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frage: worauf hoffen? / es gibt nichts was zu erreichen wäre, außer dem tod.
Von Stefan Schmöe
Es ist ein Konzert der großen Abschiede: Zwei Werke, die jeweils die letzten ihrer Komponisten sein sollten. Bernd Alois Zimmermann, schwer erkrankt, nahm sich wenige Tage nach Vollendung von Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne das Leben. Gustav Mahler hatte im Sommer 1910 mit den Arbeiten an seiner 10. Symphonie begonnen und bis zu seinem Tod im Mai 1911 allein den ersten Satz vollständig auskomponiert und vollendet. Um den Tod dreht sich auch die dritte Komposition des Abends, Johann Sebastian Bachs Kreuzstabkantate, die das Lebensende in Glaubenszuversicht als Ziel besingt: Der ruhige Hafen nach stürmischer Seefahrt durch das Leben. Komm, o Tod, Du Schlafes Bruder heißt es im Schlusschoral - da hat der Tod seinen Stachel verloren. Der Katholik Zimmermann zitiert in den letzten Takten seiner Komposition einen anderen Bachchoral, den auch schon Alban Berg in seinem Violinkonzert aufgegriffen hat: Es ist genug; Herr, wenn es Dir gefällt, so spanne mich doch aus. Das freilich weniger als sanfte Bitte denn als Aufschrei.
Gemessen am Klangbild der Spezialensemble für "alte" Musik, klingt die 1726 komponierte, später für Bariton umgearbeitete Kantate Bachs in der Interpretation des Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter dem Dirigat von Michael Wendenberg doch sehr geglättet. Solist Georg Nigl, mit schlankem und beweglichem Bariton (über einige hohe Töne huscht er ungenau hinweg), gestaltet zudem auch die beiden Rezitative recht arios, und da dürfte die Continuo-Gruppe doch etwas pointierter spielen. Statt kleinteiliger barocker Klangrede überwiegt die große Linie, wenn man möchte: der große Leitgedanke. Der Chor des Bach-Vereins Köln singt klangschön mit verhaltenem Duktus, bereits der Welt entrückt.
Mahlers Adagio beginnt sehr sachlich, beinahe unterkühlt: Fast kein Vibrato, wenig Entwicklung, dadurch auch wenig Espressivo, vielmehr eine unendliche Linie. Es entsteht ein luftiger, "schwebender" Klang, und selbst wenn das Riesenorchester im Tutti spielt, wird die Musik in Wendenbergs Interpretation nicht massig, sondern bleibt transparent. Die Bläsereinsätze sind durchweg kultiviert, und auch da, wo sie "grell" erscheinen sollen, bleibt ein Moment an reflektierender Distanz - nicht so sehr eine alles einhüllende Schönheit (wie man sie etwa von den Wiener Philharmonikern kennt), sondern ein Staunen über das Gespinst an musikalischen Linien, dass sich da über rund eine halbe Stunde subtil entfaltet und schließlich in einem hochgradig dissonanten Akkord zusammenbricht. Wendenberg dirigiert auswendig und mit kleinen, souveränen Gesten, und das vor allem in den Streichern ausgezeichnete Orchester hört jeder Reibung genau nach.
Es ist doch einigermaßen absonderlich, dass Bernd Alois Zimmermanns Kantate als Auftragswerk für die olympischen Spiele 1972 entstand, und zwar für das kulturelle Begleitprogramm in Kiel (wo die Segelwettbewerbe ausgetragen wurden - und wo mit Hans Zender ein ausgewiesener Freund Zimmermanns als Chefdirigent wirkte). Eine Festmusik wollte und sollte das nicht sein, ganz im Gegenteil. Als Text verwendet Zimmermann Verse aus dem vierten Kapitel aus dem alttestamentarischen Buch Prediger Salomo ("Ich wandte mich um und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne; und siehe, da waren die Tränen derer, so Unrecht litten und hatten keinen Tröster; […]. Da lobte ich die Toten, die schon gestorben waren […]") Der Text wird, meist kurz gegeneinander versetzt, einem Sprecher sowie dem Bariton-Solisten übertragenen. Hinzu kommen Passagen aus dem Großinquisitor-Kapitel aus Dostojewskijs Die Brüder Karamasow. Dort erscheint in einer phantastischen Erzählung Jesus zur Zeit der spanischen Inquisition und wird verhaftet. Der greise Großinquisitor wirft Jesus in einem Monolog vor, den Menschen eine Freiheit aufgebürdet zu haben, mit der diese gar nichts anfangen können,. "Es werden noch Jahrhunderte vergehen, in denen der Unfug des freien Verstandes, ihre Wissenschaft und Menschenfresserei herrschen werden. Die Freiheit, der freie Geist und die Wissenschaft werden sie in solche Wirrnisse führen, sich selbst vernichten, gegenseitig ausrotten." Am Ende lässt der Inquisitor den Gefangenen gehen: "Komme nie, nie mehr wieder." In diesem Kontext erscheint der unvermittelt hereinbrechende Bach-Choral wie ein zynisches Zitat aus glaubensvollerer Zeit.
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Acht Brücken | Musik für Köln 2018 "Ich wandte mich und sah alles Unrecht, das geschah unter der Sonne" Philharmonie Köln 10. Mai 2018 AusführendeGeorg Nigl, BaritonTomas Möwes, 1. Sprecher Jakob Diehl, 2. Sprecher Chor des Bach-Vereins Köln Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin ProgrammJohann Sebastian BachIch will den Kreuzstab gerne tragen Kantate für Bass, Chor und Orchester BWV 56 Gustav Mahler Adagio aus der Symphonie Nr. 10 fis-Moll - Pause - Bernd Alois Zimmermann "Ich wandte mich und sah alles Unrecht, das geschah unter der Sonne" Ekklesiastische Aktion für zwei Sprecher, Bass und Orchester
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