischen Inquisition und wird verhaftet. Der greise Großinquisitor wirft Jesus in einem Monolog vor, den Menschen eine Freiheit aufgebürdet zu haben, mit der diese gar nichts anfangen können,. "Es werden noch Jahrhunderte vergehen, in denen der Unfug des freien Verstandes, ihre Wissenschaft und Menschenfresserei herrschen werden. Die Freiheit, der freie Geist und die Wissenschaft werden sie in solche Wirrnisse führen, sich selbst vernichten, gegenseitig ausrotten." Am Ende lässt der Inquisitor den Gefangenen gehen: "Komme nie, nie mehr wieder." In diesem Kontext erscheint der unvermittelt hereinbrechende Bach-Choral wie ein zynisches Zitat aus glaubensvollerer Zeit.

Auch hier ist großartig, mit welcher Transparenz Wendenberg das gewaltige Orchester (das fast nie im Tutti erklingt, sondern fast immer in kammermusikalisch kleine Gruppen aufgelöst wird) durch die Partitur manövriert, die Ausbrüche nicht brutal klingen lässt und, wie schon bei Mahler, nicht einen Betroffenheitsgestus, sondern eine genau konstruierte Struktur vorführt, ohne dass die Musik an Faszination einbüßt. Glasklar baut er Schicht um Schicht auf. Souverän spricht Tomas Möwes (für den erkrankten Franz Mazura eingesprungen) mit voller, sonorer Stimme die Bibeltexte, während Jakob Diehl , stimmlich deutlich leichtgewichtiger, mit dem Dostojewskij-Text zu kämpfen hat. Problematisch bleibt der Schluss, bei dem die Sprecher akrobatische Bewegungen ausführen sollen (schließlich handelt es sich, so der Untertitel, um eine "ekklesiastische Aktion") - die reduzieren sich weitgehend auf Stampfen. Bariton Georg Nigl, bis dahin eindrucksvoll und stimmlich gut fokussiert in der Bariton-Partie, soll "gequälte Laute des Schreckens, der Verlassenheit und der menschlichen Erbärmlichkeit" hervorbringen, und da ist die Grenze zur Weinerlichkeit und Peinlichkeit ziemlich nah - größerer künstlerischer Abstand, eine "kunstvollere" Gestaltung, wäre hilfreich.

In die Pause nach dem letzten Ton hinein fiel ein überraschendes "Buh", auch später tapfer den ungleich mächtigeren "Bravi" entgegengehalten - galt das nun dem Werk oder der Aufführung? Wie auch immer: Solcher Protest schützt vor dem, was die Kölner Philharmonie paradoxerweise in ihrer Abonnementsreihe "Philharmonie für Einsteiger" (zu der dieses Konzert tatsächlich gehört - wohl deshalb waren viele Familien mit Kindern im Publikum) verspricht, nämlich "Musik als Balsam für die Seele". Das haben sich die drei Komponisten wohl alle nicht vorgestellt, der Musikprediger Bach nicht, der grüblerisch-depressive Mahler nicht und der an seiner Krankheit wie am Zustand der Welt überhaupt verzweifelnde Zimmermann erst recht nicht. Das Festival ACHT BRÜCKEN | Musik für Köln trägt sicher dazu bei, Zimmermann zum Klassiker der Moderne zu erheben (dafür steht der große Beifall), dessen (vielleicht gar nicht immer geplante, in der Musik aber so oft mitschwingende) Humanität mehr berührt als die seinerzeitigen Provokationen heute noch verstören. 1969 hat Zimmermann im Requiem für einen jungen Dichter die Worte des österreichischen Dichters Konrad Bayer (1932 - 1964) vertont: frage: worauf hoffen? / es gibt nichts was zu erreichen wäre, außer dem tod. 48 Jahre nach Zimmermanns Suizid besteht leider wenig Anlass, sich weniger um die Welt zu sorgen.




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Acht Brücken | Musik für Köln 2018

"Ich wandte mich und sah
alles Unrecht, das geschah
unter der Sonne"


Philharmonie Köln
10. Mai 2018


Ausführende

Georg Nigl, Bariton

Tomas Möwes, 1. Sprecher
Jakob Diehl, 2. Sprecher

Chor des Bach-Vereins Köln

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin



Programm

Johann Sebastian Bach
Ich will den Kreuzstab gerne tragen
Kantate für Bass, Chor und Orchester BWV 56

Gustav Mahler
Adagio aus der
Symphonie Nr. 10 fis-Moll

- Pause -

Bernd Alois Zimmermann
"Ich wandte mich und sah
alles Unrecht, das geschah
unter der Sonne"

Ekklesiastische Aktion für
zwei Sprecher, Bass und Orchester





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